Fridays for future: Sanktionen als politische Reaktion?
Eigentlich sind zu den SchülerInnen-Demonstrationen, die bundesweit im Rahmen der „Fridays-for-future-Bewegung“ seit einigen Wochen stattfinden, bereits alle Meinungen gehört worden. In den Reihen der Befürworter klingt durchgehend Verständnis für eine heranwachsende Generation durch, die sich angesichts einer beängstigenden Zukunft Gehör verschaffen, in der unsere globalen und regionalen Lebensräume infolge der sich bereits abzeichnenden Klimakatastrophen immer wieder durch Stürme und Überschwemmungen auf´s Neue, jederzeit und von jetzt auf gleich, zerstört werden können oder infolge des steigenden Meeresspiegels und zunehmender Dürreperioden in einem sukzessiven Prozess unbewohnbar werden.
Selbst die KritikerInnen der Schüler-Streiks betonen ihr Verständnis für das Ansinnen der jungen Menschen. Allerdings bereiten ihnen offenkundig die Folgen der klimatischen Veränderungen weniger Sorgen als die Tatsache, dass hier jede Woche mehrere Tausend SchülerInnen gegen ihre Schulpflicht verstoßen, wie beispielsweise der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, die NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) sowie die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer oder der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, der den SchülerInnen zudem die Kompetenz absprach, derer es bedarf, um den Klimawandel zu verstehen.
Angesichts insbesondere seiner Äußerungen ist es schwierig, die sich unweigerlich aufdrängende Frage zurückzuhalten, ob unsere PolitikerInnen denn den Klimawandel wirklich verstanden haben, wenn sie immer noch nicht zu realisieren scheinen, dass die Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes auf den politischen Agenden absolute Priorität erhalten müssen? Die Signalwirkung der jüngsten politischen Statements zu umweltpolitischen Belangen lässt vielen Menschen nur noch wenig Raum für die Hoffnung, dass unsere ParlamentarierInnen rechtzeitige und angemessene Strategien und Gesetze veranlassen, die der unmittelbar vor der Tür stehenden Probleme noch Herr werden könnten.
Immer mehr BürgerInnen schütteln resigniert ihren Kopf angesichts des eher beiläufig unterbreiteten Eingeständnisses der Bundesregierung 2018, wonach Deutschland seine Klimaziele für das Jahr 2020 halt verfehlen wird oder angesichts des weitgehend unbeirrten Festhaltens der NRW-Landesregierung an der politischen Unterstützung der RWE-Pläne, Garzweiler weiter für den Kohleabbau auszubauen. Kopfschütteln löste insbesondere auch die damit verbundene öffentliche Verunglimpfung und polizeiliche Drangsalierung der Hambacher Umwelt-AktivistInnen aus. Nicht mehr nachvollziehbar scheint den Menschen das Ansinnen der Verkehrsminister, im Zusammenhang mit den Diesel-Fahrverboten die Grenzwerte für Stickoxide „nachzubessern“ und höhere Grenzwerte zuzulassen, statt die Automobilindustrie mehr in die Verantwortung zu nehmen und sich endlich mit neuen Verkehrskonzepten zu befassen, die noch andere Antworten bereithält als die reine Umstellung auf E-Mobilität, die aus energiepolitischer Perspektive weitere Probleme nach sich ziehen wird.
Die Hilflosigkeit und politische Starrheit der Bundes- und Landesregierung ist allerdings vielleicht auch nachvollziehbar. Effektive Klimaschutz- und Umweltpolitik kollidiert bekannter Weise in vielen Teilbereichen mit den Zielen und Bedarfen der klassischen Industriezweige, die immer noch eine zentrale Bedeutung für den Arbeitsmarkt und den Wirtschaftsstandort Deutschland haben. Aber effektiver Klima- und Umweltschutz kollidiert auch mit den Konsumgewohnheiten potenzieller WählerInnen, von denen sich immer noch ein erheblicher Teil politisch nicht vorschreiben lassen möchte, mit welchem Transportmittel er unterwegs ist, wieviel Paketdienste täglich für ihn mobilisiert werden, wie oft er fliegt, wie klimaschädlich er sich ernährt oder wieviel Energie für seinen Lebensstil erzeugt werden muss.
Wirtschaftlicher Lobbyismus und die Angst vor Wählerverlusten erweisen sich nicht selten als Politik-lähmende Schraubzwingen. Und gerade mit Blick auf die begründete Sorge vieler Politiker, durch unpopuläre Klima- und Umweltschutzgesetze potenzielle WählerInnen zu verprellen und an die rechtspopulistischen Parteien zu verlieren, könnten die Fridays-for-future-Demonstrationen als Chance begriffen werden, mit ihrer Hilfe die gesellschaftliche Akzeptanz für tiefgreifendere, effektivere Klima- und Umweltschutzgesetze und –strategien zu erhöhen. Denn im Zuge der Demonstrationen findet nun endlich in der Mitte der Gesellschaft bzw. in den Familien und Jugendgruppen das statt, was Schule und Politik bis dato nicht haben auslösen können, nämlich ein breiter Diskurs und vielleicht sogar ein multiplikativer Effekt in Richtung nachhaltige Transformationsgesellschaft. SchülerInnen diskutieren untereinander, rechtfertigen ihre Fehlstunden vor ihren Lehrern und vor ihren Eltern, tragen den Impuls, über die familiären Beitrag zum Klima- und Umweltschutz nachzudenken, in die Familien hinein, mit dem Erfolg, dass viele Eltern sich mittlerweile der Protestbewegung angeschlossen haben.
Angesichts dieses Schüler-Engagements könnte man durchaus mit Stolz konstatieren, dass der im Schulgesetz verankerte Bildungsauftrag, wonach bei Schülern die Bereitschaft zu sozialem Handeln und politischer Verantwortlichkeit geweckt werden soll, endlich Früchte zu tragen beginnt. Die SchülerInnen gehen immerhin nicht für egoistische Lifestyle-Forderungen auf die Straße sondern für nichts Geringeres als den Erhalt unserer Lebenssysteme.
Doch stattdessen beißen sich die Ministerien an der Schulpflichtfrage fest. Dabei riskieren sie einen Keil in die Familien jener SchülerInnen zu treiben, in denen die Eltern aus Sorge um die Schulkarriere ihrer Kinder deren Teilnahme an den Protesten unterbinden und ihnen damit nicht zuletzt ein demokratiefeindliches Bild von staatlicher Macht mit auf den Lebensweg geben, das unter´m Strich besagt, sich für seine Visionen besser nicht aus dem Fenster zu lehnen.
Auch muss die Frage erlaubt sein, ob jene PolitikerInnen, die auf die konsequente Umsetzung der Schulpflicht beharren wollen, die Konsequenzen dieser formalen Beharrlichkeit auch wirklich in seiner ganzen Tragweite überdacht haben?! Wollen sie tatsächlich das volle Sanktionsprogramm gegen die vermeintlichen „Schulverweigerer“ anwenden, bis hin zur regelmäßigen polizeilichen Rückführung der DemonstrantInnen zu ihrem Freitagsunterricht oder bis hin zu tausendfacher Erteilung von Schulverweisen? Und wenn ja, was für eine Signalwirkung hätte das im Hinblick auf die politischen Beteuerungen, künftig auf mehr Partizipation zu setzen?
Partizipation setzt voraus, dass die Menschen mit ihrem Anliegen gehört werden bzw. sich Gehör verschaffen. SchülerInnen, die außerhalb ihrer Schulzeiten demonstrieren, haben kaum eine Chance in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Deswegen organisieren Gewerkschaften Streiks nicht an arbeitsfreien Wochenenden.
Ein ehrlich gemeintes Angebot, mehr Partizipation bzw. mehr direkte Demokratie zu wagen, impliziert im ersten Schritt auch Dialogbereitschaft. Es wäre wünschenswert, wenn die derzeitigen politischen VerantwortungsträgerInnen die Proteste ernstnehmen und vor allem als Dialog-Chance für eine partizpative Zukunftsgestaltung – aus der Mitte der Gesellschaft heraus – annehmen könnten.