Lucas Palm: Die Digitalisierung und ihre Folgen für die Demokratie
vorgelegt als Hausarbeit am Institut für Politische Wissenschaft der RWTH Aachen 2023
Es ist bekannt, dass Demokratien regelmäßig in Krisen geraten. Krisen sind hier jedoch keine Seltenheit, sondern im Gegenteil üblich. Die Entwicklungsrichtung der Krise ist dabei vorab nicht festgelegt. Solche Krisen können sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben. Ein großer Vorteil der Demokratie ist, dass sie kein statisches politisches Konzept ist. Demokratie ist dynamisch. Sie kann und muss sich der Gesellschaft anpassen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich die Demokratie immer wieder neu positionieren muss und Krisen durchlebt. Krisen sollten daher nicht prinzipiell als Bedrohung, sondern als integraler Bestandteil des demokratischen Ansatzes verstanden werden. Zugleich dürfen sie aber auch nicht leichtfertig behandelt werden, denn auch wenn sie Teil der Demokratie sind, ist diese nicht vor ihrem eigenen Zerfall gefeit. (Vgl. Diehl 2016: 328)
Fakt ist, dass die Befürchtungen einer aktuellen Krise der Demokratie in den letzten Jahren immer lauter geworden ist und sie global gesehen einem erheblichen Druck zur Veränderung ausgesetzt ist (vgl. Boehme-Neßler 2018: 1). Dies wirft die Frage auf, welche Gründe hinter der zunehmenden Kritik liegen. Ist ein möglicher Grund für die zunehmende Kritik an der Demokratie die Digitalisierung? Experten vertreten zunehmend die Auffassung, dass die fortschreitende Digitalisierung, insbesondere in Verbindung mit Sozialen Medien wie Twitter, Facebook, Tik Tok und anderen Plattformen, negative Einflüsse auf die Demokratie haben können. Ursprünglich wurde angenommen, dass Internet und Soziale Medien von Natur aus die Demokratisierung unterstützen würden, da sie eine breite Palette von Informationen und Ansichten fördern und die Beteiligung an politischen Angelegenheiten erleichtern. Diese Annahme war insbesondere zu Beginn des Internets und des World Wide Webs weit verbreitet, gerät aber immer mehr ins Schwanken. (Vgl. Bogner et. al 2022: 10)
Ein aktuelles Beispiel, dass die Bedenken verdeutlicht, ist die Übernahme von Twitter durch Elon Musk. Nach der Übernahme entließ Musk über die Hälfte der Belegschaft, darunter viele MitarbeiterInnen, die für die Überwachung von Hassrede und Falschinformationen verantwortlich waren. Zudem wurde der Account des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump entsperrt, der bekannt dafür war, Falschinformationen zu verbreiten oder zur Gewalt anzustiften, insbesondere im Zusammenhang mit den Ausschreitungen am amerikanischen Kapitol 2021. Elon Musk begründete diese Maßnahmen mit dem Ziel, die Meinungsfreiheit zu wahren, aber die gleichzeitige vorübergehende Sperrung von Accounts mehrerer Journalisten löste Misstrauen und Besorgnis bei NutzerInnen und Unternehmen aus. Diese Ereignisse werfen die Frage auf, in welche Richtung Plattformen wie Twitter, Telegram oder Facebook in Zukunft steuern. Die Politik und Wissenschaft beobachten bereits seit längerem die Rolle der digitalen Medien in der Gesellschaft. (Vgl. Voss 2022: zugegriffen am 27.07.2023)
Gemäß einer aktuellen Studie, an der das Max-Planck-Institut beteiligt war, haben Hass und Hetze, Desinformationen, Fake News, Filterblasen oder Echokammern auf Sozialen Medien und anderen digitalen Plattformen einen Einfluss auf die Gesellschaft. Diese Faktoren können Populismus und Polarisierung fördern, gesellschaftliche Spaltung vorantreiben und somit tatsächlich Entwicklungen begünstigen, die der Demokratie abträglich sind. (Vgl. ebd.)
Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich diese Hausarbeit mit den Auswirkungen der Digitalisierung für die Demokratie. Die Forschungsfrage lautet: Stellt die Digitalisierung eine Gefahr für die Demokratie dar? Eine umfassende Analyse der Einflüsse durch die Digitalisierung (Social-Media, algorithmische Empfehlungssysteme, Fake-News, Echokammern, …) auf die demokratischen Prinzipien (Prinzip der Öffentlichkeit, der politischen Meinungsbildung und Partizipation) sollen die Chancen und Risiken aufzeigen. Es muss überprüft werden, ob die liberale Demokratie noch den Anforderungen der Gegenwart entspricht und ob sie den aktuellen Herausforderungen gewachsen ist. Das Ziel dieser Arbeit besteht nicht in der Vereinfachung der Digitalisierung oder der Nutzung Sozialer Medien in Schwarz-Weiß-Kategorien, sondern vielmehr darin, die Auswirkungen der digitalen Welt auf unsere Gesellschaft und Demokratie zu verdeutlichen. Das Ziel liegt dabei auf der Sensibilisierung für die Notwendigkeit einer intensiveren Auseinandersetzung auf politischer und gesellschaftlicher Ebene mit diesem Thema.
Um die Forschungsfrage zu beantworten, soll in der Hausarbeit folgendermaßen vorgegangen werden: Das erste inhaltliche Kapitel behandelt den theoretischen Hintergrund, wobei die Grundprinzipien und charakteristischen Eigenschaften einer liberalen Demokratie erörtert werden. In diesem Kontext wird auf die Rolle der Medien eingegangen, einschließlich der Veränderungen, die die Digitalisierung und die Sozialen Medien für die traditionelle Medienlandschaft und die demokratischen Prozesse mit sich gebracht haben. Im anschließenden Kapitel werden basierend auf dem theoretischen Hintergrund die Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Demokratie analysiert. Im letzten Teil der Arbeit werden Ansätze erörtert, wie die Resilienz der Demokratie in der digitalen Welt erhöht werden kann. Das Fazit rundet die Arbeit ab, in dem es die gesammelten Erkenntnisse zusammenträgt und die Forschungsfrage beantwortet.
1 Theoretischer Hintergrund
1.1 Demokratie und die Rolle der Medien
Eine Demokratie kann mit Herausforderungen konfrontiert werden, die zu Krisen führen können. Diese Situationen treten jedoch erst ein, wenn die Bevölkerung und die öffentliche Meinung diese Herausforderungen als solche wahrnehmen, ihnen Aufmerksamkeit schenken und mit der aktuellen Situation unzufrieden sind (Vgl. Merkel 2015: 26). Das Demokratiekonzept war schon in der Antike ein kontroverses Thema. Denn schon zur damaligen Zeit existierten diverse Vorstellungen darüber, was nun die “richtige” Demokratie sei und welche Merkmale diese besitzen soll. Die Diskussion hierzu zieht sich bis in die Jetztzeit, weshalb seither unterschiedlichste Demokratietheorien entstanden sind (vgl. Beaufort 2020: 22ff).
Eine nennenswerte Theorie der Demokratie ist die von Joseph A. Schumpeter. Seine Modelle können zu den minimalistischen Demokratietheorien gezählt werden. Er benennt freie und geheime Wahlen als Herzstück der Demokratie, bei der politische Parteien ihre Programme anbieten und WählerInnen ihre Präferenzen ausdrücken. Nach Ansicht von Schumpeter bieten Politiker, Politikerinnen und Parteien ein Wahlprogramm auf dem Markt an. Die wahlberechtigte Bevölkerung bildet die Nachfrage und kann aus mehreren Programmangeboten wählen. Somit entsteht ein Markt mit Angebot und Nachfrage. Der Wahlerfolg wird gekennzeichnet durch die höchste Nachfrage. Wichtig ist der Faktor Zeit, denn die Nachfrager müssen in regelmäßigen Abständen die Möglichkeit erhalten, das gewählte Angebot gegebenenfalls auszutauschen oder erneut zu wählen. Gleichzeitig haben die politischen Anbieter die Möglichkeit, in diesem Fall ihr Angebot zu verändern (Vgl. Merkel 2015: 10f.). Der zentrale Punkt Schumpeters liegt somit im Wahlprozess. Dazu gehören auch die Gefahren in Form der Wahlmanipulation oder Stimmenbeeinflussung, zum Beispiel durch Falschinformationen. (Vgl. Persily 2017, S. 65f). In diesem Fall geht es also nicht nur um den Wahlerfolg, der legitim erreicht wird, vielmehr auch um den Erfolg bei Wahlen, der durch Manipulation der Wählerschaft erzielt wird (vgl. Thiel 2018:52). Ein prominentes Beispiel dafür ist der Fall Cambridge Analytica, bei dem das britische Unternehmen ohne Zustimmung Millionen Facebook-Nutzerdaten auswertete, um Politiker wie Donald Trump im Wahlkampf zu beraten (vgl. Rehman 2019: 2f.).
Ansätze der Liberalen Demokratien gehen davon aus, dass durch die Bevölkerung eine Souveränität ausgeübt und durch Wahlen ausgelebt wird. Bei diesen Wahlen werden legitime Vertreter des Volkes gewählt. Die Volksvertreter müssen fernab von politischer Willkür im Sinne der Freiheit und Gleichheit für das Volk agieren. Damit die politische Willkür verhindert werden kann, braucht es diverse Mechanismen, wie die Rechenschaftspflicht. Außerdem braucht es eine Gewaltenteilung des Staates in die Judikative, Exekutive und Legislative. Somit kann in diesem Modell eine Kontrolle entstehen, um die gewählten Volksvertreter zu kontrollieren. (Vgl. Beaufort 2020: 18ff). Wahlen dienen in diesem Modell also hauptsächlich als Instrument der Kontrolle, um die Machthaber in der Gesellschaft zu überwachen und sollten frei von Einfluss dritter sein (vgl. ebd.: 29).
Ein bedeutendes Merkmal einer liberalen Demokratie ist der Austausch von Positionen und Argumenten. In der Öffentlichkeit jedoch muss beachtet werden, dass dieser Austausch vorwiegend in der Elite der Bevölkerung stattfindet. Diese Elite repräsentiert die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung. (Vgl. ebd.: 40) Öffentlichkeit wird der Raum genannt, in dem die Akteure der Politik eigene Ideen und Ziele präsentieren können. Dies dient der Meinungsbildung, der Bürgerinnen und Bürgern (vgl. Fraser 2008: 19ff).
Um die Demokratie am Leben zu halten, ist die BürgerInnen-Beteiligung zentral. Eine wichtige Rolle haben hier die Medien. Diese haben die Aufgaben, die handelnden Akteure in der Politik zu kontrollieren und Geschehnisse, sowie Inhalte an die Bevölkerung zu senden und diese verständlich zu informieren (vgl. Holoubek et.al. 2006: 60ff.).
Laut liberaler Demokratie findet eine Entscheidungsfindung der Bürgerinnen und Bürger durch eine rationale und gleichzeitig vernünftige Entscheidungsfindung statt (vgl. Beaufort 2020: 38ff.). In der Öffentlichkeit kommt den Medien eine besondere Rolle zu, denn sie haben in der Öffentlichkeit die Aufgabe Bottom-Up und Top-Down zu kommunizieren. Damit ist gemeint, dass die Medien im politischen System über die politischen Geschehnisse und Ereignisse der politischen Elite berichten und gleichzeitig diese politische Elite beobachten und kontrollieren muss. Somit entsteht eine doppelte Rolle für die Medien im öffentlichen Diskussionsraum. (Vgl. ebd.: 38ff.) Sie bilden ein unabhängiges Gegengewicht zur politischen Elite (vgl. ebd.: 42).
Das Präsentieren der Argumente geht schon auf die Zeit der Aufklärung zurück. Schon damals wurden im öffentlichen Raum Argumente vorgetragen, Fakten vorgestellt und vermittelt. So konnten die Medien ein Mittel sein, um unterschiedliche Arenen der Kommunikation auf dem Ideen-Marktplatz zusammenbringen. Eine Arbeit zur Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger. (Vgl. ebd.: 42) Grundsätzlich für die Arbeit der Medien sind die Freiheit der Presse, die Freiheit der Rede und die Freiheit der Meinung (vgl. ebd.: 42f.).
Damit lässt sich zusammenfassen, dass die frei arbeitenden Medien ein wichtiger Eckpfeiler der liberalen Demokratie sind, um Bürgerinnen und Bürger zu informieren, ihre Willensbildung zu vereinfachen und die politische Elite zu kontrollieren. (Vgl. Schulz 2011: 309) Luhmann sagt auch, dass die Medien die Aufgabe besitzen, komplexe Informationen verständlich zu machen und die Kommunikation im politischen Raum zu strukturieren (vgl. Luhmann 1974: 34f.).
Wir können also festhalten, dass neben den Wahlen die Öffentlichkeit ein weiteres wertvolles Merkmal und Instrument der Demokratie darstellt. So beschreibt auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina die Öffentlichkeit als ein zentrales System der Demokratie. Das grundlegende Ziel dieses Systems besteht darin, eine offene Plattform für Themen und Meinungen aus verschiedensten Bevölkerungsgruppen zu bieten und ihre Stimmen offen darzulegen. Es eröffnet die Möglichkeit, sich mit den geäußerten Ansichten auseinanderzusetzen, fördert die kritische Selbstreflexion einer Gemeinschaft und trägt dazu bei, öffentliche Meinungen zu entwickeln, die in einer Demokratie als politisch effektive Leitlinien dienen. Die Öffentlichkeit bildet somit das Kernstück der Demokratie, da sie einen Raum schafft, in dem Ideen, politische Handlungsmöglichkeiten und gemeinschaftliche Identitäten entstehen können. Gleichzeitig dient sie als Legitimationsinstanz für politische AkteurInnen zwischen den Wahlen. (Vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2021: 11)
Damit in einer liberalen Demokratie wichtige Instrumente wie die Wahlen und die Öffentlichkeit funktionieren, müssen gewisse Eigenschaften erfüllt sein: Informationsqualität, Diskursqualität, Gleichheit, Freiheit, Vielfalt, Verteilung von Macht, Integration, Kritik und Kontrolle. Diese Eigenschaften machen den Wert bzw. die Qualität einer Demokratie aus. (Vgl. Neuberger 2022: 21)
Die klassischen oder analogen Medien, wie Fernsehgeräte, Radios, Musik- und Videokassetten, Zeitungen, Bücher und Print-Medien, haben die Aufgabe der Gestaltung einer demokratischen Öffentlichkeit über einen langen Zeitraum ausgeführt und bleiben auch weiterhin von Bedeutung. Jedoch hat die Digitalisierung neue Infrastrukturen hervorgebracht, die eine zunehmend relevante Rolle bei der Bildung der demokratischen Öffentlichkeit spielen. (Vgl. ebd.: 15) Im folgenden Abschnitt werden diese neuen Entwicklungen näher betrachtet.
1.2 Digitalisierung und Soziale Medien
Die Digitalisierung hat einen Einfluss auf die Bildung der demokratischen Öffentlichkeit und somit auch Einfluss auf die Demokratie. Um das Ausmaß des Einflusses nachvollziehen zu können, muss zunächst der Begriff der „Digitalisierung“ erläutert werden. Unter Betrachtung der technischen Ebene beschreibt der Begriff, die Anwendung elektronischer Verfahren, bei denen Daten in binärer Form (0 und 1) gespeichert werden. Diese elektronischen Verfahren ermöglichen algorithmische Verarbeitung und Analyse der Informationen, sowie die Möglichkeit zur Vernetzung. (Vgl. Neuberger/ Thiel 2022: 26)
Anfänglich als bloßer technischer Prozess, hat sich die Digitalisierung heute zu einer bedeutenden gesellschaftlichen Umgestaltung entwickelt, die in ihrem Ausmaß beispiellos ist. So schreibt auch der Politikwissenschaftler Oliver Hidalgo, in einem Aufsatz für die Neue Politische Literatur, dass in Verbindung mit Computern und Internet die Digitalisierung nicht nur bloß die schnelle Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie repräsentiert, sondern eine umwälzende Veränderung der gesamten menschlichen Lebens- und Arbeitsbereiche markiert. (Vgl. Hidalgo 2020: 77f.) Die Digitalisierung geht nämlich weit über Computer und das Internet hinaus. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die mobile Vernetzung durch Smartphones, die mehr als nur transportierbare Computer sind. Sie haben die Welt verändert, indem sie digitale Möglichkeiten unabhängig von Ort und Zeit zugänglich gemacht haben. Digitalisierung bedeutet somit auch, dass unsere soziale Welt umgestaltet wurde, da sie jederzeit wahrnehmbar und damit kalkulierbar geworden ist. (Vgl. Neuberger/ Thiel 2022: 27f.)
Die gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen als Konsequenz der Digitalisierung bringen schwer vorhersehbare Auswirkungen in rechtlicher, wirtschaftlicher und politischer Beziehung mit sich. Diese Veränderungen betreffen nicht nur die Strukturen der Öffentlichkeit, sondern wirken sich auch auf die Privatsphäre aus. Insbesondere die politischen Dimensionen des Einflusses von Digitalisierung und Internet sind deutlich erkennbar und geben Anlass zu verschiedenen Spekulationen. (Vgl. Hidalgo 2020: 78)
Im vorherigen Kapitel ist deutlich geworden, dass die Gestaltung einer demokratischen Öffentlichkeit für eine funktionierende Demokratie ein Merkmal und Instrument von hoher Bedeutung ist. Die klassischen Medien haben bei dieser Gestaltung eine wichtige Rolle gespielt. Mit dem Aufkommen des Internets hat sich aber auch hier die Struktur weiter verändert, da die Verbreitung und Gewinnung von Informationen einfacher wurden. Dies wurde durch die Einführung Sozialer Medien noch weiter verstärkt. Die Sozialen Medien haben die Struktur der Kommunikation verändert, indem sie einerseits eine quantitative Veränderung ermöglichten – die Anzahl der Sender-Kanäle hat deutlich zugenommen. Zudem haben neue Akteure die Möglichkeit erhalten, ohne Zwischeninstanzen (Gatekeeper) eine Plattform zu schaffen, und es wurden neue und einfachere Interaktionsmöglichkeiten mit den Bürgerinnen und Bürgern geschaffen. (Vgl. Sarcinelli 2011: 34ff.)
Der Begriff der „digitalen demokratischen Öffentlichkeit“ ist entstanden. Vor allem digitale Plattformen für Informationsaustausch und Kommunikation wie die amerikanischen Sozialen Medien Facebook, Twitter und Instagram, sowie Videoplattformen wie YouTube und das chinesische Tik Tok spielen eine entscheidende Funktion bei der Schaffung der neuen digitalen demokratischen Öffentlichkeit. Des Weiteren tragen auch Nachrichtendienste wie WhatsApp und Telegram, Websiten von traditionellen Massenmedien, öffentlichen und privaten Organisationen, Blogs und besonders Suchdienste wie Google zur Bildung und Gestaltung dieser digitalen Öffentlichkeiten bei. (Vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2021: 15)
Nicht nur das Internet, sondern auch insbesondere die sozialen Netzwerke ermöglichen, neue Formen des Diskurses. Jedoch können hier die Probleme der Deliberation und Öffentlichkeit entstehen. Die Deliberation bezieht sich auf eine öffentliche Debatte, bei der Argumente ausgetauscht werden, um politische Lösungen zu finden und bessere Entscheidungen zu treffen.
In den sozialen Netzwerken findet eine Debattenführung statt, die nicht zwangsläufig zielorientiert ist. (Vgl. Kneuer 2017: 47ff.)
Wie das Wirken neuer Kommunikationsformen auf die Demokratie eingeschätzt wird, hängt vom Argumentierenden ab. Internet-Optimisten bewerten die Sozialen Medien als Fortschritt in Richtung Utopie, da der Informationszugang noch nie so einfach, billig und schnell gelingen konnte, wie heute. Sie vertreten die Position, dass so eine einfachere und schnellere Bildung der Meinung entstehen kann. (Vgl. ebd.: 48f.)
Kritiker hingegen wollen in den Sozialen Medien jedoch Muster der Deliberation erkennen. Manche Verfechter dieser Position glauben an einen Qualitätsverlust der Demokratie-Prozesse. Sie argumentieren dies mit einem Rationalitätsniveau, das Abnehmen würde im Internet. Hier würden nicht die besten Argumente und Ideen Aufmerksamkeit erhalten, sondern die besonders schrillen Argumente und Positionen. Somit würde eine verfälschte Debatte entstehen. (Vgl. ebd.: 48ff.)
Technologien sind nicht allein entscheidend für eine Gesellschaft und ihre Demokratie. Wichtiger sind die Normen als Rahmenbedingungen, die von der Bevölkerung gelebt werden. Von Wichtigkeit ist, dass in einer digitalen Gesellschaft das Interesse besteht, ein Teil der politischen Diskussion zu sein. (Vgl. ebd.: 49.)
Die Forschung zu diesem Thema ist noch lange nicht abgeschlossen. Es gibt nach wie vor viele Fragen zu klären und neue Entwicklungen zu berücksichtigen, insbesondere im schnelllebigen Bereich der Technologie und der digitalen Kommunikation. Zusammenfassend lässt sich aber sagen, dass die digitale Transformation zweifellos Auswirkungen auf die Demokratie hat, insbesondere im Hinblick auf politische Kommunikation, Partizipation und den Einfluss von Sozialen Medien. Während einerseits die Technologie neue Chancen für die Öffentlichkeit und politische Partizipation eröffnet, birgt sie andererseits auch Herausforderungen und Risiken für die demokratischen Prozesse. Auf die einzelnen Chancen und Risiken wird im nächsten Teil der Arbeit genauer eingegangen.
2 Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Demokratie oder demokratische Öffentlichkeit
Uneinigkeit über die Bedeutung neuer Medien ist kein neues Phänomen. Im Verlauf der Geschichte haben sich entwickelnde Kommunikationstechnologien immer wieder Aufmerksamkeit und Diskussionen hervorgerufen. Grund der Diskussionen ist das „Dual-Use-Dilemma“. Dieses Dilemma beschreibt den Fall, dass Technologien sowohl für positive als auch negative Absichten verwendet werden können. Die digitalen Medien sind ein weiteres Beispiel für dieses zweischneidige Schwert. (Vgl. Lorenz-Spreen et. al. 2022: 74)
Digitale Medien haben die Fähigkeit BürgerInnen als mächtiges Instrument der Mobilisierung und des sozialen Wandels zu fördern, wie es Bewegungen wie der Arabische Frühling, Fridays for Future und #Metoo vorgemacht haben. Andererseits können digitale Medien Populismus und Polarisierung begünstigen, in dem sie destruktive Verhaltensweisen und Tendenzen fördern und somit auch zu schwerwiegenden Ereignissen beitragen, wie dem in der Einleitung erwähnten Angriff auf das Kapitol der Vereinigten Staaten im Januar 2021. Die ambivalente Rolle der digitalen Medien ist ein kontroverses Thema. (Vgl. ebd.)
2.1 Chancen der Digitalisierung für die Demokratie
Der Beginn der Digitalisierung und die Nutzung des Internets war von viel Optimismus geprägt. Es wurde allgemein angenommen, dass diese Entwicklungen positive Auswirkungen auf die Demokratisierung haben könnten, und Forscher idealisierten es als einen Raum für hierarchiefreie und egalitäre Kommunikationssysteme. (Vgl. Lecointe 2021: 139) Viele Wissenschaftler vertraten die Auffassung, „dass digitale und insbesondere soziale Medien bürgerliches Engagement befördern und prinzipiell positiv für die demokratische Gesellschaft seien.“ (Emmer et. al. 2020: 2) Die Digitalisierung hat zu einer Neugestaltung der Öffentlichkeit geführt und bietet eine neue Grundlage für Möglichkeiten der politischen Kommunikation und der Partizipation an politischen und parlamentarischen Verfahren, sowohl auf gesellschaftlicher Ebene als auch für jeden individuell. (Vgl. Klingbeil 2011: 11)
Soziale Medien besitzen die Fähigkeit, Informationen schnell weltweit zu verbreiten und dabei eine hohe Reichweite zu erreichen. Ein besonderer Aspekt der Sozialen Medien ist die Möglichkeit, der Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern. Durch Soziale Medien kann der Sender zu vielen Empfängern gleichzeitig kommunizieren und gleichzeitig gezielt mit einer Person kommunizieren Das gezielte kommunizieren mit einer Person ist beispielsweise in den Massenmedien nicht möglich. (Vgl. Kreutzer/Kreutzer, 2014, S. 2ff.)
In digital vernetzten Demokratien sind also neue Wege der Kommunikation möglich. Das Internet ermöglicht aber auch durch die Vielzahl der Kommunikationsplattformen einen aktiven Wechsel von Informationen und Meinungen. Die traditionellen Medien stellen im Gegensatz dazu, die Informationen lediglich bereit. (Vgl. Klingbeil 2011: 11)
Aus diesem Grund eröffnet das Internet auch neuartige Formen der Partizipation, die einerseits von staatlichen Institutionen (Top-Down) oder von zivilgesellschaftlicher Seite (Bottom-Up) durchgeführt werden können. (Vgl. Voss 2011: 43)
Innerhalb des Top-Down Ansatzes können zum Beispiel E-Petitionen schon seit 2005 im Deutschen Bundestag eingereicht werden. Petitionen sind kein neues Phänomen, bieten aber in Form einer E-Petition eine leichtere Partizipation und Mobilisierung. Einige Beispiel haben bereits verdeutlicht, dass dieser Ansatz es einzelnen BürgerInnen oder kleineren Organisationen ermöglicht hat, ihr Anliegen einer größeren Öffentlichkeit darzulegen. Ein weiteres Beispiel in Deutschland ist die Demos-Software. Demos ist die Einführung von Online-Konsultationen, also im Grunde eine Kommunikationsplattform, auf der moderierte Diskussionen stattfinden sollen. (Vgl. ebd.: 39)
Ein Beispiel für den Bottom-Up Ansatz einer verstärkten Partizipation ist die unabhängige Internetseite abgeordnetenwatch.de, auf der die Abgeordneten des Bundestags, zahlreiche Abgeordnete des Europäischen Parlaments und auch die Länderparlamente freiwillig vertreten sind. Die Seite ermöglicht den BürgerInnen mit den Abgeordneten in einen Diskurs zu kommen. Sie können Fragen stellen oder ein Statement einfordern. Eine Eigenschaft der Website besteht darin, dass die Interaktionen öffentlich und transparent erfolgen, da die Aussagen der BürgerInnen und PolitikerInnen permanent auf der Plattform abrufbar sind. Obwohl abgeordnetenwatch.de keine direkte Partizipationsmöglichkeit darstellt, verdeutlicht der öffentliche Austausch das interaktive Potenzial des Internets für politische Prozesse. (Vgl. ebd.: 40f.)
Diese neue Form der Kommunikation unterstützt den Dialog und kann zu einer erweiterten politischen Diskussion führen. Zusätzlich können Soziale Medien als Mittel zur Förderung sozialer Mobilisierung und gemeinschaftlicher Aktivitäten genutzt werden. Die Chancen die BürgerInnen durch Digitalisierung und Internet in den politischen Prozess verstärkt einzubauen sind gegeben, werden aber insbesondere die Top-Down Ansätze noch wenig in Anspruch genommen. Ein Grund dafür liegt in der Neuheit der Verfahren. Darüber hinaus liegt ein weiter Grund in der fehlenden Verbindlichkeit. (Vgl. ebd. 43) Damit ist vor allem eine fehlende Rückkopplung und Einbeziehung in die einzelnen Diskussions- und Beschlussverfahren gemeint. In den meisten Fällen besteht nur die Möglichkeit seine Meinung zu äußern. (Vgl. Klingbeil 2011: 12)
Demgegenüber steht der Bottom-Up Ansatz nicht vor einer zu geringen Beteiligung, sondern steht anderen Herausforderungen gegenüber. Eine hohe Beteiligung führt nicht zwangsläufig zu einer entsprechenden Wirkung. Es besteht die Möglichkeit, dass bei der Vielzahl an Organisationen oder Einzelpersonen, die den Bottom-Up Ansatz nutzen, die Menge einen verschluckt. (Vgl. Voss 2011: 43)
Eine weitere Chance der Digitalisierung ist eine verbesserte Transparenz politischer und parlamentarischer Prozesse, die durch Open-Data erreicht wird. Der Begriff Open-Data bezeichnet die Idee, dass Daten für die Öffentlichkeit frei verfügbar wären. Mit dieser Idee ist die Freigabe von Dokumenten und Datenbeständen gemeint, aber keine persönlichen Daten aus Politik und Verwaltung. Die Diskussion über die Freigabe von Dokumenten und Datenbeständen wurde schon vorher unter dem Konzept der Informationsfreiheit geführt. Es ist daher erforderlich, die Debatten um Open-Data und Informationsfreiheit miteinander zu kombinieren, da Open-Data nur in Zusammenhang mit einer angepassten Rechtsgrundlage realisierbar ist. Die Offenlegung von politischen Prozessen und staatlichen Angelegenheiten ist durch die Digitalisierung möglich und würde die Bildung einer demokratischen Öffentlichkeit weiter verbessern. (Vgl. Klingbeil 2011: 12f.)
Wie bereits erwähnt schafft das Internet neue Plattformen der Meinungsäußerung, Kommunikation und Öffentlichkeit. Das Internet kommt als zusätzliche und weltweit vernetzte Plattform neben den traditionellen Medien hinzu. Eine grundlegende Voraussetzung besteht in einem Internetzugang, der es jedem ermöglicht, Teil der neuen digitalen Öffentlichkeit zu werden und seine Ansichten auf Websiten, Foren oder Blogs zu teilen. Dieser Prozess führt zu einer gesteigerten demokratischen Vielfalt in der Meinungsbildung. (Vgl. ebd.: 13) Insbesondere die Menschen in sich entwickelnden Demokratien oder autoritären Staaten profitieren von diesen Entwicklungen. Die Vermittlung von politischem Wissen und die Verbreitung von Nachrichten sind Impulsgeber für die Förderung von Partizipation und Demokratie. Der Ausbau von WLAN und Internetzugängen hat in Malaysia einen positiven Effekt auf die Partizipation in politischen Parteien gehabt. Facebook und Twitter ermöglichten in den arabischen Ländern eine zeitweise Umgehung staatlicher Zensur und Unterdrückung, sodass sich Oppositionelle zusammenschließen und zu Demonstrationen mobilisieren konnten. (Vgl. Oswald 2022: zugegriffen am 05.08.2023)
Des Weiteren findet eine zunehmende Verknüpfung zwischen Weblogs und den Webseiten traditioneller Medien statt. Ebenso lenken traditionelle Massenmedien zunehmend ihren Fokus auf die Blogosphäre. Diese Entwicklungen ermöglichen ein interaktives Zusammenspiel zwischen den etablierten Medien und der kommunikativ aktiven Zivilgesellschaft. Es ist anzunehmen, dass dies auch Einfluss auf das strikte „Gatekeeping“ der massenmedialen Öffentlichkeit haben wird. (Vgl. Klingbeil 2011: 13f.)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Digitalisierung und digitale Medien beträchtliches Potenzial haben, wenn sie richtig genutzt werden. Im Fokus stehen insbesondere die beschriebenen Möglichkeiten einer verbesserten Partizipation und der Gestaltung einer neuen, besseren demokratischen Öffentlichkeit, unabhängig jeglicher Grenzen. Dieses Potenzial wird in der Realität aktuell nur teilweise wahrgenommen. Es ist wichtig zu beachten, dass die Digitalisierung und das Internet nicht zwangsläufig demokratiefördernd sind. Die fortlaufende Entwicklung der Digitaltechnologien könnten auch Entwicklungen hervorrufen, die Probleme für die Demokratie verursachen können und dies tatsächlich auch schon tun. (Vgl. Boehme-Neßler 2018: 86)
2.2 Risiken der Digitalisierung für die Demokratie
Der anfänglich ausgeprägte Optimismus hat mittlerweile an Stärke verloren. Dies liegt vor allem an besorgniserregenden Erkenntnissen, die daraufhin deuten, dass freie Wahlen als wichtiges Merkmal liberaler Demokratien durch Microtargeting und Social Bots beeinflusst werden. Wenige große und private Plattformen dominieren das Internet, erzeugen eine gläserne Kundschaft und stellen die Demokratie vor weiteren Herausforderungen. Darüber hinaus ist die demokratische Diskussionskultur durch fragmentierte und isolierte Teilöffentlichkeiten (sog. Echokammern) in Gefahr. Die Polarisierung der Gesellschaft wird durch eine anwachsend unkontrollierte Hasskommunikation vorangetrieben und die ungehinderte Veröffentlichung von Falschinformationen im Internet verstärkt diesen Effekt weiter. (Vgl. ebd.: 10)
In Kapitel 2.1 Demokratie und die Rolle der Medien wurden zentrale Eigenschaften einer liberalen Demokratie genannt: Informationsqualität, Diskursqualität, Gleichheit, Freiheit, Vielfalt, Verteilung von Macht, Integration, Kritik und Kontrolle. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien in Bezug auf die digitale Öffentlichkeit und Wahlen lassen sich Mängel feststellen. (Vgl. Neuberger 2022: 22) Im Folgenden werden einige Kriterien und die damit verbundene Problematik, die zu Beginn des Kapitels kurz beschrieben wurde, genauer untersucht.
2.2.1 Informationsqualität und der Einfluss von Fake News und Desinformation
Die Informationsqualität ist ein wesentliches Merkmal für die Demokratie und die Bildung der demokratischen Öffentlichkeit, da sie es den BürgerInnen ermöglicht eine fundierte Meinung über aktuelle politische Debatten zu bilden oder der Gefahr einer möglichen Wahlmanipulation ausgesetzt zu sein, bestmöglich schützen sollen. Die Qualitätssicherung der Informationen stellte lange Zeit die zentrale Aufgabe der traditionellen Medien und professionellen JournalistInnen dar. Dies geschah durch Nachforschungen, Kontrolle und Vermittlung der Informationen über bestimmte Kanäle. Allerdings hat der Nachrichtenkonsum über Soziale Medien, insbesondere in der jüngeren Generation, deutlich zugenommen. In den Sozialen Medien ist die Anzahl der Informationen nicht nur viel höher, was zu einer möglichen Überforderung führen kann, sondern auch die Anzahl der Vermittler hat sich geändert. Es spielt keine Rolle, ob der Absender einer Information ein professioneller JournalistIn ist oder ein Amateur. Die Folge sind signifikante Qualitätsdefizite. (Vgl. ebd.: 22f.)
Ein Grund für diese Qualitätsdefizite sind Fake-News und Desinformation. In der Debatte um Fake-News werden sieben verschiedene Formen der Desinformation identifiziert. Eine dieser Formen ist die Satire oder Parodie, bei der keine Absicht besteht, Schaden anzurichten, aber dennoch das Potenzial dazu vorhanden ist, insbesondere wenn der sarkastische Charakter nicht erkannt wird. Weitere Formen umfassen irreführende Inhalte, die dazu dienen, ein Thema oder eine Person in ein schlechtes Licht zu rücken, betrügerische Quellenangaben und falsche Verknüpfungen zu finden, Die gravierendste Form der Desinformation umfassen das Erfinden von Informationen, das Stellen von Informationen in einen falschen Kontext und die Manipulation von Informationen. Die Motive hinter der Verbreitung von Fake News und Desinformation reichen von unbeabsichtigten Fehlinformationen aufgrund mangelnder Recherche bis hin zur bewussten Absicht, gezielt Falschinformationen zu verbreiten. (Vgl. Russ-Mohl 2017: 25f.) Fake-News verbreiten sich auf den sozialen Medien weitaus schneller als korrekte Informationen. Dies kann erhebliche negative Auswirkungen auf die demokratische Öffentlichkeit haben, wie beispielswiese die verschiedenen Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit der Covid-19 Pandemie deutlich machen. Haben sich Falschnachrichten einmal viral verbreitet, ist es kaum möglich, diese zu revidieren und eine politische vernunftorientierte Debatte deutlich schwieriger. (Vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2021: 29) Desinformation ist aber nicht nur ein Mittel von Verschwörungstheoretikern oder mit der Politik unzufriedene BürgerInnen. Die bewusste Nutzung von Falschnachrichten ist auch bei dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump zu beobachten, um seine politischen Absichten voranzutreiben. (Vgl. Hintz 2017: 82)
2.2.2 Diskursqualität und der Einfluss von Hate Speech
Fake News haben einen Einfluss auf eine vernunftbasierte Debatte und damit auch Einfluss auf ein weiteres Merkmal liberaler Demokratien – die Diskursqualität. Eine gut funktionierende Demokratie und demokratische Öffentlichkeit erfordern aber auch die Möglichkeit eines offenen und fairen Diskurses. Die Art der Kommunikation ist in der digitalen Öffentlichkeit von Abweichungen geprägt. „Hate Speech“ oder „Online Harassement“ sind die bekannten Begriffe, die Zivilitätsbrüche in der Kommunikation in den Sozialen Medien beschreiben. (Vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2021: 32) Es gibt keine einheitliche Definition für den Begriff „Hate Speech“. Er bezieht sich jedoch auf beleidigende und abwertende Sprache, die dazu dient, andere Menschen oder Gruppen zu verurteilen. Der Kerngedanke hinter „Hate Speech“ besteht darin, dass die Täter glauben, bestimmte Gruppen von Menschen seien weniger Wert im Vergleich zu anderen. Das Ziel besteht darin, diese Gruppen herabzuwürdigen. (Vgl. Boden 2021: zugegriffen am 07.08.2023) Beispiele umfassen rassistische, sexistische oder antisemitische Kommentare (vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2021: 32). Es können also verschiedene Gruppen bzw. soziale Kategorien betroffen sein, darunter Geschlecht oder ethnische Herkunft bis hin zu Berufen wie PolitikerInnen (vgl. Geschke et. al. 2019: 15). Der Begriff „Online Harassement“ beschreibt ebenfalls aggressive Verhaltensweisen, die dazu dienen, Menschen einzuschüchtern oder zu bedrohen. (Vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2021: 32) Ein wichtiger Faktor, der die Hemmschwelle zu einem solchen Verhalten abbaut, ist die Anonymität, die einige Social Media Plattformen gewähren. Dieses Verhalten erfolgt auch nicht anonym. (Vgl. Mondal 2017: 85)
Eine Bundesweite repräsentative Studie hat die Entwicklung von Hass im Netzt untersucht. 8% der Befragten gaben an, dass sie schonmal Opfer von aggressivem und abwertendem Hasskommentaren im Internet geworden sind. Bei den 17-24jährigen lag dieser Anteil sogar schon bei 17%. Außerdem haben 40% der Befragten angegeben, dass sie Hate Speech im Internet schonmal zur Kenntnis genommen haben. Darüber hinaus hat die Studie eine weitere bedenkliche Tatsache herausgefunden: 54% der Befragten gaben an, dass sie sich im Internet seltener an Diskussionen beteiligen, um ihre politische Meinung zu äußern, aufgrund der Angst vor Hasskommentaren und Drohungen. (Vgl. Geschke et. al. 2019: 5) Die Auswirkungen der persönlichen Betroffenheit mit Hate Speech zeigten sich vorwiegend in psychischen Belastungen wie Stress, Unruhe, Depressionen und negativer Selbstwahrnehmung. Darüber hinaus wurden auch berufliche oder schulische Probleme als Folge genannt. (Vgl. ebd.: 27)
Abgesehen von der strafrechtlichen Relevanz von Hate Speech und Online-Harassment dürfen auch die Auswirkungen auf die Bereitschaft zur aktiven Partizipation am öffentlichen Diskurs in der digitalen Öffentlichkeit und Demokratie nicht vernachlässigt werden, da diese erheblich beeinträchtigt werden (vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2021: 33)
2.2.3 Freiheit und der Einfluss von Social Bots
Die einst als Cyber-Utopie angesehene Idee von grenzenloser Freiheit in der digitalen Öffentlichkeit hat sich als Illusion herauskristallisiert. In zahlreichen Ländern gibt es Beschränkungen in der Meinungs- und Medienfreiheit. Dabei wird das Internet selbst als Instrument staatlicher Kontrolle und Repression verwendet. Sowohl Länder als auch Plattformbetreiber bestimmen das Ausmaß der freien Kommunikation und Rezeption. Dadurch entstehen neue Konzepte der Einschränkung von Freiheit, wie das Einschüchtern von Gegnern, dem sog. Chilling-Effekt, oder das Überfluten mit Botschaften durch Social Bots, um gegnerische Äußerungen unbemerkbar zu machen. (Vgl. Neuberger 2022: 23)
Unter der Bezeichnung Social Bots werden Computerprogramme verstanden, deren Aufgabe es ist, in den sozialen Medien Nachrichten und Meinungen zu vermitteln. Auf Twitter würde dies durch Tweets, Retweets und Likes erfolgen. Ein solches Verfahren läuft völlig automatisch ab. Ziel ist es, den Eindruck zu erwecken, hinter all den Nachrichten und Meinungen stehen reale Personen. In Wahrheit wurden diese Bots aber bewusst von ihrem Verwalter eingesetzt, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Diese Vorgehensweise steht ebenfalls im Widerspruch zu den Prinzipien eines demokratischen Diskurses. (Vgl. Ballhaus 2017: 9)
Social Bots besitzen ein erhebliches Manipulationspotenzial, indem sie gefälschte Meinungen vortäuschen und soziale Einflussmechanismen ausnutzen. Menschen neigen dazu, sich der vermeintlichen Mehrheitsmeinung anzuschließen, was zu einer Übernahme vorprogrammierter Ansichten führen kann. Zusätzlich können Social Bots massenhaft Fake News verbreiten, die durch häufige Wiederholung und Verbreitung als glaubwürdig wahrgenommen werden und so politische Meinungen oder Entscheidungen beeinflussen können. Dieses Phänomen wird besonders bedenklich im Wahlkampf, wenn Social Bots gezielt Wählerinnen und Wähler ansprechen und durch individuell angepasste Inhalte manipulieren können. Dadurch wird eine kritische Grenze zwischen akzeptablem politischem Wahlkampf und inakzeptabler systematischer Manipulation überschritten. (Vgl. Boehme-Neßler 2018: 49f.)
Der Einsatz solcher Mechanismen würde eindeutig Schumpeters Konzept der freien Wahlen, die er als ein zentrales Element der Demokratie betrachtet, entgegenwirken. Des Weiteren wird die erhoffte Freiheit der Meinungsäußerung und Austausches in der digitalen Öffentlichkeit durch die Beeinflussung von Social Bots in Mitleidenschaft gezogen werden, was sich negativ auf die Demokratie insgesamt auswirken könnte.
Der Chilling-Effekt beschreibt ein abschreckendes Phänomen durch staatliche Handlungen, bei dem Bürgerinnen und Bürger davon abgehalten werden, ihre Grundrechte auszuüben. Im Allgemeinen handelt es sich um eine störende oder einschüchternde Wirkung auf die Ausübung eines Freiheitsgrundrechts, insbesondere der freien Meinungsäußerung. Konkret bedeutet dies, dass Personen auf die Äußerung ihrer Meinung in Sozialen Medien verzichten, da sie negative Konsequenzen befürchten, insbesondere aufgrund staatlicher Überwachung in den Sozialen Medien. (Vgl. Assion 2014: zugegriffen am 08.08.2023) Der Chilling-Effekt beeinträchtigt somit die vermeintliche Freiheit in der digitalen Öffentlichkeit und wirkt sich ebenso wie der Einsatz von Social Bots auf den Ausbau der Demokratie aus.
2.2.4 Gleichheit, Vielfalt und die Verteilung von Meinungsmacht und der Einfluss von Algorithmen und Kuratierung
In der liberalen Demokratie und digitalen Öffentlichkeit spielen Gleichheit, Vielfalt und die Verteilung von Meinungsmacht eine bedeutende Rolle. Gleichheit meint, dass allen sozialen Gruppen die gleiche Möglichkeit gegeben sein sollte, aktiv an politischen Prozessen im Internet teilzunehmen. Vielfalt hingegen fokussiert sich auf die Vielschichtigkeit von Inhalten, Themen und Meinungen, die in der digitalen Öffentlichkeit verbreitet werden. Dabei geht es nicht nur um die Teilnahmemöglichkeiten, sondern auch um die Diversität der veröffentlichten Inhalte. Die Verteilung von Meinungsmacht beschreibt die Möglichkeit, gezielt und bewusst die persönliche und öffentliche Meinungsbildung zu manipulieren – ein Aspekt, der auch zur Problematik der Social Bots passt. (Vgl. Neuberger 2022: 23f.) In der digitalen Öffentlichkeit weisen auch diese drei Merkmale Defizite auf.
Die verschiedenen Plattformen des Internets unterliegen automatisierten Funktionen, die durch Programmierung und Algorithmen gesteuert werden. Diese haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie Information, Kommunikation und Transaktionen in den sozialen Medien stattfinden. Ein zentraler Aspekt ist die Kuratierung von großen Datenmengen. Das bedeutet, dass Algorithmen die Relevanz der angezeigten Inhalte der einzelnen NutzerInnen basierend auf persönlichen Informationen wie demografische Daten, Interessen, Verbindungen und Nutzungsgewohnheiten bewertet. Ziel der Kuratierung besteht darin, den NutzerInnen eine Auswahl und Zusammenstellung von Inhalten bereitzustellen, die die persönlichen Interessen widerspiegeln. (Vgl. Saurwein et. al. 2022: 244) Im Gegensatz zu den traditionellen Medien betreiben die Sozialen Medien eine personalisierte Kuratierung von Inhalten, die von Dritten erstellt wurden. Die meisten dieser Plattformen sind im Besitz privater Unternehmen und verfolgen kommerzielle Ziele. Die Kuratierung der Inhalte zielt darauf ab, die Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange an die Plattform zu binden, um sie anschließend gezielt mit Werbeinhalten anzusprechen. (Vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2021: 16) Die Kuratierung hat neben dem kommerziellen Aspekt aber auch gesellschaftliche Folgen. Die Algorithmen untersuchen auch bestehende Interessen und Vernetzungen der NutzerInnen untereinander, um dann Empfehlungen zu geben, mit welchen Personen und Gruppen sie sich verbinden könnten. Folglich wird durch diese Kuratierungs- und Empfehlungssysteme die Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung gelenkt und die Plattformen erlangen dadurch einen Einfluss auf die gesellschaftliche Kommunikation. Außerdem erfolgen die Inhaltsregulierungen überwiegend durch interne Regeln der Plattform, zusätzlich zu den rechtlichen Vorgaben. (Vgl. Saurwein et. al. 2022: 245)
Ein häufig diskutiertes Problem im Zusammenhang mit Kuratierung und Algorithmen ist das Phänomen der Echokammern oder Filterblasen. Es besteht die Befürchtung, dass durch die personalisierte Anzeige von Inhalten, die den individuellen Interessen und Vorlieben entsprechen, jeder in seiner eigenen Blase gefangen sein könnte. Früher boten Medien ein Fenster in eine vielfältige Welt, die es zu entdecken galt. (Vgl. Boehme-Neßler: 35) Nun könnten Nutzerinnen und Nutzer aus ähnlichen Filterblasen zusammengeführt werden und Teilöffentlichkeiten, die sogenannten Echokammern, bilden, in denen sie ihre Meinungen und Weltansichten gegenseitig verstärken. In diesen Echokammern herrscht ein einseitiger Konsum von Inhalten. (Vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2021: 30) Die Auswirkungen auf die Demokratie könnten eine schwächere Auseinandersetzung mit gegenteiligen Meinungen, eine Fragmentierung der digitalen Öffentlichkeit und eine gefährliche Polarisierung der Gesellschaft sein. (Vgl. Saurwein et. al. 2022: 247f.) Die Forschung zeigt jedoch zunehmend, dass das Phänomen der Echokammern hauptsächlich Nutzerinnen und Nutzer mit bereits extremen politischen Ansichten betrifft (vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2021: 30). Trotz der Erkenntnis über das Phänomen der Echokammern sollte es nicht dazu führen, die Einflussmacht der Plattformen auf die Wahrnehmung der Welt seitens der Nutzerinnen und Nutzer zu vernachlässigen (vgl. Saurwein et. al. 2022: 248). Denn der Einsatz von Algorithmen bietet dennoch die Möglichkeit von Verstärkungseffekten, Manipulation und Machtasymmetrien. Diese Faktoren können auch Risiken für die digitale Öffentlichkeit und Demokratie darstellen. (Vgl. ebd.: 252f.)
Bei der Analyse der Herausforderungen der Digitalisierung und sozialer Medien auf die liberale Demokratie wird ersichtlich, dass zahlreiche Herausforderungen in Konflikt mit den zentralen Eigenschaften der liberalen Demokratie stehen. Zudem lässt sich feststellen, dass viele dieser Herausforderungen nicht isoliert auf einzelne Merkmale beschränkt sind, sondern sich auch übergreifend auf andere Merkmale erstrecken können. Die potenziellen Risiken, die aus der Digitalisierung und den Sozialen Medien resultieren können, sind dabei deutlich hervorgetreten. Durch die veränderte Kommunikationsweise und der sich wandelnde Tonfall entstehen die beschriebenen Herausforderungen für die digitale demokratische Öffentlichkeit. Dies führt nicht nur dazu, dass die gemäßigte politische Mehrheit sowie sensible Gruppen und Individuen von politischem Engagement und Partizipation eingeschüchtert werden, sondern es begünstigt auch extreme politische Ansichten und verstärkt mögliche Fragmentierung und Polarisierung. Diese Entwicklungen haben negative Auswirkungen auf die demokratischen Prinzipien (Vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2021: 33) Auf welche Weise kann die Resilienz der Demokratie in Hinblick auf diese neuartigen Herausforderungen gestärkt werden, so dass die positiven Auswirkungen überwiegen?
3 Ansätze zur Stärkung der Resilienz der Demokratie in der digitalen Welt
„Resilienz bezeichnet die Fähigkeit eines Systems (einer Person, Organisation oder Gesellschaft) mit Störungen und Veränderungen konstruktiv umzugehen.“ (Saurugg o.J.: zugegriffen am 09.08.2023) Innerhalb der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften wird der Begriff „Resilienz“ primär als die Kapazität eines Systems verstanden, sich gegenüber Veränderungen und den potenziellen Gefahren, die aus diesen Veränderungen resultieren, zu behaupten. Dies schließt die zeitnahe Identifizierung dieser Veränderungen sowie eine effektive Anpassung an sie ein. (Vgl. Saurugg o.J.: zugegriffen am 09.08.2023) Zur Förderung der Resilienz der Demokratie im Kontext der digitalen Welt existieren unterschiedliche Ansatzpunkte. Im Folgenden Kapitel werden einige mögliche Ansätze erläutert.
Ein offensichtlicher und dennoch bedeutsamer Faktor ist die Medienkompetenz. Es steht außer Frage, dass der Begriff „Medienkompetenz“ in jüngster Zeit recht häufig und umfassend verwendet wurde. Trotzdem scheint es, dass viele, die diesen Begriff verwenden, nur eine oberflächliche Vorstellung darüber haben, was genau darunter zu verstehen ist. Medienkompetenz erstreckt sich in der wissenschaftlichen Debatte nicht nur auf die technischen Fähigkeiten. Vielmehr umfasst sie ein Spektrum intellektueller, emotionaler und handlungsbezogener Fertigkeiten, die von einem medienkompetenten Individuum erwartet werden. Diese Fertigkeiten umfassen das Lesen und Verstehen von Texten, ein technisches Verständnis, die Kenntnisse über ökonomische und rechtliche Medienstrukturen, sowie die Kompetenz zur kritischen Beurteilung der eigenen Online-Präsenz. Das Ziel ist die Entwicklung eines selbstständigen und mündigen digitalen Bürgers, der die Vorzüge der digitalen Gesellschaft nutzen und zugleich die dazugehörigen Risiken kennt. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ist eine gezielte Förderung der Medienkompetenz wichtig. Die Politik kann hier durch Bildung, Weiterbildung, Sensibilisierung und Aufklärung in allen Altersklassen die Grundlagen für eine solide Medienkompetenz in der digitalen Öffentlichkeit verbessern. (Vgl. Özoguz 2011: 31-35)
Zusätzlich zur Förderung von Medienkompetenzen bedarf es der Schaffung angemessener institutioneller Rahmenbedingungen für eine digital geprägte Gesellschaft aufgrund der hohen Bedeutung der Plattformen für die demokratische Öffentlichkeit. Ein Schritt könnte darin bestehen, stärkere Regulierungen für Social Media Plattformen und den algorithmischen Entscheidungsprozessen (z.B. Kuratierung) zu etablieren. Durch rechtliche und praktische Vorgaben kann die Verantwortung dieser wichtigen Demokratieinfrastrukturen verstärkt werden. Diese Vorgaben sollten auf europäischer Ebene festgelegt werden, um ihre Effektivität zu maximieren und eine Fragmentierung durch unterschiedliche Rechtsgrundlagen zu vermeiden. Ein mögliches Beispiel bzw. Konzept hierfür wäre die Verpflichtung der Plattformbetreiber, ein Gremium zu etablieren, welches in allen wichtigen Prozessen der Kuratierung eingebunden wird. Dieses Gremium wird von der Plattform finanziert, besteht aber aus unabhängigen und gemischten Mitgliedern (staatliche, zivilgesellschaftliche und NutzerInnen). Darüber hinaus sollten Plattformen dazu angehalten werden, Informationen über die Struktur der Plattform und die Leitlinien der Kuratierung transparent darzulegen. (Vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2021: 46f.)
Transparenz, Verantwortlichkeit und innovative Ansätze sind von wesentlicher Bedeutung im Kampf gegen die Veröffentlichung von Fehlinformationen, die Nutzung von Social Bots und die Bildung von Echokammern. Angesichts der neuen digitalen Öffentlichkeit steht der Qualitätsjournalismus vor erheblichen Herausforderungen. Ein qualitativ hochwertiger Journalismus zeichnet sich jedoch durch Prinzipien wie Transparenz, kritische Analyse, konstruktive Berichterstattung und Verantwortung aus. Es ist entscheidend, diesen Journalismus zu unterstützen und näher an die Menschen heranzuführen. Gleichzeitig sollten die Potenziale der Digitalisierung verstärkt genutzt werden, um die Beteiligung der Zivilgesellschaft und einzelner Personen an politischen Prozessen zu fördern und ihnen so ein hautnahes Erleben der Demokratie zu ermöglichen. (Vgl. ebd.: 55ff.)
Ein wesentlicher Aspekt zur Stärkung der Resilienz der Demokratie besteht darin, zu erkennen, dass die Digitalisierung unaufhaltsam ist und unsere Zukunft weitestgehend prägend wird. Die demokratische Ausgestaltung dieser Entwicklung hängt aber von gegenwärtigen Entscheidungen ab. In der Einleitung hieß es, dass die Demokratie kein statisches Konzept ist und sich weiterentwickeln kann. Aus diesem Grund ist eine Neugestaltung der Demokratie, die dem digitalen Zeitalter entspricht, realisierbar. Die entscheidenden Faktoren sind der politische bzw. gesellschaftliche Wille und die demokratische Innovationskraft. Es ist an der Zeit demokratische Experimente zu wagen und eine neue Form der Demokratie zu etablieren. (Vgl. Boehme-Neßler 2018: 140)
4 Fazit
In dieser Hausarbeit sollten die Auswirkungen der Digitalisierung für die Demokratie untersucht werden. Die Forschungsfrage lautet: Stellt die Digitalisierung eine Gefahr für die Demokratie dar? Die vorliegende Analyse sollte die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Demokratie untersuchen, als auch die Chancen und Risiken dieser Entwicklungen aufdecken. Ziel der Arbeit war es keine schwarz-weis Kategorien zu schaffen, sondern für die Notwendigkeit für einer intensiveren Auseinandersetzung auf politischer und gesellschaftlicher Ebene zu sensibilisieren. Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden zunächst zentrale Merkmale der liberalen Demokratie herausgearbeitet, gefolgt von einer Analyse über die Funktion der Medien innerhalb des demokratischen Rahmens. Anschließend wurden die Auswirkungen der Digitalisierung und der sozialen Medien auf dieses Verhältnis beleuchtet. Es wurde festgestellt, dass Wahlen ein wertvolles Instrument der Demokratie darstellen. Ein wichtiges Prinzip bei Wahlen besteht darin, dass sie frei von Einfluss dritter sein sollen. Ein weiteres bedeutendes Instrument der demokratischen Struktur ist die Öffentlichkeit – ein Raum, der den Austausch von Ansichten und Meinungen ermöglichen soll. Die Hauptverantwortung der Medien liegt in der Gestaltung dieses öffentlichen Raums, indem sie durch Kommunikations- und Kontrollfunktionen als Vermittler zwischen der Gesellschaft und der politischen Führung agieren. Damit in einer liberalen Demokratie wichtige Instrumente wie die Wahlen und die Öffentlichkeit funktionieren, müssen gewisse Eigenschaften erfüllt sein: Informationsqualität, Diskursqualität, Gleichheit, Freiheit, Vielfalt, Verteilung von Macht, Integration, Kritik und Kontrolle. Diese Eigenschaften machen den Wert bzw. die Qualität einer Demokratie aus. Die klassischen Medien haben bei der Gestaltung der Öffentlichkeit eine bedeutende Rolle gespielt. Allerdings haben die Fortschritte in der Digitalisierung und im Internet diese Strukturen verändert. Vor allem die sozialen Medien haben die Art und Weise der Kommunikation und Informationsbeschaffung wesentlich verändert. Infolgedessen hat sich der Begriff der digitalen demokratischen Öffentlichkeit etabliert. Die Auswirkungen der neuen digitalen demokratischen Öffentlichkeit auf die Demokratie können sowohl positiver als auch negativer Natur sein. Es steht aber außer Frage, dass diese Auswirkungen vorhanden sind.
Es wurde festgestellt, dass die Digitalisierung und digitale Medien beträchtliches Potenzial haben. Zu den Vorteilen gehören die schnelle, zeitlose und ortsunabhängige Verbreitung von Informationen sowie die Möglichkeit, dass jeder seine Meinung äußern kann, was die demokratische Vielfalt in der Meinungsbildung erhöht. Soziale Medien bieten darüber hinaus Gelegenheiten für direkte Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern. Im Fokus der Chancen für die Demokratie stehen insbesondere die Möglichkeiten einer verbesserten Partizipation, sodass die Bürgerinnen und Bürger intensiver in politische Prozesse einbezogen werden können. Nicht zuletzt eröffnet die Digitalisierung auch die Möglichkeit einer gesteigerten Transparenz politischer und parlamentarischer Prozesse mithilfe von Open Data. All diese Chancen könne sich positiv auf die neue digitale demokratische Öffentlichkeit auswirken und die Demokratie insgesamt stärken. Die potenziellen Gefahren, die durch die Digitalisierung und Soziale Medien für die Demokratie entstehen können, sollten jedoch nicht vernachlässigt werden. Phänomene wie Fake News, Hate Speech, Social Bots, der Chilling-Effekt sowie die Auswirkungen von Algorithmen und Kuratierung stellen die neue digitale demokratische Öffentlichkeit und auch Wahlen vor erhebliche Herausforderungen. Die Analyse dieser Herausforderungen verdeutlicht, dass viele von ihnen im Widerspruch zu den zentralen Eigenschaften der liberalen Demokratie stehen können, extremistische politische Ansichten begünstigen und eine verstärkte Polarisierung und Fragmentierung der Gesellschaft bewirken könnten.
Für die Beantwortung der Forschungsfrage lässt sich also folgendes festhalten: Ziel der Arbeit war es nicht eine konkrete Antwort zu geben, sondern für die Wichtigkeit dieses Themas zu sensibilisieren und eine Schwarz-Weiß Malerei zu vermeiden. Wie zu Beginn der Arbeit erwähnt, bringen Krisen Veränderungen mit sich, die nicht zwangsläufig negativ sein müssen. In der Digitalisierung und der Nutzung der sozialen Medien liegt eine ebenso bedeutende Ambiguität, der die Demokratie ausgesetzt ist. Einerseits lässt sich eindeutig erkennen, dass die Digitalisierung potenzielle Gefahren für die Demokratie mit sich bringt, während andererseits die These verfolgt werden kann, dass die Demokratie durch die Digitalisierung nicht gefährdet wird. Dieser scheinbare Gegensatz findet jedoch seine Begründung im umfassenden Wandel, den die Digitalisierung und die Nutzung Sozialer Medien in der Gesellschaft bewirkt. Veränderungen dieser Tragweite haben zwangsläufig sowohl positive als auch negative Auswirkungen. Die Kunst liegt darin, diese Veränderungen frühzeitig zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Das zeichnet eine resiliente Demokratie und Gesellschaft aus. Hierbei ist aber nicht nur die Politik gefragt, sondern auch jeder individuell als Teil der Gesellschaft.
——————–
Literaturverzeichnis
- Assion, Simon (2014): Chilling Effects und Überwachung, online im Internet: https://www.telemedicus.info/chilling-effects-und-ueberwachung/, 26.11.2014, (zugegriffen am 08.08.2023).
- Ballhaus, Werner (2017): Social Bots: Gefahr für die Demokratie?, Pricewaterhouse Coopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC), https://www.pwc.de/de/technologie-medien-und-telekommunikation/social-bots-gefahr-fuer-die-demokratie.pdf.
- Beaufort, Maren Birgit Marina (2020): Medien in der Demokratie – Demokratie in den Medien, Hamburg, Dissertation zur Erlangung der Würde der Doktorin der Philosophie (Dr. phil) der Fakultät für Geisteswissenschaften, Fachbereich Sprache, Literatur und Medien der Universität Hamburg.
- Boden, Cindy (2021): Was ist Hate Speech? Definition, Formen, Betroffene, online im Internet: https://www.merkur.de/politik/hate-speech-hassrede-netz-definition-formen-beleidigung-gruppen-gesetz-or-zr-90788480.html, 27.07.2021, (zugegriffen am 07.08.2023).
- Boehme-Neßler, Volker (2018): Das Ende der Demokratie? Effekte der Digitalisierung aus rechtlicher, politischer und psychologischer Sicht, Berlin, Springer.
- Bogner, Alexander/ Nentwich, Michael/ Scherz, Constanze/ Decker, Michael (2022): Technikfolgenabschatzung und die Zukunft der Demokratie – ein Überblick, in: Bogner,
- Alexander/ Nentwich, Michael/ Scherz, Constanze/ Decker, Michael (Hrsg.): Digitalisierung und die Zukunft der Demokratie. Beiträge aus der Technikfolgenabschätzung, Baden-Baden, Nomos Verlagsgesellschaft, S.9-20.
- Diehl, Paula (2016): Die Krise der repräsentativen Demokratie verstehen. Ein Beitrag der politischen Theorie, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 26. Jg., Heft 3, S. 327-333.
- Emmer, Martin/ Leißner, Laura/ Porten-Cheé, Pablo/ Schaetz, Nadja/ Strippel, Christian (2020): Weizenbaum Report. Politische Partizipation in Deutschland 2019, Berlin, Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft – Das Deutsche Internet-Institut.
- Fraser, Nancy (2008): Die Transnationalisierung der Öffentlichkeit. Legitimität und Effektivität der öffentlichen Meinung in einer postwestfälischen Welt, in: Dorer, Johanna/ Geiger, Brigitte/ Köpl, Regina (Hrsg.): Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 18-34.
- Geschke, Daniel/ Klaßen, Anja/ Quent, Matthias, Richter, Christoph (2019): #Hass im Netz: Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie. Eine Bundesweite repräsentative Untersuchung, Berlin, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ).
- Hidalgo, Oliver (2019): Digitalisierung, Internet und Demokratie – Theoretische und politische Verarbeitungen eines ambivalenten Feldes, in: Neue Politische Literatur. Berichte aus Geschichts- und Politikwissenschaft, 65. Bd., Heft 1, S. 77-106.
- Hintz, Arne (2017): Zwischen Transparenz, Informationskontrolle und politischer Kampagne: WikiLeaks und die Rolle des Leaks-Journalismus, in: Gapski, Harald/ Oberle, Monika/ Staufer, Walter (Hrsg.): Medienkompetenz. Herausforderung für die politische Bildung und Medienbildung, Bonn, Bundeszentrale für politische Bildung, S. 82-91.
- Holoubek, Michael/Kassai, Klaus/Traimer, Matthias (2006). Grundzüge des Rechts der Massenmedien, Wiesbaden, Springer.
- Klingbeil, Lars (2011): Digitale Öffentlichkeit – die Öffentlichkeit der digitalen Gesellschaft, in: Kretschmer, Birthe/ Werner, Frederic (Hrsg.): Die digitale Öffentlichkeit. Wie das Internet unsere Demokratie verändert, Hamburg, Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 9-16.
- Kneuer, Marianne (2017): Politische Kommunikation und digitale Medien in der Demokratie, in: Gapski, Harald/ Oberle, Monika/ Staufer, Walter (Hrsg.): Medienkompetenz. Herausforderung für die politische Bildung und Medienbildung, Bonn, Bundeszentrale für politische Bildung, S. 43-52.
- Kreutzer, Ralf T. (2014): Corporate Reputation Management und die sozialen Medien, in: Kreutzer, Ralf T. (Hrsg.): Corporate Reputation Management in den sozialen Medien, Wiesbaden, Springer, S. 1-10.
- Lecointe, Jonas Aaron (2021): Demokratie und Öffentlichkeit im digitalen Wandel, in: Kleine, Holger (Hrsg.): Die Salons der Republik. Räume für Debatten, Berlin, JOVIS Verlag GmbH, S. 139-145.
- Lorenz-Spreen, Philipp/ Oswald, Lisa/ Lewandowsky, Stephan/ Hertwig, Ralph (2022): A systematic review of worldwide casual and correlational evidence on digital media and democracy, in: Nature Human Behavior, 7. Jg., S. 74-101.
- Luhmann, Niklas (1974): Öffentliche Meinung, in: Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg.): Zur Theorie der politischen Kommunikation, München, Piper, S. 27-54.
- Merkel, Wolfgang (2015): Die Herausforderung der Demokratie, in: Merkel, Wolfgang (Hrsg.): Demokratie und Krise. Zum schwierigen Verhältnis von Theorie und Empirie, Wiesbaden, Springer VS, S. 7-44.
- Mondal, Mainack/ Silva, Leandro Araújo / Benevenuto, Fabrício. (2017): A measurement study of hate speech in social media, in: Proceedings of the 28th ACM Conference on Hypertext and Social Media, Prague, Association for Computing Machinery, S. 85–94.
- Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina/ Union der deutschen Akademien der Wissenschaften/ acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (2021): Stellungnahme „Digitalisierung und Demokratie“. Halle (Saale).
- Neuberger, Christoph (2022): Digitale Öffentlichkeit und liberale Demokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Digitale Gesellschaft, 72. Jg., Heft 10-11, S. 18-25.
- Neuberger, Christoph/ Thiel, Thorsten (2022): Demokratie und Digitalisierung, Berlin, Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft und Berliner Landeszentrale für politische Bildung.
- Oswald, Lisa (2022): Fluch und Segen: Studie untersucht Zusammenhang zwischen digitalen Medien und Demokratien, online im Internet: https://www.delorscentre.eu/de/publications/chart-of-the-week/detail/content/fluch-und-segen-studie-untersucht-zusammenhang-zwischen-digitalen-medien-und-demokratien, 07.11.2022, (zugegriffen am 05.08.2023).
- Özoguz, Aydan (2011): Medienkompetenz – Herausforderung in der digitalen Gesellschaft, in: Kretschmer, Birthe/ Werner, Frederic (Hrsg.): Die digitale Öffentlichkeit. Wie das Internet unsere Demokratie verändert, Hamburg, Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 31-36.
- Persily, Nathaniel (2017): Can Democracy Survive the Internet?, in: Journal of Democracy. The 2016 U.S. Election, 28 Jg., Heft 2, S. 63-76.
- Russ-Mohl, Stephan (2017): Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde. Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet, Köln, Herbert von Halem Verlag.
- Sarcinelli, Ulrich (2011): Politische Kommunikation in Deutschland. Medien und Politikvermittlung im demokratischen System, 3. Auflage, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften.
- Saurugg, Herbert (o.J.): Resilienz, Anpassung und Robustheit, online im Internet: https://www.saurugg.net/hintergrundthemen/resilienz-und-anpassung, o.J., (zugegriffen am 09.08.2023.
- Saurwein, Florian/ Spencer-Smith, Charlotte/ Krieger-Lamina, Jaro (2022): Social-Media Algorithmen als Gefahr für Öffentlichkeit und Demokratie: Anwendungen, Risikoassemblagen und Verantwortungszuschreibung, in: Bogner, Alexander/ Decker, michael/ Nentwich, Michael/ Scherz Constanze (Hrsg.): Digitalisierung und die Zukunft der Demokratie. Beiträge aus der Technikfolgenabschätzung, 24 Bd., Baden-Baden, Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. Kg, S. 243-256.
- Schulz, Winfried (2011): Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung, 3. Auflage, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften.
- Thiel, Thorsten (2018): Digitalisierung: Gefahr für die Demokratie? Ein Essay, in: Politikum. Analysen, Kontroversen, Bildung. Smart Democracy, 4. Jg., Heft 3, 50-55.
- Ur Rehman, Ikhlaq (2019): Facebook-Cambridge Analytica data harvesting: What you need to know, Library Philosophy and Practice (e-journal).
- Voss, Jens (2022): Neue Studie: Gefährden digitale Medien die Demokratie?, online im Internet: https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2022/12/neue-studie-gefaehrden-digitale-medien-die-demokratie, 19. Dezember 2022, (zugegriffen am 27.07.2023).
- Voss, Kathrin (2011): Demokratische Beteiligung per Web, in: Kretschmer, Birthe/ Werner, Frederic (Hrsg.): Die digitale Öffentlichkeit. Wie das Internet unsere Demokratie verändert, Hamburg, Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 37-44.
Digitalisierung, Digitalisierung und Demokratieentwicklung, Fake News, Social Medias