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„Es wird schöner als je zuvor…“ Betrachtungen zum Klimachaos

ra Im Jahre 2002 überfluteten Wassermassen die sächsische Stadt Grimma, die quasi zu einer Geisterstadt entkernt wurde. Das Wasser der Mulde erreichte eine Höhe von 3,50 m und hinterließ Schlamm und Müll sowie Häuser, die zu Rohbauten zurückentwickelt worden waren. Auch 2013 wurde die Stadt nahe Leipzig von Hochwasser überflutet. Ein Rückblick auf die folgende Schadensbehebung verführte die FAZ zu einem Artikel mit der hoffnungsvollen Überschrift: „Es wird schöner als je zuvor.“[1]

Die Schäden beliefen sich auf 230 Mio. Euro im Jahr 2002 und 170 Mio. Euro im Jahr 2013. Laut Bürgermeister Matthias Berger erfolgten die zugesagten Zahlungen von Bund und Land in erhofftem Maße. Der Wiederaufbau dauerte zwar länger als gedacht, doch zog die Verwaltung Konsequenzen für zukünftige Katastrophenfälle. Im Jahre 2007 begann der Bau einer Hochwasserschutzanlage bis zu 4,5 Meter in der Höhe und 12 Meter in die Tiefe. Diese Anlage wurde 2019 fertiggestellt. Die letzte Maßnahme zur Beseitigung der Schäden erfolgte mit dem Neubau einer Brücke über die Elbe, die jetzt nach HQ100 durchflussfähig ist.[2]

Wie gut, dass im Wirtschaftsteil der FAZ den Menschen, die aktuell in NRW, der Pfalz und in Bayern von der Hochwasserkatastrophe betroffen sind, Mut gemacht wird. Wie gut auch, dass der Kanzlerkandidat der CDU in Bad Münstereifel vor den Kameras verlauten ließ: „Ich will alles dafür tun, dass Bad Münstereifel schöner wird, als es vorher war.“ [3]

Begonnen werden sollte jedoch zunächst mit einer Revision der Mathematik. Ein Jahrhundertereignis steht für 1 Ereignis alle 100 Jahre. Zwischen 2002 und 2013, den Überschwemmungen in Grimma, liegen aber gerade 11 Jahre, zwischen der 2002 in Grimma und den jetzigen Ereignissen stehen 19 Jahre. Gut, das Jahrhundert fällt regional anders aus, und nicht jedes Ereignis fällt in diese Kategorie, schließlich wird sie von Menschen kreiert. Leider fallen ähnliche Ereignisse zeitgleich an anderen Orten ähnlich dramtatisch aus. So erreicht mich beim Schreiben dieser Zeilen die Nachricht von Überschwemmungen in der Millionenmetropole Zhengzhou in China, gleichzeitig signalisiert der NTV-Ticker Waldbrände in Kanada, deren Rauchschwaden inzwischen New York erreichen. Aber Waldbrände in Kanada, California und Australien sind keine Jahrhundertereignisse, sondern jährliche Wiederkehrungen, deren Schadensbehebung freilich 100 Jahre übersteigen dürfte.

Immerhin zeigen die Ereignisse von der Dringlichkeit, unsere Regionen gegen die Folgen des Klimawandels zu schützen und – ja auch das – dem Klimawandel zu bekämpfen! Die Politik hat ein neues Wahlkampfthema, vielleicht sogar bis zum 26. September! Zwar müssen alle Maßnahmen, die in ferner Zukunft zu treffen sein werden, sozial verträglich ausfallen, sie dürfen zudem keine Arbeitsplätze gefährden, die Wirtschaft muss konkurrenzfähig bleiben, der Wohlstand sollte keine Einbußen erleiden, und überhaupt trägt die BRD global gesehen nur mit 2 % zum Klimawandel bei.

Das Konzept[4] – grob umschrieben- steht. Der Markt reguliert den CO2 – Verbrauch über den Zertifikate-Handel, ein FDP Lieblingsthema, das Elektroauto kommt, zwar ohne benötigte Anzahl von Ladestationen und ohne Kenntnis, woher der benötigte grüne Strom kommen solle, aber es kommt! Der Wald, durch Borkenkäfer zerstört, wird wieder aufgeforstet, die Technik ermöglicht Einsparungen, Resilienz und Zukunftsfähigkeit bei bleibenden Wachstumsvorstellungen. Wir fliegen demnächst von Köln nach Düsseldorf mit Wasserstoff und sind schneller als auf den mit E-Autos verstopften Autobahnen! Die Städte werden begrünt, vertikal und horizontal, das schönste Haus bekommt einen Preis, wahrscheinlich eine Kreuzfahrt mit veganem Essen!

Nach all diesen durchaus „ermutigenden“ FAZ-Beiträgen im Wirtschaftsteil dürfte der Leser des an jedem Dienstag erscheinenden Wissenschaftsbeiblattes jedoch wieder entmutigt werden. [5] David Moreno-Mateos, Professor von der Harvard Graduate School of Design beschäftigt sich seit langem mit der Regeneration komplexer Ökosysteme. Er stellte bei seinen Untersuchungen ein sogenanntes Erholungsdefizit fest, d.h. dass die Erholung des Ökosystems hinter dem Ausgangszustand zurückbleibt. „Bei der Anzahl der Organismen lag das Defizit bei knapp fünfzig Prozent, bei der Artenvielfalt bei rund dreißig Prozent und beim Kohlenstoff – und Stickstoffkreislauf bei jeweils dreißig bis vierzig Prozent.“[6]

Die Untersuchungen des Landschaftsarchitekts interessierten mich, deshalb suchte und fand ich weiterführende Ausführungen im Internet, [7]  beide aus dem Jahr 2020. Aktueller Anlass waren damals die verheerenden Waldbrände in Australien. In New South Wales wüteten sie sechs Monate lang, vernichteten 27 Mio. acres[8] Wald, 1 Milliarde Tiere wurden Opfer der Flammen, insgesamt 20% des gesamten Waldes Australiens waren betroffen. Ähnliche Brandkatastrophen ereigneten sich in California und auf den Philippinen. Moreno–Mateos formuliert eine These, die sich auf die Reaktion solcher Naturkatastrophen bezieht:

„Until very recently, the destruction of diverse ecosystems and the vast homogenization of nature under the guise of progress has carried on more or less unprotested. Not simply because of its immediate economic benefit but also because of the idea that scientific and technological advancements can somehow conjure an enhanced ‘hypernature‘ that is fully aligned with our current lifestyle.“[9]

David Moreno-Mateos untersuchte mit seinen StudentInnen Wälder in New England, Süd-West – Grönland und neuerdings auch in Ecuador. Er verglich dabei, wie sich das Ökosystem verhielt bei von Menschenhand betriebener und bei natürlicher Restaurierung. Entscheidend zur Erholung trägt nach seinen Untersuchungen das Zusammenspiel von Mikroben, Pilzen und Pflanzen bei. 80 % der Erdtopographie wird nach Kriterien der Produktivität transformiert und nicht nach den Erfordernissen des Ökosystems. Er erteilt eine klare Absage an Ideen oder Maßnahmen einer „engineered nature“, wie sie von Koolhaas in seiner Ausstellung Countryside im New Yorker Guggenheim Museum vorgestellt wird. Solche Vorstellungen erfreuen sich einer zunehmenden Beliebtheit, so erklärten die Vereinten Nationen das nächste Jahrzehnt als Dekade einer Ökosystem-Restauration. 15 % des Ökosystems sollen demnach bis 2020 restauriert werden.

Im Grunde bieten sich zwei Wege zukünftig zur vermeintlichen Rettung des Ökosystems:

  1. künstlich gestaltete Natur- Restaurierung (engineered nature)
  2. idealtypisch verklärte Rückkehr zur Garten-Eden –Natur

Moreno–Mateos sieht einen dritten Weg:

„Landscape architects designing urban and near-urban areas must make places more diverse and resilient. They must nurture the micro, respect the difference between diversity and efficiency, and embrace ideas that might well run in total contadiction to traditional applications of their discipline.“[10]

Die Biodiversität muss von der vorhandenen Natur aus beachtet werden, und zwar in Reorganisierung der echten Natur. Am Ende dieser Kette stehen die Fleischfresser, also Bären, Wölfe, Luchse. „ Large carnivores (Fleischfresser) essentially serve as ecosystem game masters: they ensure biodiversity by preventing the spread of diseases and invasive species, which helps foster habitat heterogeneity.“[11] Moreno-Mateos schlug mit seinem Team die Wiederangliederung des sibirischen Tigers in den Vororten von Seoul vor. Die Wildtiere würden Schaden an Menschen vornehmen, doch überwögen die positiven Effekte als game masters.

Mögen die Vorschläge von Moreno–Mateos fremdartig klingen, so zeigen seine Untersuchungen doch eins: eine simple Wiederaufforstung oder schlichte vertikale Begrünung alleine werden nicht ausreichen. Die Natur zeigt sich komplexer als die menschliche Vorstellungskraft, also sollte der Mensch so naturgerecht und naturecht wie möglich handeln. Bei allen hier angefügten Texten fällt die Häufigkeit des Begriffes Resilienz auf. Resilienz im Sinne von echter Nachhaltigkeit bedarf keines Ökosystem-Green–Washings, sondern einer – wahrscheinlich schmerzhaften – naturgerechten Anwendungsstrategie. Ohne die Analysen von Moreno-Mateos zu vertiefe, warnt er wahrscheinlich zurecht vor oberflächlichen, technischen Lösungen, die einen grünen Anstrich erhalten und zur Strategie des Wohlstandserhalts des status quo passen. Die Wahrheit sieht wahrscheinlich anders aus, und sie wird in bitteren Katastrophen- Sequenzen über uns hereinbrechen.

   Ein letztes Zitat möge die wahre Herausforderung der Menschheit aufzeigen: „We need to imagine what landscapes will look like in 400 years. Our future ecosystems must be resilient to climate change, biodiverse, self-sustaining, provide ecological services , and last forever.“[12]

[1] Die Überschrift verweist auf die Überschrift „Grimma ist heute schöner als je zuvor“ aus dem Wirtschaftsteil der FAZ vom 21.Juli 2021, S.17

[2] HQ100 steht für ein statistisch alle 100 Jahre eintretendes Hochwasserereignis

[3] siehe FAZ vom 21.Juli 2021, S.2 „Reden zwischen Müll und Schlamm“

[4] Vorsicht, die folgenden Zeilen enthalten Ironie; solche und ähnliche Textverweise sind in Zeiten des Vorwahlkampfes von großer Wichtigkeit

[5] siehe FAZ vom 21.Juli 2021 „So schnell wollen wir dich nicht loswerden; können komplexe Ökosysteme sich regenerieren? Forscher untersuchen den Wiederaufbau zerstörter Natur“

[6] ebenda

[7] einmal : https://www.gsd.harvard.edu/course/ecosystem-restoration-spring-2021/; zudem:

Are We Ready to Restore the Planet?

[8] 1 acre = 4047 m2  

[9] siehe Quelle Anm. 7

[10] ebenda

[11] ebenda

[12] are we  ready to restore the planet? , siehe Anmerkung 7, 2. Verweis