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Stefan Mingers: Das 9R-System der Circular Economy und die Rolle der Kommunen

Das 9R-System der Circular Economy und die Rolle der Kommunen

Viele der aktuellen ökologischen Krisen lassen sich in Verbindung setzen zu unserem Umgang mit Ressourcen, genauer zum Umgang mit Ressourcen im weltweit dominierenden linearen Wirtschaftsmodell. Dieses wirtschaftliche Paradigma zeichnet sich durch einen hohen Ressourcenverbrauch aus und bringt gleichzeitig große Mengen Abfall hervor, welche z.B. in Form von Treibhausgasen oder Plastikmüll in die Umwelt gelangen, denn oftmals werden genutzte Materialien nach einmaliger Nutzung entsorgt oder unzureichend verwertet. Gleichzeitig bedingt die oftmals einmalige Nutzung von Materialien einen hohen Flächen- und Ressourcenverbrauch.

Im Sinne der Resilienz kann das Modell der Circular Economy eine krisenfestere Alternative darstellen. In diesem werden Ressourcen in möglichst geschlossenen Kreisläufen geführt, um gleichzeitig weniger Ressourcen zu verbrauchen und wieder in die Umwelt zu entlassen. Seit längerem schon gibt es auf internationaler und nationaler Ebene Bemühungen die Implantierung dieses Wirtschaftsmodells voranzutreiben, etwa seitens der EU. Trotz dieser Bemühungen kann festgehalten werden, dass die Circular Economy noch keine flächendeckende Anwendung findet, denn es fehlen ganzheitliche Initiativen und Ansätze zu deren Implementierung.

Vor dem Hintergrund nicht-ausreichender Bemühungen auf internationaler und nationaler Ebene kann hier schnell die kommunale Ebene ins Blickfeld geraten. Tatsächlich lassen sich bei Kommunen aller Größen seit einigen Jahren vermehrt Initiativen und Ansätze erkennen, welche nachhaltige Entwicklung und Wirtschaft durch die Implementierung von Ansätzen der Circular Economy in Einklang bringen sollen. Kommunen im Allgemeinen und Städte im Besonderen sind durch ihre Zentrumsfunktion für Wirtschaft und Gesellschaft gleichzeitig nicht nur Hauptverursacher und Hauptbetroffene aufkommender Krisen, sondern eben auch ein zentraler Akteur beim Umbau der Wirtschaft hin zu kreislauffähigen Konsum- und Produktionsmustern.

Was zeichnet die Circular Economy aus?

In allen Varianten der Circular Economy geht es darum, Abfälle zu vermeiden, indem Produkte am Ende ihres Lebenszyklus wieder als Ressourcen bzw. Rohstoffe verwendet werden, wobei dies durch das Führen dieser Stoffe in geschlossenen Kreisläufen realisiert werden soll. Gleichzeitig sollen diese Kreisläufe verlangsamt werden und die Produktion von neuen Gütern verringert werden, um letztlich weniger Ressourcen einzusetzen.

Dieses Ansinnen in die Tat umzusetzen, setzt ein Umdenken und einen Umbau der bestehenden Produktions- und Konsummuster voraus. Hierbei kann sich an vielen existierenden Ansätzen orientiert werden. Eine umfassende Zusammenführung bestehender Ideen und Ansätze bietet der „9-R-Ansatz“, wie ihn Buchberger et al. 2019 darstellten. Die „R“-s stehen hierbei für: refuse, rethink, reduce, reuse, repair, refurbish, remanufacture, repurpose, recycle und recover.

Den Autor*innen zufolge ist in einer Circular Economy zunächst in technische und biologische Materialien zu unterscheiden, wobei erstere Materialien Stoffe der technischen Dimension sind und in Abgrenzung zu diesen alle anderen Stoffe biologisch abbaubar sind, wodurch sie ohne Schädigung von Menschen oder Umwelt wieder in die Natur gegeben werden können (vgl. Buchberger et al. 2019: 9f). Die meisten R-Ansätze beziehen sich auf Materialien und Stoffe der technischen Dimension, da diese im Gegensatz zu den biologischen Materialien nicht wieder in die Natur gegeben werden können, ohne dort Schäden zu hinterlassen bzw. weil sie sich nicht oder nur sehr langsam regenerieren.

Abbildung: Buchberger et al. 2019
Die 9R-Systematik nach Buchberger et al. 2019 (ebd.: 10)

Die R-Ansätze stellen Produzent*innen und Konsument*innen Fragen in unterschiedlichen Kategorien. R0 bis R2 thematisieren laut Buchberger et al. die Sinnhaftigkeit eines Produkts (vgl. ebd.: 11f):

  • R0 – Refuse – Obsolete Produkte identifizieren, deren Produktion eingestellt werden kann oder die ersetzt werde können
  • R1 – Rethink – Gedanken zur intensiveren Nutzung eines Produktes, z.B. Wiederverwendungsmöglichkeiten
  • R2 – Reduce – Steigerung der Effizienz bei der Produktherstellung, z.B. weniger Ressourcenverbrauch und Nebenerzeugnisse/Abfälle

R3 bis R7 drehen sich um die Verlängerung des Lebenszyklus eines Produkts und seiner Teile (vgl. ebd.: 13ff):

  • R3 – Reuse – Wiederverwendung eines entsorgten & funktionsfähigen Produkts
  • R4 – Repair – Reparatur oder Wartung eines Produkts
  • R5 – Refurbish – Aufbereitung eines alten Produkts
  • R6 – Remanufacture – Wiederverwendung von entsorgten Teilen in einem Produkt mit gleicher Funktion
  • R7 – Repurpose – Wiederverwendung von entsorgten Teilen in einem Produkt mit anderer Funktion.

Die letzte Gruppe bilden R8 und R9. Ziel dieser beiden Strategien ist es laut Buchberger et al., „dass auch Produkte und Materialien, die nicht mehr direkt aufbereitet und wiederverwendet werden können, zumindest der Herstellung neuer Produkte dienen, indem sie entweder den Grundstoff bilden oder die Energie dafür liefern.“ (ebd.: 15), um den Einsatz neuer Primärrohstoffe zu reduzieren. Entgegen der weitläufigen Verbreitung gerade des Recycling-Ansatzes, sollten diese beiden Ansätze idealerweise nur dann verwendet werden, wenn alle vorherigen Strategien nicht mehr anwendbar sind (Vgl. ebd.).

  • R8 – Recycling – Rückgewinnung von Rohstoffen, z.B. durch Zerkleinern oder Schmelzen. Unterscheidbar in werkstoffliches und rohstoffliches Recycling. Ersteres bringt durch stoffliche Umformung ohne chemische Veränderung Material hervor, welches erneut eingesetzt werden kann, letzteres durch chemische Veränderung (vgl. ebd.: 16)
  • R9 – Recover – energetische Wiederverwendung von Materialien; hauptsächlich Verbrennung, Gärung oder Vergasung zur Erzeugung von Wärme, Elektrizität oder Treibstoff (vgl. ebd.). Heutzutage gehen auf diese Weise viele Materialien verloren und belasten die Umwelt, z. B. als Treibhausgase oder Schlacken. Deswegen sollte dies die letzte Alternative sein.

Die R-Ansätze können durch ein „design circular“ umgesetzt werden, d.h. die Umgestaltung des gesamten Lebenszyklus und der Produktionsweise eines Produkts und ganzer Lieferketten im Sinne von geschlossenen und verlangsamten Kreisläufen. Hierbei sind hauptsächlich die Unternehmen gefragt, jedoch kann dieser Wandel seitens Politik und Verwaltungen unterstützt werden.

Was können Kommunen für den Wandel hin zu einer Kreislaufwirtschaft tun?

Viele Aufgabenbereiche von Kommunen stehen in enger Verbindung zum wirtschaftlichen Geschehen auf dem Gemeindegebiet, auf welches sie mittels gezielter Wirtschaftsförderung einwirken können. So lassen sich letztlich auch kreislauffähige Wirtschaftsweisen fördern, wobei dies große Effekte erzielen kann, wenn immer mehr Kommunen dies tun und sich in ihrem Vorgehen mit allen relevanten Akteuren, so auch anderen Kommunen, abstimmen.

Wirtschaftsförderung im engeren Sinne ist primär die Begünstigung der örtlichen Wirtschaft durch die Verbesserung der Standortbedingungen und damit der Produktivität. Dies erfolgt zumeist durch eine Abstimmung aller öffentlichen Gemeindeaufgaben mit den bestehenden Interessen der Wirtschaft. Im weiteren Sinne ist Wirtschaftsförderung auch eine lokale und regionale Strukturpolitik mit dem Ziel einer in das Gesamtkonzept der Gemeindeentwicklung integrierte Wirtschaftsentwicklung. (Vgl. Korn/van der Beek 2018: 1134)

Kommunen können hierbei einiges im Sinne der Circular Economy bewegen, wobei gleichzeitig die Chance besteht zentrale Zwecke der Wirtschaftsförderung zu bedienen:  „Sicherung und Erweiterung des regionalen Arbeitsplatzangebots“ (ebd.), „Entwicklung einer zukunftsfähigen Wirtschaftsstruktur“ (ebd.) und „Pflege der Standortbedingungen“ (ebd.). Neben der klassischen „Bestandspflege“ (ebd.) der bestehenden Unternehmenslandschaft auf dem Gebiet der Kommune, sind gerade für die „Bestandserweiterung“ (ebd.) mit neuen Unternehmen die Standortbedingungen entscheidend (vgl. ebd.: 1137f).

Hierbei gibt es ganz unterschiedlichste Arten von harten und weichen Standortfaktoren, wie z.B. Flächen- & Büroangebot, Infrastruktur (z.B. Verkehrsinfrastruktur), Hochschulen & Forschungseinrichtungen, Angebot an qualifizierten Arbeitskräften, Wohnen, Kinderbetreuung & Bildung, Kulturangebote sowie Karrieremöglichkeiten.

Standortfaktoren können also sehr breit verstanden werden und so ist für die Förderung der Circular Economy ein ganzheitliches und gezieltes Vorgehen sinnvoll. Hierbei sind laut Korn und van der Beek fünf Bereiche der Kommunalpolitik zentral, in denen Kommunen wirtschaftsförderlich aktiv werden können:

  1. Gewerbeflächenpolitik und Flächenmanagement
  2. Qualifizierungs- und Bildungspolitik
  3. Infrastrukturpolitik
  4. Informations- und Kommunikationspolitik bzw. Beratungsstelle
  5. Subventionen und finanzielle Förderung (Vgl. ebd.: 1139ff)

Die meisten dieser Bereiche sind selbsterklärend, doch gerade dem Bereich vier sollte besondere Aufmerksamkeit zukommen. Laut den Autor*innen sollten kommunale Wirtschaftsförderungen zusätzlich zu proaktiver Standortvermarktung und zur Bereitstellung unternehmensrelevanter Informationen „im Ansiedlungs-, Erweiterungs- bzw. Gründungsprozess als Ratgeber“ (ebd.: 1140) fungieren und in Konfliktfällen vermitteln. Zusätzlich sollen sie neuen Unternehmen den Eintritt in vorhandene Netzwerke erleichtern. Wirtschaftsförderungen sind laut Korn und van der Beek idealerweise eine „One-Stop-Agency“ (ebd.: 1141) und ein „Wissens und Kommunikationsmanager“ (ebd.) sowie Vermittlerin zwischen Unternehmen und Verwaltung.

Die Wirtschaftsförderungen können für die Circular Economy zur zentralen Anlaufstelle für alle Akteure und deren Anliegen werden. Nebenher können sie Hilfe bei der Standortsuche und -sicherung, bei der Veranstaltungsorganisation und beim Netzwerkaufbau mit Unternehmen und wirtschaftsrelevanten Akteuren (z. B. Hochschulen) leisten. Sie können Impulse geben und nicht zuletzt eine stärkere Kommunikation und Vernetzung innerhalb der Kommunalverwaltung zustande bringen. Letztlich können Wirtschaftsförderungen zu einer Institution ausgebaut werden, die Vorgehen von Kommunen, welche die Ciruclar Economy fördern wollen, koordiniert und die Umsetzung sinnvoll begleitet.

Neben der zentralen Rolle der Wirtschaftsförderung zum einen verstanden als lokaler und regionaler Strukturpolitik, zum anderen als zentrale Institution und als wichtiger Akteur im kommunalen Transformationsprozess hin zu einer Circular Economy, lassen sich zwei weitere Bereiche erdenken, in denen kommunales Handeln diesen Prozess beeinflussen kann.

Erstens explizit die stadteigenen Unternehmen bzw. die Unternehmen mit städtischer Beteiligung. Dies gilt in einer Circular Economy besonders für kommunale Entsorger. Diese können gerade in einer Kreislaufwirtschaft und den damit verbundenen Rohstoffströmen ein wichtiger Akteur sein, um Ressourcen bzw. Rohstoffe wieder gezielt in Kreisläufe einzubringen. Hierzu müssen die Entsorger entsprechend ausgerichtet und befähigt werden, aber sie müssen auch sinnvoll in Produktions- und Lieferketten eingebunden werden, in denen sie Materialien wieder zur Verfügung stellen sollen. Kommunen können sie hierbei zum einen mit relevanten Akteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammenbringen und zum anderen die Ausrichtung der Betriebe und Unternehmen beeinflussen.

Zweitens kann man im Rahmen der Bildungspolitik neben der Qualifizierung von Arbeitnehmer*innen explizit die BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung) als Stütze des Prozesses anführen. Mit dieser kann die Bevölkerung sensibilisiert werden, ihr Konsumverhalten zu ändern und so die Entstehung der Circular Economy durch ein wachsendes Bewusstsein für Konsumentscheidungen im Sinne der Circular Economy zu begünstigen.

Kommunen können somit im Rahmen ihrer Möglichkeiten einiges für die Implementierung der Circular Economy auf lokaler und regionaler Ebene tun und so auch deren Voranschreiten auf nationaler und internationaler Ebene begünstigen.

Literatur

Buchberger, Silvia/Hofbauer, Günter/Mangold, Lukas/Truong, Katharina (2019): Das Konzept der Circular Economy als Maxime für Beschaffung und Vertrieb in der Industrie. In: Technische Hochschule Ingolstadt Working Papers, Nr. 46. Ingolstadt: Technische Hochschule Ingolstadt.

Korn, Thorsten/van der Beek, Gregor (2018): Kommunale Wirtschaftsförderung. In: ARL – Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung. Hannover: ARL, S. 1133-1143.

Circular Economy, Kommunen, Städte