Der Hambacher Tagebau und der Partizipationsgedanke
Mit dem Entscheid der Bezirksregierung Arnsberg Ende März diesen Jahres ist die Rodung des Hambacher Forstes beschlossene Sache. Seit 2012 versuchen UmweltaktivistInnen einen der ältesten Waldbestände in Europa, den Hambacher Forst, vor seiner Abholzung zu bewahren. In den Medien hören wir von der militant anmutenden, aggressiven Vorgehensweise der AktivistInnen, die sich gegen die von RWE beauftragten Waldarbeiter, deren Rodungsmaschinen und gegen Polizisten richtet. Aus juristischer Sicht ist die RWE-AG im Recht, wenn sie sich mit Hilfe der Polizei gegen Baum- und Landbesetzer zur Wehr setzt und fortführt, was ihr im letzten Jahrhundert vertraglich zugesichert wurde – die Abholzung des Hambacher Waldes.
Doch könnte die unbeirrte Fortsetzung der Waldrodung aus politikwissenschaftlicher Perspektive nicht auch eine fatale Signalwirkung für die partizipative Demokratieentwicklung bedeuten?
Vorab: Wir distanzieren uns von jeglichen Formen der Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Ziele, wie im Übrigen auch das Gros der UmweltaktivistInnen und die sie unterstützenden Organisationen. Die Proteste sind weitgehend friedlich, auch wenn durch die Berichterstattungen der Medien, die sich naturgemäß überwiegend mit den auffälligen, unschönen Szenen im Hambacher Forst befassen, meist ein anderes Bild entsteht.
Aus gesellschaftspolitischer Sicht lässt die mediale Darstellung der Hambacher Forst Proteste jedoch wesentliche Fragen außer Acht: Nämlich die kritische und ausgewogene Betrachtung dessen, was so viele AktivistInnen aus einem politischen Ohnmachtsgefühl heraus, im wahrsten Sinne des Wortes, auf die Bäume treibt. Wohin könnte der wenig verständnisvolle Umgang der Politik mit dem verzweifelten Engagement sich ankettender und verbarrikadierender AktivistInnen führen, die sich mit breiter Unterstützung von Greenpeace, BUND, NABU und Klima-Allianz, schützend vor den über 12.000 Jahre alten Wald stellen. Welche Folgen könnte die politische Unterstützung der Rodungen für den partizipativen Demokratieprozess nach sich ziehen, den wir in der Bundesrepublik doch angeblich fördern und den unsere Politiker allzu gerne von anderen Ländern einfordern?
Die politische Botschaft der Bezirksregierung wie auch der Landesregierung scheint klar. Egal ob die AktivistInnen vielleicht die besseren Argumente haben mögen, egal ob das fossile oder carbone Zeitalter in internationalen Vereinbarungen für beendet erklärt wurde, ob die Verbrennung der unter dem Hambacher Wald liegenden Braunkohle das globale CO2-Desaster weiter zuspitzt und Deutschland sich völlig unglaubwürdig im Hinblick auf seine angebliche Vorbildfunktion in Sachen Umwelt- und Klimaschutz machen könnte, egal ob die deutsche Bundesregierung angesichts dieser Rodung eines uralten Waldbestandes wohl kaum noch glaubhaft die Beendigung von Urwaldrodungen auf anderen Kontinenten wird fordern können, egal ob die überwältigende Mehrheit der deutschen BürgerInnen sich gegen die Zerstörung des Hambacher Waldes ausspricht, egal ob das Problem der Grundwasserabsenkung weitere ökologische Risiken nach sich ziehen kann, egal ob Menschen ihre Heimat zugunsten einer eigentlich überlebten energiepolitischen Konzernstrategie verlassen müssen, gewachsene Dorfstrukturen auseinandergerissen und Dorfgemeinschaften polarisiert werden, all diese Argumente scheinen aus Sicht der Bevölkerung und der UmweltaktivistInnen kein Gewicht zu haben.
Alle juristischen und politischen Optionen, die dem engagierten Bürger formal-rechtlich zur Verfügung stehen, um ein durchaus gemeinnützig motiviertes politische Ziel, nämlich den Erhalt eines einzigartigen Waldgebietes, zu erreichen, prallen dem Empfinden der AktivistInnen nach gegen eine Wand aus Ignoranz, Halsstarrigkeit, energiepolitischer Rückwärtsgewandtheit und juristischer Engstirnigkeit, die sich gegen sämtliche partizipative Mitgestaltung verbarrikadiert hat.
Aus politischer Sicht muss die Frage erlaubt sein, ob das Wirtschaftsobjekt „Hambacher Forst“ sich nicht möglicherweise zu einem in höchstem Maße demokratie- und bürgerfeindlichen Kahlschlag eines Konzerns entwickelt, der energiepolitisch rückwärtsgewandt argumentiert und sich hier einem partizipativen und ökologisch nachhaltigen Transformationsprozess verschließt und damit Fronten zementiert, die wir uns in einer Zeit drängender umweltpolitischer Herausforderungen so nicht mehr leisten dürften. Während einerseits immer mehr Politiker, Unternehmen und Experten auf die partizipative Gestaltungskräfte zur Lösung der komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts setzen, schalten RWE und seine Unterstützer auf stur und beharren auf ihrem faktischen Recht.
Doch auch hier muss die Frage erlaubt sein, ob und inwieweit es ethisch vertretbar ist, dass ein Konzern auf ein ihm vor Jahrzehnten vertraglich zugestandenes Recht pochen darf oder ob eine Gemeinschaft dieses Recht nicht auch aufgrund neuerer Erkenntnisse zum Wohle der Allgemeinheit korrigieren darf, wie es im Grundgesetz verankert ist.
Dass Konzern-Manager keinen Blick auf Fragen der partizipativen Demokratieentwicklung werfen, überrascht systembedingt nicht, aber dass die Politik diesen Aspekt für sich ausblendet und kein Gespür dafür zu haben scheint, dass im Hambacher Wald etwas zu brodeln begonnen hat, das geradewegs auf eine gefährliche Politikverdrossenheit zusteuert und damit die fruchtbarste Grundlage für radikalisierende Parteien bietet, ist bedenklich. Wer Verzweiflung und Ohnmachtsgefühle kompromisslos ausblendet und sich nur den Argumenten eines Akteurs öffnet und zivilgesellschaftliches Engagement mit polizeilicher Hilfe auf Eis legt, entfernt sich gefährlich weit von einem bürgernahen Politikverständnis.
Braunkohleabbau, Demokratieentwicklung, Energiewende, Partizipation, Politikverdrossenheit, Umweltschutz