Digitalisierung und Bildung
Digitalisierung und Bildung
Am 11.Mai 2018 erschien in der FAZ ein Leserbrief der Klasse 8c des Schiller Gymnasiums Witten. Er richtete sich gegen den digitalskeptischen Kommentar des Lehrers Fabian Geyer, der zuvor in der FAZ abgedruckt war. Die unterschiedlichen Standpunkte zur Bewertung von der Bearbeitung digitaler Texte auf Tablets finden sich in der folgenden Tabelle:
|
Klasse 8c |
Leserbrief einer Lehrerin |
Aufmerksamkeit und Arbeitsweise |
Tablets hilfreich, v.a. im Handling ( Austausch, Ergebnisse per e-mail…) |
Tablets verhindern Kreativität und vertiefendes Verständnis |
Motivation |
Hohe Motivation |
Kaschiert intellektuelle Leistung… Nur spielerischer Reiz |
Lesefähigkeit |
Ohne Unterschied zu Buchform |
Nichterkennen der Schönheit, Ausdrucksstärke und Musikalität von Sprache
|
Elektr. Medien |
Nutzen von You Tube und Wikipedia |
Kein wissenschaftlicher Nutzen… |
Schreibfähigkeit |
Einräumung eines Verlustes, Kompensationsmöglichkeiten |
Verlust der Schreibfähigkeit |
Umweltverbrauch |
Elektr. Medien retten Bäume |
Hoher Energie- und wartungsverbrauch Neg. Kosten-Nutzen-Analyse |
Die damalige Veröffentlichung der verschiedenen Standpunkte zwang den Leser zur persönlichen Stellungnahme. Hier polarisieren zwei Ansichten über Gefahren und / oder möglichen Zugewinn bei der hermeneutischen Textbearbeitung, darüber hinausgehend über die Sinnhaftigkeit des Einsatzes von Tablets. Die jeweiligen Urheber der Leserbriefe lassen schließen, dass es sich auch um einen Generationenkonflikt handelt, also um Sichtweisen von Modernität.
Aber es geht um mehr: die Digitalisierung fließt in unser Alltagsleben weitgehend unreflektiert ein, wird angenommen wie eine Verbesserung von Gebrauchsgegenständen wie Kühlschrank, Automobil oder Fernseher, der Fortschritt läuft automatisch. War das Handy ursprünglich ein Telefon, so ist es jetzt Kamera, Kommunikationsinstrument, Zahlungsmittel, Informationszugang. Eine Auseinandersetzung über die Sinnhaftigkeit dieser Entwicklung, über mögliche Gefahrenmomente, über Einflüsse auf persönliche Verhaltensweisen wie in den Leserbriefen bleibt meistens aus. Allenfalls wird in der Öffentlichkeit über die zunehmende Macht von Konzernen, die die digitalen Medien beherrschen, berichtet, wobei die meiste Kritik an deren Steuergebahren angebracht wird.
In den Bildungseinrichtungen werden für die zukünftige Generationen Weichen gestellt. Veraltete Normvermittlung bedeutet genauso einen Rückschritt wie unreflektierte Akzeptanz vorgegebener Technologien. So wie Medizin auf Nebenwirkungen überprüft und abgewogen wird, so bedarf es auch des Abwägens digitaler Entwicklungen. In unserem Beispiel geht es um die unmittelbare Essenz des Lernens am digitalen Medium. Diese Auseinandersetzung ist positiv zu bewerten, denn sie formuliert von der jeweiligen Seite Empfindungen und zwingt zum Austausch. Andere Herausforderungen bleiben versteckter und dennoch für die zukünftige Entwicklung der nächsten Generation von großer Bedeutung. Folgende Ausführungen benennen Herausforderungen, die Bildung thematisieren muss, weil diese Themen das zukünftige Leben der Jugendlichen berühren wird. Beginnen möchte ich mit der unmittelbar Erfahrbarkeit, wie sie am obigen Beispiel mit dem Tablet-Einsatz bereits dargestellt worden ist.
- Digitalisierung und Demokratisierung
Was passiert eigentlich durch den ungefilterten Zugang von Information mit Jugendlichen? Das digital vermittelte wird als Wahrheit angenommen, die individualisierte Meinung wird in vielfältiger Weise bestätigt und verstärkt. Können noch Abwägung, Toleranz für andere Meinungen und Korrektur bestehender stattfinden?
- Verhaltensregeln
Konsens und Ausgrenzung zeigen sich in extremer, aber nicht seltener Weise im digitalen Mobbing. Ebenfalls beunruhigend zeigt sich die „facebook gefällt-mir“ – Mentalität. Ein Beispiel: viele Jugendliche blieben der Brexit-Abstimmung fern oder schlossen sich der Zustimmungs-Masse unreflektiert an. Nach Bekanntwerden des Ergebnisses schoß die Google-Suche „was passiert eigentlich bei einem Brexit?“ extrem nach oben. Digitalisierung verführt oftmals zu vorschnellen Entschlüssen und Bewertungen ohne Reflexion über deren Folgen.
- Abhängigkeiten und Suchtverhalten
Wie süchtig macht Digitalisierung? Welche alternativen Verhaltensweisen beschränken die neuen Medien? Welche körperlichen und psychischen Symptome zeigen solche Abhängigkeiten? In der Wissenschaft kursiert der Fachbegriff der „negativen Digitalisierung“.
- Zukunft der Schule
Wie soll eine (digitalisierte) Schule in Zukunft aussehen? Digitalisierung wird ein fester Bestandteil schulischen Lebens sein bzw. werden, doch wo sind Grenzen, welche curricularen Veränderungen müssen vorgenommen werden, wie wird Digitalisierung im Unterricht sinnvoll eingesetzt, wo nicht? Diese Auseinandersetzung muss –so wie im Leserbrief im Kleinen vorgeführt – zusammen mit Schülerschaft, Eltern, ErzieherInnen und WissenschaftlerInnen geführt werden.
- Zukunft der Arbeit
Welche Qualifikationen werden in Zukunft benötigt? Welche Arbeitsplätze werden ersetzt, welche neu geschaffen oder zunehmend benötigt? Die Studie von Frey / Osborne verweist auf elementare Veränderungen der Arbeitswelt. Bildung muss gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen und problematisieren. Schule soll natürlich nicht für die Berufswelt parat machen, doch kann die Berufswelt nicht ausgeklammert werden. So kann die zukünftige Arbeitswelt weniger Arbeitszeit benötigen und die zunehmende Freizeit somit die in der Schule geweckten Kulturinteressen verstärkt erlebbar machen. Der Stellenwert dieser musischen Fächer würde demnach steigen und ins curriculare Verständnis einfliessen.
- Versorgungssicherheit
Eine Digitalisierungswelt hängt vom Stromverbrauch ab, doch wie sicher ist eine konstante und ausreichende Verfügbarkeit? Was passiert bei einem black-out? Wie autonom bzw. abhängig gestaltet sich Energieversorgung? Die Wichtigkeit steigt in der Zukunft der selbst fahrenden Autos und der Errichtung von smart cities.
- Ökobilanz
Digitalisierung muss sich mit der Energieversorgung beschäftigen und somit auch mit der nachhaltigen Energiegewinnung. Der Zusammenhang von Klimawandel und digitaler Nutzung wird oftmals verkannt. Einher gehen Fragen der globalen Vernetzung, der Umweltschäden, Biodiversität usw.
- Digitale Währung
Jugendliche bezahlen digital und sind auch offen für neue Varianten wie diems oder amazon-coins. Die Gefahren unabhängiger Geldsysteme für die Sicherheit des Finanzsystems müssen bewußt gemacht werden, nicht umsonst gibt es Bestrebungen von Zentralbanken für die Einführung (gesicherter) eigener Kryptowährungen.
Digitalisierung muss verstärkt in Bildungseinrichtungen thematisiert werden, und zwar fächerübergreifend. Konzepte müssen erarbeitet werden und es muss ein reger Austausch stattfinden zwischen den Betroffenen, auch wenn dieser wie im Beispiel der Leserbriefe kontrovers geführt wird.