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Strukturelle Wachstumskrisen: Die Drei-Sektoren-Hypothese nach Jean Fourastié

Die Hausarbeit wurde vorgelegt am Institut für Politische Wissenschaft der RWTH-Aachen, University

„Das Neue, die schöpferische Kraft der modernen Zivilisation, ist also nicht das Kapital, sondern der technische Fortschritt, der dem Kapital Einsatzmöglichkeiten in der Produktion von Konsumgütern eröffnete.“ (Fourastié 1969: 38)
Diese Aussage unterstreicht, dass der technische Fortschritt Ausgangspunkt und Grundlage der Argumentation des französischen Wirtschaftswissenschaftlers Jean Fourastié ist. Mit seiner Theorie des Drei-Sektoren-Modells, welche aus der Volkswirtschaftslehre stammt, möchte ich mich nun in folgender Hausarbeit auseinandersetzen. Ich habe mich für dieses Thema entschieden, da ich bereits im Seminar ein Referat über strukturelle Wachstumskrisen gehalten habe. Da ich mich nun näher mit strukturellen Wachstumskrisen beschäftigen will, eine Betrachtung mehrerer allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, habe ich bewusst die Theorie Fourastiés gewählt, da ich den Ansatz, die Wirtschaft in drei Bereiche zu unterteilen, sehr interessant finde. Dazu finde ich es erstaunlich, wie er zur damaligen Zeit den technischen Fortschritt wahrgenommen hat und daraus die Potenziale und Auswirkungen für die Beschäftigungsstruktur abgeleitet hat.
Bei dieser Arbeit möchte ich untersuchen, inwieweit sich diese Hypothese in der Wirtschaft bestätigen lässt und ob sie auch noch auf heutige Fälle und Wirtschaftssysteme anwendbar ist. Dazu werde ich die Folgen überprüfen, die Fourastié damals anhand seiner Theorie geäußert hat und hinterfragen, ob diese wirklich eingetreten sind.
Dabei möchte ich folgendermaßen vorgehen: Zunächst werde ich kurz auf den Ursprung des Drei-Sektoren-Modells eingehen. Danach werde ich den Typus der drei Wirtschaftssektoren beschreiben und in den Kontext einordnen, in dem diese Theorie entstand. Dazu werde ich die Folgen beschreiben, die Fourastié daraus abgeleitet hat. Dann möchte ich anhand der wirtschaftlichen Entwicklung und Leistungsfähigkeit einer Industrienation (Deutschland) und eines Schwellenlandes (Brasilien) beurteilen, inwiefern sich die Hypothese bestätigen lässt. Als nächstes gehe ich auf die Fehlinterpretationen Fourastiés ein und setze mich mit der Kritik an diesem Modell auseinander.
Im Fazit versuche ich anhand der Untersuchungsergebnisse die Fragestellung zu beantworten, ob das Drei-Sektoren-Modell in der heutigen Wirtschaft noch repräsentativ bzw. anwendbar ist. Darüber hinaus wage ich eine Prognose für die zukünftige ökonomische Entwicklung und aufgrund der Fehlinterpretation eine Erweiterung der Hypothese Fourastiés.

2. Das Drei-Sektoren-Modell
Zunächst muss angemerkt werden, dass Fourastié sich bei seiner Theorie des sektoralen Strukturwandels, die er im Jahr 1954 in seinem Werk „Die große Hoffnung des zwanzigsten Jahrhunderts“ veröffentlichte, auf die Argumentation der britischen Wirtschaftswissenschaftler Allan Fisher und Collin Clark bezieht. Diese hatten bereits 1935 bzw. 1940 die Idee, die Wirtschaft in drei Sektoren einzuteilen (Staroske 1995: 13f.). Clark berief sich dabei auf eine Äußerung des britischen Ökonomen und Philosophen Sir William Petty aus dem Jahr 1690, der schon damals eine Veränderung der Wirtschaftsstruktur durch das Potenzial des technischen Fortschritts vermutete (Murata 2008: 164). Deshalb wird die Hypothese auch „Petty´s Law“ genannt.
Um das Modell verstehen zu können, muss man zunächst die Sektorenabgrenzung erläutern. Fisher und Clark trennen die einzelnen Sektoren voneinander ab, indem sie auf die Beschreibung der vorherrschenden Tätigkeiten eingehen. Der primäre Sektor zeichnet sich dadurch aus, dass alle Tätigkeiten durch Formen der Nahrungs- und Ressourcengewinnung geprägt sind. Hierunter fallen also zum größten Teil Land- und Forstwirtschaft. Für diesen Sektor ist charakteristisch, dass er vom Einsatz natürlicher Ressourcen abhängig ist (Staroske 1995: 21).
Als sekundären Sektor kennzeichnet Clark die Industrie, die sich durch warenproduzierendes Gewerbe und Energieversorgung auszeichnet. Bei der Produktion können sowohl Vorleistungen als auch Endprodukte über weite Entfernungen transportiert werden. Dadurch ist ein hohes Maß an Organisation erforderlich. In diesem Bereich ist das Prinzip der kontinuierlichen Massenproduktion möglich (ebd.: 21).
Dem tertiären Sektor teilt er alle restlichen Tätigkeiten zu, die weder dem primären noch dem sekundären Sektor zugeordnet werden können. Hierbei bezeichnet er den Dienstleistungsbereich als Restkategorie, der Bereiche wie Transport- und Nachrichtenwesen, öffentliche Verwaltung und Produktionsprozesse mit niedrigem Produktionsniveau einschließt (z. B. das Nähen von Kleidung) (ebd.: 21).

2.1 Die Drei-Sektoren-Hypothese nach Jean Fourastié (1954)
Die Sektorenabgrenzung bei Fourastié verläuft ähnlich wie bei seinen Vorgängern Fisher oder Clark. So entspricht der primäre Sektor der Landwirtschaft, der sekundäre Sektor der Industrie, welche dem produzierenden Gewerbe gleichzusetzen ist, und der tertiäre Bereich umfasst alle möglichen Dienstleistungen (Staroske 1995: 18).
Fourastié unterscheidet sich in seiner Argumentation allerdings von Fisher und Clark. Er differenziert nämlich zwischen den drei Sektoren, indem er das Potenzial des technischen Fortschritts im jeweiligen Bereich untersucht (Fourastié 1969: 27f.). Dabei ist anzumerken, dass nach Fourastié der technische Fortschritt vom wissenschaftlichen Fortschritt beeinflusst wird (ebd.: 66) und ebenfalls von Investitionen abhängig ist (ebd.: 67).
Die Unterteilung nimmt er dabei wie folgt vor: dem primären oder landwirtschaftlichen Sektor ordnet er einen mittelstarken technischen Fortschritt zu. Der sekundäre oder industrielle Sektor ist durch großen technischen Fortschritt geprägt, während im tertiären Sektor (Dienstleistungen) kaum technischer Fortschritt möglich ist (ebd.: 62).
Mit seiner Argumentation versuchte Fourastié Ursachen für die Landflucht und die Verstädterung zu finden, sowie für den sektoralen Strukturwandel (ebd.: 29). Mit dem technischen Fortschritt verbindet er zugleich auch die Steigerung der Arbeitsproduktivität (ebd.: 25). Er definiert den Begriff Produktivität dabei als Erzeugung menschlicher Arbeit pro Zeiteinheit/Stunde (ebd.:26). Dadurch kann bei gleichem Arbeitsaufwand die Waren- und Güterproduktion enorm gesteigert werden. Allerdings wachsen Verbrauch und Nachfrage nicht in diesem Maße mit, da der Mensch irgendwann ein Sättigungsniveau erreicht hat und der Bedarf an diesen Gütern gedeckt ist (ebd.: 30).
Aufgrund der Produktivitätssteigerung wird also deutlich mehr produziert. Da die Nachfrage jedoch nur leicht ansteigt und nach gewisser Zeit einen Höchststand erreicht hat, der nicht mehr übertroffen werden kann, weil der Bedarf gedeckt ist, kommt es in Folge von Überproduktion zu einer Krise (ebd.: 183). Fourastié differenziert dabei nochmal zwischen traditionellen und modernen Krisen.
In der traditionellen Wirtschaft blieb die Technik unverändert, wodurch die Maximalproduktion auch klar definiert war. Zu guten Zeiten näherte sich die Produktion dem Höchststand, wodurch aufgrund der guten Bedingungen auch die Bevölkerung wuchs. Die Technik verbesserte sich jedoch nicht. Das führte dazu, dass eine größere Menge an Menschen mit der gleichen Menge an Nahrung, Waren, etc. auskommen musste, was zu einem Sinken des durchschnittlichen Lebensstandards führte. Eine Krise war nun unvermeidlich und die Unterproduktionskrise traf in der traditionellen Wirtschaft vor allem den primären Sektor. Dies führte zu Nahrungsmangel und Hungersnöten, wodurch meist gut 10% der Bevölkerung ums Leben kam (Fourastié 1969: 182f.).
Die modernen Krisen sind währenddessen immer durch Überproduktion geprägt, die Folge des technischen Fortschritts ist. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität führt gleichzeitig auch dazu, dass weniger Arbeiter bzw. Arbeitsplätze benötigt werden. Damit geht dann der Abbau von Arbeitsplätzen und steigende Arbeitslosigkeit einher. Es handelt sich also um gesellschaftliche Krisen, die dennoch die Bevölkerung viel stärker treffen, obwohl in Folge dessen keine Menschenleben der Krise zum Opfer fallen. Die Krisen treffen auch die einzelnen Wirtschaftssektoren in ungleichem Maße. Die Lösung dieser Krise ist, dass zum Beispiel die Menschen, die vorher im primären Sektor tätig waren und aufgrund des technischen Fortschritts arbeitslos sind, eine Tätigkeit im sekundären oder tertiären Sektor finden. Diese Krisen führen also zu Abwanderung der Bevölkerung in andere Wirtschaftssektoren und nicht zuletzt zum sektoralen Strukturwandel (ebd.: 186f.).
Diese Abwanderung in Folge einer Krise beschreibt Fourastié als Übergangsperiode. Die Übergangsperiode ist die Kernthese des Drei-Sektoren-Modells und des sektoralen Strukturwandels. Das Modell besteht nämlich aus drei zeitlich getrennten Phasen (ebd.: 118).
In der ersten Phase, die er als traditionelle Zivilisation bezeichnet, wird kaum Technik im primären Sektor eingesetzt, wodurch kein technischer Fortschritt erreicht werden kann und der Großteil der Bevölkerung sich auf die eigene Ernährung fokussiert und Subsistenzwirtschaft betreibt (ebd.: 75). Deshalb ist ein Großteil der Menschen in der Landwirtschaft tätig. Nach Fourastié sind in der traditionellen Zivilisation 80% der Bevölkerung im primären Sektor tätig, während sich die restlichen 20% gleichmäßig auf die anderen beiden Sektoren aufteilen (ebd.: 76).
Dann tritt aber der oben beschriebene Effekt ein. Durch wissenschaftlichen und damit einhergehend technischen Fortschritt erhält der primäre Sektor einen enormen Produktivitätsschub, was zu einer Überproduktion an Gütern führt. Dies führt wiederum dazu, dass der Bedarf an primären Gütern gedeckt ist, wodurch Arbeitsplätze in Folge der Produktivitätssteigerung verloren gehen (ebd.: 187). Fourastié stellt dazu die These auf, dass Arbeit, die durch technischen Fortschritt verloren geht, durch Arbeit ersetzt wird, die durch technischen Fortschritt geschaffen wurde (ebd.: 194).
Aufgrund der Arbeitslosigkeit und dem zurückgehenden Bedarf an Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft, erfolgt eine Abwanderung der Arbeitssuchenden in den sekundären oder tertiären Sektor (Fourastié 1969: 187). Nun beginnt die Phase der Übergangsperiode, die Fourastié als Startphase bezeichnet (ebd.: 118). Durch Abwanderung wächst nämlich die Zahl der Beschäftigten in der Industrie und bei den Dienstleistungen (ebd.: 119). Die Übergangsperiode skizziert er mit folgender Beschäftigungsverteilung: 20% der Bevölkerung arbeiten im primären Sektor und jeweils 40% im sekundären oder tertiären Sektor (ebd.: 121).
Allerdings ist wie bereits beschrieben, das Potenzial des technischen Fortschritts im sekundären Sektor größer als im primären Sektor. So setzt nach der Startphase die Expansionsphase ein. Die Beschäftigtenzahl im sekundären Sektor bleibt zeitweise annähernd stabil, wodurch aufgrund der hohen Produktivität der Lebensstandard der Bevölkerung steigt (ebd.: 120).
Diese Phase wird dann durch die Abschlussphase abgelöst. Durch technischen Fortschritt, Produktivitätssteigerung, Nachfragesättigung und Überproduktion entsteht eine erneute moderne Krise, die den sekundären Sektor betrifft. Allerdings wirkt sich diese Krise stärker auf die Wirtschaft aus als die erste Krise, da im sekundären Sektor größeres Potenzial zum technischen Fortschritt vorhanden ist. Diese Krise hat jedoch ähnliche Folgen. Es kommt nämlich zu einer Abwanderung der Beschäftigten vom sekundären zum tertiären Sektor (ebd.: 121).
Nun tritt also die dritte Phase seines Modells ein: Die tertiäre Zivilisation, die in der Literatur auch häufig als Tertiärisierung bezeichnet wird. Da im tertiären Sektor kaum technischer Fortschritt vorhanden ist, verlagert sich langfristig ein Großteil der Arbeitsplätze in den tertiären Sektor. Nach Fourastiés Prognose ist die Beschäftigungsstruktur der tertiären Zivilisation das genaue Gegenteil der traditionellen Zivilisation. 80% der Bevölkerung üben Dienstleistungen aus, während jeweils 10% der Arbeitnehmer im primären oder sekundären Sektor tätig sind (ebd. 242).
Zu dem Zeitpunkt, zu dem Fourastié dieser Verteilungsstruktur prognostiziert hat (1954), befand sich noch kein Land in der dritten Phase, also in der tertiären Zivilisation. Er erkannte jedoch, dass seit Anfang der 1920er Jahre die Anzahl der Beschäftigten im sekundären Sektor zurückging (ebd.: 121).

2.2 Folgen des sektoralen Strukturwandels nach Fourastié
Fourastié hat neben der Veränderung der Beschäftigungsstruktur auch noch weitere Folgen prognostiziert, welche als Effekte durch diesen Prozess auftreten. Er sieht nämlich die Entwicklung hin zur Tertiärisierung äußerst hoffnungsvoll und optimistisch. Da seiner Meinung nach im tertiären Sektor kaum technischer Fortschritt möglich sei, können dort auch keine Arbeitsplätze wegfallen. Das wird also dazu führen, dass in der Wirtschaft keine Arbeitslosigkeit vorhanden sei, da ein überwiegender Teil der Bevölkerung Dienstleistungen ausüben wird (Fourastié 1969: 254).
Darüber hinaus führt der wirtschaftliche Fortschritt zu einer Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit, einer Hebung der kulturellen Standards und nicht zuletzt zu einer Verbesserung der gesellschaftlichen Umstände (ebd.: 253). Außerdem geht mit der Technisierung der Wirtschaft eine Vergeistigung der Arbeit einher. Fourastié beschreibt diesen Aspekt folgendermaßen: „Die moderne Maschine macht den Menschen von knechtischer Arbeit und für komplizierte Betätigungen der geistigen, künstlerischen und menschlichen Bildung frei.“ (ebd.: 271). Das Individuum kann sich also mit wichtigeren Dingen beschäftigen und kann sich umso mehr auf das eigentlich menschliche konzentrieren. Durch die Vergeistigung der Arbeit wird bei der Produktion von Gütern der Fokus auf die Vorbereitung, Organisation und Planung und weniger auf die manuelle Tätigkeit gelegt, wodurch der Bedarf an produktionsnahen Dienstleistungen steigen wird (ebd.: 272). Dazu erzeugt die Maschine im Allgemeinen mehr Freizeit für den Menschen (ebd.: 271).
Diese kann dazu genutzt werden, sich geistig weiterzubilden und nach ethischer Vervollkommnung zu streben (ebd.: 276). Generell schafft der technische Fortschritt Unabhängigkeit, Freiheit und Individualität für die Bevölkerung (ebd. 269). Im Weiteren wird die Entwicklung von Bildung und Kultur gefördert, was zum Aufblühen dieser Bereiche führt. Dadurch steigt das Bildungsniveau in der Gesellschaft, was auch gleichzeitig das höhere Qualifikationsniveau der Berufe beeinflusst. Nicht zuletzt führen diese Faktoren in der Gesamtheit zu einer Verbesserung des Lebensstandards (ebd.: 255).
Dazu behauptet Fourastié, dass die tertiäre Gesellschaft den Kapitalismus durch technischen Fortschritt zerstören wird (ebd.: 276). Dennoch wird sich die Bevölkerung am steigenden Wohlstand erfreuen, der sie in Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs erwartet. Der steigende Wohlstand wird zu einer Werteverschiebung führen. Da nun die menschliche Existenz gesichert ist, wird für das Individuum Zeit wertvoller und die Nachfrage nach Dienstleistungen wird ansteigen (ebd.: 277). Dadurch steigt auch die soziale Sicherheit im Staat an.
Allerdings beschreibt Fourastié auch, dass die Bevölkerung während der Übergangsperiode leiden muss, um diese Ziele zu erreichen (Fourastié 1969: 256). So muss erst die Entwicklung von zwei Krisen durchlaufen werden, in denen ein Großteil der Arbeitnehmer seine Tätigkeit aufgeben muss, da sie durch technischen Fortschritt ersetzt bzw. rationalisiert wurde. Damit verbunden sind dann Auswirkungen wie die Abwanderung in andere Wirtschaftsbereiche, Landflucht und Zuwanderung in die Städte (ebd.: 257). Jedoch ist diese Erfahrung notwendig, um am Ende zu einer Vollbeschäftigung und einer tertiären Gesellschaft zu gelangen.

3. Anwendung und Überprüfung der Drei-Sektoren-Hypothese
In folgendem Abschnitt möchte ich nun überprüfen, inwiefern sich die Theorie Fourastiés auf verschieden Wirtschaftssysteme anwenden lässt. Dazu hat er bereits festgestellt, dass die beschriebene Entwicklung zwischen den einzelnen Staaten zeitlich versetzt und teilweise in unterschiedlichem Maße abläuft (ebd.: 63). Daher möchte ich zur Überprüfung der Hypothese die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands untersuchen, dass als heutiges Industrieland schon relativ früh mit den Prozessen der Industrialisierung und Tertiärisierung begonnen hat. Als zweites Beispiel ziehe ich Brasilien hinzu, welches als Schwellenland bereits einige ökonomische und technische Fortschritte durchlebt hat, dessen Entwicklung allerdings erst später als die Deutschlands eingesetzt hat und dessen System auch noch nicht so weit fortgeschritten ist. Die Betrachtung eines Entwicklungslandes ist in dieser Hinsicht wenig sinnvoll, da sich diese größtenteils noch in einer traditionellen Gesellschaft befinden und daher eine Veränderung in der Beschäftigungsstruktur kaum vorhanden ist. Allerdings wäre hierbei interessant zu beobachten, ob diese Staaten aufgrund der bereits vorhandenen technischen Produkte, welche diese von den führenden Industrienationen übernehmen können, den Prozess hin zur tertiären Gesellschaft schneller durchlaufen können oder ob dabei sogar die bekannten Krisen, die dabei auftreten, vermieden werden könnten.

3.1 Entwicklung der Beschäftigungsstruktur in Deutschland
Deutschland soll als Beispiel einer Industrienation dienen, die in der wirtschaftlichen Entwicklung schon weit fortgeschritten ist. Bei den Industrieländern setzte die nach Fourastié beschriebene Entwicklung mit Beginn der industriellen Revolution ein, die in Deutschland am Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgte (Henning 1973: 111). Die Wirtschaft war bis zum diesen Zeitpunkt von der Landwirtschaft geprägt, allerdings liegen für diese Zeit keine genauen Zahlen der Beschäftigungsstruktur vor, die die prozentuale Verteilung nach Fourastié bestätigen könnten. Man kann dennoch davon ausgehen, dass die Verteilung der Beschäftigungsstruktur um 1800 ungefähr der Verteilung der Beschäftigten in der traditionellen Wirtschaft entspricht, da sich Fourastié bei seiner Methode zunächst mit der Ausgangslage beschäftigt hat und an bereits vorhandenen Wirtschaftssystemen orientiert hat.
Die ersten Zahlen der Erwerbstätigen in Deutschland stammen aus dem Jahr 1882. Zu dieser Zeit waren 41,6% der Arbeitnehmer im primären Sektor tätig, 34,8% arbeiteten im sekundären Sektor und die restlichen 23,6% fanden eine Beschäftigung im Dienstleistungssektor (Hohorst/Kocka/Ritter 1973: 66). Das Land hatte also nach dem Modell schon eine erste Krise durchlebt, wodurch eine Abwanderung aus der Landwirtschaft in die Industrie oder in den Dienstleistungsbereich erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Deutschland vor dem Übergang in die zweite Phase der Drei-Sektoren-Theorie. 25 Jahre später, im Jahr 1907, hatte sich die Beschäftigungsstruktur ein wenig verändert. 28,4 % der Erwerbstätigen arbeiteten im primären Sektor, 42,2% im sekundären Sektor und 29,4% im tertiären Sektor (ebd.: 66). Deutschland hatte nun fast die Übergangsperiode erreicht.
Endgültig erreichte das Land diese Phase im Jahr 1950. Damals waren 23,2% der Bevölkerung in der Landwirtschaft, 42,3% in der Industrie und 34,5% im Dienstleistungsbereich tätig (Schäfers 2004: 186).
Die Ölkrise im Jahr 1973 sorgte für das Ende des Wirtschaftswunders in der Bundesrepublik und einer strukturellen Krise im sekundären Sektor. Deswegen wanderten allmählich immer mehr Angestellte in den Dienstleistungssektor ab. 1980 waren nur noch 5,5% der Erwerbstätigen im primären Sektor, 44,1% im sekundären Sektor und 50,4% im tertiären Sektor tätig (ebd.: 186).
Deutschland erreichte die letzte Phase des Modells und damit auch die tertiäre Zivilisation um die Jahrtausendwende herum. Im Jahr 2001 arbeiteten nur noch 1,8% der Bevölkerung in der Landwirtschaft, 28% in der Industrie und 70,1 % im Dienstleistungsbereich (Statistisches Bundesamt 2018).
In den vergangenen Jahren hat sich die Beschäftigungsstruktur nur noch minimal verändert. 2017 fanden 1,4% der Arbeitnehmer eine Beschäftigung im primären Sektor, 24,1% im sekundären Sektor und 74,5% im tertiären Sektor (ebd.). Dies zeigt, dass sich die nach Fourastié beschriebene Entwicklung langsam dem Ende neigt und in Deutschland daher eine tertiäre Zivilisation vorzufinden ist.
Anhand der Entwicklung Deutschlands lässt sich bestätigen, dass die von Fourastié vorhergesagten Krisen eingetroffen sind, die eine Abwanderung in andere Wirtschaftsbereiche und eine Veränderung der Beschäftigungsstruktur bewirkten. Allerdings ging die Beschäftigung im primären Sektor deutlich weiter zurück, als von Fourastié angenommen, was zu der Vermutung führen kann, dass er den technischen Fortschritt, der in der Landwirtschaft möglich ist, ein wenig unterschätzt hat. Dazu ist die Erwerbstätigkeit in der Industrie gleichzeitig höher als in der Theorie prognostizierten Entwicklung. Dies unterstreicht, dass sich Wirtschaftsmächte wie Deutschland nicht nur auf den tertiären Bereich fokussieren, sondern dass der sekundäre Sektor immer noch eine wichtige Bedeutung für die Wirtschaft hat.
Anhand der Beschreibung der Entwicklung der Beschäftigungsstruktur Deutschlands kann man also festhalten, dass die Drei-Sektoren-Hypothese nach Fourastié für Industriestaaten größtenteils repräsentativ und anwendbar ist. So hat er die Krisen und die Veränderungen richtig vorausgesehen, jedoch hat er die Struktur der tertiären Zivilisation ein wenig anders prognostiziert. Die Überschätzung der Landwirtschaft und die Unterschätzung der Industrie könnte man als Kritikpunkt an dem Modell sehen.

3.2 Entwicklung der Beschäftigungsstruktur in Brasilien
Am Beispiel Brasilien möchte ich zeigen, wie die Entwicklung der Beschäftigungsstruktur in einem Schwellenland abläuft. Schwellenländer werden per Definition noch den Entwicklungsländern zugeordnet, allerdings weisen sie aufgrund technischen Fortschritts einen höheren Grad an Industrialisierung auf und befinden sich an der Schwelle zu einem Industrieland (Spektrum 2001).
Die frühesten Zahlen zur Beschäftigungsstruktur Brasiliens stammen aus dem Jahr 1940. Zu der Zeit war das Land noch agrarisch geprägt, da ca. 65% der Bevölkerung im primären Sektor tätig waren. Gut 10% der Menschen arbeiteten im sekundären und ca. 25% im tertiären Sektor (Müller 1984: 33). Auffällig dabei ist, dass zu dieser Zeit die Beschäftigung im Dienstleistungsbereich deutlich höher ist als in der Industrie.
Bis 1980 erfuhr die Landwirtschaft einen erheblichen technischen Fortschritt, wodurch, wie von Fourastié vorausgesagt, die Arbeitnehmer in die anderen beiden Sektoren abwanderten. 30% der Erwerbstätigen fanden eine Beschäftigung in der Landwirtschaft, 25% in der Industrie und 45% im Dienstleistungsbereich (Müller 1984: 33). Es kam also in Folge der Abwanderung zu einer Industrialisierung in Brasilien, wodurch vermehrt mehr Arbeitsplätze im sekundären Sektor entstanden. Jedoch erreichte die Erwerbstätigkeit in diesem Bereich nie den von Fourastié vermuteten Wert. Ein Großteil der Bevölkerung wechselte direkt vom primären in den tertiären Bereich.
Da nun auch eine Technisierung im sekundären Sektor erfolgte, nahm die Beschäftigung dort im Laufe der Zeit ebenfalls leicht ab. Im Jahr 2007 sah die Verteilung der Erwerbstätigkeit wie folgt aus: 18% der Erwerbstätigen waren im primären Sektor tätig, 22% im sekundären Sektor und 60% im tertiären Sektor (Statista 2018). Bis 2017 erfolgte eine weitere Abwanderung in den tertiären Bereich. Allerdings sind die Veränderungen in den letzten Jahren nur noch minimal, wodurch man annehmen kann, dass der wirtschaftliche Entwicklungsprozess nach Fourastié in Brasilien nahezu abgeschlossen ist. Letztes Jahr waren ca. 10% der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, während ca. 21% im sekundären bzw. ca. 69% im tertiären Sektor beschäftigt waren (Statista 2018). Es erfolgte zwischendurch ein kleiner Zuwachs in der Erwerbstätigenzahl in der Industrie, was für die Entwicklung nach Fourastié ein wenig untypisch ist.
Anhand der Entwicklung Brasiliens als Beispiel für ein Schwellenland lässt sich also folgendes feststellen: Die Erwerbstätigkeit der traditionellen Gesellschaft ist aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Bedeutung mit der einer Industrienation vergleichbar. Allerdings setzt der Beginn des Prozesses der Abwanderung in andere Wirtschaftssektoren in diesen Ländern erst deutlich später ein. Dazu läuft die Entwicklung dort ein wenig anders ab, als von Fourastié vermutet. Der tertiäre Sektor hat schon von Anfang an eine höhere Bedeutung als die Industrie, wodurch eine Mehrheit der in der Landwirtschaft tätigen Personen in den Dienstleistungsbereich wechseln. Dies könnte daran liegen, dass Länder wie Brasilien Maschinen und technisches Wissen aus führenden Industrienationen importieren und so den Verlauf der Übergangsperiode beschleunigen bzw. überspringen können. Zwar kommt es zu einem prozentualen Anstieg der Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe, jedoch erreicht er nie den von Fourastié erwarteten Wert.
Auch die Verteilung in der tertiären Zivilisation entspricht nicht ganz den Erwartungen. Der sekundäre Sektor ist wie bei den Industrieländern mit einem Anteil von über 20% an der Erwerbstätigkeit stärker vorhanden als prognostiziert.
Die Anwendung der Drei-Sektoren-Hypothese ist für Schwellenländer also eher ungeeignet. Zwar weisen sie im Endeffekt eine ähnliche Struktur wie Industrienationen auf, allerdings läuft die Entwicklung etwas untypisch ab.

4. Fehlinterpretationen und Kritik an der Drei-Sektoren-Hypothese nach Fourastié
Wie schon im vorherigen Absatz beschrieben, verläuft die Entwicklung zwischen verschiedenen Typen von Staaten (Industrie- und Schwellenländern) unterschiedlich ab. Dies zeigt, dass das Modell nicht als universale Theorie dienen kann.
Dazu lassen sich aus der Drei-Sektoren-Hypothese vier Fehlprognosen Fourastiés ableiten. Als erstes kann man anhand der Untersuchungsergebnisse feststellen, dass die Aussage von Fourastié, dass es keinen hochentwickelten Staat in der dritten Phase geben wird, in dem der sekundäre Sektor noch stark vertreten ist, falsch ist (Fourastié 1969: 242). Anhand der Beschäftigungsstruktur Deutschland kann man erkennen, dass der sekundäre Sektor immer noch einen großen Beitrag an der Wirtschaft hat.
Ein wichtiger Kritikpunkt liegt auch bei der Einteilung der Sektoren anhand des technischen Fortschritts vor, der dort möglich ist. Fourastié hat den technischen Fortschritt der einzelnen Bereiche nämlich falsch eingeschätzt. So ist dieser zum einen in der Landwirtschaft stärker als von ihm angenommen (siehe Beispiel Deutschland). Zum anderen, was noch viel elementarer ist, ist auch im tertiären Sektor technischer Fortschritt möglich (Staroske 1995: 93). Damit ist die Aussage, dass die Tertiärisierung das Problem der Arbeitslosigkeit lösen würde, ebenfalls falsch. Der Bankautomat ist ein klassisches Beispiel, das zeigt, wie einfach Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich durch Maschinen ersetzt werden können. Dies führt dazu, dass dadurch viele Aufgaben im tertiären Bereich rationalisiert werden. Darüber hinaus gibt es viele weitere Erfindungen, die einen technischen Fortschritt im Dienstleistungssektor bestätigen. So führt Fourastié in seinem Werk das Beispiel des Friseurs an, bei dem eine Steigerung der Arbeitsproduktivität nicht möglich sei (Fourastié 1969: 63). Dennoch hat zum Beispiel die Erfindung des elektrischen Rasierers dafür gesorgt, dass der Friseur mit Hilfe technischen Fortschritts seine Arbeitsproduktivität steigern kann.
Dazu haben weitere Erfindungen wie der Computer oder das Internet Verwaltung und Kommunikation in der Gesellschaft deutlich vereinfacht, was ebenfalls zu der Rationalisierung von Arbeitsplätzen geführt hat (Dostal 2001: 49).
Eine weitere Fehlprognose ist der hohe Bildungsanspruch der Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich, den Fourastié als Folge der Tertiärisierung voraussagte (Fourastié 1969: 276). Da Berufe wie Liftboys, Straßenkehrer oder Schuhputzer ebenfalls als Dienstleistungen gelten, wofür man allerdings kein hohes Bildungsniveau benötigt, sorgt die Tertiärisierung nicht zwangsläufig für eine Verbesserung des Bildungsstandards (Staroske 1995: 111). Zwar führt die Tertiärisierung vor allem in Industrieländern dazu, dass die Tätigkeiten komplexer werden und damit auch eine höhere Bildung erforderlich ist, dennoch zeigen die gerade genannten Berufe, dass man die Aussage generell nicht bestätigen kann.
Seine letzte Fehlprognose betrifft die Einkommensangleichung auf hohem Niveau (Fourastié 1969: 277). Hier ist nämlich genau das Gegenteil eingetreten. Heutzutage vermehren sich die Berichte über die soziale Ungleichheit in Deutschland (Deutsche Welle 2018). Anstatt zu einer Einkommensangleichung hat der sektorale Strukturwandel zu einer immer stärker werdenden Ungleichheit in der Gesellschaft geführt. Dies liegt vor allem daran, dass Dienstleistungen mit geringem Bildungsanspruch schlecht bezahlt werden und kaum über dem Mindestlohn liegen. Dem gegenüber steigen die Gehälter für angesehene Berufe immer weiter an, wodurch dieser Effekt verstärkt wird und die Schere zwischen Arm und Reich auseinander geht.
Neben den Fehlprognosen Fourastiés gibt es noch weitere Kritikpunkte an seinem Modell, die vor allem die Sektoreneinteilung betreffen. Unter anderem wird kritisiert, dass die sektorale Abgrenzung nicht trennscharf sei. So werden Tätigkeiten dem falschen Sektor zugeordnet. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn in einem Landwirtschafts- oder Produktionsbetrieb Personen für die Verwaltung oder ähnliche Dienstleistungen eingestellt werden. Diese üben dann eine Dienstleistung aus, allerdings werden sie einem anderen Sektor zugeordnet, da sie für eine Firma arbeiten, die primäre oder sekundäre Güter herstellen. Daher ist es notwendig, die Erwerbstätigen nach ihren Tätigkeiten oder ihrem Beruf zu klassifizieren (Dostal 2001: 50).
Dazu wird auch vermehrt die Meinung vertreten, dass die Aufteilung in drei Wirtschaftssektoren nicht mehr zeitgemäß sei. In der heutigen Wirtschaft vertritt man nämlich die Hypothese eines Vier-Sektoren-Modells (ebd.: 54). Neben den drei traditionellen Sektoren existiert noch ein weiterer, quartärer Sektor. Dieser umfasst Tätigkeiten, die überwiegend mit Forschung und der Verarbeitung von Informationen beschäftigt sind. Eine interessante Tatsache ist dabei, dass der Wachstumseffekt im Bereich der Informationsverarbeitung deutlich höher ist als der Rationalisierungseffekt durch die neuen Informationstechniken (Dostal 2001: 55). Dies führt zu einer langfristigen Verschiebung der Erwerbstätigkeit in den quartären Sektor. Daher spricht man in Deutschland auch von einer „Infomationsgesellschaft“ (Schäfers 2004: 191).
Ein weiterer Kritikpunkt ist die fehlende Berücksichtigung des Außenhandels. Fourastié ist bei seiner Hypothese davon ausgegangen, dass ein Staat den Großteil seines Konsums durch die eigene wirtschaftliche Produktion decken kann. Faktoren wie Import und Export sind in seinem Modell also weniger relevant. Allerdings haben außenwirtschaftliche Einflüsse große Auswirkungen auf das binnenwirtschaftliche Geschehen (Staroske 1995: 123). So kann zum einen in Industrieländern der Import von Produkten aus Entwicklungsländern, die diese aufgrund niedrigen Lohnniveaus und geringen Produktionskosten günstig anbieten können, dafür sorgen, dass die Nachfrage gedeckt ist und so keine inländische Produktion mehr notwendig ist. Das würde dann wiederum zu einem Verlust von Arbeitsplätzen im jeweiligen Sektor führen.
Zum anderen kann auch der Export von Waren aus Industrieländern die sektorale Struktur beeinflussen. Im Beispiel Deutschlands hat die Ausfuhr von produzierten Waren erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigungsstruktur. So steht die verhältnismäßig hohe Erwerbstätigkeit im sekundären Sektor im direkten Zusammenhang mit dem Export der hergestellten Produkte. Die Güter werden also speziell für die Nachfrage im Ausland produziert, was zu einer hohen Beschäftigung in der Industrie führt (ebd.: 123).
Damit verbunden ist auch das Phänomen des „Global Sourcing“. Hierbei handelt es sich um die Verlagerung von Dienstleistungen in andere Länder. Dies ist aufgrund des technischen Fortschritts im tertiären Sektor möglich und der Tatsache, dass Wissen heutzutage weniger ortsgebunden, sondern vielmehr global ist (Grömling/Haß 2009: 54). Aufgrund der Globalisierung, der weltweiten Vernetzung und der enormen Beschleunigung der Kommunikation werden also tertiäre Tätigkeiten auf Entwicklungsländer übertragen, da diese dort ebenfalls kostengünstig angeboten werden (ebd.: 124). Dies unterstreicht also, dass trotz der Tertiärisierung Arbeitslosigkeit möglich ist.
Fourastié hatte bereits in seiner Argumentation angemerkt, dass die von ihm beschriebene Abwanderung der Beschäftigung in andere Wirtschaftsbereiche nicht immer möglich sei. Er stellt nämlich fest, dass der Übergang eines Erwerbstätigen in einen anderen Sektor mit einigen Hürden verbunden sein kann. Dies beschreibt er am Beispiel eines Tagelöhners, der sein ganzes Leben bisher nur mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten verbracht hat. Gerade für solche, die dann aufgrund des technischen Fortschritts ihren Beruf aufgeben müssen, verfügen nicht über die Möglichkeit eine andere Arbeit auszuüben (Fourastié 1969: 194). Von daher läuft die Veränderung der Erwerbstätigkeit nicht so simpel ab wie bei Fourastié im Modell beschrieben.
Nicht zuletzt wird kritisiert, dass die Drei-Sektoren-Hypothese nicht auf Entwicklungsländer anwendbar sei (Moser 1973: 222). Allerdings hat Fourastié dies auch gar nicht angestrebt und von vorneherein ausgeschlossen (Staroske 1995: 124).

5. Fazit
Fourastié hat mit seiner Drei-Sektoren-Hypothese festgestellt, dass der technische Fortschritt der Auslöser der wirtschaftlichen Entwicklung in Hinblick auf den sektoralen Strukturwandel ist. Darauf bauen seine Sektoreneinteilung und seine gesamte Argumentation auf. Er hat das Potenzial der Mechanisierung für die einzelnen Arbeitsbereiche erkannt und daraus seine Prognosen abgeleitet. So ist zwar die Entwicklung, die er für die Zivilisationen skizziert hat, nicht in dem Maße eingetreten, wie er es vermutet hat. Dennoch lassen sich einige Punkte seines Modells bestätigen.
Man muss allerdings festhalten, dass Fourastié den technischen Fortschritt in den einzelnen Sektoren falsch eingeschätzt hat. So hat er diesen in der Landwirtschaft unterschätzt, sodass im Endeffekt die Beschäftigung in diesem Bereich deutlich geringer ausfällt als von ihm erwartet. Dazu hat er nicht erkannt, welche Entwicklungsmöglichkeiten im tertiären Sektor möglich sind. Dies war das Hauptargument seiner Arbeit, weil er dadurch die Prognose interpretierte, dass die Tertiärisierung das Problem der Arbeitslosigkeit lösen wird. Wie die Untersuchungsergebnisse zeigen, ist dies jedoch nicht der Fall.
Darüber hinaus sind auch weitere Vermutungen wie das höhere Bildungsniveau oder die Einkommensangleichung nicht eingetreten. Dies hängt auch damit zusammen, dass Fourastié in seiner Theorie den Außenhandel nicht berücksichtigt hat.
Nicht zuletzt ist die Einteilung der Wirtschaft in drei Sektoren nicht mehr zeitgemäß. Durch die Herausbildung des Informationssektors, deren Tätigkeiten sich von den tertiären Dienstleistungen abgrenzen, ist eine Ergänzung des Modells erforderlich.
Allerdings hat sich bei Betrachtung der Beispiele Deutschland und Brasilien gezeigt, dass sich die schematische Entwicklung, wenn auch leicht fehlerhaft, eher an den Industrieländern orientiert hat. Für Schwellenländer ist diese nur teilweise repräsentativ. Auf Entwicklungsländer lässt sich diese Theorie, wie Fourastié damals schon festgestellt hat, nicht anwenden. Man kann also festhalten, dass das Drei-Sektoren-Modell nur in gewissen Zügen für die heutige Wirtschaft repräsentativ ist.
Die Ansätze der Theorie zielen in eine richtige Richtung, allerdings bedarf es einer Überarbeitung und eine Ergänzung, da Fourastié die Folgen und Möglichkeiten des technischen Fortschritts im damaligen Zeitkontext noch nicht richtig einordnen konnte. Zum einen muss man anerkennen, dass im tertiären Bereich technischer Fortschritt möglich ist. Zum anderen lässt sich die heutige Informationsgesellschaft in vier Sektoren einteilen. Des Weiteren hat die fortschreitende Globalisierung und internationale Vernetzung erheblichen Einfluss auf die Beschäftigungsstruktur.
Langfristig werden die Erwerbstätigen in den Industrienationen also in den quartären Sektor abwandern. Dazu vermute ich, dass die Entwicklung in Entwicklungsländern aufgrund von technischem Transfer beschleunigt bzw. die Abwanderung vom primären direkt in den tertiären Sektor erfolgt. Dennoch glaube ich nicht, dass diese Länder dann ähnliche Beschäftigungsstrukturen wie die heutigen Industrienationen aufweisen werden.
Letztendlich kann man also zusammenfassen, dass die Idee der Drei-Sektoren-Hypothese, den technische Fortschritt als Beginn der Entwicklung zu sehen, stimmt. Allerdings bedarf es einer Korrektur und einer Ergänzung, damit das Drei- bzw. Vier-Sektoren-Modell repräsentativ für das heutige Wirtschaftssystem ist.

6. Literaturverzeichnis
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Dienstleistungsgesellschaft, Drei-Sektoren-Hypothese, Strukturelle Krise, Strukturwandel, Tertiäre Gesellschaft