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Das Schwinden der Artenvielfalt / Kommunaler Forderungenkatalog

Unsere Landschaften verarmen, die biologische Vielfalt zu Land und Meer sinkt dramatisch. Der aktuelle IPBES-Bericht zur globalen Situation der Biodiversität führt erneut vor Augen, was eigentlich schon längt bekannt ist: Wir Menschen lösen hauptsächlich mit der Intensivierung der Landnutzung, dem Flächenwachstum der Städte und der Ausbeutung von Bodenschätzen eins der sechs größten Massenaussterben der letzten 500 Millionen Jahre aus.

Seit 1970 sind beispielsweise in Europa und Zentralasien „71 Prozent der untersuchten Fisch- und 60 Prozent der Amphibienarten zurückgegangen“ (IPBS 2018:2), die Ausdehnung von Feuchtgebieten hat um die Hälfte abgenommen und von den in Europa und Zentralasien endemischen Arten sind 28 Prozent gefährdet (ebd.). Die Ergebnisse des Berichts prognostizieren eine weitere Abnahme der Artenvielfalt zu Land und Wasser.

Die Folgen dieser drastischen Entwicklung beeinträchtigen die Funktionsweise der Ökosysteme – und betreffen damit auch uns Menschen. Die Verbesserung der Luftqualität, die Bestäubung unserer Nahrungsmittelgrundlage, die Verhinderung der Ozeanversauerung, die Erhöhung der Wassergüte, die Regulierung von Hochwasserereignissen, die Beeinflussung der Bodenqualität sowie die Bereitstellung von Nahrung, Kraftstoffen und Materialien sind nur einige der lebensnotwendigen Ökosystemdienstleistungen, die der Bericht aufzählt. Diese wichtigen Beiträge der Natur werden nun in Qualität und Quantität durch den Menschen beeinträchtigt (vgl. IPBS 2018:3). Es wird Zeit, endlich zu handeln!

Wie das IPBES herausstellt, müssen dazu die verschiedenen politischen Ebenen zusammenarbeiten und alle möglichen gesellschaftlichen Steuerungsinstrumente genutzt werden, da der Schutz der biologischen Vielfalt unseres Planeten eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Die Ebene der Kommunen wird jedoch häufig zu wenig angesprochen. Dabei ist es gerade diese politische Ebene, die ohne große bürokratische Hürden einen sofortigen positiven Einfluss auf die Biodiversität nehmen kann. Dass Kommunen etwas bewirken können, zeigen beispielsweise das italienische Mals und die deutsche Gemeinde Artland, die im Alleingang die Verwendung von Glyphosat auf öffentlichen Flächen verboten haben. Wichtig ist allerdings ein gesamtheitlicher Ansatz, damit der Biodiversitätsschutz kein Tropfen auf dem heißen Stein bleibt. Alle Ursachenbereiche müssen in Maßnahmen der Kommunen mit berücksichtigt werden, etwa durch den Stopp von Bodenversiegelung, die Erhöhung der Strukturvielfalt und der Insektenfreundlichkeit, die Ausweitung von Grünflächen und die Eindämmung von chemischen Pflanzenschutzmitteln. Der Verein Regionale Resilienz Aachen möchte mit dem nachfolgenden ersten Entwurf eines Maßnahmenkatalogs für die Kommunen zum unmittelbaren Schutz der regionalen Artenvielfalt einen weiteren Impuls für einen nachhaltigen Umgang mit unserer Umwelt setzen und die wachsende Debatte über kommunalpolitische Verantwortung beflügeln.

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Literatur:

IPBES (2018): Fakten zum IPBES Bericht: Biodiversität und Ökosystemleistungen in Europa und Zentralasien. Köln/ Bonn: DLR Projektträger, Deutsche IPBES-Koordinierungsstelle. , letzter Abruf 02.06.2019.


Kommentierter Forderungenkatalog an die Kommunalpolitik zur Förderung der biologischen Vielfalt

Joelle-Denise Lux, Janika Oechsner, Hubertus Müller

 1. Verbot von chemischen Pflanzenschutzmitteln, insbesondere Glyphosat: Eine der wichtigsten Maßnahmen ist ein Sofortverbot des Herbizids Glyphosat. Auch Neonikotinoide sind schädlich für Bestäuber und sollten dringend verboten werden. Aktuell ist im Freiland noch der Einsatz der Neonikotinoide Thiacloprid und Acetamiprid erlaubt (agrarheute 2018). „Neonics“ sind Nervengifte, die nach dem Spritzen von der gesamten Pflanze aufgenommen werden und bei Fraß oder Kontakt mit den Pollen die Insekten vergiftet. Bienen und Hummeln sterben durch diese Gifte nicht direkt, sondern durch den Einfluss auf das Nervensystem wird u.a. der Orientierungssinn der Tiere irreversibel geschädigt – sie finden nicht mehr zurück zu ihren Völkern und verenden langsam (van Bebber o.J.). Diese Nervengifte schädigen möglicherweise nicht nur Insekten: Sie sind wasserlöslich, dadurch können sie nach dem Spritzen in den Boden gelangen und so auch Bodentiere vergiften sowie in Grundwasser und Fließgewässer eingetragen werden. Ein Verbot der letzten zugelassenen Neonikotinoide kann und sollte von Kommunen auf ihren Flächen schnell umgesetzt werden.

Desweiteren ist eine Beratung der konventionellen Landwirtschaft essentiell, um einen nachhaltigeren Ansatz für die Unkraut- bzw. Schädlingsbekämpfung zu etablieren. Denn oft ist besonders die falsche Kombination verschiedener Pflanzenschutzmittel problematisch. Eine solche Aufklärung fordert auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in seinem Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln aus dem Jahr 2017.

Dass ein Glyphosat-Verbot kommunalpolitisch durchsetzbar ist, zeigen Beispiele aus Deutschland und Südtirol. Das europaweit erste Dorf, das sich für ein Verbot von Glyphosat ausgesprochen hat, war das italienische Mals: Es liegt im größten europäischen Apfelanbaugebiet und kämpfte mit hohen Pestizidrückständen – nicht nur in den konventionell angebauten Äpfeln, sondern auch in biologischen Nahrungsmitteln und sogar auf öffentlichen Flächen wie Spielplätzen. Eine Abstimmung der Stimmberechtigten im Jahr 2014 läutete das Verbot ein, 2016 wurde es für die gesamte Gemeinde umgesetzt. Auch in Deutschland ist ein solcher Beschluss machbar: Der Gemeinderat von Artland in Niedersachsen setzte 2017 ebenfalls ein Verbot des umstrittenen Pestizides für alle kommunalen Pachtflächen durch. Im Vordergrund dieser Entscheidung stand nicht die krebserregende Eigenschaft des Umweltgiftes, sondern sein negativer Einfluss auf die Biodiversität.

2. Insektizid- & Herbizidverbote in Privatgärten: Nicht nur in der Landwirtschaft sind Pflanzenschutzmittel problematisch. Tatsächlich geht ein großer Teil des Insektensterbens auf Privatgärtner zurück. Ein Appell zum Verzicht auf chemischen Pflanzenschutz auf freiwilliger Basis genügt nicht, um dieses Problem anzugehen. Eine mögliche erste Maßnahme ist der Verkaufsstopp der Umweltgifte in Baumärkten, Großgärtnereien und im Einzelhandel. Auch Kommunen als Ganzes können sich „pestizidfrei“ organisieren – dafür ist ein gemeinsamer Wille von Kommunalpolitik und Privatleuten erforderlich. Als Anreiz für Privatgärtner wären etwa Auszeichnungen als „pestizidfreie Gartengemeinschaft“ denkbar (s. auch Punkt 10). Auch kommunale Förderungen von Kleingartengemeinschaften könnten an Auflagen zum Verzicht auf Insektizide und Herbizide geknüpft werden; ein solcher Verzicht könnte etwa direkt in die Satzung von Gartenvereinen eingebunden werden.

3. Erhöhung der Strukturvielfalt in der Landwirtschaft: Eine sofortige Erhöhung der Biodiversität auf ökosystemarer Ebene und damit einhergehend auch auf der Art-Ebene ist durch das Umsäumen von landwirtschaftlichen Flächen mit biodiversen Hecken, Säumen und Blühstreifen erreichbar. Ein solches Umsäumen kann kommunalpolitisch als Bedingung an die Pachtung von Flächen zur landwirtschaftlichen Nutzung geknüpft werden. Gleichzeitig ist es erforderlich, Rodungen bereits bestehender Hecken zu verbieten. Beispielsweise wäre in der Landwirtschaft eine Heckenreihe alle 100-150 m denkbar.

Dass die Erhöhung der Strukturvielfalt in der Landwirtschaft einen positiven Beitrag zur Artenvielfalt leistet, zeigt sich etwa in einer Studie der Uni Göttingen zum Einfluss von Heckenpflanzungen auf die Diversität von Feldvögeln. In dieser Studie konnte ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen Vogelvielfalt und Heckenlängen in der Landwirtschaft festgestellt werden (Batáry et al. 2010). Den größten Einfluss hatten Heckenpflanzungen in ansonsten ausgeräumten Landschaften (< 20% semi-natürliche Flächen), da dort Hecken die Strukturvielfalt im Vergleich zu bereits strukturell diversen Landschaften deutlicher erhöhen. Auf solchen Flächen macht laut dieser Studie eine Heckenlänge von 200 m einen durchschnittlichen Unterschied von 6 Vogelarten aus.

Wichtig ist zudem, dass die Hecken zu unterschiedlichen Zeiten geschnitten werden, um die Strukturvielfalt zu jedem Zeitpunkt zu erhalten. Gleichzeitiger Schnitt aller Hecken eines Gebiets hat laut der Studie eine signifikante Abnahme der Vogelvielfalt zur Folge. Um zusätzlich Futterquellen und Lebensräume zu schaffen, sprechen sich die Autoren auch für die Einrichtung von grünen und bepflanzten Säumen (z. B. Getreidesäume) aus.

Zudem erfüllen Hecken vielfältige Funktionen, die direkt uns Menschen und die Landwirtschaft betreffen: Dazu gehören Erosionsschutz, Luftreinigung, das Eindämmen der Verbreitung von Dünger und Spitzmittel auf angrenzende Flächen und die Stabilisierung des Bodens an Hang- und Uferlagen (Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft 2017). Sogar zu einer Steigerung der Erträge können Hecken beitragen, hauptsächlich durch Regulierung des Mikroklimas: Sie haben positiven Einfluss auf Taumenge und Bodenfeuchtigkeit sowie Luft- und Bodentemperaturen und reduzieren Verdunstung (Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung 2018). Und um zurück zur Biodiversität zu kommen – sie vergrößern auch die Nützlingspopulationen (ebd.) (mehr Details siehe Mingers 2019, auf der RRA-Website). Natürlich kann es durch Umsäumungen mit Gehölzen auch zur Ansiedlung von für die Landwirtschaft nachteiligen Arten kommen, etwa Mäuse und Schnecken. Sobald sich das Ökosystem allerdings eingespielt hat und die Gegenspieler im System hinzugekommen sind (etwa Bussarde und andere Vogelarten), gleicht sich dieser Effekt wieder aus.

4. Bauliche Regelungen zur Biotopvernetzung und zum Versiegelungsstopp: Unabdingbar für den Erhalt und die Förderung der Biodiversität ist die Gewährleistung eines Austauschs zwischen Populationen, vor allem aufgrund der genetischen Vielfalt. Daher ist es notwendig, auf kommunaler Ebene die Vernetzung von Habitaten in der Bauplanung zu berücksichtigen. Das heißt, dass unbebaute und strukturell divers bepflanzte Schneisen zu den umliegenden (semi-)natürlichen Lebensräumen erhalten oder geschaffen werden müssen. Zudem liegt es an der Kommunalpolitik, die Bodenversiegelung in den Gemeinden einzudämmen. Eine Maßnahme dazu ist der Stopp des Ausweisens von neuem Bauland auf für die Vernetzung relevanten Flächen.

5. Drastische Reduzierung von Baumfällungen und Heckenrodungen: Baumfällungen und Heckenrodungen sollten nur dann durchgeführt werden, wenn sie absolut notwendig sind, etwa zur Gefahrenvermeidung. Eine Komplettrodung ist auch in solchen Fällen extrem selten nötig; meist reicht eine selektive Behebung von störendem Bewuchs oder Gefahrenstellen. Auflagen, wann und wie Hecken geschnitten werden sollten, können von der Kommune leicht auf allen öffentlichen Flächen eingeführt werden. Zusätzlich sollte ein Monitoring eingerichtet werden, um überzogene Baumfällungen und Rodungen einzudämmen.

6. Insektenfreundliche öffentliche Flächen: Die Insektenfreundlichkeit einer Kommune kann durch einfache und kostengünstige Maßnahmen erhöht werden. Eine davon ist, Blühstreifen im öffentlichen Raum zu belassen oder zu pflanzen bzw. Wildwuchs zuzulassen. Auch „Baumscheiben“, die kleinen Flächen rings um Baumanpflanzungen, lassen sich leicht als Insektenweide nutzen. Phacelia, Lupinie und Platterbse etwa eignen sich als besonders bienenfreundliche und gleichzeitig ästhetische Blühpflanzen für den öffentlichen Raum.

7. Stadtbegrünung: Neben dem dringend erforderlichen Ausbau des Blühangebots ist auch die allgemeine Begrünung von Städten und Gemeinden ausbaufähig. Baumpflanzungen an Bürgersteigen, seltenerer Schnitt von Grünflächen, Auflockerung der Bebauung mit begrünten Freiflächen, Fassadenbegrünung von öffentlichen Gebäuden – es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Stadtbegrünung weiter auszubauen und damit sofort die Biodiversität zu fördern.

8. Forstwirtschaft: Reduktion von Fräsungen zur Wegeerhaltung: Um die Waldwege befahrbar zu halten, ist es zurzeit gängige Praxis, die Bankette (die Seitenstreifen neben den Wegen) auszufräsen, das heißt, den Bewuchs auf beiden Seiten des Weges zu entfernen. Dies hat zur Folge, dass das Aufwachsen der Blühpflanzen am Wegesrand regelmäßig unterdrückt wird. Ähnlich ist es bei Feldwegen zu beobachten. Hier müsste stärker auf den tatsächlichen Bedarf geachtet werden, statt regelmäßige Radikalschläge durchzuführen. An dieser Stelle sollten Formulierungen von Geboten wie „Feldwege müssen freigehalten werden“ überdacht werden.

9. Verbot von reinen Kies-Vorgärten: Vorgärten bieten genau wie Gärten ein hohes Potential, in Wohngebieten Zufluchtsorte für wildlebende Tier- und zum Teil auch Pflanzenarten darzustellen. Reine Kiesvorgärten nehmen dieses Potential. Sie bieten keinerlei Mehrwert für die Biodiversität, breiten sich aufgrund ihrer leichten Pflege aber zunehmend aus. Dem können Kommunen in der Bauvorschrift Einhalt gebieten, etwa mit einer Auflage, dass mindestens 50 % der Fläche in Vorgärten nicht mit Kies/ Rollsplit und Ähnlichem bedeckt sein darf (Ausnahme bilden Bruchsteinhaufen zur Förderung von Amphibien). Pflegeleichte Vorgärten lassen sich auch mit Pflanzen realisieren, etwa mit Topfpflanzen.

10. Positive Anreize schaffen: Positive Anreize können helfen, die Förderung der biologischen Vielfalt in Städten und Gemeinden anzukurbeln. Biodiversitätsfördernde Wohngebiete und Dörfer könnten etwa für besonders positive Arbeit von den Kommunen eine Belohnung erhalten. Eine Möglichkeit ist die Entwicklung eines Landschaftsschutz-Preises für blühende Wohngebiete bzw. Dörfer, in Anlehnung an den Bundeswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ (bis 1997 „Unser Dorf soll schöner werden“).

Verwendete Literatur:

– Agrarheute (2018): Neonicotinoide: Welche Mittel jetzt verboten sind und welche erlaubt. Online unter: https://www.agrarheute.com/pflanze/neonicotinoide-welche-mittel-verboten-welche-erlaubt-547596, letzter Abruf 11.07.2019.

– Batáry, P./Matthiesen, T./Tscharntke, T. (2010): Landscape-moderated importance of hedges in conserving farmland bird diversity of organic vs. conventional croplands and grasslands. In: Biological Conservation 143 (2010), 2020-2027.

– Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (2017): Hecken, Feldgehölze und Feldraine in unserer Landschaft. Online unter: https://www.lfl.bayern.de/mam/cms07/publikationen/daten/informationen/hecken_feldgehoelze_feldraine_lfl-information.pdf, letzter Abruf 11.07.2019.

– Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (Hrsg.) (2018): Hecken und Raine in der Agrarlandschaft, Bonn.

– Mingers, Stefan: (2019): Kommunale Maßnahmen zur Förderung von Hecken: Eine Analyse der kommunalen Handlungsmöglichkeiten lokale Artenvielfalt durch die Förderung von Heckenstreifen zu stabilisieren. Hausarbeit an der RWTH Aachen, Institut für Politische Wissenschaft.

– Van Bebber (o.J.): Neonikotinoide. Online unter: https://aktion-hummelschutz.de/schutz/neonicotinoide/, letzter Abruf 11.07.2019.

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