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Corona-Zeit. Von Anna Eva Andersen

Auch in der aktuellen Situation sind wir noch aktiv und unsere Vereinsmitglieder machen sich viele Gedanken rund um das Thema Corona. Ihren Gedanken möchten wir einen Platz auf unserer Website geben.

Corona-Zeit

von Anna Eva Andersen

Die wider Willen politisch veranlasste Stilllegung des Geschäftslebens zum Gesundheitsschutz der Gesellschaft gegen ausgebrochene Coronavirus-Epidemie deckt zahlreiche Pathologien des Wirtschaftsdogmas auf, die sich besonders in der wirtschaftlichen Fragilität der globalisierten Welt abzeichnen. Die moderne Gesellschaft steuert auf eine Vielzahl von wirtschaftlichen und sozialpolitischen Herausforderungen zu, die mit zwei unterschiedlichen Denkansätzen und entsprechenden Gegenmaßnahmen begegnen werden können. Der erste Weg liegt in der Verfolgung der längst veralteten Strategien, die für die Fortsetzung der business as usual Strategie plädieren. Die Alternative dazu liegt in der Erschließung progressiver Methoden, die auf Konzipierung und Umsetzung nachhaltiger Wirtschafts- und Lebensweisen abzielen. Wohl wissend, dass in der Geschichte die Krisen schon immer bedeutende Wendepunkte mit tiefgreifenden Veränderungen für Gesellschaften gewesen sind, müssen neue Orientierungswerte, die auf Solidarität und mehr Miteinander, aber auch auf der Versöhnung von Fortschritt und planetaren Grenzen basieren, zu unseren gesellschaftlichen Leitbildern erklärt werden. Die Arbeit unseren Vereins ist verstärkt auf die Förderung von Resilienz, die Stärkung des sozio-ökologischen Selbstschutzes und die Vermeidung von Krisenanfälligkeit ausgerichtet. Gerade die historisch einmalige Situation, in der wir uns heute befinden, bietet für das soziale und wirtschaftspolitische Umdenken eine seltene Gelegenheit an, die intensive Ausarbeitung neuer Konzerte und Horizonte des sozio-kulturellen Engagements für krisenresistente gesellschaftliche Arrangements erfordert.

Vor diesem Hintergrund lassen sich durchaus positive Auswirkungen der Krise auf den sozialen Zusammenhalt konstatieren, die sich in der Stärkung lokaler Netzwerke und Initiativen durch zunehmende Solidarität und Hilfsbereitschaft bestätigen. Trotz der sich abzeichnenden ökonomischen Schieflage begegnen viele Menschen die in den Alltag eingekehrte Ruhe mit einem Gefühl von Erleichterung und Dankbarkeit. Warum? Kaum jemand musste in diesen Wochen ständig auf die Uhr blickend zum nächsten dringenden Geschäftstermin ins Auto oder Flugzeug steigen. Stattdessen verbringt man viel Zeit mit der Familie in heimischer Atmosphäre. Die täglichen Aufgaben und Verpflichtungen, die unter normalen Umständen keinen Aufschub dulden, können warten oder bequem von zu Hause erledigt werden. Noch vor einigen Wochen wäre diese Vorstellung schilicht und ergreifend unmöglich! In dieser Hinsicht erwies sich die verblüffende Entwicklungsdynamik digitaler Kommunikationstechnologien der letzten Jahre mit ihrer praktischen Anwendung als äusserst hilfreich.

Auch wenn die Straßen der Stadt noch menschenleer sind, wird hinter den Fassanden der Wohnhäuser fleißig gegärtnert, gehämmert und gesägt. Neulich haben die Nachbarn zwei vertikale Gemüsebeete aus Paletten gebaut. Diesem Beispiel folgten die anderen Nachbarn, die ihr hölzernes Gartenmöbel zunächst sorgfältig poliert und anschließend neu lackiert haben. Auf unserer Terrasse wachsen nun auch verschiedene Salatensorten und frische Kräuter. Und aus dem benachbarten Haus steigt fast täglich ein köstlicher Duft frischgebacken Kuchens. Es versteht sich von wohl von selbst, dass man der Versuchung nicht widerstehen kann — das alte Rezept von der Oma muss unbedingt her!

Irgendwie bin ich für die Zeit der Entschleunigung dankbar, obwohl es nicht immer leicht ist, auf die gewohnten Abläufe im Leben zu verzichten, nach alternativen Wegen zu suchen und neue Formen des Daseins zu erproben. Dennoch ist diese Umstellung wohltuend, gerade weil man keinen straffen Tagesplänen unterworfen ist. Eines bin ich mir nun ganz gewiss: Nicht mehr eilen zu müssen ist ein Privileg.

Ich musste mich schon mehrmals dabei ertappen, wie ich im gewohnten „Adagio-Tempo“ den Aufgaben nachgehe bzw. nacheile. Damit stehe ich nicht allein da. Wo kommt dieser Drang zur Eile her? Spielen hier die Phänomene der modernen Zeit — die Beschleunigung, steigende Informationsmenge und auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftslogik — eine Rolle? Wie immer die Antwort darauf auch ausfallen mag — der Shut-Down hat die krisenrelevanten Sollbruchstellen einer globalisierten Gesellschaft aufgezeigt und damit eine breite Grundlage erschaffen, gemeinsam über alternative und entschleunigte Arbeits- und Lebensstile zu diskutieren. Wenn wir uns entgegen den vorherrschenden Zeitdruckverhältnissen an den aromatischen Duft des frischgebackenen Kuchens oder an die Erntezeit-Vorfreude zurückbesinnen können, kann die Wende zum Weniger doch nicht weit weg sein!

Corona-Zeit, Coronavirus, Entschleunigung, Nachhaltigkeit