Vortrag von Agraringenieur Hubertus Müller: Nachhaltige Landwirtschaft: Ernährung, Ökonomie, gesunde Natur = Ökologie der Zukunft?
Ist nachhaltige Landwirtschaft die Ökologie der Zukunft? Mit dieser etwas provokant formulierten Frage beschäftigte sich der Agraringenieur Hubertus Müller im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Gespräche zur Nachhaltigkeit“ am 25.04.2019. Dazu war zunächst zu klären: Was ist überhaupt nachhaltige Landwirtschaft? Was unterscheidet sie von der ökologischen und der konventionellen?
Als wichtige Grundlagen sieht der Experte für nachhaltige Landwirtschaft die Souveränität von Landwirten, ein vielseitiges Anbausystem mit unterschiedlichen Sorten, den Erhalt natürlicher Ressourcen sowie eine hohe Kreativität der Bauern und Bäuerinnen, die Voraussetzung ist für die erforderliche Anpassungsfähigkeit eines Landwirtschaftsbetriebes an ein sich ständig veränderndes Umfeld. Nachhaltige Landwirtschaft muss immer eine Resilienz gegen die sich ständig verändernden äußeren Umstände, wie wetterbedingte Ernteausfälle oder klimatische Veränderungen bilden können. Dazu gehört etwa auch, eigenes regionales Saatgut zu verwenden, das an das regionale Klima und die lokalen Bodenbedingungen angepasst ist. Auch eine Diversifizierung der angebauten Sorten trägt zu einer Resilienz und somit zu einer Risikominderung bei. Dies spielt auch für die ökonomische Absicherung eine Rolle; diese Dimension gehört ebenso zur nachhaltigen Landwirtschaft wie die ökologische und soziale.
Hier knüpft der Agraringenieur an die, nach seiner Meinung, weit verbreitete Fehleinschätzung an, dass nachhaltige Landwirtschaft weniger effizient und weniger wirtschaftlich sei als die Konventionelle. Auf die Landwirtschaft kann die kapitalistische Denkweise nicht einfach übertragen werden. „In der Landwirtschaft hat man ganz andere Möglichkeiten und Verantwortungen!“, so Hubertus Müller. Im Gegensatz zum sekundären Sektor ist die nachhaltige Landwirtschaft nämlich ein echter Kreislauf; sie ist ressourcenerneuernd, nicht ressourcenverbrauchend. „Und daher müssen wir aufhören, in Geldkreisläufen zu denken“. Ebenso sollte die landwirtschaftliche Produktion nicht ausschließlich vom Markt her gedacht werden, da dieser sich ständig verändert und die Landwirte ihr System regelmäßig umwälzen müssten, um ihm gerecht zu werden. Er empfiehlt einen Perspektivwechsel: „Gute Vermarktung geht nur, wenn eine nachhaltige Landwirtschaft dahinter steht!“. Statt sich ausschließlich auf den Markt zu konzentrieren, sollte der Fokus darauf liegen, die Kreisläufe in der Landwirtschaft wieder zu schließen. So könne auch eine Wirtschaftlichkeit des nachhaltigen Landbaus geschaffen werden. Außerdem empfiehlt H. Müller, dass sich die Landwirtschaft von der hohen Spezialisierung auf nur ein Produkt verabschiedet und landwirtschaftliche Betriebe eine breitere Produktpalette bedienen, um Ernteausfälle oder Nachfrageeinbrüche bei einem Produkt besser kompensieren zu können.
Die hochgradige Spezialisierung der konventionell arbeitenden landwirtschaftlichen Betriebe macht es zudem erforderlich, dass immer mehr Betriebsmittel wie Düngemittel, Saatgut oder Futtermittel extern und meist kreditbasiert beschafft werden müssen. Im nachhaltigen Landbau werden selbst erzeugte Ressourcen verwendet: Das eigene Saatgut wird behalten, Düngemittel können von eigenen Tieren gewonnen werden und sind generell weniger notwendig, Fruchtfolgen sorgen für einen fruchtbaren Boden, Erntereste können als Futtermittel verwendet werden. So können Synergieeffekte genutzt werden. Nachhaltige Betriebe sind damit auf eine besondere Weise effizient: Während in der spezialisierten und hochtechnisierten Landwirtschaft viel Kapital eingesetzt werden muss, bis die gewünschte Produktivität erreicht ist, genügt im nachhaltigen Landbau ein deutlich geringerer Kapitaleinsatz, wodurch sich die Gewinnspanne letztlich erhöht und existenzgefährdende Zinsbelastungen für Investitionskredite reduziert werden können. Dies konnte der H. Müller durch seine agrarwirtschaftliche Arbeit in zahlreichen Projekten in Südamerika und Nepal verifizieren. Es ist im Prinzip ganz einfach: Wenn viel Geld zunächst in Technik und andere Betriebsmittel investiert wird, muss deutlich mehr produziert werden, damit der Kapitaleinsatz wieder ausgeglichen bzw. Gewinne generiert werden können. Unter diesen Bedingungen hängt die Überlebensfähigkeit eines Betriebes von seiner Größe ab. Dies resultiert in Massentierhaltung und großflächigen Monokulturen.
Hinzu kommt, dass das Risiko in spezialisierten Betrieben signifikant höher ist – baut der Betrieb nur eine Sorte an, erleidet der Hof bei einem Ernteausfall einen Totalverlust. Nachhaltige Betriebe zeichnen sich wie erwähnt durch eine Vielfalt an angebauten Sorten aus. Salopp ausgedrückt: „Wenn man vier Sorten Kartoffeln anbaut, kommt schon eine durch!“. Auch das regionale Saatgut spielt bei der Risikominderung eine Rolle. Monsanto-Saatgut etwa ist ein Negativbeispiel; das Saatgut ist an ein Spritzmittel angepasst, nicht an eine Region. Das bedeutet: Ein Saatgut für alle! Dass dieses in allen Teilen der Welt gleich gut wächst, ist sehr unwahrscheinlich. Der Referent betont: „Schon in Blankenheim braucht man anderen Weizen als in der Aachener Bucht – will man den gleichen anbauen, braucht man wieder viel mehr Technik und Chemie!“.
Die Vorteile eines nachhaltigen Landbaus liegen auf der Hand. Nur im Umfeld muss dies noch ankommen. Hier ist die Politik gefragt! Sie muss geeignete Rahmenbedingungen schaffen. Die derzeitige Subventionspolitik etwa schafft mehr Probleme als sie löst und sollte schnellstmöglich überarbeitet werden. Sie sorgt für Monokulturen, Abhängigkeit und Überproduktion bestimmter Güter. Ein mit dem Referenten befreundeter Landwirt lehnte etwa ein gefördertes Hagelschutznetz ab, um so nicht in eine Abhängigkeit zu geraten und eine bestimmte Produktivität erreichen zu müssen. Ein Umdenken auch bei den Landwirten fängt bereits an und ist dringend erforderlich. Auch bei den Konsumenten ist ein Bewusstseinswandel im Gange – hin zu einem Wertschätzen landwirtschaftlicher Güter und einer nachhaltigen Produktion.
Doch wie ließe sich das konkret im Aachener Umfeld umsetzen? Was bräuchten Aachener Landwirte, um nachhaltige Landwirtschaft betreiben zu können und wie könnte das gelingen? Damit beschäftigten wir uns in einem kleinen Ideenworkshop im Anschluss an den Vortrag. Hier wurde vornehmlich die Politik in die Verantwortung genommen: Eine gerechte Landverteilung, eine Förderung des Absatzes nachhaltig produzierter Lebensmittel im öffentlichen Raum sowie Regelungen zu Pestizid- und Düngemitteleinsatz könnten helfen. Die Notwendigkeit funktionierender Vermarktungs- bzw. Direktvermarktungsstrukturen wurde ebenfalls gesehen. Das Zurückkehren des Kreislaufdenkens und der Mischbetriebe wurde auch in Aachen als zentral empfunden. Auch die Universität kann eine Rolle im Transformationsprozess einnehmen, indem sie die Wirtschaftlichkeit der nachhaltigen Landwirtschaft in Studien belegt und damit die Motivation für die Landwirte erhöht. Zusätzlich kann sie helfen, durch Aufklärungsarbeit auch den Bewusstseinswandel in der Gesellschaft anzustoßen. So kann eine neue Denkweise etabliert werden: Vernetzung, Solidarität und Zusammenarbeit!