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Globale Lieferketten

Statement zum Lieferkettengesetz

„Das Lieferkettengesetz ist das bislang stärkste Gesetz in Europa im Kampf für Menschenrechte und gegen Ausbeutung.“[1]

Mit diesen Worten begrüßte Arbeitsminister Hubertus Heil 2021 den Beschluss des so genannten Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, kurz Lieferkettengesetz, welches künftig die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards in globalen Lieferketten gewährleisten soll. Es nimmt die deutschen Unternehmen und solche mit ausreichend großen Zweigniederlassungen in Deutschland in die Pflicht, mehr Verantwortung im Kampf für globale Gerechtigkeit und eine intakte Umwelt in den Ländern entlang ihrer Lieferketten zu übernehmen. Das Gesetz wurde von der letzten Bundesregierung als Meilenstein für einen umfassenden, fairen und ökologischen Produktionsprozess angekündigt – von der Rohstoffgewinnung bis hin zur Verarbeitung der Rohstoffe durch in Deutschland ansässige Unternehmen. Zwar kann das Lieferkettengesetz als eines der stärksten Gesetze seiner Art angesehen werden, jedoch stellt sich die Frage, ob es so allumfassend ist, wie von der letzten Bundesregierung angekündigt.

Das Gesetz lässt sich wie folgt zusammenfassen: Alle Unternehmen ab einer Größe von 3.000 Mitarbeiter*innen werden ab dem 1. Januar 2023 (ab dem 1. Januar 2024 auch Unternehmen ab einer Größe von 1.000 Mitarbeiter*innen) dazu verpflichtet sein, darauf zu achten, dass in ihren Lieferketten Schäden für Mensch und Umwelt vermieden werden, welche durch Rohstoffförderung und  -verarbeitung bedingt werden und dass entsprechende Standards für alle Zulieferer festgelegt und eingefordert werden. Hierzu dienen Maßnahmen  wie Risikomanagement und Risikoanalysen für unmittelbare Zulieferer. Kommt es zu Beschwerden durch Betroffene, gilt dies auch für mittelbare Zulieferer. Denn das Gesetz ermöglicht es Betroffenen aus den Zulieferregionen, wie beispielsweise Bangladesch vor einem deutschen Gericht gegen deutsche Unternehmen zu klagen, wenn diese ihre Aufsichtspflicht bei der Einhaltung von Umwelt- und Arbeitsstandards nicht einhalten und nicht gegen diesbezügliche Missstände einschreiten. Da eine solche Klage Betroffenen nicht immer möglich ist, erhalten diese zusätzlich das Recht in ihrem Namen klagen zu lassen, etwa durch deutsche NGOs oder Gewerkschaften. Bei Verstößen gegen das Lieferkettengesetz drohen Unternehmen Bußgelder und in Extremfällen sogar der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen und Ausschreibungen.

Bedenkt man, wie aussichtslos die Rechtslage gerade für geschädigte Betroffene in den Zuliefererländern vor dem Beschluss des Gesetzes war, so kann man das Lieferkettengesetz durchaus als kleine Revolution und einen großen Schritt hin zu mehr Schutz von Umwelt- und Menschenrechten begrüßen. Ein genauerer Blick auf das Lieferkettengesetz offenbart allerdings einige Schwachstellen. Zahlreiche Organisationen in Deutschland heben jedoch auch akute Mängel des Gesetzes hervor, welche auch unseren Arbeitskreis aktuell beschäftigen: Neben der mangelnden Sorgfaltspflicht für nicht-unmittelbare Zulieferer, ist vor allem die Größe der betroffenen Unternehmen kritisch zu sehen. Auch wenn sich ab 2024 Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeiter*innen an die Standards des Lieferkettengesetzes halten müssen, bleibt der weitaus größere Anteil an Unternehmen von der Einhaltung der Vorgaben befreit. Es stellt sich also beispielsweise die Frage, was mit Unternehmen mit einer Größe von 999 Mitarbeiter*innen, welche seltene Erden oder andere wichtige Primärrohstoffe aus Konfliktregionen importieren? Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten solcher Unternehmen blieben durch das Lieferkettengesetz unberücksichtigt, sollten diese Unternehmen ihre Rohstoffe nicht an größere deutsche Unternehmen weiterverkaufen. Das Kriterium der Größe könnte unserer Ansicht nach ergänzt werden, durch eine Sorgfaltsverpflichtung nach Wirtschaftssektoren, die alle für Menschen- und Umweltrechtsverletzungen besonders anfällige Branchen ins Auge fasst und so alle KMUs in diesen berücksichtigt.

(Auch sind die Standards zu hinterfragen, welche das Gesetz durchsetzen soll. Oftmals wird kritisiert, dass das Gesetz durch die alleinige Berufung auf drei umweltbezogene Übereinkommen nur solche Umweltrechte in Verbindung mit Boden, Wasser und Luft schützt, die direkte menschenrechtliche Risiken bergen, nicht aber Umweltzerstörungen durch Biodiversitätsverlust und Klimarisiken berücksichtigt. Mit Hinblick auf die ökologische Komponente muss das Lieferkettengesetz nach Meinung vieler Expert*innen dringend nachgeschärft werden.

Doch auch in der Frage der Menschenrechtsstandards, die dem Gesetz zugrunde gelegt werden, muss deutlich nachgebessert werden, da das Gesetz zwar die schlimmsten Auswüchse von Menschrechtsverletzungen bekämpft, wie z. B. Formen moderner Sklaverei, jedoch bei den Betroffenen nicht für faire und existenzsichernde Löhne sorgt. Diese erhalten oftmals Bezahlungen die grundsätzlich legal sind, da sie über den nationalen Mindestlöhnen liegen und trotzdem relativ niedrig angesetzt sind sodass sie für die Betroffenen oftmals nicht zum Leben reichen. Hier bleibt das Lieferkettengesetz hinter dem politisch machbaren zurück.

Generell sind viele der zugrunde gelegten Standards eben solche, die hierzulande bereits als grenzwertig bzw. nicht tragbar und unzulässig eingestuft werden würden, etwa im Bereich Arbeitssicherheit. Hier bräuchte es neue internationale Bestimmungen und Abkommen, auf die künftige Bundesregierungen hinwirken müssen.

Weiterhin ist die im Lieferkettengesetz festgelegte – und an sich positiv zu bewertende – Möglichkeit, dass im Ausland durch deutsche Unternehmen geschädigte Betroffene die verantwortlichen Firmen in Deutschland verklagen können, eine ebensolche Möglichkeit, die sich in der Realität als reine Makulatur erweisen könnte. Denn hier stellt vor allem zwei Fragen: Zum einen die Frage danach, wie Betroffenen aus den teilweise weit entfernt liegenden Zulieferregionen des globalen Südens von der Möglichkeit einer Klage erfahren können und zum anderen die Frage danach, wer ihnen konkret dabei hilft, juristische und finanzielle Hürden bei der Klage zu überwinden. Vielleicht könnten Aufklärungskampagnen seitens des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Kooperation mit lokal tätigen NGOs hier einen Beitrag leisten.

Das noch junge Lieferkettengesetz weist bei allen positiven Neuerungen somit noch einige Aspekte auf, an denen politisch nachjustiert werden muss, gerade im Sinne von mehr Umwelt- und Klimaschutz sowie einer fairen Entlohnung und mehr Arbeitsschutz. Dennoch wäre es in einem ersten Schritt wichtig, dass das Lieferkettengesetz im Rahmen der öffentlichen Beschaffung bereits jetzt konsequente Anwendung findet, auch wenn es sich vordergründig zunächst an Unternehmen richtet. Wenn sich Städte und Gemeinden freiwillig in der öffentlichen Beschaffung an die Vorgaben des Gesetzes halten würden, wäre dies ein wirkmächtiges Signal an die Wirtschaft.

Fehler wie ebensolche der 2017 neuangetretenen NRW-Landesregierung sollten sich nicht wiederholen. Diese kippte damals kurz zuvor beschlossene Standards beim öffentlichen Einkauf, um „Wirtschaft und Bürger [zu] entfesseln“[2]. Im Gegenteil sollten Bund, Länder oder Kommunen nach Meinung unseres Arbeitskreises mit gutem Beispiel vorangehen und dies auch klar nach außen kommunizieren.

Unser Arbeitskreis wird sich in den kommenden Monaten vertieft mit solchen Überlegungen befassen und auch Verbesserungsmöglichkeiten des bestehenden Lieferkettengesetz weiter ausarbeiten, um sie im Rahmen unserer diesjährigen Wirtschaftskampagne zu präsentieren, denn wir sind der Meinung, dass das Lieferkettengesetz ein zentraler Baustein für mehr unternehmerische Nachhaltigkeit sein kann, wenn es sein volles Potenzial entfaltet.

 

[1] https://www.bmz.de/de/entwicklungspolitik/lieferkettengesetz

[2] https://www.cora-netz.de/wp-content/uploads/2017/09/2017-07-11_PM_TVgG_Koalitionsvertrag_NRW.pdf

Lieferkette, Lieferkettengesetz, Menschenrechte, Umwelt, Unternehmen