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Die Fallstricke partizipativer Politikgestaltung

 Die Palette der oft schwer voneinander abzugrenzenden Bezeichnungen für die politische Teilhabe bzw. partizipative Einflussnahme engagierter Menschen und Organisationen auf wirtschafts-, umwelt- und gesellschaftspolitische Entwicklungen ist breit. Da ist beispielsweise die Rede von partizipativer oder konsultativer Bürgerbeteiligung, zivilgesellschaftlicher Partizipation, Bürgergesellschaft, partizipativer  Demokratie, Bürgerdemokratie oder auch von Bürgerräten. Vereine, Initiativen und Organisationen, die sich aus der zivilen Gesellschaft heraus bilden und engagieren, fallen insgesamt unter die Bezeichnung Nichtregierungsorganisationen (NRO bzw. aus dem Englischen Non-governmental organization, NGO). Die Bandbreite der NRO reicht von institutionalisierten, regional arbeitenden Initiativen bis zu global agierenden und vernetzten Organisationen. Dies sind beispielsweise Oxfam, Transparency International, Foodwatch, terre des hommes, terre des femmes, Greenpeace, Ärzte ohne Grenzen, Amnesty International, World Wide Fund for Nature (WWF) sowie kirchliche Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt und Misereor, ebenso parteipolitisch gebundene Stiftungen, nicht zu vergessen die gemeinwohlorientierten, solidarischen Organisationen auf kommunaler Ebene.

Seit etwa Mitte der 1980er haben die vielfältigen Zivilinitiativen bzw. NRO quer durch alle Nationen, politischen Instanzen, Organisationen und Parteien einen bemerkenswerten Einfluss- und Bedeutungszuwachs zu verzeichnen. Selbst die von vielen Menschen als übermächtig wahrgenommenen Weltorganisationen, wie beispielsweise der Internationale Währungsfonds und die Weltbank sahen sich spätestens seit den 90er Jahren infolge weltweiter massiver Proteste gegen ihre fehlgeleitete Kredit- und Entwicklungspolitik gezwungen, lokale und insbesondere global operierende NRO in die Entwicklung und Implementierung nationaler Strategiekonzepte einzubinden. Heute ist kaum eine internationale Konferenz ohne die Beteiligung von NRO denkbar. Das Vertrauen, das sie insbesondere bei den Menschen in den Entwicklungsländern genießen, zwang Regierungen und die großen Entwicklungsorganisationen der Vereinten Nationen mehrfach dazu, mit ihnen zu kooperieren, nicht zuletzt auch, um eskalierenden Massenprotesten zuvorzukommen. Nicht nur im Bereich der Entwicklungspolitik etablierten sich die NRO als politisch ernst zu nehmende Sprachrohre. Auch in sozial-, wirtschafts- und insbesondere umweltpolitischen Fragen überzeugten zivile Organisationen durch ihre profunden Sachkenntnisse, mit denen sie nicht nur ihre Kritik an politischen Fehlentscheidungen sachlich begründen, sondern zum Teil auch hochqualifizierte Gegenexpertisen und Aufklärungskampagnen zur Überwindung von wirtschafts- und sozialpolitischen Missständen sowie ökologischen Fehlentwicklungen ausarbeiten konnten.

Angesichts des hohen Ansehens vieler Zivilorganisationen in weiten Teilen der Bevölkerung fürchten viele Regierungen und Konzernleitungen den entstehenden Imageschaden, wenn das von ihnen geführte Land oder Unternehmen ins Visier der NRO-Kritik gerät und einen unrühmlichen Platz auf einer der regelmäßig veröffentlichten Rankinglisten und in ihren Reporten einnimmt. Zu nennen sind hier beispielweise der Korruptionsindex von Transparency International, der von Amnesty International regelmäßig publizierte Report über Menschenrechtsverletzungen oder die von Greenpeace angelegten Zustandsberichte und Expertisen zu diversen Umweltthemen. Seit vielen Jahren schaffen diese Publikationen eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit und Reputation und erzeugen zweifelsohne politischen Druck auf Regierungen, Organisations- und Konzernleitungen. NRO waren nicht selten daran beteiligt, wenn PolitikerInnen und Konzerne zur Verantwortung für ihre folgenschweren Entscheidungen gezogen wurden.

Insgesamt kann den NRO attestiert werden, dass sie einen erheblichen Beitrag zum Funktionieren unserer Demokratien leisten und dabei helfen, die Einhaltung oder den Ausbau der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte zu gewährleisten. Auch tragen sie wesentlich dazu bei, von den Parlamenten oft vernachlässigte Themen wie die der sozialen Gerechtigkeit, der Menschenrechte und auch des Arten- und Umweltschutzes immer wieder auf die politischen Agenden zu setzen. Zivilgesellschaftlich organisierte NRO stehen mehr noch als der  Gegenwarts-Journalismus mit all seinen zwischenzeitlich aufgedeckten Konzern- und Wirtschaftsverflechtungen für eine freie und pluralistische Medien- und Politiklandschaft und für investigative Aufklärungsarbeit sowie  für eine partizipative Visionsentwicklung und Politikgestaltung.

Unbestritten genießen die meisten zivilen Initiativen und Organisationen weltweit ein hohes Maß an Vertrauen in der Bevölkerung. Dennoch drohen die NRO sich in mehreren Fallstricke zu verheddern, die teilweise von außen um sie herum gespannt, teilweise aber auch hausgemacht sind bzw. von innen ausgelegt werden und die den so hart erarbeiteten Vertrauensvorschuss unterhöhlen könnten. Alle Formen partizipativer, ziviler Organisationen tun gut daran, sich dieser Fallstricke bewusst zu sein und diese zu umgehen, wenn sie dauerhaft das Vertrauen der Bevölkerung und zunehmend auch der Politik in ihre Arbeit und Expertise erhalten möchten.

So lassen sich mehrere problematische Entwicklungen herausarbeiten, die in der kritischen Auseinandersetzung mit den Aktivitäten und Strukturen von NRO bzw. bürgergesellschaftlichen Initiativen immer wieder zur Sprache kommen und die die partizipative Politikgestaltung um den Zauber ihrer visionären Gestaltungskraft  berauben könnten.

Rechtspopulistische Instrumentalisierung: Weltweit ist zu beobachten, dass insbesondere die Themen und Arbeitsfelder der sich umwelt- und sozialpolitisch wie auch globalisierungskritisch engagierenden Bürgerinitiativen und NRO von rechtspopulistischen Strömungen und Parteien inhaltlich aufgegriffen und bedient werden.

Vor dem Hintergrund ihrer vermeintlichen Heimatliebe adaptieren rechtspopulistische bzw. nationalsozialistische Gruppierungen gerade die Ökologiethemen, in denen sich viele NRO engagieren. So verweist das Bundesministerium für Politische Bildung in diesem Zusammenhang bereits von einer „Ökologie von Rechts“. Der Spiegel befasste sich 2012 mit dem von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebenen Bericht „Braune Ökologen“, in dem publik wurde, dass rechtsextreme Biobauern sich zunehmend den zertifizierten Erzeugerverbänden anschlössen und damit die Öko-Szene verunsicherten.

Im Hinblick auf die sozialpolitischen Themen wies die Frankfurter Rundschau 2008 darauf hin, dass in sozial schwachen Regionen Rechtsextremisten immer häufiger als Helfer auftreten, die in vom Staat geschaffene Lücken stoßen und Hausaufgabenhilfe, Kinder- und Jugendbetreuung oder sogar auch Sozialarbeit anbieten. Auch die eher bürgerlichen Initiativen und NRO, die wir als Bereicherung unserer pluralen Gesellschaften begreifen, stoßen letztlich ebenfalls in „staatlich geschaffene Lücken“ und gehen damit unfreiwillig eine strategische Nähe zu rechtspopulistischen Agitatoren ein. Veranstaltungen und Diskussionsrunden der an Aufklärung und konstruktiver Zukunftsgestaltung interessierten Bürgerinitiativen sind immer wieder ein leicht begehbarer Kanal für Rechtspopulisten. Über gemeinsame visionäre Zielsetzungen versuchen diese, eine braune Alltagskultur zu etablieren, die sich ebenfalls der kommunalen, regionalpolitischen Partizipationskanäle bedient und dabei räumlich und inhaltlich das Engagement der bürgerlich-alternativen Organisationen  auszuhöhlen droht. Dass eine rechtspopulistische Partei wie die AfD eine stärkere Partizipation der BürgerInnen an politischen Entscheidungen und die Einführung einer direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild fordert, muss dabei nicht zwingend darauf zurückzuführen sein, dass ihr das Prinzip der partizipativen Demokratie eine Herzensangelegenheit ist. Der Extremismusforscher Thomas Grumke sieht ihr diesbezügliches Ansinnen darin begründet, dass sie das Konzept der partizipativen Demokratie als ein „wohlfeiles Instrument zur Überwindung der Macht von ‘Eliten´ und des ´Establishments´“ instrumentalisiert.

Blockadepolitik statt visionärer Politikgestaltung

Bereits mit Beginn des Diskurses über partizipatorische Demokratiekonzepte standen diverse Bedenken gegen eine stärkere Einbindung zivilgesellschaftlicher Mitarbeit bei politischen Entscheidungsprozessen im Raum. SkeptikerInnen befürchteten, dass Habermas´ partizipatorischer Demokratieansatz , der eine institutionalisierte Einbindung legitimierter Bürgergremien in parlamentarische Entscheidungsprozesse vorsah, die Mühlen dieser Entscheidungsprozesse erheblich verlangsamen, wenn nicht sogar blockieren, könnte. Nicht selten werden diesbezügliche Befürchtungen sowohl auf der bundesparlamentarischen wie auch kommunalpolitischen Ebene laut. Doch neben den zeitlichen Verzögerungen, die im Zuge langwieriger Beteiligungsverfahren entstehen könnten, wird mit Blick auf eine verstärkte partizipative Politik auch die Etablierung einer Kultur des „Nein-Sagens“ befürchtet, die einen politischen und gesellschaftlichen Stillstand zementieren könnte.

Damit wird partizipatives Engagement mit Blockadepolitik gleichgesetzt. Und tatsächlich sind viele zivilgesellschaftliche Initiativen und NRO-Aktivitäten darin begründet, dass Menschen sich gegen die Durchführung eines von ihren politischen Vertretern beschlossenen Projektes wehren. Es ist nicht zu übersehen, dass viele partizipative Projekte als Ein-Punkt-Initiativen begannen. In den Entwicklungsländern waren es zumeist die umwelt- und wirtschaftspolitisch desaströsen Weltbankprojekte seit den 1970er Jahren, und in Europa wie auch der Bundesrepublik wehren sich aktuell Bürger beispielweise gegen Bauprojekte, wie Stuttgart 21, Elbkanalvertiefung, Stromtrassenführungen, Flughafenerweiterungen, Sendemaste, gegen die Erweiterung der Kohleabbaugebiete sowie gegen neue Straßen oder auch Windparks.

Auch die AKW-Bewegung, die letztlich erheblich zu einem positiven gesellschaftlichen und politischen Umweltbewusstsein und zivilem Engagement beigetragen hat, war zunächst eine „Nein-Sager-Bewegung“, bis sich aus ihr heraus konstruktiv mitgestaltende Umweltorganisationen und Zivilinitiativen gründeten, die, wie weiter oben bereits geschrieben, profunde Alternativen zu den politischen Energie-Konzepten erarbeiteten, gegen die sie mobilisierten. Erwartungsgemäß wird auch künftig sicherlich oft genug ein protestbekundendes „Nein“ am Anfang zivilgesellschaftlichen Engagements stehen.

Doch partizipative Mitgestaltung überwindet den Fallstrick reiner Blockadepolitik dann, wenn die Folgen unliebsamer Politikentscheidungen nicht nur kritisiert und bekämpft, sondern in visionäre Gegenkonzepte transformiert werden.

Zivilgesellschaftliches Partizipation als „neues Herrschaftsinstrument“:

Das zivilgesellschaftliche Engagement erfährt weltweit  auf den regionalpolitischen Agenden eine breite Akzeptanz und vieles deutet darauf hin, dass sich die etablierten parlamentarischen Demokratien durch die zunehmende Beteiligung zivilgesellschaftlicher Initiativen zu partizipativen Demokratien transformieren könnten. Dennoch beobachtet die Partizipationsforschung auch bedenkliche Aushöhlungsvorgänge in diesem hoffnungsgeladenen Transformationsprozess.

Thomas Wagner und Roland Roth ermittelten mehrere Entwicklungen, die den partizipativ-demokratischen Ansatz unterspülen könnten. In nahezu paradoxer Weise setzt ihnen zufolge dieser Unterspülungs- oder Aushöhlungsprozess dort ein, wo die zivilgesellschaftliche Mitgestaltung auf eine vermeintlich hohe Akzeptanz auf Seiten der Wirtschafts- und Politikvertreter trifft. Wagner wie Roth äußern sich skeptisch angesichts der weit verbreiteten Zuversicht, die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Initiativen würde tatsächlich von den meisten federführenden politischen Vertretern als eine „Herzensangelegenheit“ in puncto Demokratieförderung betrachtet. Wie Roth geht Wagner vielmehr davon aus, dass PolitikerInnen Partizipation besonders dann befürworten und unterstützen, wenn durch die Einbindung ziviler Initiativen etwaigen unpopulären Bauprojekten (Stuttgart 21, Windparks, Straßenführungen etc.) zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz verholfen werden soll. Die Anhörung der BürgerInnen zu anstehenden Projektplanungen erweckt hiernach nur den Anschein einer tatsächlichen Einbindung der Bevölkerung in die Projektplanung und -implementierung. Den Bürgern wird großmütig die Möglichkeit zu einer ergebnisoffenen Anhörung und Planungs-Beteiliigung offeriert. Doch Wagner geht davon aus, dass die entsprechenden Beteiligungs- und Mediationsverfahren vielmehr vor dem Hintergrund durchgeführt werden, den gesellschaftlichen Widerstand gegen die umstrittenen Großprojekte zu befrieden und den Protestbewegungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dies geschieht oftmals schon allein dadurch, dass sich breitere Proteste bereits aufzulösen beginnen, wenn die protestierenden Bürger das Gefühl haben, dass sich jemand aus ihren Reihen offiziell „kümmert“. Sobald eine diesbezügliche zivilgesellschaftliche Steuerungsgruppe oder ein Gremium politisch in eine Projektplanung involviert wird, übernimmt dieses Gremium erfahrungsgemäß beinahe automatisch eine vermittelnde und damit deeskalierende Pufferfunktion.

Diese zunehmende Akzeptanz von partizipativer Projektbeteiligung ermittelte Wagner auch für die Wirtschaft. Beispielsweise gelten insbesondere in der Immobilienwirtschaft und bei Energiekonzernen diese neuen Beteiligungsformen als die einzige Möglichkeit, Großprojekte künftig überhaupt noch mit kalkulierbarem Kostenaufwand durchzuführen. Denn dort, wo bürgerliche Gremien rechtzeitig in die Projektplanung eingebunden werden, sind in der Regel deutlich weniger Klagen gegen Formfehler bei Ausschreibungsverfahren zu verzeichnen, was zu erheblichen Kosteneinsparungen führen kann.

Eine Senkung der Planungs- und Baukosten erhoffen sich Politik und Wirtschaft, so Wagner, auch durch die Aktivierung der Bürgerexpertisen. Immer mehr Bürgerinitiativen und NRO überzeugen durch ihre hohe Sachkompetenz, die oft dabei behilflich war, die von den Verwaltungen und Planungsbüros kalkulierten Projektkosten deutlich zu senken. Zivile ExpertInnen, so die bisherigen Erfahrungen, haben den Kostenfaktor bei der Projektplanung stärker im Fokus als rein gewinnorientierte Planungsbüros, deren Vergütungen sich nach der Höhe der Bausumme berechnen, oder als Verwaltungsangestellte, die oft genug nicht über das notwendige Fachwissen oder die notwendige Einarbeitungszeit für komplexe Projektkalkulationen verfügen.

Die politische Instrumentalisierung zivilgesellschaftlichen Engagements bei der Ausarbeitung und Implementierung strittiger Großprojekte bezeichnet Wagner als „Mitmachfalle“. Die von der Politik gewünschte Beteiligung der BürgerInnen hat hiernach nur den Anschein einer ehrlich gemeinten Partizipationsförderung, in Wahrheit sind Politiker, nach Ansicht Wagners und Roths, in der Regel vor allem darauf bedacht, störende, projektverzögernde und kostensteigernde Proteste einzudämmen und profundes Fachwissen ziviler ExpertInnen kostenfrei abschöpfen zu können. Wagner geht in seiner Skepsis noch einen Schritt weiter und konstatiert, bürgerliche Partizipation würde zu einem neuen politischen Herrschaftsinstrument entwickelt, das den Schein partizipativer Demokratieförderung wahren hilft, aber gleichzeitig eingesetzt wird, um bürgerliches Engagement nach alten Politikmustern zu kanalisieren und unterhöhle damit neue, direkt-demokratische. Bürgerbeteiligung findet hiernach nicht dem Bottom-up Ansatz folgend statt, sondern sie wird von oben konzipiert und gesteuert. Nicht die BürgerInnen gestalten ihre Zukunft, sondern nach wie vor die üblichen EntscheidungsträgerInnen aus Verwaltung, Unternehmen, Kommunen, Wissenschaft und Verbänden. Dies gewährleistet, dass zivilgesellschaftliche Gestaltungsideen den Rahmen bestehender Politiksysteme und -vorstellungen nicht sprengen und die alten Top-down-Strukturen erhalten bleiben, obwohl immer mehr Menschen sich eine dezentrale Demokratie wünschen. Partizipation wird nach Wagners Auffassung „in erster Linie als Akzeptanzmanagement verstanden, als der Versuch, politisch schwer kalkulierbare Konfrontationen zwischen aufmüpfigen Bürgern und der Staatsgewalt zu vermeiden. Protest soll in Diskussion verwandelt und auf diese Weise entschärft werden.“

Ähnliche Entwicklungen beobachten Roth und Wagner im Hinblick auf die zunehmende Unterstützung zivilgesellschaftlicher Arbeit durch die Wirtschaft. Hier nennt Wagner mehrere Beispiele, wo zivilgesellschaftliche Initiativen von finanzstarken Unternehmen und unternehmensnahen Stiftungen unterstützt wurden oder wo Unternehmen groß angelegte Aktionen und Kampagnen zu den typischen NRO-Themen in den Bereichen Umwelt-, Arten- und Klimaschutz initiierten und so gestalteten, dass der Eindruck erweckt wurde, die jeweilige Veranstaltung sei in enger Kooperation mit den vertrauenswürdigen zivilgesellschaftlichen Organisationen initiiert worden.

Dass sich Unternehmen im Sinne der Nachhaltigkeit für sozial- umweltpolitische Themen engagieren, ist insgesamt zu befürworten. Dennoch sind die von Wagner und Roth vorgebrachten Zweifel an der neuen Unternehmensethik dann gerechtfertigt, wenn, wie bereits beim „Green-washing“, Unternehmen auf der Grundlage schnelllebiger Mode-Kampagnen nur scheinbar umwelt- und sozialpolitisch aktiv werden, um in erster Linie das eigene Firmen-Image zu verbessern.

Zivilgesellschaftliche Kooperationspartner sollten also genau hinschauen, ob sie vor einen Public-Relation-Karren gespannt werden und wo tatsächlich ein unternehmensinterner Paradigmenwechsel zu erkennen und zivilgesellschaftlich zu unterstützen ist.

Partizipative Demokratie und das Privileg der bürgerlichen Bildungselite

Konstruktives zivilgesellschaftliches Engagement und politische Teilhabe finden sich in der Regel verstärkt in den bildungsstarken Bürgergruppierungen. Damit besteht für Roth die Gefahr, dass sich die partizipative Demokratie zu einer Demokratie der privilegierten Gesellschaftsteile entwickelt und vornehmlich die Themen der besser situierten Bürger auf die politischen Agenden gelangen werden. Letztlich stünde hiernach zu befürchten, dass eine Zunahme partizipativer-demokratischer Vielfalt in die Paradoxie münden und dazu führen könnte, dass „ Mehr Demokratie  zu  weniger  Demokratie führt.“

Auch Thomas Wagner warnt vor der Herausbildung einer machtvollen, da artikulationsstarken, bildungsbürgerlich sozialisierten und ökonomisch besser gestellten Bevölkerungsschicht, die die neue Partizipationsdemokratie für ihre eigenen Interessen zu nutzen weiß und diese inhaltlich dominieren könnte. Dies würde ihm zufolge mitnichten die erhoffte zivilgesellschaftliche Integration fördern, die man sich von einer partizipativen Politikgestaltung verspricht, sondern die Schere zwischen „unten“ und „oben“ noch weiter auseinander treiben und die soziale Ungleichheit vertiefen statt eindämmen. Behält Wagner Recht, stünde zu befürchten, dass insbesondere die sozialpolitisch relevanten Themen weiter marginalisiert werden könnten. Hierbei darf jedoch nicht übersehen werden, dass es neben den umweltpolitischen vor allem auch die sozialpolitischen Themen im Kontext der Globalisierungskritik gewesen sind, die zur Mobilisierung der zivilgesellschaftlichen Bewegungen und zur Gründung der entsprechenden NRO führten. Auch die im Aufwind befindlichen Gemeinwohlinitiativen, die für die Vereinbarkeit von umwelt- und sozialpolitischer Nachhaltigkeit stehen, wurden letztlich vor allem in den sogenannten „bildungsnahen Schichten“ entwickelt und forciert. Doch insgesamt werden Wagner und Roth wohl insofern Recht behalten, als dass zivilgesellschaftliches Engagement mit hoher Wahrscheinlichkeit auch künftig zunächst in den bildungsstärkeren Gruppierungen entstehen und politisch kanalisiert wird, wodurch diese Gruppierung zwangsläufig am längeren Hebel der partizipativen Zukunftsgestaltung sitzt.

Fördermittelabhängigkeit:

Die seit vielen Jahren engagierte NRO-Aktivistin und Publizistin Barbara Unmüßig weist in der Wiener Zeitung auf die Problematik hin, dass zivile Organisationen  am Tropf staatlicher und privater Geldgeber hängen. Dadurch laufen diese ihrer Ansicht nach Gefahr, sich den Wettbewerbslogiken des Kapitalismus zu unterwerfen.

Im Rahmen dieser Wettbewerbslogik muss hinterfragt werden, wie sinnvoll die inzwischen entstandene Fördermittel-Konkurrenz zwischen den NRO sein kann. Hier konkurrieren viele Organisationen mit den gleichen Zielsetzungen um die relativ wenigen Fördertöpfe, die teils von den Ministerien, teils von Stiftungen oder Unternehmen ausgeschüttet werden, die den Förderrahmen und die förderungswürdigen Projektthemen festlegen. Unmüßig konstatiert, dass die NRO infolge ihrer Fördermittel- und Spendenabhängigkeit dazu neigen, Modethemen aufzugreifen und der politischen Agenda der Geldgeber hinterherzulaufen. Die Inhalte ihrer Projektthemen, für die sie Förderanträge stellen, werden so ausgewählt und ausformuliert, dass sie dem Antragsraster der Geldgeber entsprechen. Unmüßig gibt zu bedenken, dass den NRO dadurch ihre kritische, aufklärerische Rolle verlorengehen kann. Hinzu kommt, dass Organisationen nur dann von Stiftungen, Dachverbänden, Unternehmen oder Ministerien als förderwürdig eingestuft werden, wenn sie sich bereits durch mehrere Projektimplementierungen bewiesen, also etabliert haben. So wird es jungen Organisationen schwer gemacht, innovative Projektideen, die außerhalb des Themen-Mainstreams der potentiellen Geldgeber liegen, finanziert zu bekommen.

Eine erfolgversprechende Projektakquise setzt zudem meist eine professionalisierte Organisationsverwaltung voraus, die in der Regel schnell auch an ihrer Selbsterhaltung interessiert ist, die sich wiederum ausschließlich durch Generierung von Spenden und Fördermitteln gewährleisten lässt. Hierin begründet sich das mögliche Eintreten einiger NRO in den Teufelskreislauf aus Fördermittelabhängigkeit und inhaltlicher Mainstream-Ausrichtung. Eine kontinuierliche Erfolgsquote im Hinblick auf die Fördermittelakquise wird so zum unabdingbaren Lebenselixier institutionalisierter zivilgesellschaftlicher Partizipation, wobei Abhängigkeiten vorprogrammiert sind und die Gefahr wächst, dass partizipative Bewegungen ihre Innovationskraft einbüßen.

Kompetenzdilemma

In der Vergangenheit sind NRO immer wieder ins Visier geraten, da einigen ihrer WortführerInnen nachgesagt wird, sie könnten nur schwer mit Kritik an ihrer Arbeit und vor allem an ihren Expertisen umgehen und sie verträten ihre Positionen immer häufiger im Stile einer Kritiker-diffamierenden Rechthaberei und seien selten bereit, konstruktiv auf Gegenpositionen einzugehen. Vorausgesetzt, dieser Vorwurf gegenüber den NRO ist selbst kein Produkt einer Diffamierungsstrategie jener, deren Arbeit und Zielsetzungen durch die Aufklärungs-Kampagnen der NRO erschwert werden, wäre dies eine nahezu tragische Entwicklung in der öffentlichen Diskussionkultur, da ein solches Verhalten auf Seiten der NRO-VertreterInnen das hart erarbeitete Vertrauen in die Arbeit und Aussagefähigkeit der NRO schnell untergraben könnte. Erklärungen für eine diesbezüglich fehlgeleitete Rhetorik seitens der NRO-SprecherInnen lägen auf der Hand, müssten aber keinen Automatismus innerhalb der NRO-Arbeit darstellen, sich mit der Zunahme an Reputation in diesen Fallstrick einer rechthaberischen Ignoranz bzw. Überheblichkeit verheddern zu müssen. Die oft hohe Professionalität in den NRO hat dazu geführt, dass ihren Studienergebnissen eine zunehmende globalpolitische Relevanz zukommt. Das erhöht den Druck auf die MitarbeiterInnen enorm. Fehler einzugestehen und damit global richtungsweisende Aussagen und Handlungsempfehlungen eventuell überdenken und korrigieren zu müssen, das wird mit der wachsenden Reputation und dem bereits erworbenen Vertrauensvorschuss immer schwieriger. Zugleich zieht die hohe öffentliche Anerkennung der NRO-Arbeit möglicherweise auch deren vielbesagte „Alphatiere“ in die Ebenen der Vorstände und Geschäftsführungen, von wo aus sie sich manchmal äußerst willens- und durchsetzungsstark präsentieren und sich allzu gerne als harte Diskutanten im Gespräch mit anders Denkenden medial inszenieren.

So könnte es durchaus im Bereich des Möglichen liegen, wenn besonders renommierte NRO punktuell das in sie und ihre Arbeit gesetzte Vertrauen selber untergraben, falls sie tatsächlich daran mitwirken, ihre Expertisen als Dogma und nicht, wie es WissenschaftlerInnen eigentlich zu eigen sein sollte, als Diskursgrundlage präsentieren und Kritik nicht nur tolerieren, sondern sie im Sinne einer zukunftsfähigen Lösungsstrategiefindung sogar begrüßen und ergebnisoffen in ihre Arbeit einbeziehen. Eine konstruktive Kritikkultur wäre zugleich auch der beste Selbstschutz gegen die ihnen manchmal unterstellte Tendenz zur Dramatisierung umweltpolitischer Daten und Fehlentwicklungen, denn diesbezügliche Unterstellungen müssten sich ebenfalls einem Verifizierungs-Prozedere aussetzen.

Ungeachtet ob und in welchem Ausmaße diese Vorwürfe zutreffen, angesichts ihrer wachsenden politischen Bedeutung für die partizipative Gestaltung des Globalisierungsprozesses und der regionalpolitischen Entwicklungsprozesse stehen die NRO für unabsehbare Zeit zunehmend im Fokus der politischen und gesellschaftlichen Agenden. Absehbar ist, dass sie sich im Zuge zunehmender politischer Bedeutung auch der Kritikstrategie ihrer politischen Gegner aussetzen werden müssen.  Es ist also angeraten, besonders aufmerksam das eigene Organisationsverhalten im Hinblick auf vertrauensreduzierende Außenwirkungen und interne inhaltliche Aushöhlungstendenzen zu reflektieren, um die ausliegenden Fallstricke rechtzeitig zu erkennen. Transparenz und eine dialektische Sicht auf die eigene Arbeit dürften ein adäquater Schutzschild gegen rein interessenorientierte Anfeindungen sein. Die konstruktive inhaltliche Auseinandersetzung mit konträren Studienergebnissen und Sichtweisen ist jedoch eine unerlässliche Voraussetzung für eine partizipativ-demokratische Zukunftsgestaltung und eine plurale Meinungsbildung.

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Genutzte Quellen:

Blatakes, Saskia: NGOs werden zu Co-Eliten, Interview mit Barbara Unmüßig in: WienerZeitung, 06.03.2015: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/739028_NRO-werden-zu-Co-Eliten.html?em_cnt_page=2

Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/211923/oekologie-von-rechts

Grumke, Thomas:  Rechtsextremismus und Rechtspopulismus als Herausforderungen der Demokratie, in: Demokratie in Deutschland; Zustand, Herausforderungen, Perspektiven,  hrsg. von Mörschel, Tobias / Krell, Christian, Springer-Verlag, Wiesbaden 2012,

Hein, Jan Philipp: Nur noch kurz die Weltretten in: SVZ.de, 05.01.2014, https://www.svz.de/deutschland-welt/meinung/nur-noch-kurz-die-welt-retten-id5335241.html

Mansfeld, Hasso: Die quasireligiöse Verklärung von NGOs, http://www.theeuropean.de/hasso-mansfeld/8051-die-quasireligioese-verklaerung-von-ngos

Müßigmann, Lena: Welche Farbe hat Bio, Rechtsextreme Bauern in: Spiegel-online, 1.10.2012: http://www.spiegel.de/wirtschaft/braune-biobauern-verunsichern-die-oeko-szene-a-855140.html

Roth, Roland: Bürgerpartizipation: Stärkung oder Aushöhlung kommunaler Demokratie,  https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/10474/file/kwischr10_online_s57-79.pdf

Schindler, Jörg: Rechtsextreme und ihre Aktivitäten in: Frankfurter Rundschau, 16.12.2008: http://www.fr.de/politik/der-braune-sumpf-rechtsextreme-und-ihre-aktivitaeten-a-1144240

Valentinov, Vladislav: Die gesellschaftliche Bedeutung von NRO, http://www.theeuropean.de/vladislav-valentinov/8070-die-gesellschaftliche-bedeutung-von-NRO

Wagner, Thomas: Die Mitmachfalle, Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument, PapyRossa-Verlag, 2.Auflage, 2014

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