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Joelle Lux / Raphaela Kell: Kommunale Pachtverträge und die konstruktive Einbindung landwirtschaftlicher Betriebe in den Transformationsprozess

Nahezu die Hälfte der NRW-Landesfläche wird landwirtschaftlich genutzt. Damit kommt unseren Landwirtschaftsbetrieben eine große Verantwortung für den Erhalt unserer Umwelt und der Artenvielfalt sowie für einen effektiven Klimaschutz zu. Ihre Perspektiven und Zukunftspläne sind in besonderem Maße ausschlaggebend für eine erfolgreiche Umsetzung der Transformationsziele, die u.a. vom Pariser Klimaabkommen und der Europäischen Kommission vorgegeben werden. Zudem wird immer offensichtlicher, dass die Abhängigkeit des Agrarsektors von gesunden Ökosystemen, Klimaschutz sowie von Mineral-Düngerpreisen diesen Wirtschaftszweig zu einer extrem vulnerablen Branche macht. Gleichzeitig wächst der politische und gesellschaftliche Druck auf konventionell arbeitende Landwirtinnen und Landwirte, ihre Betriebe schnellstens auf ökologisch- und klimaverträgliche Produktionsformen umzustellen – bestenfalls sogar bio-zertifizieren zu lassen.

Auch Städte und Gemeinden diskutieren immer häufiger, ob und inwieweit man auf der kommunalpolitischen Ebene „Druck“ auf konventionell produzierende Betriebe ausüben muss, sich endlich auf den Weg hin zu einer ökologischen Landwirtschaft zu machen, z.B. indem die Verlängerung von Pachtverträgen an die betriebliche Umstellung auf Bio-Anbau gebunden wird.

Denn auch die Kommunalpolitik steht immer stärker unter politischem Druck seitens der Europäischen Union, aber auch der Gesellschaft, die global vereinbarten Klima- und Umweltschutzziele in ihrer Region zeitnah durchzusetzen.

Angesichts von sich zuspitzenden Umwelt- und Klimaproblemen scheint es auf den ersten Blick sinnvoll und legitim, den wachsenden politischen Druck auch an die Landwirtschaft in den Regionen weiterzugeben, die bis dato in der Wahrnehmung vieler Bürgerinnen und Bürger beharrlich ihre Betriebe an einem effektiven Klima- und Umweltschutz vorbei zu organisieren scheinen. Doch ist es im Sinne einer erfolgreichen kommunalen Transformationsstrategie tatsächlich ratsam, konfrontativ mit den konventionell arbeitenden Landwirtinnen und Landwirten ins Gespräch zu treten, indem die Drohung in den Raum gestellt wird, bald auslaufende Pachtverträge nur dann zu verlängern, wenn die Betriebe auf Bioproduktion umgestellt werden? Schwächt eine solche auf Druck und Konfrontation setzende Transformationsstrategie nicht eher die Motivationen und Energien, die auf beiden Seiten dringend erforderlich sind, um den notwendigen Transformationsprozess zum Erfolg zu bringen und die damit verbundenen Probleme für die Landwirtschaftsbetriebe gemeinsam zu lösen? Baut ein konfrontatives Vorgehen nicht einfach nur mehr Gegendruck, Frustrationen und Wut auf Seiten der Landwirtschaftsbetriebe auf? Wut, die sich in wenig zielführende Protestaktionen, wie jüngst in den Niederlanden, kanalisieren und weitere co-kreative Transformationsprozesse nahezu unmöglich machen kann. Kooperation und Co-Kreation funktioniert selten auf der Grundlage von politischer Drohung und Druck. Kooperation und Co-Kreation sind aber angesichts der enormen Komplexität von Transformationsprozessen unabdingliche Voraussetzungen für eine reibungsfreiere, erfolgreiche Transformation – auch in der Landwirtschaft!

In vielen Städten und Gemeinden, so auch in Aachen, wurden in den letzten Jahren sehr gute Erfahrungen mit co-kreativer Stadtentwicklung gemacht. Ein wichtiger Erfolgsfaktor dieser co-kreativen Prozesse war und ist das Aufeinander-zu-gehen auf Augenhöhe, das zunächst auch ein offenes Zuhören beinhaltet. Zuhören im Fall der landwirtschaftlichen Transformationsstrategie heißt auch, die Beweggründe jener Landwirtinnen und Landwirte kennen zu lernen und ernst zu nehmen, die sie bislang davon abhielten, ihre Betriebe Bio-zertifizieren zu lassen,  nicht gänzlich auf den Einsatz von Pestiziden, Düngemitteln verzichten zu wollen, keine Blühstreifen zu akzeptieren oder Fruchtfolgenwechsel nicht einhalten zu wollen.  Ein Nachvollziehen dieser Beweggründe bedeutet nicht,  diese als unüberwindbar zu akzeptieren und damit den Ökologisierungsprozess und effektiven Klimaschutz ausbremsen zu lassen. Die Zielsetzung kommunaler Landwirtschaftspolitik muss sich daher weiterhin klar und kompromisslos mindestens an den von der Europäischen Union vorgegebenen Umwelt- und Klimaschutzvorgaben halten. Doch bleiben kommunalpolitische Freiräume, erfolgversprechende Strategien zu entwickeln,  wie diese Zielvorgaben schnellstmöglich und sozialverträglich – auch im Sinne der landwirtschaftlichen Betriebe – erreicht werden sollen.  Um eine solche Strategie entwickeln zu können, müssen sich die Städte und Gemeinden letztlich entweder für einen co-kreativen oder aber konfrontativen Ansatz entscheiden.

Die meisten Landwirtinnen und Landwirte sehen die Notwendigkeit von mehr Klima- und Umweltschutz und suchen nach Wegen, wie sie ihren Betrieb ökologischer ausrichten können. Und viele haben – unter dem Radar der Bio-Zertifizierungen – auch bereits damit begonnen, mehr für den Umwelt- und den Klimaschutz zu tun und würden gerne auch weitere Schritte zur Verbesserung ihrer Bio-Bilanz unternehmen. Doch müssen sie notgedrungen auch wirtschaftlich denken. Viele Landwirtinnen und Landwirte beklagen, dass sie ihre bisherigen Bemühungen in den seltensten Fällen durch bessere Preise honorieren lassen konnten oder sich auf einen gesicherten Absatz für ihre Produkte, die noch nicht bio-zertifiziert sind, verlassen können, da sie ihre Erzeugnisse eben nicht auf Bio-Märkten anbieten dürfen. Weitere Vorhaben im Sinne von mehr Umweltfreundlichkeit oder Tierschutz scheitern oft aus der Sorge heraus, die Risiken und höhere Kosten des Umstellungsprozesses nicht einfangen zu können, die auf die landwirtschaftlichen Betriebe zukommen könnten. Denn solange ihre Betriebe nicht teuer und aufwändig biozertifiziert worden sind, können sie ihre Risiken und höheren Herstellungskosten, die durch die Ertragsrückgänge (bedingt durch den Verzicht von Pestiziden und Mineraldüngern) zu erwarten sind, nicht an ihre Abnehmer:innen weitergeben. Höhere Preise zahlen Einzelhandel bzw. Kund:innen in der Regel nur für zertifizierte Bioprodukte. Doch dieser Zertifizierungsprozess ist aufwändig, und erst nach mehreren Jahren der Umstellung können Landwirte angemessene Bio-Preise rechtfertigen. Bis dahin hängen interessierte Betriebe im Hinblick auf ihre Abnehmerschaft und Umsatzmöglichkeiten völlig in der Luft. Diese finanziell kaum zu kalkulierende Umstellungsphase wird dann umso schwieriger, wenn für die aktuell noch konventionell ausgerichteten Betriebe hohe Investitionskosten beispielsweise für digitalisierte Viehwirtschaft, neue Stallungen oder schwere Landmaschinen getätigt wurden, die Betriebe damit in einer Kreditfalle stecken, die existenziell bedrohlich ist und nur wenig Freiräume für „Experimente“ Richtung Bio-Landwirtschaft zuzulassen scheinen. Zudem kommt, dass verlässliche Erfahrungen mit Bio-Anbau fehlen und sich nicht selten kleinere Bewirtschaftungs-Probleme gedanklich zu scheinbar unüberwindlichen Problemlagen manifestiert haben, die für erfahrene Bio-Landwirtinnen und -Landwirte durchaus als lösbare Alltagsschwierigkeiten wahrgenommen werden.

Die Bedenken und existenziellen Sorgen konventionell wirtschaftender Landwirtinnen und Landwirte sollten nicht einfach vom Tisch gefegt werden, wenn es um die Entscheidung geht, kommunale Pachtverträge nur dann zu verlängern, wenn die landwirtschaftlichen Betriebe auf Bio-Wirtschaft umgestellt werden. Vielmehr sollte nach Wegen gesucht werden, wie kommunale  Verpächter den Agrarbetrieben bei der Umstellung helfen können. Doch dazu muss die regionale Problemlage von Landwirtinnen und Landwirten klar sein. Um das konkret erfahren zu können bedarf es einer Gesprächskultur des Zuhörens auf Augenhöhe und nicht des unerbittlichen Aufbaus von politischem Druck, der schlimmstenfalls emotionalen Gegendruck und komplette Verweigerung nach sich zieht.

Dennoch, und dies dürfte in jeder Hinsicht und von allen Seiten als eine faire Bedingung für weitere Pachtverträge eine breite Akzeptanz finden, sollten alle Pächterinnen und Pächter kommunaler landwirtschaftlicher Nutzflächen sich verpflichten oder sogar verpflichtet werden, aktiv an der Entwicklung einer kommunalen landwirtschaftlichen Transformationsstrategie mitzuwirken. Dabei können und sollten sie ihre Erfahrungen und Bedenken konstruktiv in die Strategiegespräche einbringen, mit den Städten und Gemeinden nach Lösungen suchen und dann auch mit ihren Betrieben aktiv die Umsetzung der gemeinsam vereinbarten Ziele und Prozesse schnellstmöglich voranbringen. Das Zeitfenster für die Umsetzung der Umwelt- und Klimaschutzziele darf dabei – im Interesse aller –  nicht weiter ausgedehnt werden. Den Landwirtinnen und Landwirten sollte alle nur denkbare Unterstützung aus den Städten und Gemeinden zukommen, diesen Transformationsprozess rentabel gestalten zu können.

Ein Baustein dieser gemeinsam zu entwickelnden kommunalen Landwirtschafts-Strategie könnte beispielsweise die Planung und Umsetzung eines regionalen AgrarHubs (siehe hierzu unser Artikel: https://resilienz-aachen.de/aachener-bio-hub-als-baustein-der-landwirtschaftlichen-transformation/ )sein, dessen Zielrichtung klar und deutlich die weitere Ökologisierung der Landwirtschaft sein sollte; nicht zuletzt, da die Städte und Gemeinden auf der kommunalpolitischen Ebene die zunehmenden Öko-Standards umsetzen müssen, die zu Recht von der Europäischen Union und von den Bundes- und Landesparlamenten zum Schutz unseres Klimas und unserer Umwelt festgelegt werden müssen. Im Rahmen eines solchen AgrarHubs können die beteiligten Stakeholder planen und vereinbaren, wie landwirtschaftliche Umstellungsprozesse auf der kommunalen Ebene unterstützt werden können. Zum Beispiel indem der Absatz sowohl von regionalen Bioprodukten aber auch von noch nicht zertifizierten Erzeugnissen vereinfacht und gestärkt werden kann. Darüber hinaus können im Rahmen eines AgrarHubs Möglichkeiten für innovative regionale Wertschöpfungsketten angelegt werden. Beispielsweise die Einbindung der Landwirtschaft als Produzentin von innovativen nachhaltigen Primärrohstoffen. Hier steht für Aachen beispielsweise gerade die Idee im Raum, in der Region Hanf anzubauen, der als „eier-legende Wollmilchsau“ Rohstoff für diverse Branchen liefern kann. Gerade das Thema regionale Wertschöpfungsketten, das häufig im Kontext der Kreislaufwirtschaft zur Sprache kommt, birgt für die regionale Landwirtschaft enorme Potenziale und kann eine zukunftsfähige Alternative für Landwirtinnen und Landwirte bedeuten, die mit ihrem bisherigen Betriebsmodell kaum noch Perspektiven sehen.

Die Beteiligung der ansässigen Landwirtinnen und Landwirte an der Entwicklung und Umsetzung eines solchen regionalen AgrarHubs könnte dabei helfen, Fronten und Frustrationen abzubauen, die einen fairen und co-kreativen Transformationsprozess gefährden könnten. Die Einbindung aller von Transformation betroffenen Parteien hat auch bei der Planung kommunaler Energieversorgungskonzepte meist gut funktioniert. Dort, wo die Bürger:innen und Anwohner:innen in die Planungen einbezogen wurden, dort, wo sie von den neuen Energieversorgungskonzepten vielleicht selber profitieren durften, war die Akzeptanz von den ansonsten meist ungeliebten Windkrafträdern vor der eigenen Haustür ungleich höher als in den Regionen, wo über die Köpfe der Bürger:innen hinweg neue Windräder geplant und in die Landschaft gesetzt wurden. Am Ende profitieren alle Beteiligten von einer konstruktiven Zusammenarbeit. Vielleicht können wir aus diesen Erfahrungen insgesamt ableiten, dass co-kreative Prozesse schneller ans Ziel führen?

Aachen und Landwirtschaft, Bio-Anbau Aachen, eier-legende Wollmilchsau, landwirtschaftliche Transformation, Pachtverlängerung für landwirtschaftliche Nutzflächen