Einfach sein. Von Madeleine Genzsch
Auch in der aktuellen Situation sind wir noch aktiv und unsere Vereinsmitglieder machen sich viele Gedanken rund um das Thema Corona. Ihren Gedanken möchten wir einen Platz auf unserer Website geben.
Einfach sein.
Diese ganz besondere Zeit bringt mich in eine ganz besondere Situation. Sprudelten sonst die Ideen für neue Projekte, Aktionen und Aktivitäten, so scheint meine rührige Schaffenskraft – die von der Idee getragen war die Welt zu retten (oder zumindest sie ein klein wenig zu verbessern) – derzeit in einen Dornröschenschlaf verfallen zu sein. Und doch bin ich nicht untätig….
Einfach sein
Mein Wirkungsradius hat sich nur stark komprimiert: Ich unterstütze meine seniorigen Nachbarn mit dem Einkauf, telefoniere oft mit Menschen die mir am Herzen liegen und gerade viel Zuspruch brauchen, lasse Kontakte aufleben bei denen ich mich schon ewig mal wieder melden wollte, es aber aufgeschoben hatte. Ich lebe meine Kreativität aus, indem ich Gitarre spiele und Mantren für die Welt singe, bastel liebevolle Windlichter aus Gurkengläsern, kreiere Muttertagspralinen mit dem wunderbaren Sohn meines Partners und versuche mit viel Aufmerksamkeit und Zuwendung meine Lieben zu verwöhnen. Wir haben Hochbeete angelegt und freuen uns über die ersten Radieschen, leckere Salate und Spinat aus dem eigenen Garten und schauen begeistert den Erdbeeren beim Wachsen zu. In der Stadt war ich schon ewig nicht mehr, selbst den Besuch im Supermarkt habe ich auf einmal pro Woche reduziert – dafür wird er heute sorgfältig mit Einkaufszettel geplant. Aber vor allem verbringe ich viel Zeit in der Natur und bestaune ihre Vollkommenheit und Schönheit. Das macht mich so demütig, so glücklich und zufrieden und gleichzeitig fühle ich mich so geliebt und in Sicherheit in den Händen dieses großen, intelligenten Organismus Erde.
Einfach sein
Aber ich bin auch durch Momente der Hilflosigkeit gegangen: So viel Mühe und Engagement sind in den vergangenen Jahren in das Thema Nachhaltigkeit, in Demos, Aktionen und konkrete Projekte geflossen. Dann entwickelt dieser Superorganismus Erde ein kleines Virus… und auf einmal sind die Dinge für die wir gekämpft haben möglich. Delphine tummeln sich wieder in Italiens Häfen, das Wasser in Venedig ist klar und voller Fische, die Menschen rennen am Samstag nicht mehr im blinden Konsumwahn durch die Stadt um Dinge zu kaufen, die sie eigentlich nicht brauchen, die Straßen sind frei, der Flugverkehr stark eingeschränkt und die Luft deutlich klarer und sauberer. Die Liste der positiven Nebenwirkungen von Corona ist lang, die Erde atmet auf, denn die Aufmerksamkeit der Menschen ist auf das Wesentliche gerichtet. Da stelle ich mir schon die Frage „Wo ist denn dann meine Aufgabe, wenn es auch ohne mich geht?“.
Als Erkenntnis genieße ich eine (gefühlt) bitter notwendige Zeit der Einkehr. Ich habe das tiefe Bedürfnis zu beobachten, statt zu machen, leisten, zu agieren. Ganz nach dem daoistischen Prinzip WuWei, dass einen Zustand „innerer Stille beschreibt, der zur richtigen Zeit, die richte Handlung ohne Anstrengung des Willens hervortreten lässt“.[1] Ich verbringe viel Zeit mit Reflexion und Kontemplation über die derzeitigen Entwicklungen, schule mich in Rückbesinnung auf das Wesentliche und vertraue ganz auf meine innere Führung. Dies gelingt mir am besten in der Natur, die in der jetzigen Jahreszeit großzügig ihre ganze Fülle vor uns ausbreitet. Auch wenn alles ungewiss ist, fühle ich mich stark und zuversichtlich wie lange nicht mehr. Sicherheit ist eine Illusion, das führt uns die derzeitige Situation vor Augen. Alles ist vergänglich, nichts ist ewig, die Welt unterliegt dem Wandel. Also übe ich mich in Urvertrauen, gebe mich hin, in den Fluss des Lebens und schaue voller Zuversicht auf das was die Zukunft bringen wird. Und ich halte mich bereit nach WuWei wieder im größeren Handlungsradius in Aktion zu treten, sobald der Impuls geboren ist.
[1]Wikipedia – WuWei