Tim Jacksons „Wohlstand ohne Wachstum“ – Eine erweiterte Buchbesprechung von Detlef Baer
Tim Jackson: „Wohlstand ohne Wachstum“, Oekom Verlag München 2017
Es gibt Bücher, mit deren Inhalt man nicht übereinstimmt, die jedoch gut und in sich stimmig geschrieben sind. Und umgekehrt gibt es Bücher, mit deren Inhalt man weit-gehend zustimmt, die jedoch schwierig, ja holperig zu lesen sind. Leider gehört Tim Jackson zur letzteren Kategorie, was mich jedoch aus zwei Gründen nicht davon ab-hält, dieses Buch zu besprechen. Zum einen hilft eine komprimierte Zusammenfas-sung für den Argumentationsstrang dieser wichtigen Thematik, zum andern tangiert der Autor im hinteren Kapitel einen Aspekt, der intensiviert werden sollte. Sein Bezug zur Baumolschen Kostenkrankheit der Dienstleistungen verdient eine größere Auf-merksamkeit als diesem Wirtschaftstheoretiker normaler Weise zuteil kommt.
Warum ist das Buch mühsam lesbar? Jackson bemüht sich in den ersten sieben Kapiteln eventuellen Gegenargumenten der gängigen Ökonomenzunft zu begegnen. Dabei dürfte der Mainstream der liberalen Ökonomen schon beim Lesen des Buchtitels eine ablehnende Haltung eingenommen haben! Immer wieder verweist Jackson auf andere Kapitel, Literaturverweise, Statistiken usw., um ganz sicher auf einer argumentativ sauberen Seite zu stehen. Ab Kapitel acht wird er konkreter bezüglich der Umsetzung von Wohlstand ohne Wachstum, aber auch da bleibt er zaghaft.
Gehen wir zum Inhalt des Buches, diesmal strukturiert! Die Ausgangsthese nennt er auf Seite 161 Unmöglichkeitstheorem für dauerhaften Wohlstand: „Wachstum bringt Arbeitsplätze und Innovationen, gleichzeitig ist Wachstum ökologisch begrenzt.“ Aber: kann es Wachstum geben, das Kriterien der Nachhaltigkeit erfüllt? Jackson bringt den Begriff der Entkoppelung bei der Behandlung dieser Fragestellung ins Spiel, und zwar doppelt: einmal als relative Entkoppelung, die umweltschonend produziert, deren positive Schonungsresultate aber durch Rebound- und Backfire-Effekte wieder aufgeho-ben werden. Eine schöne Anekdote dazu erwähnt er auf Seite 171. Dort berichtet er von einer Empfehlung eines britischen Supermarkts, die Ersparnisse durch Energie-sparlampen für einen billigen Kurzstreckenflug zu kompensieren. Ganz anders bei der absoluten Entkoppelung! Dabei handelt es sich um die Abnahme des Ressourcenver-brauchs in absoluten Zahlen. Jackson lässt in dem Buch offen, ob grünes nachhalti-ges Wachstum nicht doch möglich wäre, er präferiert jedoch eine Degrowth-Ökonomie. Seine Darstellung differenziert sehr richtig, dass ein Wachstum bis zum Erreichen der Möglichkeiten eines „erfüllten Lebens“ nach Aristoteles notwendig sei. Dazu gehören: ausreichende Ernährung, Verwirklichungschancen, Gesundheit, Freiheit. Wohlstand bedeutet jedoch nicht erfülltes Leben oder Glück! Jackson bemüht ausführlich Ergebnisse von Glücksforschern zur Widerlegung der Vorstellung, Kon-sum sei die Basis von Wohlstand. Auf Seite 118 spricht er vom „Konsumenten als Sklaven des greifbaren Überflusses“. Etwas weiter auf Seite 120 gesteht er, dass die Konsumgesellschaft von heute im Grunde eine globale Gesellschaft sei. Als Asienrei-sender kann ich diese Aussage voll bestätigen. Unser erhöhter Konsum von heute wird der Konsum von morgen für viele emerging market-Länder sein, was die Bekämpfung des Klimawandels noch erschweren dürfte. Die Auswirkung menschlicher Aktivität kann als sogenannte IPAT-Gleichung dargestellt werden. Diese stellt folgen-de drei Faktoren menschlicher Aktivität dar: die Größe der Bevölkerung, das materiel-le Wohlstandniveau, ausgedrückt als Einkommen pro Person und einen Technologie-faktor, der die mit jedem ausgegebenen Dollar verbundene Wirkung misst. Jackson veranschaulicht durch ein konkretes Beispiel: „seit 1990 ist die Kohlenstoffintensität im Durchschnitt um 0,6 Prozent pro Jahr gesunken. Die Bevölkerung hat mit einer Rate von 1,3 Prozent zugenommen, ebenso das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen inflationsbereinigt. Die Wachstumsrate der Kohlenstoffemissionen beträgt demnach ungefähr 1,3 + 1,3 -0,6 = 2 Prozent pro Jahr, was im Laufe der Zeit zu einem 62 pro-zentigen Emissionsanstieg führt. Genau dies spiegelt sich in den Daten wider. Um das1,5 Grad – Ziel 2050 zu erreichen, müsste die globale Emissionsintensität um durchschnittlich 8,6 Prozent pro Jahr sinken, fast 10 Mal so schnell, wie sie in den letzten 50 Jahren tatsächlich gesunken ist, und gute 50 Mal schneller als in den letz-ten 10 Jahren.
Jackson plädiert für staatliche Maßnahmen und steht damit im Widerspruch zu Anhängern der neoliberalen Ansicht. Relativ ausführlich geht er auf die sogenannte Baumolsche Kostenkrankheit ein. Er beobachtete wie Piketty ein sinkendes Produkti-vitätswachstum in fortschrittlichen Volkswirtschaften, das zu einem Anstieg des Kapi-tals am Einkommen und in der Folge zu größer werdender relativer Ungleichheit führt. Ich möchte etwas ausführlicher auf die Theorie von Baumol eingehen, denn er beschrieb ein Phänomen, das zu wenig Beachtung findet. Gehen wir als Ausgangslage auf den Ökonom Fourastié zurück. Er beschrieb in den 50er Jahren die sogenannte Drei-Sektoren-Theorie. Eine Volkswirtschaft basiert demnach auf drei Sektoren, der Landwirtschaft, der Industrieproduktion und dem Dienstleistungssektor:
Y = I + II + III oder Y = L + Pr + Dl
Diese recht schlichte Formel dokumentiert den historischen Verlauf menschlicher Produktion. Bis zur Ind. Revolution arbeiteten die Menschen überwiegend in der Landwirtschaft, z.T. bis zu 90%. Die Ind. Rev. schuf auch für den Landwirtschaftsbe-reich Innovationen und so verlagerte sich der Arbeitsschwerpunkt in den Industriebe-reich. Wir kennen alle die Geschichte von Manchestersiedlungen oder die Geschichte des Ruhrgebiets. Ungefähr seit 1960 verlagerte sich der Arbeitsschwerpunkt in den Dienstleistungssektor, in dem heute in der BRD ca 75% beschäftigt sind. Fourastié glaubte, dass der Dienstleistungssektor nicht wegrationalisierbar sei, und das ist nach Baumol ein Irrtum! Baumol differenziert den Dienstleistungsbereich weiter , wobei der dritte Bereich von mir stammt. Bleiben wir zunächst bei Baumol. Er differenziert zwischen Dienstleistungen, die unmittelbar im Zusammenhang mit einem Produkt stehen, hier produktorientierte Dienstleistung genannt DLpr. Das sind Dienstleistungen z.B. von der Marketingabteilung eines Automobilherstellers. Diese Dienstleistung finanziert sich durch den Verkauf des beworbenen Produkts. Daneben gibt es Dienstleistungen, die ohne Nähe eines Produktes verrichtet werden, wir nenne sie konsumorientierte Dienstleistung ( DL con). Das ganze Gesundheitssystem und die Altenpflege gehören dazu, auch der öffentliche Dienst mit dem „Produkt“ Sicherheit. Unterricht kann noch Weg führend zur Produktionserhöhung führen, er darf nur nicht zum späteren Studium Abbruch mißlingen. Als dritten Dienstleistungssektor möchte ich die technisierte Dienstleistung einführen (DLtec). Seit 1968 gibt es Geldautomaten in Deutschland, die die klassischen Kassiertätigkeiten überflüssig machen. Online-Banking und neuer-dings chat GPT ersetzen zunehmend auch konsumorientierte Dienstleistungen, zu-künftig verstärkt in dem medizinischen Bereich. Eine differenzierte Formel des Dienstleistungsbereiches sähe demnach so aus:
DL = DLpr + DL con + DLtec
Wir können infolge des Produktivitätsanstiegs sie auch wertend darstellen:
DL = DLpr + DL con + DLtec.
Die Pfeile nach unten bedeuten eine Verringerung von Arbeitsplätzen in diesen Dienstleistungsbereichen, der Pfeil nach oben einen vergrösserten Bedarf. Konsum-orientierte Dienstleistungen steigen in fortgeschrittenen Volkswirtschaften, weil a) die Bevölkerung überaltert b) mehr Freizeit zur Verfügung steht und Freizeitdienstleistun-gen nicht unbedingt mit Produkten in Zusammenhang stehen ( Kunst/ Theater …) c) die Menschen älter und pflegebedürftiger werden d) Ausbildungszeiten sich verlängern.
Worauf ich hinweisen möchte: diese Ausführungen beschreiben wie so oft in der Ökonomie und auch in diesem Buch keinen Sollzustand, also einen diskutierbaren Lösungsvorschlag. Diese Beschreibung stellt eine objektive Zustandsvision dar, mit der Gesellschaften umzugehen haben, ob sie wollen oder nicht! Die Lösungsvorschlä-ge unterliegen wiederum subjektiver Auseinandersetzung, die Problemlage an sich nicht. Interessant ist, dass konsumorientierte Dienstleistungen oftmals wie Industrie-produkte gehandelt werden sollen. Die Pflegezeit bei alten Leuten soll sich auf 10 min beschränken, also rationalisiert werden. Doch es handelt sich um Dienstleistungen am Menschen, und da sind andere Erfordernisse notwendig als bei der Industrie. Kon-sumorientierte Dienstleistungen kosten ohne Gewinnerzielung, das Geld für diese Dienstleistungen muss von anderer Seite erwirtschaftet werden, meist vorher oder durch Versicherungen. Der Kostenfaktor im Gesundheitsbereich steigt, was die These von Baumol bestätigt. Wollen wir einen Wohlstandgewinn oder zumindest Wohl-standserhalt erzielen, so bedarf es einer Umverteilung von Produktionsgewinnen aus anderen Sektoren in den konsumorientierten Sektor!
Die bisherige Darstellung vernachlässigte schwer zu prognostizierende technische Entwicklungen in den Bereichen Landwirtschaft und Produktion. Es kann infolge des Klimawandels sogar zu einer wachsenden Bedeutung des Agrarsektors kommen, frei-lich im geänderten Anforderungsbereich. Tempo und Ausmaß der Veränderungen sind offen, die Tendenz nicht! Vor dem Wissen dieser Voraussetzungen müssen Kon-zeptionen entwickelt werden. Leider scheint das politische und gesellschaftliche Be-wußtsein dieser Entwicklungstendenzen nicht ausreichend entwickelt zu sein. Die Befürworter einer Wachstumsgesellschaft müssen wissen, dass in einem wesentlichen Bereich, nämlich in dem der konsumorientierten Dienstleistungen, Wachstum ohne monetären Zugewinn geschieht. Hier kommt wieder die alte Problematik der Finanzie-rung durch Wachstum zum Vorschein. Denn wenn die folgende Formel gilt:
DL con > DLpr , dann besteht ein Finanzierungsproblem, zumal der technologische Wandel hin zu innovativen Einsparungsinvestitionen zunehmend Arbeitsplätze erset-zen wird. Die Politik und die gesellschaftlichen Institutionen werden Stand jetzt immer nur reagieren statt einen Masterplan zu entwickeln. Jackson thematisiert diese Prob-lematik eher explizit, immerhin benennt er auch konkrete Lösungsansätze. Auf Seite 211 geht er kurz auf das Modell einer Kreislaufwirtschaft ein. Er schlägt das Chicago – Modell vor, also Geldausgabe als Vollgeld. Weiterhin erwähnt er Geld als soziales Gut mit dem Vorschlag eines community banking. Er diskutiert Ostroms Position der Allmende und reflektiert Gestaltungsprinzipien einer erfolgreichen Sicherstellung von Gemeinderessourcen. Interessant wird es auf Seite 286 mit dem Plädoyer für werbe-freie Zonen für Kinder, wie es in Skandinavien praktiziert wird. Es bleibt freilich die Systemfrage, kann im Kapitalismus eine Ökonomie ohne Wachstum existieren, zu-mindest eine mit absoluter Entkoppelung? Das Versagen kommunistischer Experi-mente läßt für Jackson den Schluß zu, auf einen nachhaltigen, guten Kapitalismus zu hoffen, der zu einem sinnerfüllten Wohlstand auf einem endlichen Planeten führt.
Der Autor führt den Leser in eine wichtige Thematik ein, doch wird das Publikum, das diese Lektüre erwirbt, nicht ganz uninformiert sein und vertiefende Lösungen er-warten. Zumindest mir erging es so, ohne das Buch generell abqualifizieren zu wollen. Aber die Problematik erfordert mehr als nur den Verweis auf ein „So geht es nicht wei-ter“, auf die Wiederholung der bekannten Tatsache, dass Konsum nicht glücklicher mache usw. Verzicht sei keine Lösung- so höre ich es in diversen Diskussionen im-mer wieder – zumindest keine Lösung, die Wählerstimmen einbringt. Aber der Ver-zicht wird sowieso kommen, erst partiell wie im Ahrtal, in den brennenden Wäldern Kanadas oder Australiens oder in sonstigen überschwemmten oder ausgetrockneten Gegenden auf dieser Erde. Wieder werden die Menschen nur reagieren statt zu agie-ren, und dies ist das eigentliche Hauptproblem! Wie können wir einen Masterplan schmackhaft machen, der Wohlstand im Verzicht ermöglicht und akzeptabel macht?
Ungeachtet zeitaufreibender Diskussionsphasen über das richtige System, also Degroth oder grünes Wachstum, sollten Maßnahmen ergriffen werden, die natürlich in der gegenwärtigen Medien- und Politiklandschaft heftigen Gegenwind erfahren wür-den. Ich liste einen konkreten Maßnahme Katalog auf, von denen einige Vorschläge auch bei Jackson zu finden sind.
1. Kreislaufwirtschaft
Die Kreislaufwirtschaft reduziert den Ressourcenverbrauch, recycelt und mindert die Verschwendung. Sie berücksichtigt allenfalls indirekt Maßnahmen gegen das Artensterben, sondern in erster Linie den Ressorcenverbrauch und den CO2-Austausch.Der große Vorteil der Kreislaufwirtschaft wäre ein Konkurrenzwettkampf zwischen den jeweiligen Städten. Die Werbewirksamkeit einer CO2 neutra-len Stadt läßt sich am Beispiel von Kopenhagen ablesen. Ein städtisches Bemü-hen um Emissionsneutralität würde die Bürger einbeziehen und für die Thematik sensibilisieren. Wichtig wäre die Schaffung einer win-win -Situation. Wenn z.B. Parkgebühren verteuert werden, so sollten die öffentlichen Verkehrsmittel bezüg-lich Preis und Leistung attraktiv sein.
2. Der Preis
Der Preis spielt in einer Volkswirtschaft eine dominierende Rolle. Warum kaufen Menschen bei Aldi und Lidl, warum die Werbung mit Sonderpreisen, warum Apps mit Billigtankstellen usw. Bislang schlagen sich Emissionen und Umweltschäden nicht im Preis nieder, Kosten werden weitgehend sozialisiert. Eine CO2-Steuer könnte das ändern, wäre freilich wenig populär.
3. Finanzwelt bändigen
Jackson geht in dem Abschnitt über die wachsende Ungleichheit auf die Finanzkri-sen ein. 1933 wurde der Glass-Steagall-Act in den USA verabschiedet, der eine Trennung der Bankgeschäfte vorsah. Somit tangierten riskante Anlageprodukte nicht das für die Realwirtschaft von Bedeutung stehende Bankgeschäft. 1999 wur-de durch den Gramm-Leach-Biley-Act diese Schranke aufgehoben, mit der Folge der Immobilienblase, die 2007/8 zerbrach und die gesamte Finanz-und Realwirt-schaft fast in den Abgrund stürzte. Jackson erwähnt – freilich ohne vertiefende Ausführungen – als Alternative das Vollgeldsystem. In ihm erhalten Bürger und Firmen ein Konto bei der Zentralbank, und dieses Geld ist sicher! Der digitale Euro – wohl frühestens ab 2026 – geht in diese Richtung, doch soll das Guthaben auf 3000 € begrenzt bleiben. Der Grund ist , dass die Zentralbank Bankgeschäfte vor Ort , also zum Beispiel die Überprüfung der Bonität bei Immobiliengeschäften, nicht leisten kann und den Banken überlassen möchte. Der Anlaß ist freilich ein anderer: der Vorschlag von Zuckerberg, ein digitales Geld über facebook einzufüh-ren, ließ die Alarmglocken der Zentralbanker läuten. Stellen Sie sich vor, Sie tau-schen 100 € in eine neue digitale Fremdwährung bei Google, Amazon oder face-book ein, angelockt durch Sonderprämien. Dieses digitale Geld würde weltweit summiert Billionenwerte repräsentieren, die von keiner Zentralbank reguliert wer-den könnte. Der alte ideologische Gegensatz zwischen Regulierung und freiem Markt wäre zugunsten der freien ungebremsten Marktwirtschaft entschieden, bis zum unwiderruflich kommenden Crash dieser neuen Märkte!
4. Staatsfonds
Ersparnisse, überhaupt ein Surplus von Vermögen, können in einem Staatsfonds gesichert werden. Hierzu möchte ich mit einigen Zahlen, die vielen unbekannt sein dürften, schockieren. Ich zitiere einfach einen Ausschnitt aus der Zeitschrift Capital:
„Insgesamt halten Millionäre weltweit mehr als die Hälfte des gesamten Finanzvermö-gens. Auch in Deutschland werden die Menschen reicher, aber weniger stark als im globalen Schnitt. Das Finanzvermögen stieg um acht Prozent auf jetzt über 9 Billionen Dollar. In den fünf Jahren seit 2016 entspricht das einer Steigerung von jährlich 5,7 Prozent.
Die Sachwerte entwickelten sich noch positiver: nämlich um elf Prozent auf 13 Billio-nen Dollar. Abzüglich der Schulden von 2,3 Billionen US-Dollar haben private Haus-halte in der Bundesrepublik also ein Gesamtnettovermögen von knapp 20 Billionen US-Dollar.“
Mit der Verteilung sieht es freilich anders aus:
Ein Staatsfonds analog zum Norwegischen Staatsfonds könnte Ersparnisse bin-den und in sinnvolle Projekte leiten. Der norwegische Staatsfonds unterliegt ethischen Kriterien, die erweitert werden könnten. Ersparnisse in einen Staatsfonds, abgesichert durch den Staat und die Zentralbank, ergäbe etwas, was private Anlagen nicht ermöglichen können: Sicherheit! Die Diskussion darüber hat bereits be-gonnen, wenn auch zögerlich. Wer glaubt, dass Deutschland bezüglich der Ver-mögensanhäufung in Europa vorne liegen würde, der irrt! Somit bestünde die Möglichkeit eines europäischen Fonds für nachhaltige Innovationen, Rentenabsi-cherungen und Wohlfahrtssicherung im Gesundheitswesen usw.
5. Grundeinkommen
Ein Grundeinkommen mit einem gerechteren Besteuerungssystem könnte den Menschen eine nachhaltigere und evtl. teurere Produktionsstruktur eher akzeptabel erscheinen lassen. Die Diskussion um ein Grundeinkommen wird schon lange und weltweit geführt, sie soll bei der hiesigen Auflistung Erwähnung finden.
6. Der Landwirt als Naturschützer
Agrarsubventionen führten selten, vielleicht nie zu Artenschutz oder Emissionsre-duzierung. Ein vollständiges Umdenken muss passieren, auch gegen die Bauern-lobby! Erste Diskussionsansätze bestehen, leider erst in den Kinderschuhen.
7. Sharing economy
Mein Nachbar besitzt eine Heckenschere, zudem eine Bohrmaschine und vielerlei Werkzeuge. Zwei Mal im Jahr schneide ich die Hecke in unserem Garten und leihe sie mir vom Nachbarn. Dabei gibt es zudem ein nettes Gespräch bei einem Es-presso. Fährt er in den Urlaub, so versorge ich seine Katze. Warum soll ich mir ei-ne Heckenschere für 119 € bei einer Benutzungszeit von 30 min p.A. kaufen? Da mein Nachbar wie ich Krimis liest, teilen wir uns bei bestimmten Autoren auch die Lektüre. Leider kann ich seinen Strom von der Photovoltaikanlage in seiner Urlaubszeit nicht verwenden und umgekehrt, das liegt wohl nicht im Interesse von Energiekonzernen. Aber das hier vorgestellte Modell dürfte bekannt sein, und zu-nehmend beliebt. Teile und spare! Das Modell erfreut sich größer werdender Beliebtheit und ist ein Ausdruck eines Bewusstseins – Wandels. Leasen statt er-werben, teilen statt doppelt kaufen, warum nicht? Nicht die Wegwerfgesellschaft, sondern die Solidargesellschaft wäre auf dem Vormarsch. Klassische Ökonomen befürchten natürlich den Wegfall von Arbeitskräften in den Fabrikhallen der He-ckenscheren und Bohrmaschinen, aber der arbeitslos gewordene Fabrikarbeiter kann sich ja jetzt bei mehr Freizeit bei seinem Nachbarn das Gerät leihen. Diese zugegeben polemische Anmerkung soll die eindimensionale Sicht der Klassischen Ökonomie-Theorie zumindest hinterfragen. Vielleicht führt die sharing economy zusammen mit der technischen Entwicklung wirklich zu einer Arbeitszeitverkür-zung in größerem Stil bei gleichbleibendem Wohlstand!
8. Soziales Jahr für alle
Ein abschließendes Plädoyer für eine in Gang gekommene Diskussion. Nach meinem Abitur verrichtete ich für 1,5 Jahre meinen Ersatzdienst. Ich arbeitete als 18- jähriger in einem Altenheim und fuhr mittags für drei Stunden das Essen auf Rädern aus. Meine Arbeitszeit ging von 8.00 Uhr morgens bis 16.00 Uhr, ich wohnte zu Hause und erhielt ca 300 DM. Ich hatte jeden Abend frei, keine Schul – oder Uni-bzw. Arbeitssorgen, konnte Skat spielen, Spanischkurse belegen und Fußball gucken. Bei der Arbeit lernte ich Menschen und Schicksale kennen, die ich sonst nie oder erst viel später entdeckt hätte. Es fand ein Reifeprozess statt, von dem ich noch heute profitiere. Wer wie Herr Lindner meint, der Jugend würde ein Jahr ihres Lebens gestohlen, der hat leider keine Ahnung! Ein soziales Jahr für alle würde Jugendliche mit der sozialen Welt Bedürftiger, Kranker und Älterer konfrontieren. Wahrscheinlich würde ein nicht geringer Teil sich dadurch auch für sol-che erfüllende Berufe interessieren. Zumindest wäre ein soziales Jahr für alle eine Entlastung für die Pflegeanstalten. Als ich als Student in einem Krankenhaus in Köln gearbeitet habe, war ich natürlich nicht klassisch ausgebildet, aber nach eini-gen Wochen eine gesuchte und benötigte „helping hand“, die zur Entlastung des Personals beitrug. Herr Linder sollte einmal mit Jugendlichen nach der Schule sprechen und sich von ihnen ihre Berufswünsche ausführlich darlegen lassen. Wahrscheinlich kommt bei rund 80 Prozent ein „ich weiß noch nicht genau, was ich werden will“ heraus. Wahrscheinlich gibt es nur klarere Antworten bei seiner Klientel von Anwälten und Notaren, die den Betrieb eines Elternteils übernehmen! Soziale Berufe besitzen leider keine Klientel!
Diese acht Vorschläge sind vertief- und ergänzbar. Sie wären aber praktikabel und würden eine nachhaltigere Volkswirtschaft vorantreiben. Die Vorschläge gelten auch als politisches Signal, das einzufordern sich lohnt. Jeder und jede muss natürlich das eigene Verhalten hinterfragen, ein Engagement für nachhaltiges Leben erleichtert diesen Schritt!