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Digitalisierung des Geldwesens

Digitalisierung des Geldwesens – Gefahr oder Chance für ein nachhaltiges Finanzsystem?

Definieren wir Resilienz als politische Befähigung, Veränderungsprozesse als Chance zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erneuerung wahrzunehmen und zielgerichtet anzustoßen (siehe https://resilienz-aachen.de/resilienzbegriff/), dann müssen aktuelle Veränderungen des Geldwesens kritisch untersucht werden. Solche Veränderungen geschehen zwar überregional, doch jeder einzelne Akteur trägt dazu bei.

   In unregelmäßig folgenden Beiträgen möchte ich die Bedeutung von Geld in der Historie sowie in der Gegenwart reflektieren. Zwei Gründe geben dazu den Schrittmacher: einmal sind es die momentanen Veränderungen durch digitale Währungen, die auch Konzerne und Zentralbanken beschäftigen, zum zweiten treibt die Erkenntnis, dass das Kardinalproblem einer möglichen, der Nachhaltigkeit verpflichteten Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik die Loslösung des Finanzsystems von der realen Wirtschaft darstellt.

   Beginnen wir heute mit der digitalen Realität und mit einer Erschütterung durch den Facebook – Gründer Mark Zuckerberg im Jahre 2019.  Damals kündigte er die Einführung der digitalen Währung Libra für die Kunden seines Unternehmens an. Ein digitales Bezahlsystem sollte lästige Umtauschtransaktionen ersetzen, Kunden von Facebooks Plattformen WhatsApp und Instagram könnten somit  die Währung zum Onlineshopping nutzen.[1]

    Als Vorbild diente wohl das chinesische Bezahlsystem Alipay des Onlinehändlers Alibaba. Dieses bietet chinesischen Touristen einen besseren Wechselkurs als Mastercard oder Visa an, jede Bezahlung im In-wie Ausland erfolgt nach dem folgenden Prinzip:

  1. Der Käufer wählt das Produkt aus
  2. Er überweist den Betrag an Alipay
  3. Alipay informiert den Verkäufer
  4. Dieser sendet die Ware an den Käufer
  5. Der Käufer bestätigt Alipay den Erhalt der Ware
  6. Alipay zahlt dem Verkäufer den geforderten Betrag aus
  7. Die Transaktion ist abgeschlossen

   Alipay übernimmt demnach die Funktion eines Treuhandkontos, was Transaktionen beschleunigt und Risiken der Geschäftspartner mindert. Alipay erhielt 2011 von der Zentralbank eine Drittlizenz, die Devisengeschäfte, Internetzahlungen, mobile Zahlungen und Zahlungen mit Debitkarten ermöglicht. Das Transaktionsvolumen von Alibay betrug 2013 150 Milliarden US-$, das von PayPal nur 27 Milliarden US-$.

      Warum werden diese Bemühungen digitaler „Erleichterungen der Bezahlsysteme“ von Fachleuten und Zentralbankern kritisch gesehen?[2] Um dieser Frage nachzugehen, muss zunächst Klarheit über die herkömmliche Funktionsweise des Geldes herrschen, ohne dieses Thema hier zu vertiefen. Nach Lehrbuchmeinung besitzt Geld drei fundamentale Funktionen:

  1. Tausch – und Zahlungsmittel
  2. Wertaufbewahrungsmittel
  3. Rechen – und Werteinheit

   Über die Geldhoheit wachen unabhängige Zentralbanken. Sie beeinflussen durch die Steuerung der Geldmenge den Wert des Geldes (Inflationsziel) und die Realwirtschaft. Wenn Plattformen eigene Währungen einführen, so wirken sie als Schattenbanken und entziehen sich der beabsichtigten Wirkungsweise geldpolitischer Maßnahmen von Zentralbanken. Dies ist nur ein Vorwurf, den ich zunächst vertiefen möchte, ein zweiter Kritikpunkt wird danach behandelt.

   Das Libra-Projekt von facebook sah zunächst vor, dass 1 Libra einen Korb von internationalen Währungen abbilden sollte. Ganz banal tauscht der Kunde seinen eingezahlten Betrag in eine internationale künstliche Währung, mit Chancen und Risiken eines jeden Umtauschtransfers. Dieses Vorhaben scheiterte, das Libra-Projekt erhielt einen neuen Namen – Diem – und dient als sog. Stablecoin, also eine Kryptowährung, die 1 : 1 an den US-$ gekoppelt ist. Zahlungsverfahren verlaufen nach dem oben aufgeführten Prinzip ab. Nehmen wir an, wir würden diese Zahlweise bei unseren Ein- und Verkäufen über amazon tätigen.

   Der erste Schritt wäre die Akzeptanz der Zugangsdaten auf unser Konto, damit Euro oder Dollar in der Kryptowährung austauschbar werden. Wir können auch eine Gesamtsumme vorab zur Verfügung stellen (Einlage in sog. Wallets), quasi als persönliche Obergrenze für unser Kaufverhalten. Mit der Zustimmung und / oder Überweisung erhält amazon eine günstige Finanzierungsquelle für Investitionen! Ein Beispiel: die Firma A hat 1 Mio Kunden, die jeweils 100 € auf das Kryptokonto (1 : 1 Wechsel !) einzahlen oder zur Verfügung stellen. Damit hätte die Firma 100 Mio. Euro zur Verfügung, wovon ein Teil für sofortige Transaktionen verwendet wird, der andere Teil für zukünftige Transaktionen in Reserve gehalten wird. Diese „Reserve“ kann natürlich anders verwendet werden, zum Beispiel für Investitionen.

   Die Firma benötigt für diese Summe keine Anleihe auf dem Kapitalmarkt, sie fungiert quasi als (Schatten-)Bank, in die Kunden einzahlen und der ein Teil des Kundengelds für eigene Zwecke zur Verfügung gestellt wird. Vermehrt sich im normalen Geldkreislauf die Geldmenge derart, dass eine Inflationsgefahr droht, so greift die Zentralbank durch eine Zinserhöhung oder durch andere Maßnahmen der Geldmengenreduzierung ein. Unser Amazon-Konto wäre davon allenfalls indirekt betroffen, nämlich durch die geldpolitischen Auswirkungen auf das Verbraucherverhalten. Für „normale“ Banken ergeben sich aus der Geldpolitik der Zentralbank unmittelbare Folgen. Die Besitzer von Kryptowährungen haben aber auch selber eine Einflussmöglichkeit auf ihre Geldmenge, und zwar unabhängig von der Zentralbank.

    Durch die sogenannten Exit Fees, also die Gebühren, bewirken sie eine Steuerung der Geldmenge ihrer Kryptowährung. Sie können auch durch Angebote (Prime!) einen Verbleib oder eine Ausweitung von Diensten schmackhaft machen.

   Dies mag momentan noch marginal erscheinen. Doch wenn der Weg zu dieser Überlassung von Kryptowährungen in der Hand von Konzernen wie Amazon, Facebook usw. frei gegeben wird, ergeben sich mittel- und langfristig gewaltige Verschiebungen zu Ungunsten von beabsichtigter Zentralbankpolitik.

  Digitale Währungen in der Hand von Großkonzernen haben eigentlich nicht die Absicht, die staatliche Hoheit über die Geldpolitik abzulösen, das wären aus ihrer Sicht allenfalls Kollateralfolgen. Ihr eigentlicher Anreiz liegt in der Verbindung von Transaktionsdaten mit Daten zum Nutzerverhalten!

   Damit wäre ich beim zweiten Kritikpunkt. Durch die Benutzung solcher Bezahlsysteme können detaillierte Profile über Einkommen, Konsum und Lebensstil erstellt werden! Nutzer A mag schnelle Autos, fährt also riskanter als Nutzer B. Wer ständig Essen geht spart zu wenig, wer viele Bücher bestellt interessiert sich vielleicht auch für klassische Musik, gehört zu akademischen Kreisen, ist zahlungskräftiger, lebt wahrscheinlich auch gesünder usw. Die Online-Privatsphäre wird durchbrochen, Algorithmen beeinflussen unser Käuferverhalten viel subtiler als wir wahrnehmen können. Letztendlich beeinflusst es unsere Bonität. Investitionsentscheidungen basieren auf Bonitätsprüfungen, und diese werden jetzt zumindest partiell von Algorithmen bestimmt auf der Basis von getätigten Konsumausgaben.

   Gravierende Auswirkungen hätten Querverbindungen, also die Weitergabe oder Nutzung solcher Daten (Auskunft über Bonität in Verbindung mit Konsumverhalten) für Bereiche wie Versicherungen, Kreditvergabe, Arbeitsmarkt …)

   Mit der Internationalisierung und Globalisierung solcher Kryptowährungen und Bezahlsysteme entzieht sich ein Teil der monetären Geldmenge der Kontrolle von nationalen Zentralbanken. Währungshoheit ginge verloren, besonders in Volkswirtschaften mit schwachen Institutionen. „Die Gefahr, dass Angebote digitaler Plattformen staatliche Währungen verdrängen, ist dort real.“[3]

   Ein möglicher Folgeschritt wäre die Ausgabe zusätzlicher Coins und / oder tokens, also digitaler Währungseinheiten. Sie erhalten als ein treuer Kunde eine Prämie von 50 coins, die natürlich nur für den Kauf verwendet werden können. Die Ausgabe von Zusatzgeld funktioniert ähnlich dem Geldschöpfungsprozess der Privatbanken beim Kreditgeschäft in der Bilanzierung. Eine solche Bilanzverlängerung geschieht in diesen Schattenbanken aber unbeobachtet und unkontrollierbar! Die dritte fundamentale Funktion des Geldes, die Rechen- und Werteinheit, wäre somit aufgehoben. Mit einer möglichen Einsehbarkeit von Transaktionen über offene (noch verbotene) Blockchain-Technologie würden auch die Funktionen Tausch und Wertaufbewahrung beeinträchtigen. Unser Geldsystem würde in eine Machtkonzentration von Kapital und Datenbesitz verschoben, schwer vorstellbar als Voraussetzung für eine nachhaltige gesellschaftliche Erneuerung!


[1] siehe dazu auch Handelsblatt vom 12.Februar 2021

[2] siehe dazu auch: Die Plattformisierung des Geldes von Prof. Markus Brunnermeier in der FAZ vom 15.Februar 2021, S.18

[3] Brunnermeier, FAZ s.o.

Digitale Währungen, Digitalisierung, Digitalisierung des Geldwesens, Finanzwesen, Geld, Plurale Ökonomik