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Bio-Lebensmittel – Luxus oder eine Ernährungsweise, die Zukunft schafft?

Unser heutiges Ernährungssystem beruht vornehmlich auf einer Landwirtschaft, die zu Lasten der folgenden Generationen arbeitet. Mit industriellen Methoden, wie dem Einsatz von chemischen Pestiziden, Erdöl-basiertem Dünger und schweren Maschinen, ist eine hocheffiziente Landwirtschaftsform zur Konvention geworden, die sich weit von jeglicher Naturverträglichkeit entfernt hat.
In Deutschland bedienen sich über 90% der Bauern dieser industriellen Methoden. Nicht zuletzt weil ihre Existenz von der Effizienz ihrer Arbeit und damit dem größtmöglichen Ertrag abhängt. So werden stark veränderte Hochertragssorten mit Mineraldünger hochgepäppelt, um sie anschließend mit chemischen Pestiziden vor kleinen gefräßigen Insekten zu beschützen. Die Ernte muss optimal aussehen und entsprechend geformt sein um den EU-Gemüsenormen zu entsprechen und daraufhin möglichst gewinnbringend in den Markt eingespeist werden zu können. Am Ende des anonymen Lebensmittelweges wartet nämlich ein Kunde, der König ist und keine krummen Gurken oder Dellen an der Paprika zu akzeptieren scheint. Er möchte seinen Einkaufswagen mit möglichst vielen schönen Produkten für möglichst wenig Geld füllen.
Geiz ist geil hat man ihm immer wieder gesagt und so freut sich ein Großteil der Bevölkerung über günstige oder besser gesagt billige Lebensmittel, um mehr Geld für die wirklich wichtigen Dinge, wie ein Handy-Upgrade oder die neuen limitierten Nike-Sneaker übrig zu haben. Doch das, was bei dem Kauf von billigen Lebensmitteln vermeintlich gespart wird, muss trotzdem von irgendjemandem gezahlt werden.
Gezahlt wird nicht mit Geld oder Paybackpunkten an der Kasse, sondern mit drastischen Schädigungen unseres Nahrungsmittelhauptlieferanten, unserer ökologischen Umwelt. Die Natur trägt die Last des landwirtschaftlichen Misswirtschaftens und den daran angeschlossenen häufig unbewusst getroffenen Konsumentscheidungen.
Die schädlichen Auswirkungen unseres heutigen Ernährungssystems auf unsere Umwelt sind vielfältig. Die Arbeitsweise der industriell-konventionellen Landwirtschaft hat fatale Folgen für den Zustand der Bodenqualität. Jährlich gehen weltweit etwa 10 Millionen Hektar fruchtbaren Bodens durch Bodendegradation verloren, die vornehmlich auf Übernutzung, Überweidung und Überdüngung der weltweiten Anbauflächen zurückzuführen ist. Eine Zahl, die vielleicht greifbarer wird, wenn man bedenkt, dass der jährliche Verlust der Größe der gesamten Ackerfläche Deutschlands entspricht.
Was verloren ist, bleibt auch verloren. Denn nur bis etwa 1950 gingen unsere landwirtschaftlichen Ertragssteigerungen auf die Erschließung neuer Ackerflächen zurück. Seitdem – wird auf eine Intensivierung der erschlossenen Flächen gesetzt, die dabei jedoch zunehmend verloren gehen. Damit verlagern wir die wahren Kosten für die Produktion unserer billigen Lebensmittel in die Zukunft, nehmen Umweltschädigungen in Kauf, die von Folgegenerationen auszubaden sind.
Die Überdüngung der Anbauflächen mit synthetischem Stickstoffdünger gilt zusätzlich als einer der Hauptfaktoren für die drastische Minderung der Biodiversität unseres Planeten. Die Biodiversitätsverluste der letzten 150 Jahre sind in der Erdgeschichte nur mit Großkatastrophen wie Meteoriteneinschlägen zu vergleichen. Für uns sind diese Verluste bisher kaum spürbar. Doch da auch die für unsere Ernährung so essenziellen Bestäuber-Insekten stark minimiert werden, sägen wir an einem Ast auf dem nicht nur wir zum heutigen Zeitpunkt sitzen, sondern auf dem auch unsere Nachkommen Platz nehmen müssen. Durch den Einsatz von synthetischen Stickstoffdüngern und Phosphor schaden wir jedoch nicht nur der Umwelt, sondern machen unsere Ernährung abhängig von den schwindenden Ölreserven und Phosphorvorkommen der Erde. Ein Liter Stickstoffdünger, Grundvorrausetzung der Hochertragslandwirtschaft, braucht zur Herstellung zwei Liter Erdöl. Damit ist unsere Nahrungsmittelversorgung an endliche Rohstoffe gekoppelt und schlichtweg nicht zukunftsfähig.
Der Ansatz der ökologischen Landwirtschaft hingegen bedient sich einer naturverträglichen Arbeitsweise. Weil keine synthetischen Stickstoffdünger verwendet werden, ist sie auf die natürliche Stickstoffnachlieferung durch einen gesunden Boden angewiesen. So wird darauf geachtet dem Boden nicht mehr Nährstoffe zu entnehmen, als dieser verkraften kann. Somit wird für den Erhalt von Anbaufläche gesorgt, auf die auch folgende Generationen noch zurückgreifen können. Der Verzicht auf synthetische Düngung und chemische Pestizide wirkt sich zudem positiv auf den Erhalt der Biodiversität aus. Die geringere Bewirtschaftungsintensität sorgt dafür, dass ökologische Anbauflächen deutlich naturnaher und damit deutlich mehr Lebewesen beherbergen können. Die ökologische Landwirtschaft versucht sich mit den Gegebenheiten der Natur zu arrangieren und sie nicht, wie es die industriell-konventionelle Landwirtschaft tut, zu beherrschen.
Biosiegel wie Demeter und Bioland signalisieren dem Konsumenten, dass verantwortungsbewusst mit unserer Existenzgrundlage umgegangen wird. Das hat seinen Preis. Im Vergleich zu ihren konventionellen Pendants können Bio-Lebensmittel deutlich teurer sein.
Ohne ausreichend Wissen über die Gründe dieses Preisunterschieds ist es kaum verwunderlich, dass Bio-Lebensmittel als Luxus erscheinen. Doch im Grunde ist es genau andersherum. Konventionelle Lebensmittel, die so billig sind, dass davon etwa 50% weggeschmissen werden können , bevor sie es auf den Teller ihrer Abnehmern schaffen und nur unter drastischen Umweltschädigungen produziert werden können, sind der eigentliche Luxus. Ein Luxus dessen Rechnung nicht wir im Hier und Jetzt begleichen, sondern verantwortungslos unseren Nachfahren aufbürden.
Wenn dem Großteil der Bevölkerung bewusst wäre, warum ihre Lebensmittel so billig sind und wie unnachhaltig unser heutiges Ernährungssystem ist, würden sich möglicherweise mehr Menschen für eine Veränderung der Vorgehensweise in der Landwirtschaft aussprechen. Forderungen würden an unsere politischen Vertreter gerichtet werden und diese würden sich mit mächtigen Interessenverbänden verständigen müssen, um kleine Erfolge zu erstreiten.
Dies beschreibt einen wünschenswerten Weg, der in jedem Falle gegangen werden muss, den wir jedoch durch eine Veränderung unseres Konsumverhaltens drastisch beschleunigen können. In einer Zeit in der immer häufiger über den enormen Einfluss von wirtschaftlichen Lobbygruppen auf die politischen Entscheidungsträger berichtet wird und nicht selten ökologische Schädigungen zu Gunsten wirtschaftlicher Interessen in Kauf genommen werden, können wir uns nicht mehr auf Veränderungen durch ein paar anders gesetzte Kreuze auf unseren Wahlzetteln verlassen. Wir müssen lernen mit unserer Konsumstimme zu wählen. Einer Stimme mit großem Gewicht. Denn als Kundinnen und Kunden sind doch wir die Königinnen und Könige. Unternehmen bemühen sich ihren Konsumenten die Wünsche von den Lippen abzulesen und so bestimmt die Nachfrage das Angebot. Ein Beispiel für die Wirkungskraft von Konsumentscheidungen, waren die Absatzeinbrüche des Ölkonzerns Shell im Jahre 1995 als Antwort auf dessen Vorhaben, die ausgediente Ölplattform Brent Spar in einem Tiefseegraben westlich von Irland zu versenken. Die Konsumenten reagierten und der Absatz der deutschen Shell-Tankstellen brach um bis zu 50% ein, was die „Wir wollen etwas ändern“- Kampagne des Ölkonzerns hervorbrachte.
Konventionelle Lebensmittelerzeuger brauchen ihre Abnehmer. Abnehmer die mit dem Einkauf unterschreiben, dass sie sich nicht daran stören wie ihre Lebensmittel entstehen. Sie legitimieren ein Wirtschaften auf Kosten ihrer eigenen Kinder und Enkel. Fallen diese stillen zustimmenden Stimmen weg und orientiert sich eine Vielzahl von Konsumenten und Konsumentinnen in Richtung ökologisch produzierter Lebensmittel, entzieht es den industriell-konventionell produzierten Lebensmitteln die Existenzberechtigung. Vielleicht zunächst nicht aufgrund ihrer umweltschädigenden Natur, sondern – , für Unternehmen deutlich früher spürbar, weil sie wirtschaftlich nicht mehr rentabel sind. Je mehr Menschen sich diesem umweltbewussten Boykott anschließen, desto eher könnten Bio-Lebensmittel aus ihrer Marktnische heraustreten und als neuer Standard wesentlich günstiger, für alle Menschen zugänglich gemacht werden.
Wenn wir die Verantwortung für unsere eigene Existenz übernehmen wollen, müssen wir aufhören die Kosten für unser Leben auf dem Deckel unserer Kinder anschreiben zu lassen. Der Griff zur Bio-Gurke ist dabei sicher nicht alles – aber ein Anfang.

Literatur:
BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): 10.000.000 Hektar – um diese Größe verringert sich jedes Jahr die Agrarfläche weltweit, online im Internet: [zu gegriffen am 09.03.2017].

BMBL – Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Hrsg.): Ökologischer Landbau in Deutschland. Stand: Januar 2017,Berlin. S.10-11.

Der Spiegel (Hrsg.): Versenkt die Shell, in: Der Spiegel, Nr.25, 1995, online im Internet: , [zugegriffen am 09.03.2017], S.22-33.

Jakat, Lena: Die Hälfte aller Lebensmittel landet im Müll, online im Internet , 10.01.2013, [zugegriffen am 09.03.2017].

Rockström, Johan/Steffen, Will/Noone, Kevin et al. (Hrsg.): A safe operating space for humanity; in: Nature, Nr.461, 2009, S.472-475.

Agrarwende, Bio-Nahrungsmittel