Eric Wolters: Die unschuldigen Opfer eines rücksichtslosen Konsums
Die Fakten
2 Millionen Tiere werden deutschlandweit pro Tag geschlachtet (Stand 2019). Zudem wurden 2021 insgesamt 5.058.242 Tieren durch Tierversuche getötet, 2.503.682 durch Versuche und Organentnahmen und 2.554.560 allein aus „Überschuss“, also Tiere die für Experimente gezüchtet wurden, jedoch nicht einmal zum Einsatz kamen. Gleichzeitig verursacht die Tierhaltung im Jahr 2022 38,6 Millionen Tonnen CO2-äquivalente Treibhausgasemissionen (also auch Gase wie Methan etc., die der Einfachheit halber in CO2 umgerechnet werden), was 5,2 Prozent der Gesamtemissionen Deutschlands entspricht. Darüber hinaus werden fast 95 Prozent der Ammoniakemissionen, die zur Versauerung der Böden und zur Erhöhung des Stickstoffgehalts der Niederschläge führen und damit indirekt zur Stickstoffanreicherung und zu Nährstoffüberschüssen im Boden beitragen, durch die landwirtschaftliche Tierhaltung verursacht. Diese Emissionen fördern auch die Bildung von Lachgas, das 230-mal klimaschädlicher ist als CO2.
Diese und weitere Zahlen und Fakten zeigen ihre Wirkung. Immer mehr Menschen machen sich Gedanken über ihre Ernährung und den Konsum tierischer Produkte. Im Jahr 2022 leben in Deutschland 1,58 Millionen Veganer, das sind zwei Prozent der Bevölkerung, und 7,9 Millionen Vegetarier, das sind zehn Prozent der Bevölkerung.
Moralisch überlegen?
Mehr noch als ökologische Faktoren führen jedoch ethische Gründe zu einem Umdenken, mit denen sich die philosophische Strömung der Tierethik beschäftigt. Innerhalb der Tierethik gibt es verschiedene Strömungen, u.a. den utilitaristischen Ansatz, die Mitleidsethik und die Tierrechtstheorie von Tom Regan.
Der utilitaristische Ansatz der Tierethik betrachtet das Wohlergehen der Tiere als moralisch relevant. Ziel ist die Maximierung des Gesamtwohls aller betroffenen Tiere, unabhängig davon, ob es sich um Nutztiere oder Wildtiere handelt. Dieser Ansatz basiert auf dem Prinzip des größten Glücks für die größte Anzahl von Individuen und geht davon aus, dass Tiere leiden und Freude empfinden können. Daher sollten Tiere nicht unnötig gequält oder getötet werden, und ihr Wohlergehen sollte bei Entscheidungen, die sie betreffen, berücksichtigt werden. Dieser Ansatz verbietet nicht die Nutzung oder gar Tötung von Tieren, stellt aber viele Aspekte des alltäglichen Umgangs mit ihnen in Frage. Und zwar immer dann, wenn der Nutzen eines Tierversuchs zum Beispiel „nur“ ein neues Shampoo ist, wenn also der Zweck die Mittel nicht heiligt.
Einen Schritt weiter geht die Mitleidsethik. Sie geht davon aus, dass Mitleid ein moralisch relevantes Gefühl ist, das uns dazu veranlasst, Tiere nicht unnötig leiden zu lassen. Dieser Ansatz geht davon aus, dass Tiere leidensfähig sind und wir ihnen deshalb Mitgefühl und Respekt entgegenbringen sollten. Mitleid wird nicht nur als individuelles Gefühl betrachtet, sondern als moralische Verpflichtung, Tiere zu schützen und zu respektieren. Im Gegensatz zum utilitaristischen Ansatz geht es hier nicht nur um das Wohlergehen einer größeren Anzahl von Tieren, sondern um den Schutz jedes einzelnen Tieres vor unnötigem Leiden. Mitgefühlsethiker fordern daher häufig eine grundlegende Änderung unserer Einstellung gegenüber Tieren und ein Ende ihrer Ausbeutung für menschliche Zwecke.
Die Theorie der Tierrechte von Tom Regan argumentiert, dass Tiere als Individuen mit moralischer Bedeutung betrachtet werden sollten und nicht nur als Mittel zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Tiere haben einen intrinsischen Wert, der nicht von ihrem Nutzen für den Menschen abhängt. Dieser Wert ergibt sich aus der Tatsache, dass Tiere ein Bewusstsein und die Fähigkeit zu subjektiven Erfahrungen haben, dass sie Wünsche und Vorlieben in Bezug auf ihre eigene Lebenswelt haben und diese verfolgen. Tiere sollten daher wie Menschen ein Recht auf Leben haben und nicht ohne ihre Zustimmung als Mittel für menschliche Zwecke benutzt werden. Sie haben ein moralisches Recht auf Achtung und Rücksichtnahme, und wir Menschen haben ihnen gegenüber eine moralische Verpflichtung.
Doch was bedeutet das für uns?
Reicht es mehrmals die Woche auf Fleisch zu verzichten um sich dann seltener etwas vom Biometzger zu „gönnen“?
Nein! – Unsere heutigen Gewohnheiten, unser Bild von Tieren, insbesondere von denen, die wir nicht als Haustiere betrachten, entspricht nicht dem, was in den oben genannten Punkten gefordert wird. Wir müssen aufhören, zwischen Tieren zu unterscheiden, indem wir die einen als unsere engsten Freunde und die anderen als bloße Produktionsmittel betrachten, die in vielen Fällen großem Leid ausgesetzt sind. Aber nicht nur die Konsumentinnen und Konsumenten sind gefordert. Wenn die Gesellschaft aufhört, die Ernährung mit tierischen Produkten (vor allem Fleisch und Fisch) als Standard zu betrachten, sollte sich das auch beim Einkaufen bemerkbar machen. Statt 19% Luxus-Mehrwertsteuer auf vegane Alternativen zu Fleisch, Eiern, Milch und Co. sollte diese wie bei anderen Lebensmitteln bei 7% liegen. Zusätzlich kann durch eine höhere Besteuerung tierischer Produkte und strengere Auflagen eine bessere Tierhaltung erreicht werden. Auch strengere Auflagen und Kontrollen für die Wirtschaft sind notwendig, um mehr Tierwohl zu erreichen. Ebenso ist zu prüfen, inwieweit Tierversuche noch unumgänglich sind, um anderen Methoden Platz zu machen.
Logischerweise kann sich nichts von heute auf morgen ändern, aber wir sollten aufhören, Nachsicht mit fanatischen Billigfleischkonsumenten, „Der Mensch hat schon immer Fleisch gegessen“-Vertretern und tierquälerischen Großkonzernen zu üben, die offensichtlich keine Einsicht zeigen wollen.
https://www.deutschlandfunk.de/umgang-mit-tieren-die-gesellschaft-muss-umdenken-100.html
https://www.deutschlandfunk.de/umgang-mit-tieren-die-gesellschaft-muss-umdenken-100.html
https://de.statista.com/infografik/22076/anzahl-der-durchschnittlich-pro-tag-in-deutschland-geschlachtete-tiere/
https://www.tierschutzbund.de/information/hintergrund/tierversuche/statistiken-zu-tierversuchen/
https://veganivore.de/anzahl-veganer-statistiken-fakten/
Singer, Peter: Rassismus und Speziesismus In: Partical Ethics. Cambridge: University Press 1979.
Donovan, Josephine / Adams, Carol J. (Hrsg): The Femenist Care Tradition in Animal Ethics. New York 2007.
Regan, Tom: The Case for Animal Rights. Berkeley (CA) 1983.
https://www.bpb.de/themen/umwelt/bioethik/176364/tierethische-positionen/
https://www.news.de/wirtschaft/855898693/mehrwertsteuer-fuer-lebensmittel-abzocke-im-supermarkt-kein-ermaessigter-steuersatz-auf-vegane-ersatzprodukte/1/
Fleischkonsum, Landwirtschaft, Massenschlachtungen, Mitleidsethik, Nutztierhaltung, Tierethik, Tierversuche