Leben im Alter – Pflege in Monschau neu denken
Der Pflegesprint der Städte Region Aachen in Monschau am 10. und 11. April 2024
Am 10. und 11. April luden der Dezernent für Soziales und Gesundheit der Städtregion Aachen, Dr. Michael Ziemons, sowie die Bürgermeisterin der Stadt Monschau, Dr. Carmen Krämer, zu einem Workshop bzw. Pflegesprint nach Monschau ein, der sich auf die Pflege- und Betreuungssituation in der Region und insbesondere in Monschau, konzentrierte. Intensiv und lösungsorientiert wurde in mehreren Arbeisgruppen erarbeitet, wie sich konkret die Pfege- und Betreuungssituation in der Region verbessern lässt und wie auch in Zukunft gewährleistet werden kann, dass Bürgerinnen und Bürger im Alter so lange wie möglich selbstbestimmt und gut umsorgt in ihrer gewohnten Umgebung leben bleiben können. Eine wesentliche Zielsetzung des Pflegesprints war, die Dorf- und Stadtgemeinschaften zu befähigen und zu inspirieren, über die herausfordernden und prekären staatlich zur Verfügung gestellten Versorgungsstrukturen hinaus, eigeninitiativ und kreativ, Visionen und Konzepte für ein gutes Leben im Alter und in der Dorfgemeinschaft zu entwickeln und umzusetzen
Dies spiegelt auch die Zielsetzung unseres Arbeitskreises „Sorgende Gemeinschaften Eifel“ wider, in dem wir uns seit zwei Jahren mit den komplexen Hintergründen und Ursachen der prekären Pflege- und Betreuungssituation sowohl bundesweit als auch in den Städten und Gemeinden in der Region befassen, sowie mit möglichen Lösungen, um die Betreuung unserer älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger langfristig zu verbessern und zu sichern.
Wir freuen uns sehr, dass wir zu diesem Pflegesprint eingeladen waren und wir unsere Ideen einbringen konnten. Wir hoffen, dass die Ergebnisse des Workshops zeitnah umgesetzt werden können und andere Gemeinden inspirieren, sich ebenfalls angesichts der zunehmend schwieriger werdenden Pflege- und Betreuungssituation damit zu befassen, wie ihre älteren und hilfsbedürftigen Mitbürgerinnen und Mitbürger weiterhin gut umsorgt werden können.
Unter der Moderation von Corinna Waffender und Gertrud Deutz (systemische Coaches und Vortandsmitglieder d. Inisha HUB https://www.inisha.de/ueber-uns), erarbeiteten vier Arbeitsgruppen zunächst bestehende Problemfelder im Kontext der regionalen Pflegesituation und im zweiten Schritt mögliche Lösungsansätze, die abschließend auf, im wahrsten Sinne anschauliche Weise präsentiert wurden.
1. Arbeitsgruppe: Bewusstseinsbildung und Tabubruch: Herausforderungen in der Pflegekommunikation
In der ersten Arbeitsgruppe wurde als maßgebliches Problem identifiziert, dass trotz der sich zuspitzenden Pflegesituation, in der Bevölkerung nur ein geringes Bewusstsein für die schwierige Lage unseres gegenwärtigen Pflege- und Betreuungssystems besteht. Dieses geht einher mit eklatantem Fachkräftemangel, Finanzierungslücken und Einsparungen im Pflegesystem. Es wurde betont, dass innovative und gemeinschaftlich organisierte Hilfs- und Betreuungsprojekte erforderlich werden, um die bestehenden und staatlich organisierten Pflegesysteme zu ergänzen und ältere sowie pflegebedürftige Mitbürgerinnen und Mitbürger gut zu versorgen, auch wenn ihre Familienmitglieder berufstätig sind.
Die Arbeitsgruppe identifizierte zudem, dass das Thema „Älter und hilfsbedürftig werden“ immer noch ein verdrängtes Tabu-Thema in unserer Gesellschaft ist, was dazu führt, dass sich Menschen häufig zu spät mit der Frage befassen, wie ein selbstbestimmtes und umsorgtes Leben im Alter organisiert werden kann, ohne die eigene Familie zu überlasten. Beide Probleme stehen in Korrelation zueinander, wodurch die beobachteten Verdrängungsprozesse die künftigen Versorgungsmöglichkeiten insofern negativ beeinflussen können, als dass sich die Bürgerinnen und Bürger selten rechtzeitig konstruktiv und eigeninitiativ damit auseinandersetzen, ob und inwieweit Car-Community-Konzepte innerhalb der eigenen Dorf- und Stadtgemeinschaft die unsichere Zukunft der Pflege vielleicht ergänzen oder teilweise kompensieren könnten.
Basierend auf diesen Erkenntnissen wurden Wege gesucht, um innerhalb der Bevölkerung ein breiteres Bewusstsein für diese Probleme zu schaffen.
Die Fragestellung „Wie können wir es schaffen, dass immer mehr Menschen in Monschau über das Älterwerden sprechen?“ führte zu einem plakativen Kommunikationsprojekt, das dazu beitragen soll, möglichst alle Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, sie für das Thema zu sensibilisieren, zu informieren und zu motivieren, interaktiv miteinander und mit Expertinnen und Experten ins Gespräch zu kommen, und vielleicht sogar dazu zu inspirieren, in ihren Dörfern oder Stadtgebieten über Möglichkeiten zu diskutieren, wie Projekte und Konzepte zu einem „Gemeinsamen Älterwerden in der Dorfgemeinschaft“ umgesetzt werden können.
Die Idee, in allen Orten digitale Litfasssäulen an den am stärksten frequentierten Treffpunkten zu installieren und neben diesen Säulen Parkbänke aufzustellen, die ausdrücklich dazu einladen, sich die Projektionen und Informationen auf der Säule in Ruhe anzusehen und Zeit zu nehmen, über die Informationen nachzudenken und vor allem mit anderen Passanten ins Gespräch zu kommen, wurde als Schlussfolgerung vorgeschlagen. Darüber hinaus wurde in Erwägung gezogen, regelmäßige Austausche zwischen Stadtbediensteten, anderen Expertinnen und Experten und den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort, idealerweise auf der Parkbank neben der Litfassäule, anzubieten, um die gesellschaftliche Aufmerksamkeit weiter zu erhöhen.
2. Arbeitsgruppe: Fachkräftemangel und Arbeitsbedingungen: Ein Modell zur Stärkung des Pflegeberufs
Die zweite Arbeitsgruppe setzte ihren Fokus auf das Problem des gegenwärtigen und fortschreitenden Fachkräftemangels, der unter anderem zu einem Pflegenotstand in der Region führt, der sich bereits jetzt vor allem im ländlichen Raum abzeichnet. Die Nachfrage nach Heimplätzen und ambulanten Pflegeleistungen übersteigt bereits das vorhandene Angebot deutlich, wodurch immer mehr Angehörige trotz ihrer Berufstätigkeit die Pflege und Betreuung ihrer Eltern selbst übernehmen müssen. Dies führt nicht selten zu beruflichen und existenzgefährdenden finanziellen Einschränkungen, wenn die Pflege und Betreuung der Angehörigen nicht mit dem Beruf vereinbart werden kann und Teilzeittätigkeiten zur Norm werden.
Die zentrale Fragestellung dieser Arbeitsgruppe lautete daher: „Wie können wir die Arbeitsbedingungen von Fachkräften im Pflegeberuf so gestalten, dass mehr Menschen diesen Beruf ergreifen und möglichst lange in ihm arbeiten?“
Im Team wurden verschiedene Gründe diskutiert, die dazu führen, dass sich nur wenige Menschen für den Pflegeberuf entscheiden. Dazu gehören unter anderem das oft niedrige Gehalt in der Pflegebranche im Vergleich zu anderen Berufen mit ähnlichem Ausbildungsniveau, die hohe körperliche und psychische Belastung, die mit dem Pflegeberuf einhergeht, sowie die unregelmäßigen Arbeitszeiten und Schichtdienste, die eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschweren können. Zudem wurde festgestellt, dass die gesellschaftliche Wertschätzung für die Arbeit von Pflegekräften oft gering ist und die Pflegeberufe nicht ausreichend attraktiv präsentiert werden. Darüber hinaus spielen auch mangelnde Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie fehlende Karriereperspektiven eine Rolle bei der Entscheidung für oder gegen den Pflegeberuf. In Bezug auf das vorzeitige Ausscheiden aus dem Beruf wurden Herausforderungen wie ein dauerhaft hoher Arbeitsdruck, Personalmangel, Überlastung, mangelnde Anerkennung und fehlende Unterstützung seitens der Arbeitgeber als wichtige Gründe identifiziert. Es wurde deutlich, dass diese Faktoren nicht nur einzelne Pflegekräfte betreffen, sondern strukturelle Probleme darstellen, die dringend angegangen werden müssen, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen und qualifizierte Fachkräfte langfristig zu binden.
Die Arbeitsgruppe verfolgte das Konzept eines integrierten Wohn- und Pflegeraummodells, das darauf abzielt, Pflegekräften und ihren Familien eine umfassende Unterstützung und Wohnmöglichkeiten zu bieten. Zentraler Bestandteil dieses Modells ist die Bereitstellung von Wohnraum für Pflegekräfte sowie deren Familien. Zusätzlich werden Kindergärten, Kindertagesstätten und/oder Schülerbetreuungen eingerichtet, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern. Darüber hinaus, sollen sowohl dauerhafte als auch vorübergehende Wohnmöglichkeiten für Angehörige von zu Pflegenden bereitgestellt werden. Das Wohnraumkonzept umfasst familienfreundliche Gestaltungen mit Spiel- und Begegnungsmöglichkeiten für alle Generationen sowie die Integration von Versorgungsstrukturen wie Apotheken und Lebensmittelgeschäften. Dienstleistungsanbieter wie ein Wäschedienst sollen den Pflegekräften helfen, ihre häuslichen Belastungen zu minimieren. Eine weitere Komponente des Konzepts ist die Einrichtung einer Pflegeausbildungsstätte vor Ort, um Pflegekräfte frühzeitig an den Standort zu binden und von dessen vielfältigen Vorteilen zu profitieren. Das Modell sieht vor, dass Pflegekräfte im Laufe ihres Berufslebens bei zunehmenden Belastungen alternative Tätigkeiten im Pflegedienst ausüben können, während sie im Dienst bleiben. Ein zentraler Grundsatz dieses Modells ist die Gewährleistung fairer Löhne. Die räumliche Nähe zwischen Pflegekräften, Ausbildungsstätte, Pflegedienst und den zu Pflegenden sowie ihren Angehörigen fördert nicht nur Gemeinschaft und Vertrauen, sondern verkürzt auch zeitaufwändige Anfahrtswege zu den Patienten, was die Effizienz steigert und die Bildung einer Car-Community ermöglicht.
3. Arbeitsgruppe: Lokale Versorgungsberatung und Koordination durch das Monschauer Unterstützungs Team (MUT)
Im Jahr 2021 wurden etwa 4,17 Millionen Bundesbürger zu Hause gepflegt, wobei etwa 3,12 Millionen durch Angehörige betreut wurden. Ein breites Spektrum von Leistungen und Entlastungsangeboten ermöglicht es diesen Menschen, zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung versorgt zu werden.
Wenn sich eine Pflegesituation abzeichnet oder Angehörige plötzlich vor der Herausforderung stehen, die Pflege in der Familie zu organisieren, tauchen viele drängende Fragen auf. Obwohl zahlreiche Internetportale, wie die der Krankenkassen, des Amtes für Soziales und Senioren sowie der Pflegedienste, Informationen bereitstellen, bleibt die Frage, wie man diese Angebote auf den individuellen Fall zusammenträgt?
In dieser Hinsicht stellt sich die Frage, wie eine lokale Struktur geschaffen werden kann, um diese Vielzahl von Hilfsangeboten zu koordinieren und die Betroffenen umfassend über diese Angebote zu informieren? Die Arbeitsgruppe erarbeitete die Konzeptidee „MUT“ (Monschauer-Unterstützungs-Team).
MUT soll eine qualifizierte, lokale Versorgungsberatung gewährleisten, die Hilfsangebote koordiniert und kostenlos, unabhängig und umfangreich informieren kann. Diese Beratungsstelle auf kommunaler Ebene bietet Informationen vor Ort, per Telefon oder Videocall an und besucht gegebenenfalls auch die Betroffenen zu Hause. Zudem bringt MUT ehrenamtliche Angebote mit Pflegebedürftigen zusammen und unterstützt Angehörige im Alltag. Eine enge Zusammenarbeit wird mit Multiplikatoren wie Hausärzten, Apotheken, Pflegediensten, Ehrenamtlern und Krankenkassen vor Ort angestrebt.
4. Arbeitsgruppe: Wohnprojekt „Panta Rhei“ (fließendes Wasser, alles fließt) Caring Community“
Die vierte Arbeitsgruppe legte ihr Hauptaugenmerk auf der Entwicklung von gemeinschaftlich organisierten und integrativen Wohnkonzepten. Diese sollen dazu beitragen, eine engere Verbindung zwischen älteren, pflege- und hilfsbedürftigen Menschen sowie den anderen Mitgliedern der Dorfgemeinschaft herzustellen und gegenseitige, generationenübergreifende Hilfsangebote zu fördern. Gleichzeitig wird angestrebt, die Pflegedienstleister fest in die Dorfgemeinschaft zu integrieren. Ein wesentliches Ziel ist hierbei, eine räumliche Nähe zu den Pflegebedürftigen zu schaffen, um ineffiziente Anfahrtswege zu reduzieren und die Reaktionszeit in akuten Notfällen zu verkürzen. Dadurch soll der Einsatz von Rettungsdiensten minimiert werden, da dieser oft mit der Einweisung älterer Menschen in ein Krankenhaus einhergeht.
Insgesamt stellte sich für die Arbeitsgruppe die Frage: „Wie können wir in Monschau und in den Dörfern Monschaus integrative Wohnprojekte gestalten, die es älteren, pflege- und hilfsbedürftigen Menschen ermöglichen, in und mit ihren Dorfgemeinschaften ein selbstbestimmtes, würdevolles Leben zu führen.“
Ein möglicher Baustein ist die Einrichtung eines Gesundheitshauses, das entweder kommunal, staatlich, bürgerschaftlich oder auch genossenschaftlich organisiert werden kann. Diese Gesundheitszentren, speziell für die jeweiligen Dorfgemeinschaften, würden rund um die Uhr von Pflegekräften besetzt sein, um die ambulanten Pflegedienste vor Ort je nach Bedarf zu unterstützen Die Nähe der stationären Pflegekräfte zu den Patienten ermöglicht es, flexibler und schneller auf kurzfristige Bedürfnisse einzugehen im Vergleich zu ambulanten Pflegediensten.
Zusätzlich könnte dem Gesundheitszentrum ein Dorfcafé angeschlossen werden, das als Treffpunkt für die Gemeinschaft und insbesondere für ältere Menschen dienen würde. Ein ehrenamtlich organisierter Fahrdienst könnte sicherstellen, dass auch weniger mobile Menschen an Seniorentreffen teilnehmen können. Das Dorfcafé hätte nicht nur eine soziale Funktion, sondern würde auch die Dorfgemeinschaft stärken und den Austausch zwischen den Generationen fördern, besonders wenn es Möglichkeiten für junge Menschen bietet, in der Gastronomie mitzuarbeiten. Darüber hinaus könnten Lebensmittelgeschäfte und Kinderspielplätze oder Kindertagesstätten räumlich mit dem Dorfcafé und dem Gesundheitszentrum verbunden werden, um den Generationenaustausch zu fördern und ältere Menschen wieder stärker in den Mittelpunkt der Gemeinschaft zu rücken.
Die Arbeitsgruppe strebte danach, Caring Community-Konzepte an die individuellen Bedürfnisse der verschiedenen Dorfgemeinschaften anzupassen und umzusetzen. Dabei wurde die Idee geboren, dieses Konzept modular weiterzuentwickeln, um den Dörfern eine inspirierende Grundlage zu bieten. Als weiterführende Projektidee wäre es zudem sinnvoll zu überlegen, eine professionell arbeitende Agentur oder Organisation zu gründen. Diese soll ein modulares Community-System entwickeln, um den Dorfgemeinschaften dabei zu helfen, die für sie passenden Bausteine zusammenzustellen. Dabei sollen auch entsprechende Finanzierungs- und Förderhinweise für diese Art der Dorfentwicklung bereitgestellt werden. Idealerweise könnte diese Agentur oder Organisation Dorfgemeinschaften bei der Entwicklung ihrer spezifischen Caring-Community beraten und sie im Idealfall bei der Umsetzung von Umgestaltungen oder Bauvorhaben unterstützen.
Ein visionäres und gleichzeitig konkretes Beispiel für ein solches Dorfprojekt entwickelte die Arbeitsgruppe unter dem Titel „Panta Rhei“ (Modell links im Bild). Dieses Projekt vereint verschiedenste Lebensphasen und -bedürfnisse unter einem Dach: Es umfasst eine Tagespflege für Senioren, eine Kindertagesstätte, die den Austausch zwischen den Generationen fördert, sowie Wohnungen, die sowohl für betreutes Wohnen als auch für Familien geeignet sind. Ein Biogarten mit Tieren bereichert das gemeinschaftliche Leben ebenso wie ein Ort der Stille, Therapieräume und ein Café, das auch für externe Gäste und Veranstaltungen offen steht. Im Herzen des Projekts befindet sich ein Brunnen, der symbolisch die ewige Quelle des Lebens darstellt und als zentraler Treffpunkt dient. Besonders hervorzuheben ist, dass „Panta Rhei“ bürgerschaftlich organisiert und explizit nicht gewinnorientiert ist, was die Nachhaltigkeit und Gemeinwohlorientierung des Projektes unterstreicht. „Panta Rhei“ ist somit mehr als nur ein Wohnort – es ist eine lebendige Gemeinschaft, die den Lebenskreislauf von Beginn bis Ende würdigt und unterstützt.“
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