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Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit | Teil I

Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit

Teil 1

   Fast alle Aspekte unseres Handelns und Planens sind zukunftsorientiert. Planung bedeutet überwiegend Vorsorge für zukünftige Ereignisse. Wir planen unsere Berufsentscheidung oder die unserer Kinder, wir sparen für unser zukünftiges Zuhause, für den Urlaub, für die Rente, wir beten für Frieden, hoffen auf gute Ernten, Gesundheit und ein langes glückliches Leben. Persönliche Entscheidungen sowie gesellschaftliche und politische Orientierungen zielen primär aus einem Grund auf die Zukunft ab: sie soll Sicherheit bringen. Die Vergangenheit dient dabei als Erfahrungsschatz für zukünftige Entscheidungen.[1]

Freilich unterliegt eine Zukunftsanalyse bisweilen Irritationen. So wird z.B. die Bedeutung von bahnbrechenden Erfindungen unterschätzt, nicht erkannt oder die Zeit ist nicht reif genug für sie. Die griechischen Philosophen Leukipp und Demokrit stellten sich die Materie aus unteilbaren Grundbausteinen (griechisch atomos) vor, eine Theorie, die erst im frühen 19. Jahrhundert in der Wissenschaft Eingang fand. Leipniz veröffentlichte sein Dualsystem 1703 in der Zeitschrift der Pariser Akademie. Es dient heute als Grundlage der Computertechnologie, aber wer konnte das damals ahnen? Bei vielen bahnbrechenden Erfindungen wie dem Buchdruck, dem Papiergeld oder dem Schießpulver wurde die weltverändernde Bedeutung erst nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten erkannt.   

   Wie ist es heute? Können wir Prognosen über die zukünftige Entwicklung von Bitcoins stellen, über künstliche Intelligenz oder die praktische Relevanz der Quantenphysik? Welche Veränderungen bewegt das Internet der Dinge (IoT)? Wie schreitet die Robotik voran? Einige Beobachtungen konnten in Behauptungen überführt werden, die zumindest für einen begrenzten Zeitraum Geltung beanspruchen können, wie das Moore`sche Gesetz, wonach sich die Leistung von Prozessoren rund alle zwei Jahre verdoppelt.

   Wichtig wird die Frage nach den Auswirkungen technischer Innovationen auf die Gesellschaft. In aufgeklärten, demokratischen Gesellschaften muss insbesondere die Frage  gestellt werden, wie gesellschaftliche Institutionen technische Innovationen im Sinne von Wohlfahrtsmehrung einsetzen können? Dabei verstehen wir Wohlfahrtsmehrung als allgemeines und nicht exklusives Gut, als nachhaltige, solidarische und innere Wertschöpfung.

Noch befinden wir uns in der Phase 1 technischer Innovationen, in der der Technik die Rolle des Werkzeugs zukommt. Wir befinden uns jedoch bereits in der Übergangsphase zu Phase 2 mit Technik als eigenständigem Werkzeug (Stichwort Künstliche Intelligenz)). Ein Grund mehr, sich intensiv mit den Entwicklungen und gesellschaftlichen Implikationen zu beschäftigen. Digitalisierung bedeutet eben mehr als nur Glasfaserausbau.

Wer den gegenwärtigen Digitalisierungsprozess epochal einzuordnen versucht, findet ansatzweise in Jean Fourastiés Drei-Sektorenhypothese einen methodischen Zugang. Nach Fourastiés Sektorentheorie erfolgte die erste Phase von der Seßhaftwerdung der Menschen um ca 8000 v. Chr. bis zum Beginn der Industriellen Revolution um 1800 n.Chr., in der die landwirtschaftliche Tätigkeit überwog. Mit der Industriellen Revolution veränderte sich die Beschäftigungsstruktur. Der technische Fortschritt  sowie politische Zwangsmaßnahmen wie die Einhegungen (enclosures) in England führten zu einer Beschäftigungsverschiebung in den sekundären Industrie-Sektor. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verminderte sich die Beschäftigung infolge des zunehmenden Einsatzes von Rationalisierungstechnologien im Produktionssektor zugunsten einer Mehrbeschäftigung im Dienstleistungsbereich.

Gegenwärtig arbeiten 73,9 % im tertiären Sektor, 24,6 % im sekundären und 1,5% im primären Sektor.[2] Sektoreneinteilung und der Trend der Verschiebung wurden lange Zeit fast statisch betrachtet, d.h. die Sektoren galten nur in der quantitativen Zusammenstellung, aber nicht generell als veränderbar. Diese Sichtweise basierte auf der Annahme, dass technische Innovationen – und damit weitere Produktivitätssteigerungen – im Dienstleistungssektor kaum signifikant greifen und hier kaum zu technologisch bedingter Arbeitslosigkeit führen würden. Fourastié ging davon aus, dass Dienstleisungstätigkeiten, wie die eines Friseurs beispielsweise  nicht durch Maschinen ersetzt werden können. Inzwischen  steht zu befürchten, dass sich Fourastiés Prognosen in dieser Hinsicht als Irrtum erweisen werden, da immer mehr Dienstleistungsberufe im Zuge der Digitalisierung wegrationalisiert werden können.

Digitalisierung und Robotik haben in Bereiche Einzug gehalten, die bislang von technologischen Fortschritt unbeeinflussbar bzw. nicht kompensierbar schienen. Zwei Theorien über die Auswirkungen technischen Fortschritts stehen sich gegenüber:

  1. Ersetzt technischer Fortschritt Arbeit (Freisetzungstheorie)

 oder

  1. werden durch technischen Fortschritt ersetzte Arbeitsplätze durch neue Aufgabenfelder kompensiert? (Kompensationstheorie ).

Schon zur Zeit der 1. Industriellen Revolution diskutierten Ökonomen über mögliche kompensatorische Wirkungen hinsichtlich der Arbeitswelt. Der schottische Ökonom John Ramsey McCulloch vertrat zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Standpunkt der langfristigen Kompensation von Arbeitsplatzverlusten durch technologischen Fortschritt.[3] David Ricardo vertrat 1821 in Widerrufung seiner vorherigen Ansichten hingegen den Standpunkt, dass technologische Entwicklungen zwar positive Auswirkungen auf die gesamtgesellschaftliche Profitsumme habe, sie aber insgesamt neben Lohneinbrüchen vor allem auch negative Auswirkungen auf die Beschäftigung haben würden. Damit steht Ricardo eher für die Freisetzungstheorie und liefert bereits für seine Zei,t erste Hinweise auf die zu erwartenden disruptiven Folgen technologischer Innovationen.[4]

Sehr weitblickend formuliert Ricardo seine Aussage auch über die konsumptiven Folgen disruptiver Technologieentwicklung: „Wenn die Maschinerie alle Arbeit verrichten kann, die jetzt Menschen tun, gäbe es keine Nachfrage nach Arbeitskräften. Niemand hätte ein Anrecht zu konsumieren, der kein Kapitalist ist und sich eine Maschine kaufen oder ausleihen könnte.“[5]

Folgende Fragen bedürfen einer Klärung:

  1. Führt Digitalisierung zu wirtschaftlichem Wachstum? Die Antwort ist nicht klar, wenn Effektivitätssteigerungen bei der Produktion mit Nachfrageverlusten durch Arbeitsplatzverluste verbunden sind.
  2. Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer von digitalen Innovationen?
  3. Wie verändern sich Arbeitsverhältnisse?
  4. Wie entwickelt sich das Verhältnis von Normalarbeitsverhältnissen zu atypischen Beschäftigungsverhältnissen?[6]
  5. Bedarf es eines neuen Arbeitsbegriffes statt der klassischen Arbeitsdefinition (s.Rifkin)?
  6. Werden neue Gesellschafts- und Wirtschaftsformen wie creative commons, sharing economy sowie Formen einer Gemeinwohlökonomie oder Allmende mit der neuen Arbeitswelt kompatibel, gar zwangsläufig?
  7. Wem fließen die Produktivitätsgewinne zu?
  8. Gehen Gesellschaft und Ökonomie in die Richtung einer économie sociale, also einer Ökonomie von der Selbsthilfe über die Kooperation bis zur sozialen Vernetzung und Solidarität, oder setzt sich ein digitaler Taylorismus durch?[7]
  9. Wie sind die Prognosen zum tatsächlichen Ressourcenverbrauch [8]
  10. Wohin steuert die moderne Gesellschaft bzw. wohin soll sie gesteuert werden?
  11. Was passiert mit den weniger technisierten Gesellschaften des Globus?

Diese elementaren Fragestellungen ergeben sich aus dem Automatisierungspotential aufkommender Technologien.

Der sehr lesenswerte Artikel von Heinz D. Kurz: „ Auf der Schwelle zur Vierten Industriellen Revolution“ [9] kristallisiert neun disruptive Bedrohungen und Herausforderungen heraus.

  1. Arbeitslosigkeit

Die alte Diskussion um Kompensation und Freisetzung bekommt durch die Qualität technologischer Entwicklungen einen erweiterten Stellenwert. Robotik, KI und BigData. Selbstlernende Maschinen halten Einzug in den Dienstleistungsbereich und gefährden auch akademische Berufe.

  1. Einkommensverteilung und Lohnentwicklung

Die weiter unten aufgeführte Analyse  der Untersuchung von Frey & Osborne über die zukünftige Berufsentwicklung von 702 Berufen prognostiziert den Wegfall von 47% dieser Jobs. Eine solche  Entwicklung impliziert auch erhebliche Auswirkungen auf Einkommen und Vermögen infolge erhöhter Nichtbeschäftigungsquote und infolge einer Verschiebung zu höher qualifizierten Jobs mit besserer Bezahlung, die die Einkommensschere vergrößern wird.

  1. Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Wie stabil ist eine Gesellschaft noch angesichts der in hohem Tempo verlaufenden gravierenden Veränderungen? Bei Abfassung dieser Zeilen platzt eine Nachricht aus dem Wirtschaftsteil der FAZ vom 2.2.2018 mit der Überschrift „Digitalisierung zerstört 3,4 Millionen Stellen“. Nach Angaben des Branchenverbands Bitkom werden in den kommenden fünf Jahren 3,4 Millionen Stellen infolge der Digitalisierung wegfallen. Zurecht beklagt der Verband die Blindheit gegenüber solch möglichen Entwicklungen seitens der Politik.

  1. Demographische Entwicklung

Die demographische Entwicklung könnte einer technologischen Arbeitslosigkeit scheinbar entgegenwirken, indem die Überalterung der Gesellschaft die Freisetzung quasi kompensieren würde. Z.Zt. der 1.Industriellen Revolution stieg der Arbeitskräfte-Bedarf infolge stark wachsender Bevölkerungen, worauf auch Ricardo verwies. Hier fand also ein Kompensationsprozeß statt. Mit der Stagnation des Bevölkerungsanstiegs könnte über die Entwicklung und den Ausbau des Sozialstaats eine neue Balance gefunden werden. Mit der demographischen Entwicklung verschiebt sich der Bedarf des benötigten Arbeitsangebots jedoch auf sogenannte unproduktive Dienstleistungen, deren Mehrwert sich nicht aus dem Verkauf von Produkten schöpft. Es ergibt sich ein riesiger Umverteilungsbedarf zu Gunsten sogenannter nicht produktiver Tätigkeiten wie im Pflege– und Gesundheitssektor. Ökonomen wie Baumol sprechen von der Kostenfalle des Dienstleistungssektors, da nicht produktive Dienstleistungen quasi fremd finanziert werden müssen. Die Kosten der Marketingabteilung eines Autokonzerns werden durch den Verkauf des Autos getragen, die Pflege im Altenheim durch Ersparnisse der Verwandten oder durch Steuergelder.  Interessant ist nun, wie durch technologische Entwicklung auch Kosten reduziert werden können. So werden Roboter in den USA im Pflegebereich als „helping hands“ eingesetzt. Hier helfen sie einerseits  den auch dort bestehenden Pflegenotstand zu mindern und die Pflegekosten zu reduzieren, entpersönlichen jedoch diesen wichtigen Tätigkeitsbereich.

  1. Veränderung des Aufgabenprofils bestehender Berufe

Die Bildungsanforderungen für die heranwachsenden Generationen müssen angesichts der technologischen Herausforderungen überprüft werden. Inhaltliche, curriculare und methodische Änderungen müssen diskutiert werden und deren Ergebnisse Eingang in Schul- und Universitätssysteme finden. Wichtig sind auch Überlegungen zu Flexibilisierung von Arbeitszeiten, Mobilität, Einkommenssicherheit usw.

  1. Produktinnovationen

Nicht vernachlässigt werden darf der Aspekt von Neuentwicklungen von Produkten und damit der Schaffung von neuen Betätigungsfeldern. Auch bestehende Berufe werden erweiterte Aufgabenfelder erhalten, man denke an den Architekturberuf bei  der Entwicklung von smart cities.

  1. Entwicklung des Verhältnisses von privatem und öffentlichem Sektor

Ein entscheidender Faktor für die Stabilität einer Gesellschaft wird in Zukunft davon abhängen, inwiefern technologische Entwicklung primär von privater Hand geprägt wird. Ricardo beschreibt in dem obigen Zitat den Extremfall, von dem wir, zumindest was die Dominanz der Datenfülle durch Konzerne wie Google und Facebook betrifft, nicht mehr weit weg sind. So wird dringend eine politische Diskussion über den Schutz von Privatheit benötigt, ebenso eine Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen. Alle Autoren, die sich ernsthaft mit der technologischen Entwicklung beschäftigen, auch der oben zitierte Verband Bitkom, plädieren für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es mag den historisch geprägten Vorstellungen von erarbeitetem Einkommen widerstreben, aber zunehmend ersetzen Maschinen menschliche Arbeit, so dass der Arbeitbegriff neu definiert werden muss.[10] 

  1. Frage nach dem „guten Leben“

Nicht zuletzt mit der Neudefinition von Arbeit stellt sich die Frage nach dem „guten Leben“.  Dies mag zunächst profan klingen, hat aber einen sehr ernsten Hintergrund. Die Stabilität unserer Gesellschaft ist oberflächlich. Scheidungsraten, Alkoholismus, Einsamkeit, Burnout, ernährungsbedingte Erkrankungen sind nur einige Merkmale von Disfunktionalität unserer Zivilisation.[11] Die Freisetzung von Arbeit und eine finanzielle Unabhängigkeit durch ein Grundeinkommen könnten Energien frei setzen, die Rifkin als creative commons beschreibt, z.B. in Form von Nachbarschaftshilfe.

  1. Maßnahmen aktiver Stabilisierungpolitik

Aktive Stabilisierungspolitik erfordert eine konzeptionelle Herangehensweise für die Herausforderungen der Zukunft. Aktive Politik bedeutet Handlungshoheit gegenüber Akteuren, die im Besitz von Big Data und neuen richtungsbestimmenden Technologien sein werden. Nutzen von neuen Technologien müssen Gefahren gegenüber abgewogen werden. Geht es um die Frage nach der Gestaltungsmacht für die Zukunft, muss der Bürger der erste Lobbyist werden.

 

Der zweite Teil befasst sich mit wissenschaftlichen Untersuchungen über die Auswirkungen technologischen Wandels auf die Arbeitswelt. Neben den inhaltlichen Ergebnissen ist der Methodenzugang von Interesse. Im dritten Teil werde ich Untersuchungs- und Forschungsfragen aufzählen, die von genereller Bedeutung sind, die vor allem exemplarisch für regionale Bereiche behandelt werden sollten.

 

 

 

[1] Habermas formulierte den schönen Buchtitel “Vergangenheit als Zukunft”, Zürich 1998

[2] Datenreport 2016, Destatis, S.218

[3] J.R.McCulloch: The opinions of Messr Say, Sismondi and Malthus, on the effects of machinery and accumulation, stated and examinded in: Edinburgh Review, März 1821, p. 102-123

[4] D.Ricardo: On the Principles of Political Economy, and Taxation, London 1817, in P.Scraffa (Hrsg.), M.H.Dob: The Works and Corrspondence of David Ricardo, 3. Auflage 1821, Bd.I , Cambridge 1951

Ricardo in einem Brief an McCulloch vom 30.6.1821, vgl. P.Scraffa (Hrsg.): The Works and Correspondences of David Ricardo, Bd.VIII (1819-21), Indianapolis 2005, S.399-400, Übersetzung Heinz D.Kurz

[5] Ricardo in einem Brief an McCulloch vom 30.6.1821, vgl. P.Scraffa (Hrsg.): The Works and Correspondences of David Ricardo, Bd.VIII (1819-21), Indianapolis 2005, S.399-400, Übersetzung Heinz D.Kurz

[6] Zu den Erwerbsformen der atypischen Beschäftigung zählen Arbeitbnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in ihrer Haupttätigkeit eine geringfügige oder befristete Beschäftigung ausüben, in Teilzeit mit bis zu 20 Wochenstunden arbeiten oder bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt sind. 2016 gingen 20,7 %  einer atypischen Beschäftigung nach, der Anteil der Normalarbeitsverhältnisse lag bei 69,2&, 9,9% waren selbständig und 0,3% unbezahlt mithelfende Familienangehöroge. (Quelle: Destatis)

[7] Anzeichen dafür finden sich  in demneuen Orgaisationsmodell  des crowdsourcing  sowie bei Amazon`s Mechanical Turk

[8] Der Nobelpreisträger für Chemie Paul J.Crutzen führte im Jahre 2000 mit anderen Mitstreitern den Begriff des Anthropozäns ein. Er bezeichnet ein von Menschen geprägtes geologisches Zeitalter.

[9] Heinz D.Kurz, Auf der Schwelle zur „Vierten Industriuellen Revolution“, Wirtschaftsdienst 2017, 11

[10] Hierzu der Verweis auf Rifkin (s.u.)

[11] Sieh u.a. https://www.drogenbeauftragte.de/themen/suchtstoffe-und-abhaengigkeiten/alkohol/situation-in-deutschland.html

Automatisierung, Digitalisierung, Fourastié, Industrie 4.0, Industrielle Revolution, Künstliche Intelligenz, Robotik