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Die Rettung des deutschen Waldes und die Frage der Nachhaltigkeit

Raphaela Kell und Claus Mayr (NABU Stadtverband Aachen)

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird irrtümlicherweise oftmals auch als Synonym für Umwelt- und Klimaschutz verwendet, ist jedoch in seinem ursprünglichen forstwirtschaftlichen Entstehungskontext vielmehr als Leitlinie für eine maßvolle ökonomische Nutzung des Waldes definiert worden. Angesichts der völligen Übernutzung der deutschen Wälder nach dem 30jährigen Krieg und im Zuge des zunehmenden Bergbaus, legte der deutsche Förster Hans Carl von Carlowitz 1713 die Leitlinien für eine nachhaltige Forstwirtschaft fest.

Auf der Grundlage seines Konzeptes der nachhaltigen Waldbewirtschaftung erfolgten zunächst flächendeckende Aufforstungen. Gleichzeitig verankerte Carlowitz damit das bis heute bestehende forstwirtschaftliche Prinzip, nicht mehr Holz zu ernten, als nachwächst.

Die ursprüngliche Idee, die hinter dem gegenwärtig in aller Munde liegenden Nachhaltigkeits-Begriff stand, lag also einer rein ökonomischen Denkweise zugrunde und hatte wenig mit dem heute assoziierten Gedanken des Umweltschutzes zu tun. Der historische, forstwirtschaftliche Nachhaltigkeits-Begriff ist also weit entfernt davon Parameter für eine wirkliche ökologische Wertschätzung des biologisch komplexen Waldsystems aufzustellen, das nicht zuletzt auch den Menschen als Freizeit- und Erholungsraum zur Verfügung steht. Der Erhalt der Biodiversität, die Bedeutung des Waldes für den Klimaschutz und seine gesundheitsfördernde Wirkung auf den Menschen spielen in den forstwirtschaftlichen Rentabilitätsberechnungen naturgemäß keine Rolle.

Nun ist der deutsche Wald infolge von nur zwei Dürre-Sommern stark angeschlagen. Wasserknappheit und der dramatische Befall durch den Borkenkäfer, der die geschwächten Fichten innherhalb weniger Monate zum Absterben bringt, rufen die Politik bzw. die Landwirtschaftsministerien auf den Plan mit dem Ergebnis, dass ein 1,5 Milliarden Euro starkes Rettungs-Paket den Waldbesitzern zugute kommen soll, damit die zerstörten Waldgebiete wieder aufgeforstet können…nach den forstwirtschaftlichen Prinzipien der Nachhaltigkeit von 1713!

Doch wäre jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, einen Paradigmenwechsel im forstwirtschaftlichen Denken einzuleiten? Das Märchen vom schönen deutschen Wald entspricht schon lange nicht mehr dem Bild einer Waldidylle? Unsere Wälder sind in weiten Teilen, wie Peter Wohlleben passend beschreibt, zu auf Rentabilität ausgerichtete Plantagen verkommen. Problemlos kann man in deutschen „Vorzeige-Wäldern“ Frisbey spielen. Von einem biologisch wertvollen und den Tieren Schutz gewährenden Forst kann man hier nur noch träumen.

In erschreckend enger werdenden Abständen durchziehen zudem tiefe Harvester-Spuren unsere Waldgebiete, so dass sich unweigerlich Vergleiche mit den aus Modezeitschriften bekannten „Schnittmustern“ aufdrängen. Unsere „Vorzeige-Wälder der Nachhaltigkeit“ wirken durch die Vielzahl der tiefen, von martialischen Holzerntemaschinen (Harvester) gezogenen Fahrspuren zerschnitten. Ob und inwieweit diese Fahrgräben sich dauerhaft destruktiv auf das Wurzelsystem des Waldes oder auf die Bodenqualität auswirken, sei an dieser Stelle dahingestellt.

Die einst üppig von Blühstreifen umgebenen Wegränder werden regelmäßig – im ursprünglichen Sinne des Wortes „radikal“ abgefräßt und vom Pflanzenbewuchs befreit, um Nässestaus zu verhindern und die Wege stabil für die tonnenschweren Forstwirtschaftsmaschinen zu halten –  mit dem Ergebnis, dass das Waldwegesystem häufig einem Straßensystem ähnelt, in dem breite Autobahnzufahrten zu dominieren scheinen. Idyllische 2 bis 3 Meter breite Waldwege verdoppeln bis verdreifachen sich zu Wirtschaftsschneisen,, die im Ausmaß Bundesstraßen mitnichten nachstehen. Nachhaltige, im Sinne von biologisch wertvolle Blühstreifen, wie man sie auch den Landwirten verpflichtend auferlegt, fehlen nach einer Fräsung als Nahrungsquelle für Insekten mindestens im Folgejahr. Zudem schreddern die nicht selten sehr tief angesetzten Fräsungen auch die Wurzeln der Randbäume.

Die Forstwirtschaft ist über das Ziel der ökonomischen Nutzbarkeit der Wälder hinausgeschossen. Es mutet schon beinahe ironisch an, dass sich die durch den Klimawandel angeschlagenen Wälder nun der weiteren Nutzung nach ökonomischen Leitlinien zu entziehen scheinen.

Angesichts dramatisch schwindender Urwälder in Brasilien, Südostasien oder Russland und angesichts der offenkundig fehlenden Wertschätzung dieser global so fundamental wichtigen Biosysteme, wäre ein Paradigmenwechsel hin zu einer verstärkt naturnahen Wald-„Nutzung“ wenigsten in der deutschen Forstwirtschaft mehr als wünschenswert. Es wäre zu überdenken, ob das 1,5 Milliarden Euro Forstwirtschaft-Rettungspaket nicht in ein Wald-Rettungspaket umgemünzt wird, indem beispielsweise den privaten Waldbesitzern ein Ausgleich dafür gezahlt wird, wenn sie ihre Wälder weniger forstwirtschaftlich planen und nutzen sondern stattdessen der Natur im Hinblick auf die dramatisch sich verändernden Klimabedingungen die Zeit und „Freiheit“ geben, selber auszuloten, wie die Wälder der Zukunft aussehen sollen bzw. müssen, wenn sie sich gegen Wasserknappheit, Sturm und Hitzeperioden wappnen sollen. Doch das Land NRW ist nicht bereit auch nur 5 % des Waldes bzw. 10 % des Landeswaldes bis 2020 aus der forstlichen Nutzung zu nehmen. Auch die Stadt Aachen bleibt hinter dem Ziel der Nationalen Biodiversitätsstrategie (NBS 2007) zurück, wonach sie 10 % des kommunalen Waldes bis 2020 aus der forstlichen Nutzung nehmen müsste. Im Hinblick auf die CO2-Debatte ist belegt, dass naturbelassene Wälder mit viel Alt- und Totholz deutlich mehr Treibhausgase speichern als forstwirtschaftlich genutzte Wälder und zudem sind sie wahre hotspots der biologischen Vielfalt mit beispielsweise alleine über 1.300 xylobionten (im Totholz lebenden) Käferarten.

Empfehlenswerte Links zum Thema:

12 Punkte Papier NABU: https://www.nabu.de/news/2019/08/26903.html

Zum Waldgipfel Ende September: https://www.nabu.de/news/2019/09/27000.html

Allgemeines zum Thema Wald: https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/waelder/

Nachtrag: NABU-Pressemeldung zur Studie der Uni München 85.11.2019): https://www.nabu.de/news/2019/11/27204.html

sowie Pressemeldung der TUM vom 30.10.2019: https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/35768/

Blühstreifen, Forstwirtschaft, Harvesterspuren, Nachhaltigkeit, Wald, Waldwegfräsungen