Die Hambacher Proteste im Diskurs
Anlässlich einer kritischen Mail eines Mitbürgers bzgl. unseres Artikels zum Hambacher-Wald (https://resilienz-aachen.de/der-hambacher-wald-und-der-partizipationsgedanke/) möchten wir die Sichtweise des Autors in der nachfolgenden, anonymisierten Mail abbilden und erneut Stellung beziehen.
Nachrichtentext: „Ich finde den sog.’Widerstand‘ im Hambacher Forst ganz einfach kriminell, auch deshalb, weil er demokratisch erlangte Genehmigungen nachträglich zu revidieren versucht. Demokratischer Widerstand hätte sich in den Genehmigungsverfahren finden müssen – Anhörungen gab es ja sicher reichlich. Dieser Umstand wird mit dem Soziologengerede von ‚Resilienz‘ etc. nur vernebelt. Danke !“
Sehr geehrter Dr. dklsdkfld,
zunächst einmal möchte ich mich bedanken für Ihren kritischen Einwand bzgl. meiner Stellungnahme zur anberaumten Rodung des Hambacher Waldes, denn einen offen geführten Diskurs zu initiieren, war genau mein Anliegen.
In der Tat teile ich Ihre Ansicht, was ich in meinem Artikel aber auch explizit zum Ausdruck gebracht habe, dass aus formal-juristischer Sicht die Sachlage eindeutig ist. Der Vertrag, mit dem die RWE die Rodungen des Waldes und den weiteren Abbau der Kohle legitimieren, ist unbestritten rechtens. Insofern könnte man jegliche Form des Widerstands und insbesondere gewalttätige Aktionen durchaus als Unrecht und Hausfriedensbruch bezeichnen. Den Begriff „kriminell“ möchte ich jedoch nicht pauschal auf den Widerstand unzähliger, friedvoller Menschen anwenden, für die der Schutz des alten Waldes eine Herzensangelegenheit – ohne jeglichen Eigennutz – geworden ist.
Doch in meinem Artikel ging es nicht um eine juristische Perspektive auf die Hambach-Problematiken sondern um eine politikwissenschaftliche. Und aus dieser Sicht kollidieren die derzeitigen, oft wiederholten Unterstützungsreden einiger Politiker für die Abholzungsarbeiten mit den Partizipations- und Demokratieversprechungen derselbigen und gefährden den ansonsten vor den Wahlen so oft als gewünscht dargestellten Partizipationsprozess.
Darüber hinaus befinden wir uns mit dem Abbau der Kohle bzw. seiner energetischen Nutzung auf vollem Kollisionskurs mit den von den Vereinten Nationen ratifizierten Nachhaltigkeitszielen, was offensichtlich in den Reihen der politisch Verantwortlichen völlig ausgeblendet wird. Auch hieraus erwächst eine vielleicht nachvollziehbare Politikverdrossenheit, wenn Regierungen glauben, sich über international ratifizierte Zielvorgaben, hinweg setzen zu können. Durch solch politische Strategien entstanden oft genug fruchtbare Nährböden für zivilgesellschaftliche Eskalationen, die in der jüngeren Vergangenheit nach unserem Demokratie-Verständnis immer dann nachvollziehbar erschienen, wenn sie beispielweise türkische Aktivisten betrafen, die die Baumbestände in ihren städtischen Parks vor der Abholzung schützen wollten.
Ein politisch verantwortungsvoller Umgang mit den Massenprotesten würde sich m. E. darin dokumentieren, wenn die Politik den Bekundungen und Einwänden ihrer BürgerInnen ernsthaft Gehör schenkt, statt die gesamte Protestbewegung zunehmend zu kriminalisieren und mit mehr oder weniger durchsichtigen, juristisch begründeten Polizeiaktionen aus dem Weg bzw. Wald zu räumen. Aus politikwissenschaftlicher Sicht geht es hier um Konfliktvermeidung und Deeskalation und um politische Glaubwürdigkeit für einen tragfähigen Partizipations- und Nachhaltigkeitsprozess, den wir national, wie international dringend anstreben sollten, wenn wir die vor uns liegenden Herausforderungen meistern wollen.
Wenn ich Ihr Schreiben richtig verstanden habe, sind Sie der Meinung, dass demokratischer Widerstand ausschließlich in der Phase der Genehmigungsverfahren zum Ausdruck gebracht hätte werden dürfen und nach der eingeschränkten Genehmigung 1995 unter Ministerpräsident Johannes Rau, Stillschweigen auf allen Seiten zu bewahren gewesen wäre? Bitte schauen Sie sich die Geschichte der Garzweiler II-Genehmigungsverfahren und den politischen Diskurs über diese genauer an. Seit 1995, bis heute, gab es nicht nur in der Zivilgesellschaft sondern selbst in den Fraktionen und Koalitionen der Landesregierungen kontinuierlich erhebliche Widerstände gegen den Abbau Garzweiler II, der bereits damals als struktur- und energiepolitischer Anachronismus begriffen wurde. Und der spätere Ministerpräsident Jürgen Rüttgers schuf in dieser kontrovers geführten Debatte trotz erheblicher Widerstände in Politik und Zivilgesellschaft 2006 Fakten, indem der er den Tagebau auf das neue Gebiet ausweitete. Somit hat der demokratische Widerstand während der Genehmigungsverfahren, den sie rückblickend einfordern und den es faktisch immer gegeben hat, offenkundig wenig bewirkt.
Ihre Kritik, dass Genehmigungen, die rechtlich schon lange in die viel zitierten „trockenen Tücher“ gewickelt wurden, nachträglich nicht mehr zu revidieren seien, sehe ich, wie ich in meinem Artikel bereits erwähnt habe, sehr skeptisch.
Selbst im internationalen Rechtsraum hat es solche Revidierungen mehrfach gegeben. So konnten z.B. einige indigene Stämme in Nord- und Lateinamerika aufgrund solcher Vertragsrevisionen ihr angestammtes, aber von ihren Vorgängern in juristisch-korrekter Weise veräußertes Heimatgebiet zurückgewinnen, weil ihre Vertragspartner, die allesamt Nationalregierungen waren, einen ethischen Paradigmenwechsel in der Gesellschaft akzeptiert haben und zu der Einsicht kamen, dass diese Kaufverträge nach jetzigen ethischen Kriterien nicht mehr hinnehmbar seien. Und mit der Perspektive, dass Protestbewegungen in einem sich demokratisierenden Afrika irgendwann genügend Widerstandskraft entwickeln dürfen gegen die juristisch-formal korrekten Landverkäufe, die ihre Führungseliten mit internationalen Investoren geschlossen haben und damit tausende Menschen heimat- und erwerbslos machen, möchte ich eigentlich weiter darauf hoffen dürfen, dass überkommene, nicht mehr tragfähige Verträge wieder revidiert werden können. Die gleiche Hoffnung dürften auch die Menschen hegen, deren Wasserquellen im Zuge der globalen Privatisierungswelle an multinationale Konzerne völlig legal veräußert wurden. Im Übrigen ein Vorgang der auch im europäischen Raum (siehe Gemeinde Vittel) immer mehr BürgerInnen Anlass zur Sorge gibt.
Hier bleibt nur zu wünschen, dass bürgernahe politische EntscheidungsträgerInnen die gesellschaftlichen Paradigmenwechsel wahrnehmen und im Rahmen einer ernstgemeinten Partizipations- und Nachhaltigkeitspolitik engagiert nach Wegen suchen, solche Vertragswerke zu revidieren, die das Gemeinwohl ihrer BürgerInnen beschneiden und unsere Natur irreversibel zerstören.
Demokratie, Garzweiler II, Hambach, Klimapolitik NRW, Partizipation, Tagebau