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Tobias Dumschat: Menschlichkeit und Nachhaltigkeit. Konträre oder komplementäre ethische Prinzipien? Eine Analyse anhand der humanistischen Ethik nach Fromm und der Ethik der Permakultur

vorgelegt als Masterarbeit

*Im vorliegenden Text wurde mit Fußnoten zitiert, wobei diese nicht übertragen werden konnten. Die originale Fassung des Textes mit Fußnoten findet sich in der angehängten Datei oder unter nachfolgendem Link:

Dumschat, T. (2020) – Menschlichkeit und Nachhaltigkeit

https://www.fromm-gesellschaft.eu/index.php/de/publikationen-blog/buecher/683-menschlichkeit-und-nachhaltigkeit

1 Einleitung

Der Grund für die Konzeption dieses Themas wurzelt in persönlichen Beobachtungen und Anliegen des Verfassers dieser Arbeit. Ohne auf die Probleme und Herausforderungen der Menschheit im 21. Jahrhundert gesondert hinweisen zu wollen, liegen ihm nach einem siebenjährigen Studium der Wirtschaftswissenschaften – in dem der rationale Mensch als „homo oeconomicus“ und unendliches, auf Konkurrenz basierendes Wirtschaftswachstum gelehrt wurden – besonders zwei Dinge am Herzen: ein menschlicheres Miteinander und das Streben nach einem nachhaltigen Umgang mit der Natur. Wer die Bedürfnisse nach Menschlichkeit und Nachhaltigkeit ebenfalls als vordringlich betrachtet, der sei dazu eingeladen, die wissenschaftliche Begründung dieser Intuition mithilfe der praktischen Philosophie nachzuvollziehen.
Diese Arbeit wird im Fachbereich Wirtschaftsethik vorgelegt. Der Titel mag einen Teil der Leserschaft verwundern, da eine solch fundamentalethische Fragestellung nach gängiger Auffassung keinen Bezug zur Wirtschaft hat. Und der Zweifel ist berechtigt. Denn – so wird in der vorliegenden Arbeit postuliert – Menschlichkeit und Nachhaltigkeit werden in der Wirtschaftspraxis und Wirtschaftstheorie nicht berücksichtigt. Dieser Befund impliziert aber nicht, dass eben diese ethischen Prinzipien nicht einen Anspruch auf Geltung erheben können. Ist es nicht gerade das gegenwärtige ökonomische Denken, das für einige Probleme des 21. Jahrhunderts – u. a. Klimaveränderungen und soziale Ungleichheit – eine wichtige Ursache darstellt und daher alternative Lösungen unabdingbar macht?
Somit ist das Selbstverständnis dieser Arbeit gleich doppelt gefasst: Sie ist zum einen eine Kritik an der etablierten Wirtschaftsethik und -praxis – was allerdings nur ihr sekundäres Anliegen ist, denn sie erschöpft sich nicht in der Kritik. Ihr primärer Zweck ist tiefer greifend, denn zum anderen versucht sie zu erfassen – sofern die ethischen Ansprüche auf Menschlichkeit und Nachhaltigkeit gleichermaßen gelten sollen –, ob das ethische Prinzip der Menschlichkeit und das ethische Prinzip der Nachhaltigkeit konträr oder komplementär sind. Die Fragestellung enthält eine theoretische und praktische Dimension. In der theoretischen Betrachtung ist sie eine ethische Grundlagenforschung und hebt zunächst von einer etwaigen ökonomischen Diskussion ab; auf praktischer Ebene aber werden dann auch die sozioökonomischen Konsequenzen miteinander verglichen. Die Analyse soll allerdings nicht als isolierte theoretische Betrachtung bestehen bleiben, sondern es sollte ihr gelingen, den Bezug zur etablierten Praxis anhand wohlbegründeter Argumente und fundierter Kritik herzustellen.
Um die Analyse auf den richtigen Weg zu bringen, wird zunächst zu klären sein, was eigentlich inhaltlich unter dem ethischen Prinzip der Menschlichkeit und dem ethischen Prinzip der Nachhaltigkeit zu verstehen ist. Das Moralprinzip der Menschlichkeit wird durch den Humanismus vertreten, dessen Wesen in allgemeiner Form charakterisiert ist durch den Glauben an eine universale Menschlichkeit und die Leitidee der Entfaltung des menschlichen Potenzials. Der Psychoanalytiker, Sozialpsychologe und Kulturkritiker Erich Fromm (1900–1980) ist ein „letzter großer Vertreter und Neudeuter“ dieser Betrachtungsweise des Humanismus und speist aus seiner psychoanalytischen Deutung des Menschen eine humanistische Ethik. Diese Auslegung wird dem Prinzip der Menschlichkeit im Folgenden zugrunde gelegt.
Der Anspruch auf nachhaltige Handlungen wird durch die umweltethische Position des Holismus erhoben; seinem allgemeinen ethischen Wesen nach fordert der Holismus die Erhaltung und Entfaltung natürlicher Ökosysteme um ihrer selbst willen. Die Ethik der Nachhaltigkeit wird durch die von Bill Mollison (1928–2016) begründete Ethik der Permakultur vertreten, deren erste moralische Prämisse die Sorge um die Erde ist.
Auch wenn Fromms wissenschaftliche Beiträge bis in die 1960er und 1970er Jahre hi-neinreichen und sich die Idee der Permakultur zu Beginn der 1980er Jahre entwickelt hat, bleiben ihre Kritik und ihr Anliegen – so unterstellt der Autor der vorliegenden Arbeit und versucht die Leserschaft davon zu überzeugen – bis in die Gegenwart aktuell.
Die fundamentalethische Begründung der zwei ethischen Prinzipien mündet in einen latenten Prinzipienkonflikt: Sind die moralischen Prinzipien der ethischen Menschlichkeit und der ethischen Nachhaltigkeit miteinander vereinbar, wenn sie gleichzeitig angewandt werden, oder widersprechen sie sich?
Wie bereits oben angekündigt, liegt das Hauptaugenmerk deshalb auf der Analyse jenes Prinzipienkonfliktes. Die Methode der Analyse ist denkbar einfach: Entlang der jeweiligen Kriterien der Prinzipien wird einerseits geprüft, inwieweit das ethische Prinzip der Menschlichkeit den Kriterien der ethischen Nachhaltigkeit genügen kann; vice versa wird das ethische Prinzip der Nachhaltigkeit darauf hin untersucht, ob es die Forderungen der ethischen Menschlichkeit in sich aufnehmen kann. Diese wechselseitige Überprüfung wird die Vereinbar- und Unvereinbarkeiten offenbaren.
In der Folgebetrachtung der sozioökonomischen Vorschläge der humanistischen Ethik und der Ethik der Permakultur wird die Konvergenz oder Divergenz auch auf der praktischen Ebene deutlich, zumal mit diesem Schritt auch die ökonomische Sichtweise erschlossen wird.
In dieser Abstraktheit sollen die Ergebnisse indes nicht belassen werden. Unter Berufung auf ihre Moralprinzipien werden sie wieder auf die sozioökonomische Wirklichkeit zurückgeführt, indem vernünftige Argumente zur Kritik an der gängigen ökonomischen Praxis erhoben werden; denn Wirtschaftsethik ist auch eine kritische Sozialwissenschaft . Dennoch soll argumentiert werden, dass sich die Wirtschaftsethik zu sehr auf den Bereich der angewandten Ethik beschränkt und wenige fundamentalethische Fragen aufwirft, die notwendig wären, um einer „umfassenden philosophischen Ethik“ gerecht zu werden.
Um die Leserschaft im Fortgang des Lesens zu begleiten, wird zu Beginn eines jeden Kapitels mit einem kurzen Abriss des inhaltlichen Vorgehens auf den roten Faden verwiesen. Dennoch soll – um einen ersten Überblick des Ablaufs zu geben – an dieser Stelle der inhaltliche Aufbau der Arbeit umrissen werden.
Die Kapitel 2 und 3 bilden die theoretische Grundlage. Beginnend mit der Herleitung der ethischen Menschlichkeit – dem menschlichen Menschen – werden der Humanismus im Allgemeinen und die humanistische Ethik nach Fromm im Besonderen dargestellt. Parallel dazu wird die Idee der ethischen Nachhaltigkeit – des nachhaltigen Ökosystems – entwickelt, und zwar unter anderem anhand des Holismus und der Ethik der Permakultur.
Daraufhin behandelt Kapitel 4 die Analyse des Prinzipienkonfliktes. Der Argumentationsraum der Umweltethik bietet sich als geeigneter Rahmen für die Gegenüberstellung der Prinzipien an. Danach werden die Kriterien der beiden ethischen Prinzipien endgültig festgehalten und diskutiert: Die konträren und komplementären Elemente dieses Konfliktes treten auf diese Weise deutlich zutage.
In Kapitel 5 wird einer Auffälligkeit nachgegangen, die aus den Begründungen der zwei Prinzipien selbst resultiert: Ist der kleinste gemeinsame Nenner eine biozentrische Achse, um die beide Ethiken kreisen?
Kapitel 6 geht den sozioökonomischen Konsequenzen der zwei Prinzipien nach. Analog zur theoretischen Abfassung werden die Idee des kommunitären Sozialismus als humanistische Konzeption und der Bioregionalismus als sozioökonomischer Schlüpfling der Ethik der Permakultur vorgestellt und – wenn auch weniger umfangreich als die theoretische Umrahmung – miteinander auf ihre Vereinbar- oder Unvereinbarkeit hin verglichen.
Sodann schlägt das letzte Kapitel die Brücke für den Rückweg zur allgemeinen Wirtschaftspraxis und -ethik. Die ethische Menschlichkeit und die ethische Nachhaltigkeit bilden die Grundlage für die Kritik an der sozioökonomischen Wirklichkeit und letztlich wird die Sichtweise der Wirtschaftsethik als Bereichsethik infrage gestellt. Damit schließt sich der Argumentationskreis der gesamten Arbeit.

2 Der menschliche Mensch – zum ethischen Humanismus

In diesem Kapitel wird die humanistische Ethik nach Erich Fromm für die Gegenüberstellung im Prinzipienkonflikt mit der holistischen Ethik der Permakultur entwickelt. Um ein grundsätzliches Verständnis vom Ideal der Menschlichkeit – dem menschlichen Menschen – zu bekommen, werden in Kapitel 2.1 die wesentlichen Ideen des Humanismus erläutert. Sie bilden die theoretische Grundlage und sind gleichzeitig das Medium zur kritischen Einschätzung der humanistischen Ethik. In Kapitel 2.2 liegt der Fokus ausschließlich auf dem psychoanalytischen Verständnis des Humanismus nach Fromm, welches für die Analyse in Kapitel 4 tragend sein wird.

2.1 Der Idee des Humanismus auf der Spur

2.1.1 Humanität – das Recht auf Menschlichkeit

Eine enge Wort- und Sinnverwandtschaft besteht zwischen den Begriffen des Humanismus und dem Begriff der Humanität. Ihnen liegt der gemeinsame lateinische Wortursprung „humanitas“ zugrunde. Das daraus abgeleitete französische Wort „humanité“ wurde von Johann Gottfried Herder (1744–1803) in seinen „Briefen zur Beförderung der Humanität“ mit Menschlichkeit, Menschheit, Menschenrecht, Menschenwürde und Menschenliebe übersetzt und in der deutschen Sprache verankert.
Der zunächst weite und universale Begriff der Menschheit „postuliert die Gleichheit aller Menschen im Hinblick auf ihre Vernunft und Freiheit, Würde und ihre unveräußerlichen ‚natürlichen‘ Rechte.“ Aufgrund dieser Prämissen wendet sich die Humanität gegen Richtungen, die dem widersprechen, wie Rassismus oder Ungleichheit. Humanität als Menschheit oder Menschlichkeit verstanden „ist die Mitte der humanistischen Bewegung: Ohne Humanität kein Humanismus.“
In ihrer Unterscheidung sind humanitäre Gründe jene, die sich auf die Rechte des Menschen beziehen, während sich humane Gründe auf den Wert des Menschen beziehen. Dabei haben humanitäre Gründe Priorität, da aus ihnen eine direkte moralische Verpflichtung erwächst, die damit die wertbezogene Empfehlung dominiert.
Im klassischen Sinne hat „humanitas“ (Menschlichkeit) zwei Bedeutungen. Erstens beschreibt sie das typisch Menschliche, die erhabene Seite der menschlichen Natur, und zweitens drückt der Begriff den Endzustand des Menschen aus, in dem alle Inhumanität überwunden worden ist. Humanitas beschreibt „die Summe der geistigen Normen und praktischen Verhaltensweisen, die den Menschen zum Menschen machen.“ Die Menschlichkeit ist demnach ein konstitutives Merkmal des Humanismus, da sonst die reinen Behauptungen und Forderungen des Humanismus nach Würde, Gleichheit, Gerechtigkeit und Menschenliebe ohne einen klaren Bezug im inhaltsleeren Raum stünden.
Bis hierhin ist festzuhalten, dass die Menschlichkeit, verstanden als Humanität, eine notwendige Bedingung des Humanismus ist. Das Recht auf Menschlichkeit verpflichtet zur Achtung der Würde des Menschen als ein humanistisches Minimum. In welcher Hinsicht dehnt der Humanismus dann die Grenzen der humanitären Praxis aus?

2.1.2 Humanismus – die Philosophie der Menschlichkeit

Der Humanismus als „Ismus“ ist nicht nur eine These, sondern meist ein gesamtes Gedankengebäude, welches auf innere Stimmigkeit zustrebt und konkrete Implikationen hat. Trotzdem existiert keine klare Definition und keine einheitliche Verwendung des Begriffs „Humanismus“ oder des Adjektivs „humanistisch“. Der Humanismus wird unterschiedlich interpretiert und unterliegt deshalb diversen Verständnisweisen. Die Hauptunterschiede bestehen meist in terminologischen Differenzen. In den jeweiligen Auslegungen werden bestimmte Aspekte des Humanismus hervorgehoben oder ignoriert. Die Unterbestimmtheit des Begriffs ist auch darauf zurückzuführen, dass kaum ausgearbeitete Werke zur Begriffsgeschichte des Humanismus vorliegen. Lediglich in Einzelwerken oder Kurzüberblicken findet der Humanismus Erwähnung. Dies hat zwei Gründe: Erstens entwerfen die Autoren der Einzelwerke eigene Konzeptionen des Begriffs, ohne eine vorangestellte und gründliche ausgearbeitete Begriffsgeschichte vorzunehmen, und zweitens fokussieren sich viele Autoren auf eine spezifische Ausprägung des Humanismus.
Trotz dieser verschwommenen Sicht auf den Humanismus und der weiträumigen Interpretationen ist eine erste umfassende Definition als Ausgangspunkt möglich:
„‚Humanismus‘ ist eine kulturelle Bewegung, ein Bildungsprogramm, eine Epoche (Renaissance), eine Tradition […], eine Weltanschauung, eine Form von praktischer Philosophie, eine politische Grundhaltung, welche für die Durchsetzung der Menschenrechte, ein Konzept der Barmherzigkeit, das für humanitäre Praxis eintritt.“
Als Philosophie – deren Betrachtung als solche für diese Arbeit von Bedeutung ist – überschreitet der Humanismus die bloßen Prämissen der Humanität. Als Weltanschauung dient der Humanismus sogar als eine Art Religionsersatz für konfessionsfreie Menschen. Die Teile, die den Humanismus als philosophisches System ausmachen, sind divers und nicht immer widerspruchsfrei; der Humanismus ist also kein abgeschlossenes System. Er zeichnet sich durch seine Offenheit und Unabgeschlossenheit aus. In dieses System sind nicht nur Literatur und Ideen zu fassen, sondern auch Kunst, Mythen, symbolische Orte der Humanität, Kreativität, Toleranz als Haltung und historische Personen. Der Humanismus ist keine kohärente Philosophie, denn die humanistischen Denker verfahren in ihren Begründungen wählerisch, damit die Zusammensetzung in ihrer Theorie widerspruchsfrei wird. Die anklingende Kritik, der Humanismus sei eine eindimensionale Offenbarungsreligion, ist unter den gegebenen Prämissen verfehlt. Da der Humanismus ein offenes System ist, ist er an viele Richtungen anschlussfähig: Recht, Philosophie, Psychologie, Pädagogik, Politik und Wissenschaft.
Als Theorie und Gedankengebäude der Menschlichkeit stellt sich dem aufmerksamen Betrachter die Frage, inwieweit der Humanismus sein Selbstverständnis fasst. Oder anders ausgedrückt: Was erachtet der Humanismus als menschlich?
Zunächst beschreibt der Humanismus die Ideenrichtung und die Lebenseinstellung, die die Verwirklichung des Menschen anstrebt. Auch wenn der Mensch eine wie auch immer geartete Verwirklichung verfehlt, bleibt jede Ausprägung und Manifestation der Menschlichkeit eine Form des Humanismus. Dennoch bestimmt der Humanismus als Ideal, ob der Mensch als Aufgabe sein Wesen verwirklicht oder verfehlt. Je nach Selbstentwurf des Menschen erhält die Idee des Menschen ihre Gestalt und bestimmt damit gleichzeitig den Sinn und den Wert der Menschlichkeit.
Trotz der mannigfachen Auslegungen des Humanismus gibt es einen gemeinsamen Kern: Die humanistischen Ansätze beinhalten die teleologische Perspektive, dass der Mensch eine höhere Form der Existenz finden kann. So kann auch die Rebellion gegen bestehende Verhältnisse damit erklärt werden, dass dann das teleologische Handlungsziel erreicht wird. Der Selbstentwurf des Menschen als eine „höhere Stufe“ der Menschlichkeit ist bereits in der Beschreibung „humanistisch“ enthalten. Diese Beschreibung weist auf Formen von Bewusstheit, Reflexion über das Wesen des Menschen und seine Stellung im Kosmos und Gesellschaft hin, die vorausgesetzt werden. Erst im Zuge dieser Reflexion können sich humanistische Gedanken und Intentionen als menschliche Ideale ausbilden.
Das erklärte Ziel ist zwar die Menschwerdung, Vermenschlichung und Menschlichkeit des Menschen, aber der Humanismus ist damit kein Utilitarismus, keine Aufrechnung von Vor- und Nachteilen, von Lust und Unlust, sondern beruht zunächst auf dem deontologischen Verständnis der Humanität, den Rechten und Pflichten des Menschseins. Der normative Humanismus setzt den theoretischen Humanismus voraus, aber nicht vice versa: Jemand kann theoretisch Humanist sein, ohne ethisch Humanist zu sein; der ethische Humanismus ist inhaltlich durch die normativen Kriterien bestimmt, wohingegen sich der theoretische Humanismus ethisch neutral verhält.

2.1.3 Fromms Rezeption des Humanismus

Wie aus der zunächst allgemeinen Beschreibung des Humanismus ersichtlich wurde, existiert kein einheitliches Verständnis des Humanismus. Jeder Autor bezieht sich, wie bereits erwähnt, auf verschiedene Aspekte der humanistischen Tradition. Deshalb ist es schwierig eine konsistente Begriffs- und Ideengeschichte darzustellen. Diese Erkenntnis legt nahe, Fromms eigene Rezeption des Humanismus in Betracht zu nehmen. Um sein humanistisches Anliegen zu verstehen, sollen seine Person und die Hintergründe seines Denkens erläutert werden. Im Anschluss an die Auslegung seiner Interpretation des Humanismus wird diese in die Begriffs- und Ideengeschichte des Humanismus eingeordnet.

2.1.3.1 Zum Denken von Erich Fromm

Erich Fromm (1900–1980) war Psychoanalytiker, Sozialpsychologe und Kulturkritiker. Er wurde maßgeblich durch die Lehre der Psychoanalyse von Sigmund Freud und die gesellschaftstheoretische Philosophie des Sozialismus von Karl Marx beeinflusst. Der Psychoanalyse entnahm er die Kenntnisse über die unbewussten Motivationen des Menschen. Seine Vorstellung von einer menschlichen Gesellschaft stammen von Karl Marx. Somit synthetisiert Fromm die Kenntnisse aus der Psychoanalyse und die marxistische Theorie im Sinne einer humanistischen Anschauung.

2.1.3.2 Der radikale Humanismus

Erich Fromm bezieht sich in seiner Rezeption der Philosophie des Humanismus auf die ideengeschichtliche Entwicklung seit dem Renaissance-Humanismus. Er führt prominente Namen auf, wie Spinoza, Hume, Goethe, Kierkegaard, Schweitzer, Russell, Einstein und Hölderlin; Humanisten der Renaissance sind Gianozzo Manetti, Pico della Mirandola und Erasmus von Rotterdam. Aufgrund ihrer inhaltlichen Beziehung konstatiert Fromm, dass alle humanistischen Denkrichtungen eine fundamentale Einstellung teilen:
„Sowohl in seiner christlich-religiösen als auch in seiner säkularen, nicht-theistischen Ausprägung ist der Humanismus gekennzeichnet durch einen Glauben an den Menschen und dessen Fähigkeit, sich zu immer höheren Stufen weiterzuentwickeln, durch den Glauben an die Einheit der menschlichen Rasse, durch den Glauben an Toleranz und Frieden sowie an Vernunft und Liebe als jenen Kräften, die den Menschen in die Lage versetzen, sich selbst zu verwirklichen und das zu werden, was er sein kann.“
Die grundlegende Idee des Humanismus ist demzufolge, dass „humanitas“ (Menschlichkeit) keine Abstraktion ist, sondern jedes Individuum die gesamte Menschheit in sich enthält: „Jeder einzelne repräsentiert die ganze Menschheit, und deshalb sind alle Menschen gleich – nicht was ihre Begabungen und Talente betrifft, sondern hinsichtlich ihrer grundlegenden menschlichen Qualitäten.“ Die humanistischen Denker gingen von der in jedem Menschen vorhandenen universalen Menschlichkeit aus. Sie sprechen vom „Wesen des Menschen“ , wobei damit keine determinierte, unveränderbare Substanz gemeint ist, sondern die eigenen Potenzialitäten und Möglichkeiten des Menschen: „Bei ihnen ergibt sich das Wesen des Menschen aus den spezifischen Bedingungen der menschlichen Existenz. Der Mensch muß im Prozeß der Geschichte durch eigene Anstrengung und eigenes Tätigsein dieses menschliche Potential zur Entfaltung bringen.“ Fromms Idee des Humanismus erfasst die universale Menschlichkeit und die Entwicklung der Menschlichkeit im historischen Prozess.
Daneben gibt es Fromm zufolge aber noch andere wichtige Aspekte des humanistischen Denkens, die vor allem auch die Forderungen nach Humanität einschließen: „Würde, Kraft, Freiheit und Freude des Menschen sowie die Liebe als einer grundlegenden Kraft der gesamten Schöpfung.“ Mit dem Glauben an die Würde des Menschen schließt der Humanismus die Hoffnung an das potenzielle Gute im Menschen an. Das bedeutet nicht, dass der Mensch per se gut ist, sondern dass er lediglich das Potenzial zu Selbstvervollkommnung in sich trägt. Deshalb verdient Fromms Humanismus auch die Bezeichnung radikaler Humanismus, denn die Wurzel und das Ziel des Humanismus ist bei ihm ausschließlich der Mensch. Diese Denkrichtung sieht Fromm auch in der marxistischen Tradition verortet, weil diese Gesellschaftsordnung den nicht entfremdeten Menschen hervorbringe, und er benennt diesen deshalb als sozialistischen Humanismus.

2.1.3.3 Fromm als letzter Vertreter des „harten Humanismus“

Da nun Fromms philosophischer Standpunkt bekannt ist, wird in diesem Kapitel anhand der Arbeitshypothese von Baab (2013) die Semantik von Fromms Humanismusbegriff überprüft: „Der zentrale Wert des Humanismus ist das Menschheitskollektiv. Ausgehend von einem konkreten Menschheitsideal wird eine Gesellschafts- oder zumindest Bildungsutopie entworfen, die sich gegen bestimmte bestehende Verhältnisse richtet.“
Aus der Betrachtung des ursprünglichen Verlaufs der Begriffsgeschichte des Humanismus kann Fromm als einer der „letzten großen Vertreter und Neudeuter des Humanismusbegriffes im Sinne seiner klassischen Semantik gesehen werden.“ Er bemühte sich, einen wissenschaftlichen Erklärungsansatz zu einer universellen Ideologie beizusteuern. Möglich war ihm dies als in den USA tätiger Wissenschaftler, wo bis zum Ende des 20. Jahrhunderts noch ein ausgeprägter Fortschrittsoptimismus herrschte. Fromm interpretiert den Humanismus pluralistisch, für ihn gibt es einen theistischen, säkularen und atheistischen Humanismus. Zudem ist die praktische Orientierung in Fromms Humanismus sozialistisch. Er sei nicht davon überzeugt, so schreibt er, dass – wie die überwiegende Mehrheit der Humanisten bisher geglaubt habe – die Entfaltung des Menschen ausschließlich über Bildung eingelöst werden könne. Seine marxistische Haltung lässt erkennen, dass der Mensch ihm zufolge nur in einem gesellschaftlichen und ökonomischen System existieren kann, in dem „die volle Entwicklung des Individuums die Voraussetzung für die volle Entwicklung der Gesellschaft ist und umgekehrt.“ Damit unterscheidet er sich von allen anderen humanistischen Richtungen. Der Humanismus nach Fromm ist – gemessen an der Ausgangshypothese – in einer Linie mit der Semantik des Terminus aus dem 19. Jahrhundert. Solche Humanismen, die auf der Bedeutung des Menschheitskollektivs beruhen, bezeichnet Baab (2013) als sogenannte „harte Humanismen“ .
Fromm scheint mit seinem Eintreten für einen klassischen Humanismus seiner Zeit fremd zu sein. Gerade nach den zwei Weltkriegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das historische Versagen des Humanismus einer massiven Kritik unterzogen. Als „letzter große Vertreter und Neudeuter“ der Menschlichkeit im 20. Jahrhundert ist Fromm gerade deshalb interessant für die Untersuchung in dieser Arbeit.

2.1.4 Zur Kritik des Humanismus

Bevor die humanistische Ethik als Ganzes erarbeitet wird, soll der Humanismus an dieser Stelle seine kritische Würdigung erfahren. Mit einem postulierten idealen Menschenbild der sogenannten „harten Humanismen“ wächst auch der Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Totalität der Menschlichkeit. Auch wenn die Humanismen diesen Vorwurf meist abwehren, besteht dieser Konflikt mit dem Ideal der Menschlichkeit fort und verlangt eine kritische Betrachtung.
Eine generelle Kritik bezieht sich auf die enthobene Position des Menschen gegenüber seiner Animalität: Das Geistige des Menschen und der Mensch als solcher wird nach der Enthebung Gottes zur Mitte des 19. Jahrhunderts absolut gesetzt. Die Humanismen erheben aus der Perspektive dieser Kritiker den Menschen zum zentralen Wert und verhalten sich quasi religiös. Die Weltanschauung des Humanismus sei in dieser Form radikal anthropozentrisch. Als Träger der Menschlichkeit stehe der Mensch im Zentrum des Erkennens und Denkens.
Die Betonung des Guten im Menschen führt aus dieser Sicht zu einer Vernachlässigung seiner tierischen Seite. Es bestehe die Gefahr, dass die Animalität im Menschen unterdrückt und damit auch in humanistischen Gesellschaftsutopien verdrängt wird.
Folgende Kritikpunkte werden dem Humanismus vorgeworfen: Aus Sicht der Kritiker werde die axiomatische Festsetzung des Menschen als zentraler Punkt in der Ordnung der Dinge kaum hinterfragt. Der Humanismus setze eine bestimmte Idealvorstellung der Menschen voraus, an der alle Menschen gemessen werden. Alle andersartigen Lebensentwürfe würden damit herabgestuft werden, wenn sie nicht der Werteskala der Humanisten und eben jenem Menschheitsideal entsprächen. Die allgemeine Kritik verzeichnet außerdem, dass solche Humanismen dazu neigen, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse als Gegenposition zu verteufeln und durch eine Änderung der Verhältnisse die Entwicklung des Menschen entsprechend ihrer Ideale zu ermöglichen. Die Freiheit des Menschen würde durch ein konkretes ideales Bild des Menschen demnach eingeschränkt werden. Die Vertreter des Humanismus – wie auch Fromm – entgegnen solchen Kritikern indessen, dass gerade dieses Ideal die Menschwerdung im Humanismus den Menschen zur Befreiung verhelfe.
Der Humanismus trägt die Tendenz in sich, dass er zur Verabsolutierung des Menschen strebt und ausschließlich das Gute im Menschen als höchste Form der Existenz anerkennen möchte. Der Kritik des radikalen Anthropozentrismus, der im umweltethischen Diskurs als Speziesismus bezeichnet wird, muss sich die humanistische Ethik stellen.

2.2 Die humanistische Ethik

Als philosophische Denkart wurde der Humanismus in einem kurzen Abriss im Allgemeinen und aus Fromms Perspektive im Besonderen kritisch dargelegt. Der Humanismus als Ethik eröffnet schließlich den Horizont, welche ethischen Forderungen aus ihm resultieren und wie diese hergeleitet werden. Die folgende Darlegung des Humanismus und der humanistischen Ethik bezieht sich fortan ausschließlich auf die Semantik, wie sie Fromm gebraucht.
Auf der Grundlage der Erkenntnisse der Psychoanalyse bei Fromm ist der Gegenstand der humanistischen Ethik der menschliche Charakter. Nur mit dem Blick auf die gesamte Charakterstruktur des Menschen „können Wertsetzungen über einzelne Charakterzüge oder Handlungen gemacht werden. Weit mehr als einzelne Tugenden oder Laster ist der tugendhafte oder lasterhafte Charakter der eigentliche Gegenstand der ethischen Forschung.“
Die unbewusste Motivation ist also für die humanistische Ethik von entscheidender Bedeutung. Fromm versucht mittels der Theorie und den klinischen Beobachtungen der Psychoanalyse eine objektive humanistische Ethik zu begründen, indem er die charakterliche Orientierung des seelisch gesunden Menschen in Abgrenzung zur Charakterrientierung des seelisch erkrankten Menschen erfasst. Um seine humanistische Ethik zu begreifen, bedarf es der Betrachtung seiner Anthropologie und Charakterologie.

2.2.1 Anthropologie: Die Situation des Menschen und seine Bedürfnisse

Fromms Argument für die spezifisch menschliche Natur sind die besonderen Qualitäten des Menschen im Vergleich zu anderen Lebewesen. Die Geburt des Menschen war aus seiner Sicht in dem Moment vollzogen, als die Instinkte ihr Minimum und die Gehirnkapazität ihr Maximum erreichten. Der Intellekt ist demzufolge das Substitut für die abgeschwächten Instinkte und das Neue im Menschen nicht seine instrumentale Intelligenz, sondern die völlig neue Eigenschaft des Bewusstseins seiner Selbst. Der Mensch, so schreibt er, sei sich dessen bewusst, dass er sich und andere Objekte kennt. Er verfüge über die erforderliche Vernunft, um objektiv zu verstehen. Weiterhin sei er sich seiner Trennung von der Natur und anderen Menschen bewusst, seiner Unwissenheit und des Todes. Seine Harmonie als tierische Existenz wurde also durch das Selbstbewusstsein, die Vernunftbegabung und das Vorstellungsvermögen unterbrochen.
Der Mensch ist nach Fromm ein Teil der Natur, doch er transzendiert sie. Er ist damit, so Fromm, nie von der Dichotomie seiner Existenz befreit. Diese Widersprüche im Menschen würden ihn vom Tier unterscheiden, das in Harmonie mit der Natur lebe. Die existenziellen Widersprüche erzeugen psychische Bedürfnisse, die für jedes menschliche Wesen fundamental sind: „Er ist gezwungen, das Entsetzen vor seiner Isoliertheit, seiner Machtlosigkeit und seiner Verlorenheit zu überwinden und neue Formen des Bezogenseins zur Welt zu finden, durch die er sich in ihr zu Hause fühlen kann.“ Dies sind nach Fromm die sogenannten „existenziellen Bedürfnisse“ . Ihre Befriedigung ist für den Erhalt der psychischen Gesundheit notwendig, so wie die Befriedigung seiner organischen Triebe notwendig für das Überleben auf physischer Ebene ist.
Die existenziellen Bedürfnisse können allerdings auf mannigfache Weise befriedigt werden und hängen auch von der gesellschaftlichen Umwelt ab. Die Bedürfnisse, so Fromm, seien neutral, wohingegen die Reaktionen Wertungsbegriffe seien, „die ihre positive oder negative Qualität […] über eine kranke und gesunde Psyche erhalten“ : „Diese unterschiedliche Art […] manifestiert sich in Leidenschaften wie Liebe, Zärtlichkeit, Streben nach Gerechtigkeit, Unabhängigkeit und Wahrheit; in Haß und Sadismus, Masochismus, Destruktivität und Narzißmus.“ Aus diesen im Charakter wurzelnden Leidenschaften folgt für Fromm, dass „der Charakter ein relativ permanentes System aller nicht-instinktiven Triebe ist, durch die der Mensch sich mit der menschlichen und der natürlichen Welt in Beziehung setzt.“ Die Instinkte und die existenziellen Widersprüche sind allen Menschen gemeinsam, sie unterscheiden sich aber hinsichtlich ihrer Leidenschaften, die den Charakter dominieren. Der kraftvollste Treiber für Charakterunterschiede sind für Fromm die gesellschaftlichen Bedingungen. Die Leidenschaften sind daher auch einer historischen Kategorie unterworfen. Solche historischen Widersprüche gehören aber nicht notwendigerweise zur menschlichen Existenz. Da der Mensch diese Verhältnisse geschaffen hat, kann er sich auch wieder ändern oder davon lösen.

2.2.2 Die Charakterologie und ihre Bedeutung für die humanistische Ethik

Unter der menschlichen Persönlichkeit versteht Fromm zunächst „die Totalität ererbter und erworbener psychischer Eigenschaften, die den einzelnen charakterisieren und das Einmalige dieses einzelnen ausmachen.“ Zu den ererbten Eigenschaften zählt er das Temperament und das Talent. Das Temperament beziehe sich auf die Art der Reaktion und gehöre zum Naturell des Menschen. Dagegen sei der Charakter wesentlich durch die Erfahrungen geprägt und durch neue Erfahrungen und Einsichten graduell veränderbar. Die Charakterunterschiede bilden daher das eigentliche Problem der Ethik. Sie zeigen den Grad an, wie weit der Einzelne in der Kunst des Lebens erfolgreich ist.
Fromm übernimmt die Vorstellung des dynamischen Charakterbegriffs von Sigmund Freud. Er beschreibt den Charakter als System von Bestrebungen, der das Verhalten bestimmt, aber nicht mit der äußeren Handlung identisch sein muss. Fromm stützt sich auf das Konzept der dynamischen Charakterstruktur und stimmt zu, dass jedem Verhalten Charakterstrukturen zugrunde liegen, die nicht bewusst sein brauchen. Nicht der einzelne Charakterzug bestimmt ihm zufolge den Charakter, sondern die Charakterorganisation, von der sich die Charakterzüge herleiten lassen.
Für Fromm bestimmt die Beziehung zur Welt die eigentliche Basis des Charakters. Der Mensch, so sagt er, beziehe sich auf die Welt einerseits im Assimilierungsprozess in der Aneignung der Dinge und anderseits im Sozialisierungsprozess, indem er sich zu seinen Mitmenschen und sich selbst in Beziehung setzt. Beide Formen des Bezogenseins sind offen und nicht durch den Instinkt determiniert, wie beim Tier, denn der menschliche Charakter drückt die Form seiner Bezogenheit zur Welt aus. Daher ist der menschliche Charakter die „(relativ) gleichbleibende Form, in die die menschliche Energie im Prozeß der Assimilierung und Sozialisierung kanalisiert wird.“ Die Kanalisierung der psychischen Energie hat eine wichtige biologische Funktion, da die Handlungen nach Fromm nicht instinktiv determiniert sind. Das Leben des Menschen wäre bei jeder Handlung gefährdet, wenn er in jedem Moment eine neue Entscheidung treffen müsste. Sind die psychischen Energien in einer bestimmten Weise kanalisiert, dann entwickelt sich die äußere Handlung getreu der Charakterstruktur. Somit entstammen auch Ideen und Denken dem Charakter. Das Denken und die Denkweise bestätigen die Charakterstruktur, weil etwas richtig und vernünftig erscheint.
Der Charakter hat nicht nur die Funktion, vernünftiges Handeln zu ermöglichen, sondern ist Fromm zufolge auch der Ausgangspunkt für die Anpassung an die Gesellschaft. Der Charakter des Kindes wird durch die Eltern geformt; die Erziehungsmethoden und der Charakter der Eltern wurden ebenfalls durch die Gesellschaftsstruktur geprägt. „Die durchschnittliche Familie ist die ‚psychologische Agentur der Gesellschaft‘.“ Dieser Gesellschaftscharakter unterscheide sich immer noch vom individuellen Charakter, durch den sich die Menschen innerhalb eines Kulturkreises voneinander unterscheiden.
Bezogen auf die Orientierung der gesellschaftlichen und individuellen Charakterstruktur trifft Fromm die Unterscheidung zwischen nichtproduktiven Charakterorientierungen und produktiven Charakterorientierungen. Hierbei handelt es sich um Idealtypen, die nicht mit der Beschreibung eines einzelnen Individuums einhergehen. Der Charakter eines Menschen ist eine Mischung aller Orientierungen, wobei eine Orientierung dominant ist. Die Dominanz einer Orientierung erlaubt daher auch die idealtypische Klassifizierung. Ob eine Orientierung allerdings überwiegt, ist, so Fromm, für die Charakterisierung entscheidend und macht die Qualität der jeweiligen Orientierung aus. Wenn, so sagt er, die produktive Orientierung in einer Charakterstruktur dominiere, dann seien die Qualitäten der nichtproduktiven Orientierungen nicht zwangsweise von negativer Bedeutung, sie könnten innerhalb einer dominant produktiven Orientierung auch konstruktive Qualitäten haben.

2.2.3 Die Charakterorientierungen

2.2.3.1 Die produktiven Charakterorientierungen

Die produktive Orientierung ist eine Erweiterung von Freuds „genitale[m] Charakter“ . Fromm füllt den Begriff der Produktivität aus und geht über eine rein kritische Analyse hinaus, indem er „das Wesen des vollentwickelten Charakters untersuch[t], der das Ziel jeder menschlichen Entwicklung ist und zugleich dem Ideal der humanistischen Ethik entspricht.“ Der Mensch hat ihm zufolge im Gegensatz zum Tier eine bewusste Lebenstätigkeit, er gehorcht nicht allein seinen Instinkten, sondern steht durch andere Fähigkeiten mit der Welt in Kontakt. Er ist nicht nur vernunftbegabt und ein soziales Lebewesen, sondern kann durch seine Vorstellungsfähigkeit und Vernunftbegabung Materie verändern. Die materielle Produktivität ist wiederum nur ein Aspekt des Charakters. Unter einer produktiven Orientierung versteht Fromm eine „fundamentale Haltung“ . Diese Haltung beschreibe die „Form der Bezogenheit in der gesamten menschlichen Erfahrung als geistige, emotionale und sensorische Reaktion auf die anderen Menschen, Objekte und sich selbst.“ . Die Produktivität ist die menschliche Fähigkeit, die eigenen Kräfte zur Entfaltung der eigenen Potenziale zu gebrauchen. Wenn er sich produktiv orientiere, so Fromm, dann handelt der Mensch frei, d. h. ohne Abhängigkeiten, die seine Kräfte kontrollieren. Er sei von der ihm innewohnenden Vernunft geleitet, könne seine Kräfte damit einsehen, verstehen und gebraucht sie demnach, wenn er sie benötigt. „Produktivität bedeutet, daß der Mensch sich selbst als Verkörperung seiner Kräfte und als Handelnder erlebt; daß er sich mit seinen Kräften eins fühlt und daß sie nicht vor ihm verborgen und ihm entfremdet sind.“
Echte Produktivität zeichne sich durch die „Kraft zu etwas“ aus und sei nicht die „Kraft über etwas“ oder jemanden: „Produktivität ist die Realisierung der dem Menschen eigenen Möglichkeiten, also der Gebrauch der eigenen Kräfte. […] Die Befähigung des Menschen, seine Kräfte produktiv zu gebrauchen, ist seine Stärke [..], die Unfähigkeit hierzu seine Ohnmacht.“
Die Produktivität zeigt sich nach Fromm in den Tätigkeiten der produktiven Liebe und im produktiven Denken. Durch „Tätigsein“ und „Verstehen“ kann sich der Mensch produktiv auf die Welt beziehen. Im Erschaffen von Dingen wendet der Mensch seine Kräfte auf, um Materie zu formen. Er begreift die Welt „geistig und emotional“ durch seine Fähigkeit der Liebe und Vernunft. Mittels seiner Vernunftbegabung dringt er in das Wesen der Gegenstände ein und versucht sie zu verstehen. Die Liebe ist seine Fähigkeit, die Vereinigung mit der Welt zu erreichen. Liebe und Vernunft sind zwei unterschiedliche Möglichkeiten, die Welt zu begreifen und sich zu ihr in Beziehung zu setzen.

2.2.3.2 Die Tätigkeit der produktiven Liebe

Die Gegenstände der produktiven Liebe, so Fromm, unterscheiden sich. Das Wesen der Liebe ändere sich aber nicht; lediglich die Intensität und Qualität der Liebe seien verschieden. Die elementaren Eigenschaften produktiver Liebe sind ihm zufolge:
„Fürsorge für den andern, Verantwortungsgefühl für den andern, Achtung vor dem andern und Erkenntnis. […] Fürsorge und Verantwortungsgefühl zeigen an, daß Liebe Tätigsein bedeutet, nicht aber eine Leidenschaft, die den Menschen überwältigt, und ebensowenig ein Affekt, durch den man mitgerissen wird.“
Fürsorge und Verantwortungsgefühl sind fundamentale Elemente der Liebe, aber ohne Achtung vor dem Objekt nimmt die Liebe herrschsüchtige und besitzgierige Züge an. Die universelle Menschenliebe sei, so sagt er, noch keine allgemeine Erfahrung in der Gesellschaft geworden. Gerade in dieser Liebe zur Menschlichkeit aller Menschen liegt für Fromm das Entfaltungspotenzial des einzelnen Menschen:
„Einen Menschen produktiv lieben heißt, mit seinem menschlichen Kern, mit ihm, sofern er die Menschheit repräsentiert, in Beziehung zu stehen. Die Liebe zum einzelnen muß zufällig und oberflächlich bleiben, wenn sie die Liebe zur Menschheit ausschließt. […] Ein menschliches Zusammengehörigkeitsgefühl ist die notwendige Voraussetzung für die Entfaltung der Individualität.“

2.2.3.3 Die Tätigkeit des produktiven Denkens

Im produktiven Denken unterscheidet Fromm zwischen Vernunft und Intelligenz. Die Intelligenz ist ein Werkzeug zum Erreichen praktischer Ziele. Die Ziele selbst werden nicht infrage gestellt, sondern unhinterfragt angenommen, unabhängig davon, ob sie rational oder irrational geartet sind. Diese Art des Denkens lässt Fromm zufolge also Zwecke und Prämissen aus, sie versucht nicht, „die Natur und die jeweilige Qualität der Phänomene zu verstehen.“ Die Vernunft, so schreibt er, bringe diese tiefere Dimension ein. Ihre Aufgabe sei es die Welt zu begreifen, damit sich der Mensch zu ihr in Beziehung setzen könne. Der Mensch reagiert umfassend auf seine Umwelt. Der Gegenstand der Umwelt wird zum Gegenstand des Interesses, weil die Umwelt für „das individuelle Leben und das der menschlichen Existenz bedeutungsvoll ist.“ Das produktive Denken selbst ist durch Objektivität charakterisiert, d. h. durch Respekt gegenüber seinem Objekt, indem es dieses so sieht, wie es seiner Natur nach an sich ist, und es nicht nach seinen persönlichen Wünschen formt.

2.2.3.4 Die nichtproduktive Charakterorientierung

Die nichtproduktiven Arten zwischenmenschlicher Bezogenheit spiegeln die pathologischen Züge der Charakterorientierung in Fromms Charakterologie wider. Grundsätzlich unterscheidet Fromm zwischen der „symbiotischen Bezogenheit“ und der „destruktiven Bezogenheit, die Rückzug und Distanz beinhaltet“ . Im Sozialisationsprozess könne eine zwischenmenschliche Beziehung entweder symbiotisch sein oder sie bringe es nicht zur Manifestation, weil das Individuum „distanziert entweder indifferent-konformistisch, destruktiv oder narzißtisch lebt.“ Die inzestuöse Symbiose umfasst ihm zufolge die masochistische oder sadistische Orientierung als Form autoritärer Abhängigkeitsverhältnisse. Orientierungen, die sich durch Distanz auszeichnen, können als Konformismus, Nekrophilie und Narzissmus in Erscheinung treten. Da die psychopathologischen Untersuchungen und Befunde in Fromms Werken umfangreich sind, können sie hier nur angedeutet werden. Sie haben dennoch einen hohen Stellenwert für die Begründung und Entwicklung der humanistischen Ethik, weil Fromm gerade in Abgrenzung zur seelischen Erkrankung des Menschen die Kriterien des seelisch gesunden Menschen sondiert und damit die humanistische Forderung formuliert.

2.2.4 Argumente für einen normativen Humanismus

2.2.4.1 Gegen einen ethischen Relativismus

Aus der realistischen Überzeugung heraus, dass Menschlichkeit keine fixe, unveränderbare Substanz ist, sondern als Potenzialität des Menschen interpretiert werden muss, folgt für Fromm, dass das allgemeine Wesen des Menschen die universale Menschlichkeit ist. Es gibt, so sagt er, universale Kriterien für die psychische Gesundheit des Menschen, die allgemein gelten und anhand derer auch der vitale Zustand einer Gesellschaft beurteilt werden kann. Der Mensch ist sein eigenes Produkt, denn so, wie er seine Umwelt im Prozess der Geschichte verwandelt, ändert er auch sich selbst. Die Leidenschaften im Menschen sind ein Ergebnis seiner Existenz, sie sind definierbar und ermittelbar, einige führen zu Krankheit und einige zu Gesundheit.
„Der Ansatz des normativen Humanismus gründet sich auf die Annahme, daß es […] richtige und falsche, befriedigende und unbefriedigende Lösungen für das Problem der menschlichen Existenz gibt. Seelische Gesundheit kommt zustande, wenn sich der Mensch entsprechend den charakteristischen Eigenschaften und Gesetzen der menschlichen Natur zur vollen Reife entwickelt. Zur psychischen Erkrankung kommt es, wenn diese Entwicklung fehlschlägt.“
Seelische Gesundheit bedeutet in diesem Zusammenhang nicht die Anpassung an die Gesellschaft, sondern muss als ein „universales, für alle Menschen gültiges Kriterium“ verstanden werden, dass jeder Mensch auf seine menschliche Existenz eine angemessene Antwort findet.
Auf der Prämisse der seelischen Gesundheit versucht Fromm in Abgrenzung zum ethischen Relativismus eine objektive humanistische Ethik zu begründen, denn die Quellen von Normen und Werten sind ihm zufolge in der Natur des Menschen selbst zu finden. Die Missachtung dieser ethischen Qualitäten führt zur seelisch-emotionalen Desintegration. Die Charakterstruktur der „reifen und integrierten Persönlichkeit“ ist die Grundlage der „Tugend“ im Gegensatz zum „Laster“ , das die „Gleichgültigkeit gegen das eigene Selbst“ ist. Die Charakterologie beinhaltet eine nichtrelativistische Position, denn sie zeichnet den Weg einer gesunden Entwicklung als Ziel des Menschen, die gleichbedeutend mit einer tugendhaften Entwicklung ist. Die Entwicklung zur Reife könne, sagt Fromm, durch äußere Umstände irritiert und behindert werden. „Unter normalen Bedingungen entwickelt sich jedoch der reife, unabhängige und produktive Charakter, der zu Liebe und Arbeit fähig ist: Letzten Endes sind Tugend und Gesundheit […] ein und dasselbe.“

2.2.4.2 Moralische Norm der humanistischen Ethik

In der humanistischen Ethik bedeutet gut, was „gut für den Menschen“ ist, und böse, was „schlecht für den Menschen“ ist. Um Gut und Böse differenzieren zu können, ist das Wissen über die Natur des Menschen von zentraler Bedeutung: „Humanistische Ethik ist die angewandte Wissenschaft von der ‚Kunst des Lebens‘. Sie beruht auf der theoretischen ‚Wissenschaft vom Menschen‘.“ Für die Entstehung von Normen sei es allerdings notwendig, so Fromm, ein Ziel zu schaffen, da sich jede angewandte Wissenschaft auf ein Axiom gründet, in dem der Zweck einer Handlung gewünscht ist. Die Ethik stellt die Normen für ein erfolgreiches Gelingen in der Kunst des Lebens auf. Solche allgemeinen Prinzipien lassen sich demnach aus der Natur im Allgemeinen und der menschlichen Existenz im Besonderen herleiten. So formuliert Fromm das allgemeinste Prinzip:
„Die Natur alles Lebendigen ist die Erhaltung und Bejahung der eigenen Existenz. Allen Organismen wohnt die Tendenz inne, ihre Existenz zu erhalten. Von dieser Tatsache ausgehend, haben die Psychologen einen Selbsterhaltungstrieb angenommen. Danach besteht die erste ‚Pflicht‘ eines Organismus darin, lebendig zu sein.“
Das Lebendigsein ist nicht statisch, sondern hat einen dynamischen Charakter: Jeder Organismus möchte sich seinen eigenen Möglichkeiten nach verwirklichen. Das Ziel der menschlichen Existenz muss damit die „Entfaltung der menschlichen Kräfte entsprechend den Gesetzen der Natur des Menschen“ sein. Der Mensch als individuelles und einzigartiges Wesen könne, so sagt er, nicht verallgemeinert werden, auch wenn die menschliche Spezies einen gemeinsamen „Kern der menschlichen Eigenschaften“ hat: „Die ihm eigentümlichen menschlichen Möglichkeiten kann er nur verwirklichen, wenn er seine Individualität verwirklicht. Die Aufgabe, lebendig zu sein, ist identisch mit der Aufgabe, er selbst zu werden, sich zu dem Individuum zu entwickeln, dass er potentiell ist.“ Das oberste Prinzip einer objektiven humanistischen Ethik ist daher die Bejahung des Lebens und die Entfaltung der menschlichen Kräfte. Tugend bedeutet, für die eigene Existenz verantwortlich zu sein. Das Böse hemmt die menschlichen Kräfte und das Laster ist der Ausdruck für Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Leben.
Die Gültigkeit des allgemeinen Wertprinzips erweist sich als tragend, wenn es die optimale Verwirklichung menschlichen Lebens erfüllt. Den Versuch, zu beweisen, dass die humanistischen Ethik objektiv gültig ist, hat Fromm unternommen, indem er die menschlichen Verhaltensweisen als Ausdruck der dem Menschen zugrunde liegenden Charakterstruktur erkannt hat. Eine humanistische Ethik ist dementsprechend eine biophile Ethik : „Die produktive Orientierung ist die volle Entfaltung der Biophilie.“

3 Das nachhaltige Ökosystem – zur holistischen Ethik

In Kapitel 2 wurden die grundlegenden Prinzipien der Menschlichkeit anhand der humanistischen Ethik nach Erich Fromm entwickelt. In diesem Kapitel wird die Entwicklung der ethischen Nachhaltigkeit dargestellt. Kapitel 3.1 ist dem theoretischen Rahmen der umweltethischen Argumentation gewidmet, zudem wird die Verwendung des Begriffs Nachhaltigkeit innerhalb der holistischen Ethik bestimmt. Kapitel 3.2 bezieht sich dann ausschließlich auf die Ethik der Permakultur, nach deren Vorbild die holistische Ethik ihr Gesicht erhält.

3.1 Argumentationsraum der Umweltethik

3.1.1 Was ist Umweltethik?

Ethik ist zunächst die Theorie der Moral. Als Moralphilosophie hat sie einen normativen Charakter und ist nicht empirisch. Ethische Theorien unterscheiden sich darin, welchen Primat sie einer moralischen Begründung zuteilen. Der Gegenstand ethischer Begründungen sind moralische Urteile bzw. Überzeugungen, die im Urteil ihren Ausdruck finden. Ethik findet Normen und Werte vor und erfindet sie nicht. Die Lehre von den Werten heißt Axiologie, wobei unter einem Wert etwas Erstrebenswertes verstanden wird. Normen sind dagegen Regeln; die zugeordneten Pflichten fassen sich in der Deontologie zusammen. In der Ethik gibt es also grundsätzlich zwei Gruppen. Erstens die eudämonistische Ethik (gr. eudaimonia: Glück): Sie betrifft die Konzeption eines guten und glücklichen menschlichen Lebens durch die Benennung eines höchsten Gutes. Zweitens die Moralphilosophien: Hier richten moralische Werte das gute und gelungene Leben nicht nur am eigenen Leben aus, sondern orientieren sich auch an den Interessen Dritter.
Die Disziplin der Naturethik bzw. der Umweltethik stellt die Frage nach dem ethischen Umgang des Menschen mit der Natur. Sie geht damit also über die anthropozentrischen Belange der traditionellen Ethik hinaus. Ausgangsimpuls für diese Diskussion um den Einbezug der Natur in moralische Fragestellungen waren die ökologischen Probleme der Industrienationen gegen Ende der 1960er Jahre.
Die Natur ist definiert als „dasjenige in unserer Welt, das nicht vom Menschen gemacht wurde“ . Die Natur ist das, was aus sich selbst entstanden ist, sich verändert und neu entstanden ist (z. B. Pflanzen, Tiere und Berge). Auch das Außermenschliche ist Gegenstand der Umweltethik. Die eudämonistische Ethik würde fragen, inwieweit die Natur zu einem gelungenen Leben beiträgt; die Moralphilosophie würde fragen, ob das ethisch richtige Handeln die Rücksicht auf die Interessen der Menschen und die Interessen der Natur mit einschließt, d. h., ob die Natur moralischen Eigenwert hat.
Der Argumentationsraum der Umweltethik ist grundsätzlich in zwei entgegengesetzte Lager aufgeteilt. Die einen sind der Überzeugung, dass die Natur bloß eine Ressource für den Menschen ist (= Anthropozentrismus; gr. anthropos: der Mensch). Das andere Lager ruft zu einem Paradigmenwechsel auf, demzufolge die Natur nicht mehr nur als eine funktionale Ressource gelten, sondern ihr auch ein moralischer Eigenwert zugesprochen werden sollte (= Physiozentrismus, gr. physis: Natur). Der Widerstreit zwischen diesen Positionen zeigt sich im instrumentellen Nutzenwert außermenschlicher Natur einerseits und dem inhärenten moralischen Wert der Natur andererseits. Moralisch inhärent bedeutet, dass der natürlichen Entität um ihrer selbst willen moralischer Respekt gebührt. Als instrumenteller Nutzenwert verstanden, ist die natürliche Entität bloß Mittel zu unterschiedlichen Zwecken.
An den Widerstreit zwischen instrumentellen und absoluten moralischen Werten schließt sich das Inklusionsproblem an. Es wirft die Frage auf, welche natürlichen Entitäten unmittelbar moralisch zu berücksichtigen sind. „Entität“ wird hier verstanden als etwas Seiendes (etwas, das es gibt). Der Begriff der natürlichen Entität umfasst daher nicht nur Naturwesen, wie Pflanzen und Tiere, sondern auch unbelebte natürliche Entitäten, wie Knochen und Steine, bis hin zu „überorganisierten Ganzheiten“ im Sinne von Arten oder Ökosystemen. Im Zusammenhang mit dem Inklusionsproblem geht es um die Aufnahme der natürlichen Entität in die Moralgemeinschaft, die um ihrer selbst willen moralischen Respekt verdient.

3.1.2 Positionen der Umweltethik

Eine Möglichkeit, den Argumentationsraum der Umweltethik darzustellen, ist, die Ordnung der Argumente entlang des Inklusionsproblems zu verdeutlichen. Das folgende Schaubild (Abb. 1) veranschaulicht die Spannweite der umweltethischen Positionen, die beginnend mit dem Anthropozentrismus in diesem Kapitel vorgestellt werden.

Abbildung 1: Argumentationsraum der Umweltethik. Dargestellt sind die Grundpositionen der Umweltethik (fett). Die jeweiligen Entitäten, denen eine direkte moralische Verantwortung zufällt, befinden sich oberhalb der Positionen. Die Kriterien, anhand derer für die moralische Berücksichtigung argumentiert wird, sind unterhalb der Positionen.

3.1.2.1 Anthropozentrismus

Der Anthropozentrismus hat zunächst zwei Wortbedeutungen. Auf der epistemischen Ebene bleiben alle Werte menschlich, mit der Begründung, nur der Mensch habe durch Hirn, Sprache und Begriffe moralische Erkenntnismöglichkeiten. Im Sinne des epistemischen Wertanthropozentrismus können nur Wesen, die zu moralischer Erkenntnis fähig sind, moralischen Wert haben. Damit sind alle Werte relativ in Bezug auf das wertende Wesen. Demgegenüber stehen die sogenannten absoluten Werte, die auch unabhängig von der Existenz wertender Menschen existieren. Unter dem Postulat absoluter Werte löst sich die Frage nach der Inklusion in die Moralgemeinschaft auf, weil prinzipiell alle natürlichen Entitäten moralischen Wert haben.
Auf der inhaltlichen Ebene bedeutet Anthropozentrismus, dass sich der moralische Geltungsanspruch ausschließlich auf Menschen bezieht. Der epistemische Anthropozentrismus kann auch moralischen Geltungsanspruch auf andere Entitäten erheben, ohne inhaltlich anthropozentrisch zu sein. Die anthropozentrischen Positionen in der Umweltethik argumentieren, dass der moralische Respekt nur gegenüber Menschen bestehe. Als einzig vernunftbegabtes und moralfähiges Wesen habe nur der Mensch einen moralischen Eigenwert. Somit sei das Verhältnis vom Menschen zu seiner Umwelt stets ein indirektes: Ob in die Natur eingegriffen werden dürfe, hänge ausschließlich davon ab, ob der Mensch beeinträchtigt wird oder nicht. Das Kernanliegen der anthropozentrischen Umweltethik ist, dass alles Nichtmenschliche nur einen instrumentellen Wert hat; nur dem Menschen kommt ein Selbstwert zu.
Je nach Auslegung kann der Anthropozentrismus zwei extreme Formen annehmen: Erstens als radikaler, starker, exklusiver Anthropozentrismus, in dem eine direkte moralische Verantwortung ausschließlich gegenüber menschlichen Lebewesen besteht. Und zweitens als gemäßigter, schwacher, inklusiver Anthropozentrismus, der ebenso nichtmenschlichen Wesen moralischen Wert zuspricht. Die Kritik am radikalen Anthropozentrismus bezieht sich darauf, dass willkürlich Artgenossen Vorrang gegeben wird; dies wird auch Speziesismus genannt.

3.1.2.2 Pathozentrismus und Sentientismus

Das pathozentrische Argument besteht darin, dass menschliche Anrecht aufs physisch-emotionale Wohl auf empfindungsfähige Lebewesen auszudehnen. Der Sentientismus (lat. sentire: empfinden, fühlen) bzw. Pathozentrismus (gr. pathos: Leiden) ist eine moderate Variante des Physiozentrismus. Menschen, Tieren und der gesamten fühlenden Natur kommt moralischer Eigenwert zu. Empfindungen sind Schmerz und Leid, aber auch Lust und Freude. Es liegt nicht im Interesse eines empfindungsfähigen Wesens, dass ihm Übel zugefügt wird.
In diesem Argument ist bereits die Frage nach dem Egalitarismus und dem Gradualismus angelegt. Ein gradualistischer Sentientismus nimmt eine Hierarchisierung zwischen Menschen und Tieren vor, sodass Menschen bei grundlegenden Konflikten stets moralischen Vorrang erhalten. Der moralische Konflikt zwischen Mensch und Natur wird so zwar umgangen, endet jedoch argumentativ wieder im Speziesismus. Der egalitäre Sentientismus nimmt den Eigenwert aller empfindungsfähigen Wesen gleichermaßen an. In der Folge eines grundlegenden Konfliktes kann bei dieser moralischen Gleichwertigkeit von Mensch und Natur lediglich das Dilemma einer moralischen Pattsituation festgestellt werden.

3.1.2.3 Biozentrismus

Die biozentrische Umweltethik gesteht nicht nur empfindungsfähigen Wesen Eigenwert zu, sondern allen Lebewesen: Alles Lebendige hat einen inhärenten Eigenwert. Neben dem Menschen verdienen daher auch Tiere, Pflanzen, Bakterien usw. um ihrer selbst willen moralische Berücksichtigung. Die Konsequenz ist eine direkte moralische Verpflichtung gegenüber allen Mitgliedern der Moralgemeinschaft. Der egalitäre Biozentrismus („radikaler Biozentrismus“ ) geht davon aus, dass alle Lebewesen gleichen Eigenwert haben und letztendlich zwischen Menschen und Bakterien kein gradueller Unterschied besteht. Bei grundlegenden Konflikten argumentieren die Befürworter des hierarchischen Biozentrismus, dass alle Lebewesen zwar einen Eigenwert haben, aber aufgrund der „Organisationshöhe der verschiedenen Lebewesen“ Abstufungen vorgenommen werden müssten.

3.1.2.4 Holismus

Der Holismus (gr. holos: ganz, ohne Teilung) ist die Lehre, die das Ganze betrachtet und ganzheitlich zu begreifen sucht. Die holistische Umweltethik hat die größte Reichweite der direkten moralischen Verantwortung. Sie bezieht nicht nur, wie der Biozentrismus auch, alles Lebendige in die Moralgemeinschaft mit ein, sondern ferner unbelebte Materie wie z. B. Steine, Erde, Planeten und Ganzheiten wie Arten und Ökosysteme: Nichts Natürliches existiert nur als Mittel zum Zweck. Alles existiert um seiner selbst willen und verdient deshalb moralischen Respekt.
Norton (1987) unterscheidet den pluralistischen Holismus und den monistischen Holismus. Der pluralistische Holismus betrachtet nicht nur System-Ganzheiten, sondern das Gesamtsystem einschließlich jedes Individuums, dem ein moralischer Eigenwert zugestanden wird. Der monistische Holismus (Ökozentrismus) schreibt hingegen ausschließlich dem Gesamtsystem einen Eigenwert zu, sodass der Wert der Einzellebewesen von ihrer Bedeutung für das Ganze abhängt. Der pluralistische Holismus gibt also am wenigsten Anlass zur Polarisierung. In der monistischen Argumentation ist das Individuum dagegen durch die totalitären Konsequenzen, die sich daraus ergeben können, gefährdet, wertlos zu werden. Wenn nur der Gesamtwert des Ökosystems als solches zählt, kann es moralisch sein, Individuen zu eliminieren, die den Erhalt des Ökosystems gefährden. Diese misanthropische Position wird auch als „Ökofaschismus“ bezeichnet.
Allen Holismen gemein ist der Hinweis auf eine substanzielle Reduktion der menschlichen Bevölkerung auf dem Planeten Erde, damit, wie es heißt, die Natur nicht weiter geschädigt werde und auch außermenschliches Leben gedeihen könne. Ein bekannter Vertreter der holistischen Ethik ist James Lovelock, der den Menschen gar mit einer tödlichen Krankheit auf dem Planten Erde vergleicht. Allerdings hätte auch der Mensch als Naturwesen ein Recht auf Lebensentfaltung. Die holistischen Aussagen sind nicht zwingend gegen den Menschen an sich gerichtet, sondern argumentieren für den Erhalt von Natur und Wildnis. Die Gaia-Hypothese von James Lovelock besagt, dass alles Lebendige und Unlebendige auf dem Planeten Erde ein komplexes System sei, welches sich durch netzwerkartige Strukturen, wechselseitige Prozesse und Rückkopplungseffekte selbst reguliere. Die Erde wird als ein großer „Superorganismus“ betrachtet. Das erklärte Ziel der holistischen Ethik ist daher die Regulierung der Oberflächenbedingungen auf der Erde.

3.1.3 Das ethische Ökosystem und der tiefenökologische Ansatz

3.1.3.1 Gibt es ein moralisches Ökosystem?

Die Argumentation des Holismus beruht auf den Erkenntnissen der biologischen Wissenschaft der Ökologie . Eine generelle Aussage ökologischer Forschung ist die, dass sich Ökosysteme durch menschliche Eingriffe verändert haben. Die Festsetzung eines ökologischen Gleichgewichts ist an sich aber nicht begründbar. Um ökologische Befunde handlungsrelevant zu machen, bedarf es immer einer normativen Setzung, sonst bewegt sich die Argumentation auf einen Sein-Sollen-Fehlschluss zu. Die Ökologie hat damit eine deskriptive und eine normative Dimension, die es zu unterscheiden gilt. Um dem argumentativen Fehlschluss zu entgehen, ist es wesentlich, die Wertdimension von der deskriptiven Dimension zu unterscheiden, indem alle Prämissen offengelegt werden.
Ein Ökosystem bezeichnet die Organismen in ihrer unbelebten Umgebung (Lebensraum) innerhalb eines bestimmten Raumabschnittes. Die komplexen Stoff- und Energieflüsse werden als „funktionale Grundheiten des Lebens auf der Erde“ angesehen. Doch die Sichtweisen auf ein funktionierendes Ökosystem sind aus zwei wesentlichen Gründen verschieden: Zum einen sind Ökosysteme keine eindeutigen Entitäten, wie z. B. der Körper des Menschen, und durch eine willkürliche Grenzsetzung lässt sich nicht bestimmen, ob ein Ökosystem funktioniert. Zum anderen wird das Ökosystem oft als dauerhafte Selbsterhaltung bestimmter Zustände verstanden. Diese Sichtweise bedarf jedoch gewisser Referenzen und der Festsetzung von Schwankungsintervallen, um beurteilen zu können, ob ein Ökosystem „richtig“ funktioniert. Dies sind dann nicht mehr allein naturwissenschaftliche Erkenntnisse aus der biologischen Wissenschaft der Ökologie, sondern normative Festlegungen für ein funktionierendes Ökosystem.
Eine normative Begründung für den Erhalt von Ökosystemen ist die eudämonistische Harmoniethese. Ein gutes menschliches Leben und Gedeihen ist dieser These zufolge nur mit der Unversehrtheit der Natur vereinbar. Der Mensch müsse aber Natur kultivieren und zerstören, um für sein Leben und den Erhalt seiner Kultur zu sorgen. Deshalb sei die Überzeugung eines harmonischen Lebens mit der Natur ein falscher Harmonismus , so Krebs (1997). Die Abhängigkeitsthese ist der moderateste Standpunkt im ökoethischen Kontext und möchte darauf verweisen, dass ein gutes menschliches Leben vom Zustand der Natur abhängt. Die Abhängigkeitsthese ist allerdings nicht in der Lage, das Argument des absoluten Wertes der Natur zu erklären, was aber grundsätzlich das erklärte Ziel des Holismus ist.

3.1.3.2 Holistische Tiefenökologie und Nachhaltigkeit

Für eine holistische Umweltphilosophie steht die Tiefenökologie nach dem norwegischen Philosophen Arne Naess (1912–2009). Sie liegt innerhalb des physiozentrischen Spektrums und argumentiert meist holistisch. Die Tiefenökologie klagt den herrschenden Anthropozentrismus und die wirtschaftliche Gestaltung der Moderne an. Sie kritisiert den konventionellen Umweltschutz, der lediglich durch Recycling, Filter und technische Modernisierung versuche, die Naturzerstörung abzumildern („shallow“ ); die tieferen Ursachen würden dabei aber unberührt bleiben.
Damit stehen die Forderungen der Tiefenökologie im Kontrast zur gängigen Unterscheidung der schwachen und starken Nachhaltigkeit im ökonomischen Diskurs. Nach dieser Auffassung beinhaltet eine nachhaltige Entwicklung die soziale, ökologische und ökonomische Dimension. Die Befriedigung der Bedürfnisse jetziger und zukünftiger Generationen soll durch wirtschaftliches Wachstum nachhaltig erreicht werden. Schwache Nachhaltigkeit fordert lediglich, die Kapitalbestände (Human-, Natur-, Sachkapital) insgesamt konstant zu halten, sodass die Kapitalien gegeneinander substituierbar sind. Die Position der starken Nachhaltigkeit fordert, alle Kapitalbestände gleichermaßen zu bewahren. Sie betrachtet den normativen Gehalt hinter der Idee der Nachhaltigkeit als kollektives Ziel der gesamten Menschheit. Argumente für die Idee der starken Nachhaltigkeit werden entlang der intra- und intergenerationellen Theorie der Gerechtigkeit und des umweltethischen Diskursraumes bestimmt. Damit wird die moralische Verantwortlichkeit auf die Zukunft gerichtet und normative Standards werden erhoben.
Obwohl die starke Nachhaltigkeit im Vergleich zur schwachen Nachhaltigkeit moralisch erweitert ist, handelt es sich doch stets um eine anthropozentrische Nachhaltigkeit. Die starke Nachhaltigkeit müsste Wertfragen stellen, um über diese anthropozentrische Sicht hinauszugelangen, und auch Naturkapitalien als Selbstzweck betrachten. Deshalb reicht die moralische Dimension in der Tiefenökologie über das Prinzip der starken Nachhaltigkeit hinaus und definiert damit das höchste Maß des Nachhaltigkeitsanspruchs, das für die Definition der ethischen Nachhaltigkeit in dieser Arbeit tragend ist.

3.2 Holismus und Ethik der Permakultur

3.2.1 Der pragmatische Ansatz der Permakultur

Bill Mollison (1928–2016) behandelt die Gestaltung zukunftsfähiger menschlicher Wohn- und Siedlungsräume und den Erhalt und die Erweiterung natürlicher Ökosysteme in allen klimatischen Zonen der Welt. Dabei vermittelt er die ethischen Grundlagen und die technischen Methoden zur Gestaltung, die das Verständnis und das Erkennen von Mustern in der Natur erlernbar machen. Darüber hinaus geht es ihm auch um die Gestaltung einer zukunftsfähigen Zivilisation, denn der Entwurf der Permakultur stellt die konventionelle Land- und Forstwirtschaft infrage. Wegen der anthropogenen Umweltverschmutzung und klimatischen Veränderungen hat die Menschheit ihm zufolge die Wahl zwischen dem „Ende der Energieverschwendung“ oder dem „Ende der Zivilisation“ . Der Weg der Permakultur verfolgt das Ziel, ein praktisches Beispiel für die aus ihrer Sicht notwendige politische, soziale und ökonomische Veränderung zu sein. Mit einer ganzheitlichen Sichtweise möchte die Permakultur zukünftigen Generationen eine faire Chance auf eine gute Lebensgestaltung bieten. Im Vordergrund steht eine regionale oder lokale Selbstversorgung nach dem Prinzip der Permakultur:
„Permakultur (permanent agriculture = dauerhafte Landwirtschaft) ist das bewusste Gestalten und Erhalten landwirtschaftlich produktiver Ökosysteme, die die Vielfalt, die Dauerhaftigkeit und Selbstregulationsfähigkeit natürlicher Ökosysteme aufweisen. Permakultur ist die harmonische Verbindung der Landschaft mit den Menschen, die auf zukunftsfähige Weise selbst für ihre Nahrung, Energie, Unterkunft und ihre sonstigen materiellen und nicht materiellen Bedürfnisse sorgen. Ohne dauerhafte Landwirtschaft ist keine beständige soziale Ordnung möglich.“
Neben der praktischen Gestaltung einer dauerhaften Landwirtschaft stehen im Zentrum des Gesamtentwurfs das Eintreten für Werte und eine Ethik im Sinne einer „persönliche[n] Verantwortung der Erde gegenüber.“ Die Permakultur-Design-Prinzipien sind ein Zugang bzw. eine Hilfestellung zur ethischen Anpassung an die ökologische Realität.

3.2.2 Die holistische Philosophie der Permakultur

Die tragende Säule der Philosophie der Permakultur ist die Arbeit „mit der Natur anstatt gegen sie“ . Bewusste und langfristige Beobachtungen der individuellen und kollektiven Handlungen werden gefordert. Ökosysteme werden nicht instrumentell verstanden, sondern ausschließlich als natürliche Systeme, die Selbstzweck sind. Kooperation liegt dem Leben näher als Konkurrenz. Unterschiedliche Lebensformen treten in ausgeklügelte Wechselwirkung miteinander. Daraus folgt das Prinzip der Kooperation: „Kooperation, nicht Konkurrenz, ist die wahre Grundlage der bestehenden lebendigen Systeme und des Überlebens in der Zukunft.“ Mollison übernimmt die Gaia-Hypothese von James Lovelock, die, wie er sagt, Wissenschaft und die mystische Erfahrungswelt der naturnahen Völker zusammenbringe. Mollisons Weltanschauung habe sich aus seinen persönlichen Naturerfahrungen und einer Lebenseinstellung entwickelt, die mit dem Daoismus verwandt sei. Die ethische Grundhaltung ist die Kooperation mit der Natur: „Systeme und Menschen werden in all ihren Funktionen betrachtet, anstatt dass man nur einen bestimmten Ertrag von ihnen fordert. Und den Systemen wird gestattet, ihre eigene Entwicklung zum Ausdruck zu bringen.“

3.2.3 Die Entwicklung der Ethik der Permakultur

Der Ausgangspunkt für Mollison in der Konzeption seiner Ethik war das Studium von Ethiksystemen älterer religiöser und kooperativer Naturvölker und Gruppen. Sein Ziel war es, universelle Prinzipien zu erschließen, die als ethische Handlungsweise in Betracht gezogen werden konnten. Durch den Zugang zum Wissen vergangener Generationen kann ihm zufolge studiert werden, welche Verhaltensweisen in der natürlichen Umwelt dem Menschen zuträglich sind oder sich, im Gegenteil, langfristig als schädlich für die Gruppe oder Gemeinschaft erweisen. Dies führt dazu, lebensbedrohliche Gefahren einzuschränken, loszulassen oder zu verbieten: „Wir handeln, um zu überleben.“ So setzen sich bewahrende und lebenszuträgliche Verhaltensweisen durch und werden zu expliziten oder impliziten Verhaltensregeln einer Gemeinschaft. Die Kraft des Verstandes und des Empfindens sind nach Mollison für Tabus bei Naturvölkern verantwortlich. So ergibt sich eine Liste mit Gebrauchsregeln: Die Regel vom Gebrauch im Notfall gebietet, jedes natürliche System in Ruhe zu lassen, außer im Fall absoluter Notwendigkeit. Die Regel vom Bewahrenden Gebrauch fordert, bei der notwendigen Nutzung natürlicher Ressourcen Abfälle zu vermeiden, Bodenmineralien zu ersetzen, eine Energiebilanz zu ziehen, langfristige biosoziale Auswirkungen auf die Gesellschaft zu ermitteln und politische Schäden abzudämpfen.
Wenn sich Handelnde von diesen beiden Regeln leiten lassen, führt dies zu der Erkenntnis, dass der Mensch mit der Natur verbunden ist und dass das Überleben von Mensch und Natur vom Zustand der natürlichen Systeme abhängt. „Wir erweitern also den eigennützigen Gedanken vom menschlichen Überleben […] und ergänzen ihn um den Gedanken des ‚Überlebens natürlicher Systeme‘.“ Der Verlust von Tierarten und Pflanzen raubt nach Mollison auch den Menschen die Lebensgrundlage. Menschen und Gruppen, die sich an der „Ethik der Sorge für die Erde“ orientieren, ist ihm zufolge der wesentliche Gedanke gemein, dass alle Lebensschicksale miteinander verwoben sind. Damit ist die Ethik der Sorge für die Erde entwickelt, „die auch den besten Weg für unser Überleben darstellt.“
Der moralische Respekt gebührt allen Lebewesen und ganzen Ökosystemen, da die Natur einen absoluten Eigenwert hat: „Lebende Organismen sind nicht nur Mittel, sondern auch Zweck. Zusätzlich zu ihrem Nutzen und ihrem Wert für Mensch und andere lebende Organismen haben sie einen Wert an sich.“
Aus der Perspektive dieser Ethik betrachtet Mollison auch die Beziehungen von Mensch zu Mensch. Als „allgemeine Gesetzmäßigkeit der Natur“ hält er fest, dass unter kooperativen Arten und Symbiosen gesunde Gemeinschaften bestehen. Die vernünftige Konsequenz daraus ist ihm zufolge, zu kooperieren, in der Gemeinschaft unterstützend zu wirken und wechselseitige Beziehungen zu pflegen. Über die Grenzen der eigenen Familie, Sippe und Freunde hinaus entwickele sich, so Mollison, alsbald eine reifere ethische Haltung, die das gesamte Menschengeschlecht als Familie betrachtet und „alles Leben als verbündete Gemeinschaft ansieht“: „Dadurch erweitern wir die Sorge für die Menschen zur Sorge für die Arten, da alles Leben einen gemeinsamen Ursprung hat. Alle sind ‚unsere Familie‘.“ Aus „intelligentem Eigennutz“ kann eine vernunftgesteuerte und zukunftstaugliche ethische Haltung erwachsen. Dies ist die ethische Haltung der Permakultur, aus der sich nun auch reale Konsequenzen für das Leben als biologischen Prozess, aber auch für ökonomische, soziale und ökologische Prozesse ableiten lassen. Es geht Mollison im Sinne der Permakultur „um die Anwendung einer reifen ethischen Haltung oder darum, wie wir handeln können, um die Erde zu erhalten.“

3.2.4 Die drei ethischen Grundsätze der Permakultur

Die Ursprungsidee zur ethischen Gestaltung der Permakultur entsprang dem Studium von Ethiksystemen älterer, religiöser und kooperativer Gruppen mit dem Mollison universelle ethische Prinzipien erschließen wollte. Mollison hat 18 Grundsätze und Richtlinien herausgearbeitet, die sich auf drei grundlegende Leitsätze konzentrieren und darin die ethischen Grundsätze der Permakultur erfassen:
„1. Für die Erde Sorgen: Vorsorgen, dass alle lebenden Systeme weiter bestehen und sich vervielfältigen können.
2. Für die Menschen Sorgen: Vorsorgen, dass die Menschen Zugang zu all den Ressourcen haben, die sie für ihr Leben benötigen.
3. Der Bevölkerungszahl und dem Verbrauch Grenzen setzen: Wenn wir unsren eigenen Bedürfnisse Grenzen setzen, können wir Ressourcen gewinnen, um die beiden vorangegangenen Grundsätze zu fördern.“
Mollison weist darauf hin, dass sich Leitsatz zwei und drei bereits aus dem ersten Leitsatz ableiten lassen. Diese leicht verständlichen Grundsätze sollen in alltäglichen Handlungssituationen als Orientierung dienen.

3.2.4.1 Die Sorge für die Erde

Die Gaia-Hypothese von Lovelock stellt Mollison zufolge ein anschauliches ganzheitliches System dar, dass die Erde als selbstorganisiertes System auffasst. Durch das Einwirken allen Lebens und die dynamische Veränderung hat jeder Impuls und jede Handlung Einfluss auf die Evolutionsgeschichte. Die Erde wird demgemäß wieder als „allpowerful mother“ angesehen, so wie bei den indigenen Völkern.

3.2.4.2 Die Sorge für die Menschen

Diese ethische Norm kann, so der Mitentwickler der Permakultur David Holmgren, auf mehreren Ebenen interpretiert werden. Zunächst macht sie ihm zufolge die Permakultur neben ihrer holistischen Argumentation auch zu einer anthropozentrischen Umweltphilosophie. Sie geht von den menschlichen Bedürfnissen aus, weil vorausgesetzt wird, dass der Mensch die Kraft und Fähigkeiten hat, seine eigene Situation zu beeinflussen. Es gehe darum, Verantwortung für jede individuelle Existenz zu übernehmen und diese Verantwortung nicht auf äußere Umstände abzuwälzen.
Die Sorge für die Menschen beginnt demnach mit Selbstfürsorge und weitet sich dann auf das unmittelbare Umfeld aus: Familie, Nachbarschaft, Freunde, Gemeinschaft. Das entspricht Mollison zufolge dem Muster fast aller traditionellen Ethiken der Naturvölker. Um zu einem größeren Ganzen beizutragen, müsse der Einzelne gesund und sicher sein. Bei der Anwendung dieses ethischen Prinzips sei es gut, sich auf immaterielle Werte zu konzentrieren. Darunter fallen Gesundheit, Ernährung, Sicherheit und ein intaktes soziales Umfeld. Die Gestaltung der Lebenswirklichkeit sei daher mit Werten und einer leitenden Ethik unterlegt.

3.2.4.3 Grenzen der Konsumption und Reproduktion

Die Aussage, die Natur sei reich, aber gleichzeitig in Bezug auf ihre Ressourcen begrenzt, scheint zunächst paradox zu sein. Die Erfahrung des Reichtums der Natur ermutigt Holmgren zufolge dazu, den Überschuss zu teilen. Diese Erfahrung wird aber ihm zufolge als Verlust wahrgenommen, wenn die Menschen daran zweifeln, dass die Ressourcen zur Befriedigung ihrer lebenswichtigen Bedürfnisse verfügbar sind. Der Zweifel am Reichtum der Natur entstehe wiederum durch den exzessiven Verbrauch. Dieser exzessive Verbrauch sei nur deswegen möglich, weil Politik und Wirtschaft Kontrolle über die Menschen und die Natur ausüben. Der Sinn für die Grenzen der Natur entspringe dagegen der Erfahrung – die eine gewisse Reife voraussetzt –, dass alles eine begrenzte Lebensdauer in einem begrenzten Raum hat. Die Erfahrung des Mangels sei eine kulturell produzierte Realität.
Das Problem der Überbevölkerung wird, so Holmgren, kontrovers diskutiert. Die Permakultur tritt jedoch für einen stetigen Bevölkerungsabbau ein, damit andere Lebewesen und Ökosysteme Platz zur Entfaltung erhalten.

4 Der menschliche Mensch und das nachhaltige Ökosystem – ein ethischer Zielkonflikt?

Die ausführliche Herleitung der theoretischen Grundlagen in den Kapiteln 2 und 3 war notwendig, um das jeweilige ethische Prinzip entwickeln und für das Analyseziel dieser Arbeit fruchtbar machen zu können. Dieses Kapitel setzt sich analytisch damit auseinander, ob die beiden ethischen Prinzipien miteinander vereinbar sind oder nicht. Bevor diese Kernanliegen in Kapitel 4.3. behandelt werden, soll in Kapitel 4.1 die humanistische Ethik und die Ethik der Permakultur im Argumentationsraum der Umweltethik eingeordnet werden. Dieser Schritt schafft die Grundlage für den Dialog und schneidet die ersten latenten Konflikte an. In Kapitel 4.2 werden die ethischen Prinzipien samt ihren systematischen Kriterien erschlossen, die dann für die Analyse in Kapitel 4.3 die tragende Rolle spielen werden.

4.1 Menschlichkeit und Nachhaltigkeit: Verortung im Dialog

4.1.1 Positionierung der humanistischen Ethik in der Umweltethik

Fromms Konzept der humanistischen Ethik ist eine Tugendethik. Das höchste Glück findet der Mensch im ethischen Humanismus in der Entfaltung des menschlichen Potenzials. Tugendhaft, d. h. moralisch, handelt der Mensch, wenn er sich produktiv zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen und zur Welt in Beziehung setzt. Lasterhaft, d. h. unmoralisch, handelt er hingegen, wenn der gemäß seiner nichtproduktiven Charakterorientierung handelt.
Die exakte Einordnung dieses eudämonistischen Ansatzes in den umweltethischen Argumentationsraum wird deutlicher, wenn die spezifische Situation des Menschen betrachtet wird, die in der humanistischen Ethik postuliert wird. Danach unterscheidet sich der Mensch vom Tier und allen anderen Lebewesen. Es sei der Mensch, der mit seiner Bewusstseinsfähigkeit und Vorstellungskraft moralische Werte in die Welt bringt und sie bewertet:
„Humanistische Ethik ist anthropozentrisch, freilich nicht in dem Sinne, daß der Mensch im Mittelpunkt des Universums ist, vielmehr in dem Sinne, daß seine Werturteile, wie alle anderen Urteile und Wahrnehmungen, in der Besonderheit seiner Existenz ihren Ursprung haben und nur in Beziehung zu dieser sinnvoll sind. Der Mensch ist tatsächlich ‚das Maß aller Dinge‘. Vom humanistischen Standpunkt aus gibt es nichts Höheres und Erhabeneres als die menschliche Existenz.“
Fromms Aussage verdeutlicht, dass es sich in der humanistischen Ethik um einen epistemischen Wertanthropozentrismus handelt, der die moralischen Werte in der Welt nur von moralisch wertenden Menschen erkannt sieht. Dieser Wertsubjektivismus muss aber nicht automatisch zu einem inhaltlichen Anthropozentrismus hinführen. Obwohl allein dem Menschen die Fähigkeit zugebilligt wird, Werte zuzuschreiben, impliziert dies nicht, dass nur der Mensch auch Wert besäße. Fromm betont, dass der Mensch das „Maß aller Dinge“ sei, nicht aber der „Mittelpunkt des Universums“ ; nur in diesem Sinne ist auch die Erhabenheit der menschlichen Existenz zu verstehen. Die moralische Verantwortung bezieht sich nicht ausschließlich auf den Menschen, sodass sich die humanistische Ethik von einem rein inhaltlichen Anthropozentrismus distanzieren darf. Die Kategorisierung als willkürlicher Speziesismus muss damit verneint werden. Trotzdem sei hier angemerkt, dass die Neigung zum Speziesismus nicht aus der Welt ist, und dessen muss sich der Humanismus stets bewusst sein. Mit der Anerkennung moralischer Berücksichtigung nichtmenschlicher Entitäten und der gleichzeitigen Ablehnung absoluter Werte muss die Stellung der humanistischen Ethik im Argumentationsraum der Umweltethik als gemäßigter Anthropozentrismus verstanden werden.

4.1.2 Positionierung der Ethik der Permakultur in der Umweltethik

Das Ethiksystem der Permakultur ist eine Mischethik und ist in sich nicht gänzlich konsistent. Auf der einen Seite gründet sich ihr normativer Anspruch auf die Verantwortung für die Erde, da aufgrund des Eigenwerts der Natur alle natürlichen Entitäten und sogar Ökosysteme schützenswert seien. Damit enthält die Ethik der Permakultur einen deontologischen Charakter, die zur moralischen Verpflichtung gegenüber der gesamten Moralgemeinschaft aufruft. Auf der anderen Seite enthält sie auch eudämonistischen Anteile, indem sie feststellt, dass ein gutes Leben der Menschen von einem gesunden Ökosystem abhängt. Mit der Abhängigkeitsthese kann jedoch der Eigenwert der Natur nicht mehr erklärt werden, was aber das Ziel einer holistischen Ethik ist.
Trotz dieser theoretischen Unstimmigkeit kann die Ethik der Permakultur als ein pluralistischer Holismus positioniert werden. Sie setzt den Eigenwert der Natur voraus, da nicht nur der Mensch, sondern alle natürlichen Entitäten sowie System-Ganzheiten moralische Berücksichtigung verdienen. Damit ist sie auch Teil der Tiefenökologie, da sie die Natur nicht instrumentell anthropozentrisch begreift, sondern rein als Selbstzweck.
Folglich darf sich die Ethik der Permakultur vom Vorwurf des Ökozentrismus freisprechen. Doch analog zur latenten Tendenz der humanistischen Ethik hin zum Speziesismus, neigt die radikale Interpretation der Gaia-Hypothese zum monistischen Holismus, der alle natürliche Entitäten, darunter auch Menschen, als instrumentelle Größe für das gesunde Ganze der Muttererde begreift.

4.1.3 Theoretische Unvereinbarkeit und Konfliktpotenzial

Auf der theoretischen Ebene sind die humanistische Ethik und die Ethik der Permakultur gänzlich unvereinbar, wenn sie sich als radikaler Anthropozentrismus und monistischer Holismus (= Ökozentrismus) gegenüberstehen. Der radikale Anthropozentrismus spricht der außermenschlichen Natur lediglich instrumentellen Wert zu und betrachtet sie nur als Mittel für die menschlichen Zwecke. Der Ökozentrismus wiederum schätzt alle natürlichen Entitäten anhand ihres Wertes für den Gesamtzustand des Ökosystems Erde ein und verfügt moralisch totalitär über alles Lebendige. Daher unterscheiden sich diese beiden Positionen durch ihren Blickwinkel, ihr Wesen aber ist dasselbe: Beide instrumentalisieren Lebendiges. Der radikale Anthropozentrismus setzt dabei den Menschen an die Spitze der Pyramide und der monistische Holismus das gesamte Ökosystem. Alle umweltethischen Positionen befinden sich zwischen diesen beiden Extremen, so wie die humanistische Ethik und die Ethik der Permakultur. Aus dieser Feststellung folgt keine Harmonisierung der beiden Ansätze, denn sie reiben sich aneinander, tendieren unter bestimmten Bedingungen auch zu den Randpositionen und müssen sich stets von diesen Abgrenzen. Von diesem latenten Konfliktpotenzial lebt die folgende Analyse, die daraus Widersprüchliches und Vereinbarkeiten deutlich zutage fördern wird.

4.2 Die ethischen Prinzipien und ihre Kriterien

Das systematische Herausarbeiten der inhaltlichen Kriterien der beiden Prinzipien ermöglicht ihre unmittelbare Vergleichbarkeit. Die Erarbeitung der Prinzipien muss sich jedoch auf die vorliegende Literatur beschränken; sie ist selektiv, kann nur einen Ausschnitt des Gesamtbildes darstellen und kann daher zwangsläufig nicht vollständig sein – das würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Die Kriterien wurden jedoch mit der gebotenen Sorgfalt ausgewählt. Um dem methodischen Vorwurf der Willkür in der Herleitung der Prinzipien zu entgegnen, werden beide Ethiken an ihrem jeweils gemeinsamen Nenner gemessen: Die humanistische Ethik am Humanismus und die Ethik der Permakultur am Holismus. Die Kriterien resultieren ausschließlich aus der bereits bekannten theoretischen Einführung und werden im Folgenden nicht mehr mit Einzelnachweisen belegt.

4.2.1 Das ethische Prinzip der Menschlichkeit

Das ethische Prinzip der Menschlichkeit fordert die Anerkennung der universalen Menschlichkeit und setzt die Humanität als unveräußerliches Recht aller Menschen voraus. Die Ethik der Menschlichkeit fordert weiter die Bejahung und Entfaltung des menschlichen Lebens und der menschlichen Kräfte durch die spezifisch menschlichen Fähigkeiten der Liebe und Vernunft. Dabei ist die seelische Gesundheit des Menschen das universale Kriterium der humanistischen Ethik: Moralisch gut handelt der Mensch, wenn er tugendhaft, d. h. seiner produktiven Charakterorientierung gemäß, handelt. Moralisch schlecht handelt er hingegen, wenn er sich nicht-produktiv zu sich, seinen Mitmenschen und der Welt in Beziehung setzt. Die ethische Menschlichkeit ist anthropozentrisch hinsichtlich ihrer epistemischen Eigenschaft, moralische Werte zu erkennen und zu bewerten. Folgend seien die fünf allgemeinen Kriterien des Prinzips der Menschlichkeit benannt:
1. Universale Menschlichkeit
2. Humanität als unveräußerliches Recht und der Mensch als Selbstzweck
3. Entfaltung der menschlichen produktiven Kräfte durch Liebe und Vernunft
4. Seelische Gesundheit
5. Epistemischer Wertanthropozentrismus

4.2.2 Das ethische Prinzip der Nachhaltigkeit

Das ethische Prinzip der Nachhaltigkeit fordert die uneingeschränkte Achtung des moralischen Selbstwertes aller natürlichen Entitäten. Die Forderung des Eigenwertes der Natur geht über die rein menschlichen Interessen hinaus: Nichts Natürliches existiert bloß als Mittel zum Zweck. Aus dieser Prämisse folgt eine egalitäre Behandlung aller natürlichen Entitäten, da die ethischen Werte absolut sind. Weiter fordert die Ethik der Nachhaltigkeit den Erhalt und die Entfaltung natürlicher Ökosysteme mit dem Ziel der Vielfalt, Dauerhaftigkeit und Selbstregulierungsfähigkeit. Mit dem obersten Gebot der Verantwortung und Sorge für die Erde leitet sich auch die Sorge für den Menschen ab. Hier die vier wesentlichen Kriterien des ethischen Prinzips der Nachhaltigkeit:
1. Moralischer Eigenwert der Natur – absolute Werte
2. Egalitäre Behandlung aller natürlichen Entitäten
3. Erhalt, Gestaltung und Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme
4. Verantwortung und Sorge für die Erde

4.3 Die Konfrontation der ethischen Prinzipien

Zur Untersuchung der Vereinbarkeiten und Widersprüche der zwei ethischen Prinzipien sollen nun die Kriterien wechselseitig geprüft werden. Einerseits wird danach gefragt, inwieweit das Prinzip der Nachhaltigkeit die Werte und Kriterien der Menschlichkeit in sich aufnehmen kann. Vice versa wird erforscht, bis zu welchem Grad das Prinzip der Menschlichkeit die Kriterien der Nachhaltigkeit mit sich vereinbaren kann. Die Analyse wird die komplementären und konträren Elemente offenbaren. Da die Prinzipien aus der humanistischen Ethik bzw. aus der Ethik der Permakultur entwickelt wurden, können in der folgenden Analyse für beide Formen der Ethik dieselben Termini variabel verwendet werden, da sie synonym sind.

4.3.1 Wie nachhaltig ist das ethische Prinzip der Menschlichkeit?

1. Nichts Natürliches existiert nur als Mittel zum Zweck: Eigenwert der Natur
Da der Mensch ein Teil der Natur ist, wird auch ihm moralische Berücksichtigung zugebilligt. Ohnehin ist es so, dass die Argumentation des Eigenwertes der Natur auf die Exklusionsproblematik hinausläuft, d. h., alle natürlichen Entitäten sind von vornherein in der moralischen Gemeinschaft enthalten, und es bedarf einer Begründung, wenn eine bestimmte Entität aus dieser Gemeinschaft ausgeschlossen werden soll. Da der Mensch als natürliche Entität moralisch berücksichtigt wird, steht sein Ausschluss aus dieser Gemeinschaft jedoch nicht zur Debatte.
Doch das Postulat absoluter Werte läuft dem Prinzip der Menschlichkeit zuwider. Die Akzeptanz autoritärer Normen in der Form absoluter Werte ist aus humanistischer Sicht ausgeschlossen. Indem der Mensch seine Integrität und Unabhängigkeit dadurch aufgibt, dass er autoritäre Normen akzeptiert, kann er seine produktiven Kräfte der Liebe und Vernunft nicht nutzen – er handelt unmoralisch.
Obwohl das Prinzip der Menschlichkeit auf einem Wertanthropozentrismus fußt, transzendiert auch die Frage nach moralischer Verantwortung für die Natur den Humanismus. Die humanistische Ethik ist fähig, die ganze Natur in die Moralgemeinschaft zu fassen, doch besteht aus ihrer Sicht unter der Annahme absoluter Werte stets die Tendenz, dass der Mensch als „Maß aller Dinge“ nicht mehr menschlich ist, sondern vollständig vom absoluten Anspruch der Natur eingenommen, d. h. naturalisiert wird. Dies ist unvereinbar mit dem Anspruch der Menschlichkeit.
2. Egalitäre Behandlung aller natürlichen Entitäten
An das Kriterium des Eigenwerts der Natur schließt sich die egalitäre Behandlung aller natürlichen Entitäten an. Die grundsätzliche Frage, die sich bei diesem Punkt stellt, ist, wie man in einem lebenswichtigen Konflikt handelt. Der gemäßigte Anthropozentrismus geht nicht davon aus, dass der Mensch das Zentrum des Kosmos ist. Trotzdem ist die Interaktion von Mensch und Natur durch das Menschsein geprägt: Die Beziehung zur Natur ist eine menschliche Beziehung. Die These des Humanismus hinsichtlich nachhaltiger Handlungen wäre dann: Handelt der Mensch menschlich, dann handelt er nachhaltig. Da er sich produktiv zu sich selbst, seinen Mitmenschen und zur Natur in Beziehung setzt, ist dies der Ausdruck seiner natürlichen Menschlichkeit und damit auch echter Nachhaltigkeit:
„Wenn der Mensch lebendig ist, dann weiß er, was erlaubt ist. Lebendig sein heißt produktiv sein und die Kräfte nicht für einen den Menschen transzendierenden Zweck, sondern für sich selbst einsetzen, dem Dasein einen Sinn geben, Mensch sein. Solange jemand glaubt, sein Ideal und sein Daseinszweck liege außerhalb seiner selbst, sei es über den Wolken, in der Vergangenheit oder in der Zukunft, lebt er außerhalb seiner selbst und wird dort Erfüllung suchen, wo sie nie gefunden werden kann. Er wird überall Lösungen und Antworten suchen, nur nicht dort, wo sie gefunden werden können – in ihm selbst.“
Die Organisationsform der Permakultur ist aus Sicht der humanistischen Ethik eine humane Möglichkeit, auf die menschlichen existenziellen Bedürfnisse und Widersprüche zu reagieren, solange die Integrität des Menschen gewahrt bleibt und er sich nicht absoluten Werten unterwirft.
Der gemäßigte Anthropozentrismus begreift alles außerhalb seiner selbst Liegende als Objekt, aber damit bewertet er nicht objektifizierend oder instrumentalisierend. Die menschliche Vernunftfähigkeit vermag es, die Dinge und Umstände so zu sehen, wie sie an und für sich sind. Der vernünftige Mensch wird im Sinne der humanistischen Ethik erkennen, dass es Leben außerhalb von ihm gibt, das sich zur freien Entfaltung emporschwingen möchte, und er wird seine produktive Orientierung einsetzen, um dieses Leben und sein eigenes optimal zur Entfaltung zu bringen.
3. Erhalt, Gestaltung und Entfaltung natürlicher Ökosysteme
Wenn von einem Eigenwert der Natur ausgegangen wird, dann ist auch der Mensch als natürliche Entität stets Selbstzweck und niemals bloß Mittel. Das Kriterium widerspricht nicht der Menschlichkeit, es sei denn, der Mensch wird zum Zweck des Erhalts, der Gestaltung und der Entfaltung natürlicher Ökosysteme zum Mittel. Um diesem Widerspruch zu entgehen, muss der Mensch seine eigene schöpferische Kraft erfahren können, er muss sich erhalten und sich gestalten. Nur dann sind aus Sicht der humanistischen Ethik alle Wege zum Ökozentrismus blockiert, sodass dieses Kriterium mit dem ethischen Prinzip der Menschlichkeit vereinbar wäre.
Die objektiven Ziele der Dauerhaftigkeit und Fähigkeit zur Selbstregulierung sind auf die humanistischen Ansprüche übertragbar. Umstände, die die dauerhafte Entfaltung natürlicher Ökosysteme ermöglichen, würden dann auch als permanente Voraussetzung für die Entfaltung des Menschen gelten. Das Ziel wäre, eine menschliche Gesellschaft zu schaffen, die mit der Gestaltung der historischen Gegebenheiten eine solche Antwort findet, die sich hinsichtlich ihrer existenziellen Bedürfnisse produktiv orientiert.
Die Selbstregulierungsfähigkeit natürlicher Systeme kann auf die Prämisse der Unabhängigkeit und der Integrität des Menschen übertragen werden. Diese Fähigkeit zu achten, bedeutet, dass wesensverändernde Eingriffe in die Natur, die die in ihr angelegte Entwicklung und Regeneration entstellen, vermieden werden. Gleiches gilt für den Menschen: Ohne hemmende Eingriffe in seine Entfaltung und seine Potenziale kann der Mensch auf seine eigenen Kräfte bauen, ist unabhängig und bewahrt seine Integrität. Mit der Natur produktiv zu arbeiten, setzt den biophilen Menschen voraus. Mit der Natur nachhaltig zu arbeiten, bedeutet, menschlich zu arbeiten.
4. Verantwortung und Sorge für die Erde
Die Verantwortung für die Erde fordert gleichzeitig die Verantwortung für den Menschen. Dieses Kriterium berührt die bereits oben dargelegten Punkte, fügt aber einen zusätzlichen hinzu. Der moralischen Verantwortung für die Erde nach sind alle natürlichen Entitäten zu berücksichtigen. Da sie der moralischen Gemeinschaft angehören, muss die Verantwortung für sie im Sinne der moralischen Integrität übernommen werden. Die humanistische Ethik ist konform damit, solange nicht nur die Verantwortung für die Erde gefordert wird, sondern insbesondere die Verantwortung für die eigene Existenz gewährleistet wird. Im Sinne der humanistischen Ethik kann Selbstaufopferung für andere Menschen und die Natur ohne wahre Selbstliebe kein Ausdruck einer biophilen Orientierung sein und wäre damit unmoralisch. Eine aufopfernde Bindung zur Welt ohne Selbstliebe ist ein krankhafter Ausdruck des menschlichen Potenzials. Sie kann als inzestuöse Symbiose oder als Gruppennarzissmus in Erscheinung treten, offenbart aber nur die eigene Ohnmacht. Aus der Sicht der humanistischen Ethik ist dies ein Verrat am produktiven menschlichen Potenzial.
Die menschliche Liebesfähigkeit ist durch ihre Fürsorge und Verantwortung charakterisiert. Sie bedarf aber noch der Achtung und des Respekts vor der Integrität des Objektes, da sie sonst rücksichtslose Verantwortung werden würde. Dasselbe gilt für die Liebe zur Welt. Wendet sich der Mensch also in seiner Liebesfähigkeit der Welt zu, dann sind Fürsorge und Verantwortung darin enthalten. Sie ist im Sinne der Menschlichkeit aber nur nachhaltig, wenn sie ein Ausdruck der menschlichen Kräfte ist.
Fromm erkennt das ökologische Problem bereits zu seiner Zeit, sieht es aber wiederum nur als ein Teilproblem des Menschlichen. Die ökologische Frage steht bei ihm nicht im Mittelpunkt. Sie ist nur ein Symptom des gesellschaftlichen Strebens nach technischem Fortschritt, genauso wie die Bedrohung durch die Atombombe. Da die humanistische Ethik absolute Werte außerhalb des Menschen nicht toleriert, handelt der Mensch im ökologischen Sinn nur dann nachhaltig, wenn er menschlich handelt. Der biophile Charakter wird die Konflikte mit der Natur zu lösen wissen. Er wird erkennen, dass die Menschheit nicht allen Lebensraum auf dieser Welt in Anspruch nehmen kann und dass es vernünftig ist, Ökosysteme um ihrer selbst willen zu erhalten. Es ist eine Handlung der menschlichen Liebe und Vernunft, der Liebe zu sich selbst, zu den Mitmenschen und zur Welt. Der wahrhaft liebende und vernünftige Mensch hat Gefallen am Lebendigen, an der Natur und an der Entfaltung der Lebenspotenziale. Die Permakultur ist daher aus der Sicht der humanistischen Ethik das menschliche Resultat eines produktiven Charakters.

4.3.2 Wie menschlich ist das ethische Prinzip der Nachhaltigkeit?

1. Universale Menschlichkeit
Die Prämisse des Humanismus, dass die Menschlichkeit samt ihrem Potenzial zum Guten und zum Bösen in jedem Menschen enthalten ist, wäre vereinbar mit der Ethik der Permakultur. Es ist ein grundsätzliches Charakteristikum der Ethik der Permakultur, dass die spezifische Situation des Menschen betrachtet wird:
„Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Menschen die einzige Entscheidungsquelle sind, die Menschen brauchen. Wir selbst, wenn wir unsere Talente organisieren, sind ausreichend für einander. Mehr noch, wir werden entweder gemeinsam überleben oder keiner von uns überlebt. […] Ein mutiger Mensch von heute ist ein Mensch des Friedens. Wir brauchen den Mut, Autorität abzulehnen und nur persönlich verantwortete Entscheidungen zu akzeptieren. Wachstum um jeden Preis ist ein überholtes und schädliches Konzept, genauso wie Krieg. […] Die einzig mögliche Entscheidung ist daher, zerstörerischen System jegliche Unterstützung zu verweigern und damit aufzuhören, unser Leben unserer eigenen Vernichtung zu widmen.“
Trotz dieser Ode an die Menschlichkeit dehnt Mollison die Idee des Humanismus auf die universale Lebendigkeit alles Natürlichen und auf alle Subsysteme und System-Ganzheiten aus. Damit transzendiert die Gaia-Hypothese die universale Menschlichkeit. Beide Annahmen schließen sich so lange nicht aus, bis radikale Konsequenzen daraus abgeleitet werden.
Doch steht mit der Annäherung an den Holismus stets der Verdacht des Ökozentrismus im Raum. Dies wird am Beispiel der Forderung nach Bevölkerungsreduktion aus tiefenökologischen Kreisen ersichtlich. Die holistischen Ansätze und auch die Permakultur fordern einen solchen Bevölkerungsrückgang. Der Anschein einer misanthropischen Ethik wird dadurch geweckt, dass der Mensch im Sinne des Ökosystems Erde nicht toleriert werden kann, da er dem Gesamtsystem erheblichen Schaden zufügt. Die humanistische Ethik wittert sofort die Gefahr des totalitären Ökozentrismus. Fällt jedoch der autoritäre Vorhang auf den zweiten Blick, dann enthüllt sich eine vernünftige Argumentation. Bei dem aktuellen inflationären Umgang mit natürlichen Ressourcen und der enormen Schädigung der Umwelt muss die Menschheit um ihre materiellen Grundsicherungen bangen. Dem Menschen sollte also einerseits um seiner selbst willen daran gelegen sein, dass er seinen Verbrauch und die menschliche Population reguliert. Es soll kein Mensch für dieses Ziel sterben, sondern die Regulierung soll sich durch einen langfristigen Populationsrückgang nach einem vernünftigen Entschluss aller vollziehen. Eine weitere holistische Forderung für die Bevölkerungsreduktion ist die Entfaltung der Natur ohne anthropogenen Eingriff. Solange diese Entscheidung eine nicht erzwungene Willensäußerung des biophilen Menschen ist, ist ein solches Szenario nachhaltig, weil es menschlich ist; aber das gilt nicht, wenn es eine autoritäre Unterwerfung unter das ökozentrische Dogma ist. David Holmgren schlägt sogar vor, dass Adoption eine Möglichkeit sein könnte, dieses Ziel zu erreichen. Da der Mensch im Menschsein sein Zuhause findet und nicht im Gruppennarzissmus oder der inzestuösen Bindung an die Sippe, würde die humanistische Ethik diesem Einwurf nichts entgegenhalten.
2. Humanität als unveräußerliche Rechte und Mensch als Selbstzweck
Mollison fordert explizit die Wahrung und Achtung der Humanität. Wieder aber tritt das Konfliktpotenzial zutage, dass sich aus der Reibung der unveräußerlichen Rechte des Menschen mit dem unveräußerlichen Recht des Erhalts von Ökosystemen ergibt. Dieser Punkt tangiert die universale Menschlichkeit als unverzichtbares Gut in der humanistischen Ethik. Der Mensch darf niemals bloß zum Mittel werden, denn sonst würde sich der Mensch von seinen produktiven Kräften entfremden. Da für die Ethik der Nachhaltigkeit alles Natürliche Selbstzweck ist, bleibt der Mensch zunächst vor dieser Entfremdung bewahrt und geht mit dem Prinzip der Menschlichkeit konform.
3. Entfaltung der menschlichen produktiven Kräfte
Mollison sieht sich und alle Praktizierenden der Permakultur als Gestalter, als Autoren ihres eigenen Lebens. Die Arbeit der Permakultur sieht also vor, dass sich der Mensch selbst erlebt und sein Potenzial, sich produktiv zur Welt in Beziehung zu setzen, entfaltet. Die Voraussetzung, die auch gleichzeitig die Begrenzung für den menschlichen Ausdruck seiner produktiven Kräfte ist, ist die Arbeit „mit der Natur anstatt gegen sie“ . Damit ist die Ethik der Permakultur in einer Linie mit dem humanistischen Ethos. Doch Mollison denkt zusätzlich an das Recht der Entfaltung natürlicher Ökosysteme. Nach diesen Ansprüchen reicht es nicht aus, allein die Kräfte des Menschen auszuschöpfen, sondern parallel dazu seine Grenzen zu erkennen und anderem Leben Raum zur Entfaltung zu gewähren. Die humanistische Ethik gewährleistet dies nicht durch das Postulat absoluter Werte, sondern durch die produktiven Fähigkeiten der Liebe und Vernunft des Menschen. Die Kriterien der Liebe sind Fürsorge und Verantwortung, welche auch die grundlegenden ethischen Forderungen der Permakultur sind. Da die Liebe eine spezifisch menschliche Fähigkeit des Menschen ist, in der sich die Qualität seiner Beziehung zur Welt ausdrückt, bestimmen Fürsorge und Verantwortung die Ethik. Vom Standpunkt der humanistischen Ethik aus müsste die Reihenfolge der ersten beiden Grundsätze der Permakultur daher umgekehrt werden: 1.) Menschliche Liebe und 2.) Liebe für alles Natürliche. Fromm würde, ebenso wie Mollison, argumentieren, dass das zweite Gebot überflüssig wäre, weil es sich ohnehin aus dem ersten ergibt.
Bei dieser Priorisierung würden sich das ethische Prinzip der Menschlichkeit und das ethische Prinzip der Nachhaltigkeit theoretisch zwar widersprechen, aber praktisch zur Entfaltung und Wertschätzung allen Lebens beitragen. Wie durch die Überprüfung der Menschlichkeit anhand der Permakultur erkannt wurde, ist ihr ethischer Kern humanistisch. Die Erweiterung der moralischen Verantwortung auf die natürlichen Ökosysteme ist ein schwaches Argument im Vergleich zur humanistischen Variante mit den tragenden argumentativen Säulen der Fürsorge und Verantwortung. Nach dem Kriterium der ontologischen Sparsamkeit ist die humanistische Ethik gegenüber dem Holismus im Vorteil, weil sie nicht von der metaphysischen Annahme absoluter Werte ausgeht. Die humanistische Ethik liefert eben jenes Argument der Liebe, in der Fürsorge, Verantwortung und Respekt enthalten sind. Die Liebesfähigkeit des Menschen wird im produktiven Charakter real und damit ethisch; die humanistische Argumentation ergänzt das Gedankengebäude der Permakultur um ein starkes Fundament.
Da die humanistische Ethik ein inhärenter Bestandteil der Ethik der Permakultur ist, beginnt die Annahme absoluter Werte in der Natur zu schwanken. Die Menschlichkeit ist die notwendige und hinreichende Bedingung für das ethische Prinzip der Nachhaltigkeit. Umgekehrt ist Nachhaltigkeit auf existenzieller Ebene eine notwendige Bedingung der Menschlichkeit, da der Mensch in einer völlig zerstörten Umwelt nicht überleben und seine produktiven Kräfte nicht entfalten könnte. Doch der moralische Nachhaltigkeitsanspruch konstituiert sich nicht aus sich selbst heraus. Das ethische Prinzip der Nachhaltigkeit bleibt an den Menschen gebunden: Menschlich zu handeln, bedeutet, nachhaltig zu handeln.
Ökologisch nachhaltig zu handeln, bedeutet aber nicht zwangsläufig auch, menschlich zu handeln. Wenn die Handlungen vor dem Hintergrund der ethischen Nachhaltigkeit keine Äußerung der menschlichen produktiven Kräfte sind, dann wird dies vom humanistischen Standpunkt aus als eine unmoralische Handlung bewertet; die Handlung ist dann der Ausdruck seiner nichtproduktiven Orientierung. Die existenzielle Dichotomie des Menschen wirft das Problem auf, dass der Mensch gleichzeitig Geschöpf und Schöpfer ist. Er ist der Natur unterworfen, aber gleichzeitig transzendiert er sie auch. Wird diese existenzielle Tatsache in der holistischen Ethik missachtet, dann findet der Mensch keine gesunde Bezogenheit zur Welt. Indem er seine Integrität und Unabhängigkeit nicht erlebt, handelt der Mensch nach humanistischen Ansprüchen unmoralisch. Der Mensch erhebt sich nicht über die Natur, wenn er menschlich handelt; im Gegenteil, in der Menschlichkeit wird der Mensch eins mit der Natur.
Auf der anderen Seite reicht die menschliche Antwort auf der materiellen Ebene ohne die entsprechende ökologische Realität nicht aus. Es bedarf auch der Umgestaltung der Dinge hinsichtlich der Kultivierung fruchtbaren Bodens, auf dem Mensch und Natur ihr Potenzial entfalten können. Ein gesundes Ökosystem ist für den Humanismus eine notwendige Voraussetzung; es ist aber keine hinreichende Bedingung, wie es umgekehrt die Menschlichkeit für die Nachhaltigkeit ist.
4. Epistemischer Wertanthropozentrismus
Der pluralistische Holismus setzt absolute Werte voraus. Damit gerät er mit dem ethischen Prinzip der Menschlichkeit in Konflikt, da dieses zwar Werte außerhalb des Menschen toleriert, aber keine Werte, die unabhängig vom Menschen existieren. Der Mensch ist das „Maß aller Dinge“ , damit kann nur er das Moralische in der Welt verkünden und bewerten. Absolute Werte tendieren zu einer autoritären Ethik und können aus humanistischer Sicht nicht toleriert werden.
5. Seelische Gesundheit
Das Ziel der humanistischen Ethik ist tugendhaftes Handeln. Es ist tugendhaft, wenn der Mensch seiner biophilen Charakterrientierung folgt, er sich in seiner Wahl zwischen Gut und Böse für das Leben entscheidet und sich nicht von nichtproduktiven Orientierungen leiten lässt, die das Leben hemmen. Mollison argumentiert zwar nicht psychoanalytisch, aber auch er fordert implizit, dass nur ein biophiler Wesensentwurf des Menschen seine Forderung der Gestaltung erfüllen kann. Doch für die Ethik der Permakultur ist auch die ökologische Gesundheit der Ökosysteme ein universales Kriterium. Solange diese Forderung nicht die menschliche Integrität bedroht, sind diese Kriterien miteinander vereinbar.

4.3.3 Konklusion: Konträr oder komplementär?

Wie die ausführliche Analyse in Kapitel 4.3 zutage gefördert hat, kann das ethische Prinzip der Menschlichkeit die Kriterien der Nachhaltigkeit nur teilweise in sich aufnehmen. Da der Mensch ein natürliches Wesen ist und alle natürlichen Entitäten nach dem ethischen Prinzip der Nachhaltigkeit moralischen Eigenwert besitzen, wird dieser auch dem Menschen zugesprochen. Aus epistemischer Perspektive kann die ethische Menschlichkeit das Postulat absoluter Werte allerdings nicht akzeptieren. Hier sind die Positionen schlicht unvereinbar. Damit ist das Prinzip der Menschlichkeit aber kein inhaltlicher Anthropozentrismus, der den moralischen Eigenwert außermenschlicher Entitäten ignoriert. Die Fähigkeiten der Liebe und Vernunft gewährleisten, dass es Objekte außerhalb des wertenden Subjektes gibt, die den Anspruch auf moralische Berücksichtigung haben. Dazu braucht es aber nicht das Postulat absoluter Werte, denn diese neigen zur autoritären Bestimmung und sind keine spontanen Willensäußerungen des menschlichen Lebens. Aus Sicht der humanistischen Ethik wäre es eine reife, vernünftige Entscheidung, natürliche Ökosysteme um ihrer selbst willen auch ohne direkte anthropogene Einflüsse einzurichten, da der Mensch nicht der Mittelpunkt des Universums ist. In dieser Hinsicht wäre das ethische Prinzip der Menschlichkeit nachhaltig, da die Arbeit der Permakultur ein Ausdruck menschlicher Schöpferkraft ist.
Wie oben gezeigt wurde, wurzelt das ethische Prinzip der Nachhaltigkeit in der Prämisse wahrer Menschlichkeit. Damit das Konzept der Permakultur sinnvoll wird, setzt es einen gestaltenden, unabhängigen Menschen mit unveräußerlichen Menschenrechten voraus. Damit geht die Ethik der Permakultur von einem humanistischen Fundament aus. Zweifel an dem Prinzip der Menschlichkeit resultieren dann nur noch aus dem universalen Anspruch auf gesunde Ökosysteme. Welche Rolle hat der Mensch also in diesem holistischen Gefüge? Die Ethik der Permakultur fordert die Verantwortung und Sorge für die Erde, weil alle natürlichen Entitäten moralischen Selbstwert haben. Die Verantwortung und Fürsorge auf die gesamte Muttererde auszudehnen, liegt aber in der moralischen Dimension der Menschlichkeit. Die Liebesfähigkeit des Menschen hängt von seiner Charakterorientierung ab. Sie leitet sich primär aus der Menschlichkeit ab, aus seinem spezifisch menschlichen Potenzial. Die Fähigkeit zur Liebe und Vernunft bestimmt seine Beziehung zur Welt. Menschliche Fürsorge und Verantwortung können daher nicht aus der Verantwortung für die Welt allein abgeleitet werden: Die Verantwortung ist weltlich, weil sie menschlich ist.

5 Der Biozentrismus als Achse der ethischen Menschlichkeit und der ethischen Nachhaltigkeit

Nach der Analyse der beiden ethischen Prinzipien und nachdem ein erstes Resümee zeigen konnte, dass sowohl das ethische Prinzip der Menschlichkeit die Kriterien der Nachhaltigkeit in sich aufnehmen kann und spiegelverkehrt das Prinzip der Nachhaltigkeit ihrem Wesen nach menschlich ist, soll im Folgenden der Grund dafür präzisiert werden. Dieser leitet sich aus der humanistischen Ethik und der Ethik der Permakultur ab, die sich um eine biozentrische Achse drehen. Die Analyse aus Kapitel 4 soll im Folgenden noch um einige wichtige Aspekte ergänzt und vervollständigt werden.

5.1 Betrachtung der normativen Begründungen

Für das Anliegen dieses Kapitels ist es notwendig, den Argumentationsaufbau der humanistischen Ethik und der Ethik der Permakultur in Erinnerung zu rufen und genau zu betrachten. Es wird sich zeigen, dass die normativen Begründungen grundsätzlich gegenläufig sind, aber dasselbe Ziel verfolgen: Der sich schließende Kreis rotiert um eine biozentrische Argumentationsachse.
Den normativen Anspruch auf Menschlichkeit leitet Fromm aus der allgemeinen Bejahung allen Lebens ab. Das Ziel des Lebendigen sei es, sein gesamtes Lebenspotenzial zu entfalten. Er geht also zunächst nicht vom Menschen aus, sondern vom allgemein Lebendigen, und fordert deshalb auch die Entfaltung des Menschlichen als Ausdruck der Bejahung des Lebendigen.
Die ethische Forderung der Nachhaltigkeit leitet die Ethik der Permakultur aus der Verantwortung und Sorge für die eigene Familie ab, die zunächst auf die Sippe, dann auf die ganze Menschheit und letztlich auf alles Lebendige und natürlichen Ökosysteme ausgedehnt wird. Die moralische Zentrierung sei sonst, so Mollison, reine Willkür.
Die Begründung der holistischen Ethik beginnt zunächst anthropozentrisch und wird dann auf alle natürlichen Entitäten und Systeme erweitert. Der zentrale Gedanke ist die Verantwortung für lebende Entitäten. Die Ausdehnung der moralischen Verantwortung auf alle Lebensformen hat einen biozentrischen Charakter. Die Begründung der humanistischen Ethik hat ihren Ursprung in einer biozentrischen Ethik: Das Wesen des Lebens ist seine Entfaltung. Die Untersuchung der normativen Begründungen zeigt, dass beide Ethiken dasselbe Ziel verfolgen, nämlich die Entfaltung des Lebens zu fördern, Verantwortung für das Leben zu übernehmen und es zu respektieren. Deshalb ist der Schnittpunkt biozentrisch und der ethische Dreh- und Angelpunkt der beiden Prinzipien liegt in der Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben von Albert Schweitzer (1875-1965).

5.2 Biozentrismus: Die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben

Als Vertreter der biozentrischen Ethik stellt Schweitzer alles Lebendige in den Mittelpunkt der Ethik. Die humanistische Ethik und die Ethik der Permakultur laufen in ihr zusammen und haben darin ihren eigentlichen Ursprung. Schweitzers biozentrischer Ansatz hat natürlich seine eigene umfangreiche und fundierte Herleitung, die hier nicht Gegenstand der Betrachtung sein soll. Sie ist auch keine saubere Synthese der humanistischen Ethik und der Ethik der Permakultur. Aber sie ist die Achse dieser zwei ethischen Ansätze und macht es daher erforderlich, sich damit zu befassen.
Schweitzers profunde Feststellung der Lebenswirklichkeit ist: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Der Mensch muss sich epistemisch und inhaltlich mit dieser Erkenntnis arrangieren. Er muss eine ethische Antwort darauf finden, wie er mit dieser Welt unter diesen Bedingungen in Beziehung treten möchte. Er ist Leben unter Leben. Die biozentrische Ethik führt zum Menschen hin und geht von ihm aus:
„Ethik besteht also darin, daß ich die Nötigung erlebe, allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen. Damit ist das denknotwendige Grundprinzip des Sittlichen gegeben. Gut ist Leben erhalten und Leben fördern; böse ist, Leben vernichten und Leben hemmen.“
Ethisches Leben ist egalitär, es bevorzugt moralisch kein Leben unter Leben. Diese Feststellung widerspricht also dem Speziesismus und hält den willkürlichen Anthropozentrismus in seinen Schranken. Gleichzeitig tritt die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben für einen lebhaften Humanismus ein, in der der Mensch seine produktiven Kräfte entfaltet, da er eben ein Ausdruck des „Willen[s] zum Leben“ ist. In die Richtung der holistischen Anschauung geblickt, behebt die Lehre der Ehrfurcht vor dem Leben das Problem eines dogmatischen Ökozentrismus. In der biozentrischen Ethik ist jedes Leben schützenswert und nicht nur deswegen, weil es dem Gesamtgesundheitszustand des Ökosystems Erde nützt: „Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt.“ Auch die Tendenz zur falschen Harmonisierung in holistischen Ansätzen wird hier entschärft. So postuliert die Ethik der Permakultur, dass Kooperation die Grundlage des Lebens ist. Die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben fordert gerade die Entfaltung durch gegenseitige Hilfe, aber sie schafft auch Klarheit darüber, dass Leben ebenso auf Kosten von Leben existiert: „Die Welt ist Grausiges in Herrlichem, Sinnloses in Sinnvollem, Leidvolles in Freudvollem.“ Beide Ethiken wurzeln auf biozentrischen Grunde, sie drehen sich um die Achse des Lebendigen.

5.3 Spannungsverhältnis: Humanismus – Biozentrismus – Holismus

Der Zusammenhang zwischen Humanismus, Biozentrismus und Holismus wurde hergestellt. Die begründete These ist, dass der Humanismus und der Holismus eine biozentrische Geisteshaltung in sich tragen. Diese Verbindung schließt aber keine Konflikte aus, sondern fordert eine genauere Betrachtung dieses Spannungsverhältnisses.
Damit der Humanismus allen Lebensformen zugewandt bleibt, muss er sich stets daran erinnern, dass er universal ist. Entscheidend ist das deshalb, weil er sich sonst in der moralischen Beurteilung über den Menschen und alles Lebendige erhebt. Diese Rückbesinnung hält ihn im Orbit des Menschlichen und verhindert, dass er aus einer erhobenen Position heraus urteilt. Die biozentrische Ethik teilt das Credo der universalen Menschlichkeit, betrachtet darüber hinaus auch das allgemeine Leben als universal. Diese Sichtweise rückt den Menschen aus dem Zentrum des Kosmos. Gleichzeitig verhindert der Biozentrismus, dass natürliche Ökosysteme ins Absolute erhoben werden. Der Holismus wird an seinen unauflösbaren Konflikt erinnert, dass nicht die ökologische Qualität der System-Ganzheit ethisch allein überwiegt, sondern die universale Lebendigkeit.
In diesen abstrakten Prämissen liegt eine Lösung für das Problem der Fundamentalismen (Speziesismus und Ökozentrismus). Trotzdem ist damit nicht entschieden, wie in Konfliktsituationen tatsächlich gehandelt werden soll: Welche Handlung ist moralisch gut, wenn die Interessen menschlichen und außermenschlichen Lebens als grundlegende Auseinandersetzung aufeinanderstoßen?
Das hierarchische Argument des Anthropozentrismus bevorzugt stets die Interessen des Menschen und führt zwangsweise in eine anthropozentrische Sackgasse. Dagegen antwortet die humanistische Ethik nicht explizit auf dieses Problem, sondern überlässt den Umgang damit allein der produktiven Äußerung des Menschen durch Liebe und Vernunft. Der Egalitarismus des pluralistischen Holismus hält den Konflikt aufrecht und pendelt ewig zwischen misanthropischen Aussichten, um das Ökosystem Erde zu erhalten, und der moralischen Berücksichtigung jeder individuellen Entität. Auch die biozentrische Ethik von Schweitzer kann den Konflikt nicht lösen, aber sie gibt ihm Raum: Sie fordert, ausschließlich aus Notwendigkeit zu handeln und nicht aus Gedankenlosigkeit. Die Notwendigkeit erfordert es, Leben zum Vorteil von anderem Leben zu nehmen. Trotzdem hebt sich der Konflikt im Handeln aus Notwendigkeit nicht auf: Entweder der Mensch handelt ethisch oder er handelt aus Notwendigkeit und handelt daher unmoralisch. Die Spannung zwischen Lebensbejahung und Lebensverneinung ist im Konflikt nicht aufzuheben. Eine Entspannung ist nach Schweitzer sogar ein Indikator für den Untergang einer Ethik.
Um sich mit dem Leben in jeder Beziehung zu verbinden, sollte der Mensch die Grundfeste seiner Humanität und seiner Mitmenschen erkennen: „[D]as Verhalten des Menschen zu den Menschen [ist] nur ein Ausdruck des Verhältnisses [..], in dem er zum Sein und zur Welt überhaupt steht.“ Fromm übernimmt diese Feststellung Schweitzers und stellt sie auf die Beine einer psychoanalytischen Erklärung. Gedankenlos handelt der Mensch gemäß der humanistischen Ethik, wenn er sich seiner nichtproduktiven Charakterorientierung hingibt. Wenn aber seine biophile Orientierung dominiert, dann wird der Vorhang der Gedankenlosigkeit fallen und der Mensch wird aus reiner Notwendigkeit heraus handeln. Dieses Handeln ist durch eine liebende und vernünftige Beziehung zur Welt charakterisiert. Ist sein Handeln entfremdet, handelt er unmoralisch.
Entwickelt der Mensch also die Ehrfurcht vor dem Leben, dann gelangt er zur Erkenntnis, dass er rein aus Notwendigkeit und mit Liebe und Vernunft handeln will. Dies entspricht echter Nachhaltigkeit, weil sie zutiefst menschlich ist. Der menschliche Mensch ist sich seiner persönlichen Grenzen bewusst, versucht innerhalb dieser sein Potenzial zu entfalten und unterstützt die Entfaltung menschlichen und natürlichen Lebens. Der Mensch ist Leben unter vielem Leben und er muss seine spezifisch menschlichen Fähigkeiten dazu nutzen, um auf seine existenziellen Widersprüche zu antworten. Eine uniforme Antwort wird es dabei nicht geben. Die Bezogenheit drückt sich entweder in einer Tendenz zum Wachstum oder zum Verfall aus. Somit ist die Frage der Nachhaltigkeit eine Frage des menschlichen Charakters und der Ethik der Menschlichkeit. Der Humanismus ist nicht das Endziel, sondern der Ausgangspunkt für ein menschliches und nachhaltiges Leben. Er darf sich nicht in sich selbst erschöpfen. Karl Jaspers fasst diese Erkenntnis folgendermaßen zusammen: „Der Humanismus ist nur das Medium, aber nicht die Vollendung des Menschseins.“

6 Die Betrachtung der sozioökonomischen Konsequenzen

Nachdem die ethischen Aspekte behandelt wurden, sollen im folgenden Kapitel die praktischen Konsequenzen der humanistischen Ethik und der Ethik der Permakultur in der sozioökonomischen Dimension betrachtet werden. Unter anderem wollen wir uns noch einmal der Frage der Vereinbarkeit der beiden ethischen Prinzipien zuwenden. Darüber hinaus schlägt dieses Kapitel auch die Brücke zur Kritik an der soziökonomischen Wirklichkeit, da die beiden ethischen Prinzipien in der Wirtschaftsethik und der realen Lebenswelt kaum verankert sind.
Zunächst aber werden in Kapitel 6.1 die humanistische Ethik und in Kapitel 6.2 die Ethik der Permakultur in ihrer praktischen Umsetzung diskutiert. Angestrebt wird daraufhin ein dynamischer Vergleich der beiden Entwürfe, d. h., analog zur theoretischen Untersuchung – doch weniger umfangreich – werden die Schnittpunkte und Widersprüche aufgezeigt (Kapitel 6.3). Aufgrund eines sich herausbildenden Problems münden die beiden Konzepte schließlich im „biophilen Regionalismus“ .

6.1 Eine menschliche Gesellschafts- und Wirtschaftsweise

6.1.1 Der sozialistische Humanismus

Die praktischen Konsequenzen der humanistischen Ethik setzen sich als Überwindung der Entfremdung in einer Gesellschaft fort. Fromms Vorschläge sind weder neu, noch erhebt er Anspruch auf Richtigkeit. Er macht diese Vorschläge, weil er es für notwendig hält, „sich statt einer allgemeinen Diskussion von Prinzipien den praktischen Problemen zuzuwenden, wie man diese Prinzipien in die Wirklichkeit umsetzen könnte.“
Das Ziel einer humanistischen Gesellschaft ist nach Fromm der geistig gesunde, nicht entfremdete Mensch. Eine menschliche Gesellschafft schafft die Bedingungen für den produktiven Menschen,
„der liebend zur Welt in Beziehung tritt und seine Vernunft dazu benutzt, die Realität objektiv zu erfassen; es ist der Mensch, der sich selbst als eine einzigartige individuelle Größe erlebt und sich gleichzeitig mit seinen Mitmenschen eins fühlt, der sich keiner irrationalen Autorität unterwirft und freiwillig die rationale Autorität seines Gewissens und seiner Vernunft anerkennt, der sich sein ganzes Leben lang im Prozeß des Geborenwerdens befindet und der das Geschenk seines Lebens als die kostbarste Chance ansieht, die er besitzt.“
Der Beginn einer Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit entsteht, so Fromm, mit dem Konflikt zwischen den existenziellen Bedürfnissen und der gesellschaftlichen sozioökonomischen Realität. Das Bewusstsein über diese Konflikte müsse geschärft und in praktische Veränderungen gegossen werden.
In seiner Interpretation und Rezeption des Sozialismus führt Fromm den frühen Karl Marx an. Die Hauptsorge von Marx, so Fromm, sei der Mensch. Die Probleme des Menschen zu betrachten, bedeute, an die Wurzel zu gehen. Die Geschichte des Menschen sei die Geschichte seiner Entfaltung, aber auch die der Entfremdung seiner menschlichen Kräfte. Die Freiheit des Menschen beruhe nicht allein auf der Freiheit von politischer Unterdrückung, sondern auch auf der Freiheit von sozioökonomischen Umständen, die den Menschen beeinflussen. Fromm kritisiert Marx allerdings auch für seine zu einseitige Vorstellung vom menschlichen Charakter. Der Mensch werde zwar von den sozioökonomischen Verhältnissen geformt, aber auch der Mensch seinerseits forme sie. Fromms Interpretation eines demokratischen Sozialismus fordert eine Rückkehr zu den menschlichen Aspekten des sozialen Problems, die es gleichzeitig ermöglicht, die bestehenden kapitalistischen Verhältnisse zu kritisieren.

6.1.2 Bedingungen und Eigenschaften einer gesunden Gesellschaft

Die Bedingungen zur Heilung der individuellen Krankheit sind Fromm zufolge gleichzeitig die Bedingungen zur Heilung der kollektiven Krankheit. Die produktive Orientierung im Menschen konnte sich in der Vergangenheit nicht entwickeln und als Folge entwickelten sich irrationale Leidenschaften, wie Destruktivität, Narzissmus und symbiotische Bindungen. Der Wille zur Gesundung ist die Bedingung für jede Art von Heilung und ist nur in den schwersten Fällen abwesend. Damit der Wille zur Gesundung wirksam wird, sei, so Fromm, „das Gewahrwerden des Leidens“ und das Gewahrwerden der unterdrückten, verdrängten und unbewussten irrationalen Leidenschaften notwendig. Dieses Gewahrwerden könne der Heilung nur zuträglich sein, wenn die Lebenspraxis eine Veränderung erfährt, damit sich die auf neurotischen Strukturen aufgebauten Verhaltensmuster nicht ständig reproduzieren. Das Streben des Menschen nach seelischer Gesundheit liege in seiner Natur. Aus diesen Überlegungen leitet Fromm die fundamentalen Elemente und Strukturen einer gesunden Gesellschaft ab:
1. Der Mensch sollte kein Mittel zum Zweck, sondern stets Selbstzweck sein. Damit gilt auch das Verbot der Selbst- und Fremdinstrumentalisierung.
2. Der Mensch und sein Wachstum sollten im Zentrum der Gesellschaft stehen; ökonomische und politische Tätigkeiten sind damit sekundär.
3. Eigenschaften wie Gier, Ausbeutung, und Narzissmus haben in einer gesunden Gesellschaft keinen Platz.
4. Das Handeln sollte sich am eigenem Gewissen orientieren und keinen Autoritäten unterliegen.
5. Das Interesse an öffentlichen Angelegenheiten ist ebenso wichtig wie das an persönlichen Themen.

So fasst Fromm zusammen:
„Eine Gesellschaft ist gesund, wenn sie es dem Menschen erlaubt, in überschaubaren Dimensionen, die er noch in der Hand hat, zu wirken und aktiv und verantwortungsbewußt am Leben der Gesellschaft teilzunehmen und gleichzeitig Herr seines eigenen Lebens zu sein. Eine solche Gesellschaft fördert die Solidarität der Menschen und gibt ihren Mitgliedern nicht nur die Möglichkeit, liebevoll miteinander in Beziehung zu treten, sondern sie regt sie geradezu dazu an. Eine gesunde Gesellschaft fördert das produktive Tätigsein eines jeden bei seiner Arbeit, sie dient der Entfaltung der Vernunft und gibt dem Menschen die Möglichkeit, seinen inneren Bedürfnissen in gemeinsamer künstlerischer Tätigkeit und in Ritualen Ausdruck zu verleihen.“

6.1.3 Der kommunitäre Sozialismus und die Werkgemeinschaft

Aus diesen zunächst abstrakten Überlegungen einer menschlichen Gesellschaft entwickelt Fromm das Prinzip des kommunitären Sozialismus , das sich in vielen Variationen wiederfindet: Owenismus, Syndikalismus, Anarchismus und Gilden-Sozialismus. Diese seien sich in ihrem Hauptanliegen aber einig, dass die gesellschaftliche und individuelle Situation des Menschen bei der Arbeit und die Art der Beziehung zu seiner Arbeit und zu seinen Arbeitskollegen zentral sei. Fromm gibt als Beispiel die sogenannten Werkgemeinschaften an. Einige dieser Werkgemeinschaften seien Industrieunternehmen, wieder andere landwirtschaftliche Betriebe, doch die Grundprinzipien seien ähnlich, sodass er zu folgender Verallgemeinerung gelangt:
1. Die Werkgemeinschaften greifen auf moderne industrielle Verfahren zurück und kehren nicht zur handwerklichen Fertigung zurück.
2. Die aktive Beteiligung steht nicht im Widerspruch zu einer angemessenen zentralisierten Leitung, denn die irrationale Autorität ist durch eine rationale ersetzt worden.
3. Im Fokus steht die Lebenspraxis und nicht die ideologischen Unterschiede der Menschen. So können Menschen unterschiedlichster Überzeugungen und Weltanschauungen respektvoll und tolerant zusammenleben.
4. Die Arbeit und die soziale und kulturelle Betätigung werden integriert. Sofern die industrielle Arbeit technisch nicht attraktiv ist, erfüllt sie ihren Sinn in sozialer Hinsicht.
5. Der arbeitende Mensch ist seinen eigenen Kräften nicht entfremdet und menschliche Gemeinschaft ist ohne die Restriktion der Freiheit und der Konformität sichergestellt.

Für Fromm ist dieses Konzept eines der überzeugendsten praktischen Beispiele für eine produktive Lebensführung. Ob diese menschliche Gestaltung einer sozialen und ökonomischen Gesellschaft mit den Ansprüchen einer nachhaltigen Organisation der Gesellschaft konvergiert oder davon abweicht, wird nach der Präsentation der praktischen Idee der Permakultur deutlich werden.

6.2 Eine nachhaltige Gesellschafts- und Wirtschaftsweise

6.2.1 Die alternative Nation

Im Zeichen seiner praktischen Gestaltungphilosophie der Idee der Permakultur dehnt Mollison die ethischen Konsequenzen auf die soziale und ökonomische Dimension der Gesellschaftsebene aus. Das praktische Wissen der Permakultur müsse sich bewähren und etablieren und könne dann an weitere Menschen weitergegeben werden. Dabei seien die ethischen Konsequenzen Orientierungspunkte und keine Zielvorgaben. Anstelle von hierarchischen Machtstrukturen, die ökonomische sowie politische Kontrolle über Menschen einfordern, postuliert Mollison ein zukunftsfähiges System auf der Grundlage von Selbsthilfe und Autonomie, um möglicherweise „eine wahrhaft freie Welt mit internationaler Verbundenheit“ zu erreichen. Nach Mollison ist eine Nation eine Gemeinschaft mit einer gemeinsamen ethischen Ausrichtung, unabhängig davon, wo der einzelne Mensch lebt. Für eine „harmonische Weltgemeinschaft“ sei die Lokalität sekundär; entscheidend sei hingegen die Übereinkunft in Bezug auf bestimmte ethische Prämissen, die zukunftsfähig und allem Leben nützlich gegenüberstehen. Dazu stellt Mollison fest, dass „die Pflichten und die Verantwortung von Menschen gegenüber der Natur gleichrangig sind mit denen der Menschen gegenüber den Menschen, also dass jeder Verhaltenskodex sich gleichermaßen auf andere Lebewesen und Landschaftselemente bezieht.“ Die Fixierung auf eine rein anthropozentrische Ethik verringere die Verantwortung gegenüber der allgemeinen Lebensvielfalt und letztendlich auch gegenüber den Mitmenschen, da Ressourcen und Systeme deren Lebensgrundlage seien. Eine förderliche Handlung sei es deshalb, „natürliche Systeme zu ihrem eigenen und unserem langfristigen Nutzen zu bewirtschaften, nicht für unseren unmittelbaren und ausbeuterischen persönlichen Gewinn.“ Eine solche alternative Nation werde zu einem Volk, dass für die Erde sorgt, die Erde bewahrt und die Erde wieder herstellt. Sie strebe nach Frieden und dem Schutz der Menschenrechte. Anstatt einer zentralisierten Verwaltung und einem konkurrenzbasierten System sollen kooperative und lebenszentrierte Systeme die Grundlage einer globalen schöpferischen Gemeinschaft sein.

6.2.2 Bioregionalismus

Die sozioökonomische Verwirklichung der Ethik der Permakultur manifestiert sich im Versuch von Bioregionen. Bioregional zu wirtschaften, bedeute einerseits, mit einem minimalen Einsatz von Ressourcen und mit minimaler Umweltzerstörung zu produzieren. Anderseits fordert diese Wirtschaftsweise den maximalen Gebrauch erneuerbarer Ressourcen und einen maximalen Einsatz menschlicher Arbeits- und Schöpferkraft.
Wenn das Land einer Bioregion in einer vielseitigen und nicht konkurrierenden Weise genutzt werde, so Mollison, dann könne diese Region ein Mehrwert für die Erdgemeinschaft sein, sofern die Prämisse gelte, dass keine Person oder Gruppe Anspruch auf alleinigen Gebrauch erhebt. So führt Mollison die Idee der Gaia-Hypothese und die Idee des Bioregionalismus zusammen: „Wenn wir unsere lokale Flora und Fauna als ‚einheimisch‘ ansehen, dann können wir logischerweise genauso alle Lebensformen als ‚auf der Erde einheimisch‘ betrachten.“
Eine Bioregion ist nach Mollison ein Zusammenschluss von Menschen einer geografischen Region. Die jeweilige Region ist möglicherweise durch Wasserscheiden, Stadtgrenzen und andere topologische Erscheinungen begrenzt. Die Region gilt als Heimat und Ort der sozialen und ökologischen Kultivierung. Die Beteiligung an bioregionalen Netzwerken bezieht auch überregionale Verbindungen mit ein, um die regionalen Mauern einzureißen. Das Konzept der Bioregion ist Mollison zufolge eine wechselseitige Bereicherung für Mensch und Natur und zugleich eine kulturelle Wechselbeziehung im Sinne einer „ökumenischen, die Welt umfassende[n] Nation.“
Der Konflikt zwischen dem regionalen und dem weltumspannenden Anspruch ist offenkundig: Zum einen besteht die Notwendigkeit, verantwortungsbewusst in einer Region zu leben (bioregionale Zentrierung); zum anderen die Notwendigkeit, mit Menschen verschiedener Orte in Verbindung zu treten (globale Reichweite). Um die Ziele dieser Ansprüche zu vereinen, fordert die Permakultur ausdrücklich einen kosmopolitischen Bioregionalismus.

6.2.3 Permakultur – dauerhafte Landwirtschaft als stabile Ordnung

Der Weg zur Dauerhaftigkeit und Stabilität in Landschaften und Gesellschaften könne durch eine „kommunale Dauerhaftigkeit“ realisiert werden, die dadurch charakterisiert sei, so Mollison, dass Wissen, Erfahrung und Pflege in Gemeinschaften reproduziert werden. Im Gegensatz zur Sichtweise der Natur bei der industriellen Nutzung, werde sie nicht mehr bloß als Ressource betrachtet. Typisch für alle dauerhaften Landwirtschaftsformen sei, „dass der Energiebedarf des Systems vom System selbst gedeckt wird.“ Die konventionelle Landwirtschaft sei vollkommen von externen Energiequellen abhängig, aus der die massive Umweltverschmutzung resultiert. „Ohne dauerhafte Landwirtschaft ist keine stabile soziale Ordnung möglich.“ Die energiehungrige, ausbeuterische Landnutzung mithilfe externer Energiequellen und die Einstellung, die „Land als Ware“ sieht, ist nach Mollison ein Charakteristikum der kommerziellen Landwirtschaftsformen und führt zu einer globalen Abhängigkeit. Der Gedanke, dass Energie unendlich zur Verfügung stünde, ist ihm zufolge für materialistische Gesellschaften der Startschuss, ferne Länder auf der Suche nach Energiequellen und Einfluss zu berauben.
Da die Permakultur auf die praktische Gestaltung der Landwirtschaft ausgerichtet ist, kann sie sich an unterschiedlichste Organisationsformen anpassen, denn „Permakultur hat das Potenzial, in allen menschlichen Bestrebungen einen Platz einzunehmen.“ Die Wiederherstellung natürlicher Systeme ist, so Mollison, nicht als für den Menschen nützlich zu betrachten. Der Unterschied zwischen einem kultivierten Ökosystem und einem natürlichen System liegt für ihn darin, dass die kultivierte Ökologie „für die Nutzung durch den Menschen oder seiner Nutztiere bestimmt ist.“ Obwohl der Mensch nur einen kleinen Teil der gesamten Vielfalt abbilde, sei beinahe jeder Garten auf den direkten Ertrag des Menschen ausgelegt und damit radikal anthropozentrisch. Legitim sei dies für die „Siedlungs-Gestaltung“ des Menschen, aber für den Erhalt der Wildnis reiche eine anthropozentrische Ethik nicht aus: Dafür sei „eine auf die Natur zentrierte ethische Einstellung“ erforderlich. Wenn die menschlichen Bedürfnisse aus den bestehenden Siedlungen heraus erfüllt würden, dann „können wir uns aus weiten Teilen der landwirtschaftlichen genutzten Landschaft zurückziehen und natürlichen Systemen gestatten, aufzublühen.“ So ermahnt Mollison den radikalen Anthropozentriker, beim Aufbau und bei der Wiederherstellung von „zerstörtem Land“ mitzuwirken, da das Überleben der Menschheit verlangt, „dass wir alle lebenden Arten erhalten und ihnen einen Platz zum Leben zugestehen.“

6.3 Vergleich der praktischen Konsequenzen

Auch hier werden keine Einzelnachweise folgen. Die Betrachtung bezieht sich strikt auf den Wissensstand aus Kapitel 6.1 und 6.2.

6.3.1 Konvergenz in der Praxis

Das Ziel des kommunitären Sozialismus ist es, die Entfremdung des Menschen aufzuheben, sodass er seine produktiven Kräfte in seiner Arbeit entfalten kann und sich durch diese aktive Tätigkeit zur Gesellschaft und zur Welt in Beziehung setzt. Auch der Bioregionalismus setzt diese Prämisse implizit voraus, indem er auf Selbsthilfe und Autonomie setzt anstatt auf hierarchische Machtstrukturen. Damit konvergieren beide Konzepte in dem Ziel, dass sich der Mensch als selbstbestimmtes Wesen erfährt und trotzdem im solidarischen Bewusstsein lebt.
Die Verantwortung für den Menschen fordern beide Ideen. Der kommunitäre Sozialismus legt seinen Fokus auf die Probleme der menschlichen Arbeit angesichts der Gefahr der Entfremdung. Der Bioregionalismus betrachtet hingegen explizit die ökonomische Produktion mit der ökologischen Zielfunktion eines möglichst minimalen Einsatzes an Ressourcen und Energieverbrauch. Außerdem unterstützt der Bioregionalismus eine maximale menschliche Schaffenskraft. Damit enthält der Bioregionalismus explizit die Forderung des kommunitären Sozialismus, dass der Mensch menschlich, d. h. stets als Selbstzweck, produziert. Dagegen fehlt beim kommunitären Sozialismus ein expliziter Hinweis auf die ökologische Dimension; indirekt ist diese Dimension jedoch vorhanden, da sie den menschlichen Menschen schließlich voraussetzt, der sich produktiv mit sich, seinen Mitmenschen und der Welt in Beziehung setzt. Dementsprechend wird der produzierende Mensch im kommunitären Sozialismus seine Produktion realistisch anpassen und damit nachhaltig handeln, weil er menschlich handelt.
Beide Gesellschaftskonzepte teilen die Auffassung, dass allgemeine ethische Standards für eine Gemeinschaft entscheidender sind als der Regionalitäts- bzw. Lokalitätsbezug und eine bestimmte Produktionsweise. Die grundlegende ethische Übereinkunft hebt eine gesunde Lebenspraxis für Mensch und Natur hervor und nicht die Unterschiede und Ideologien. Diese offene Geisteshaltung in Bezug auf die freiheitliche Entfaltung führt zur Konvergenz der beiden Gesellschaftsideen.
Die Permakultur schafft durch eine kommunale Dauerhaftigkeit Stabilität in Landschaft und Gesellschaft. Die Natur wird nicht nur als eine instrumentelle Ressource gesehen, weshalb die Wiederherstellung natürlicher Systeme eine ihrer zentralen Forderungen ist. Das Modell der Werkgemeinschaft unterstützt dieses Anliegen dann, wenn die menschliche Arbeit ein sinnvoller Ausdruck der menschlichen Schaffenskraft geworden ist. Ist der Mensch jedoch dem Dogma der Naturalisierung unterworfen, ist dies kein Ausdruck seiner produktiven Kräfte. Fromm nennt unter anderem auch das Beispiel der „Kibuzzim“ , der landwirtschaftlichen Siedlungen in Israel, als eine mögliche Manifestation einer Werkgemeinschaft. Damit macht er deutlich, dass nicht nur industrielle Werkgemeinschaften im Sinne des kommunitären Sozialismus agieren können, sondern auch ökologische und landwirtschaftliche Projekte in diesem Ansatz enthalten sind, da sie Menschlichkeit und Solidarität, d. h. den humanistischen Ethos, in sich tragen. Daher kann die vorsichtige Aussage getroffen werden, dass Fromm mit der Idee der Permakultur sympathisiert hätte, unter der Bedingung, dass sich der Mensch nicht den absoluten Werten unterwirft. Ebenso würde Mollison die Verwirklichung des Menschen in der Arbeit als zentrale Forderung des kommunitären Sozialismus akzeptieren.

6.3.2 Das Problem des Lokalismus und seine Lösung: Der „biophile Regionalismus“

Fromm erkennt in der Entstehung und Etablierung von Werkgemeinschaften eine Gefahr des Lokalismus. Dieses Phänomen kann wiederum keine Verwandtschaft mehr mit dem humanistischen Ursprungsgedanken für sich beanspruchen – besonders nicht unter der Flagge des kommunitären Sozialismus – und ist weiterhin ein Teil der Entfremdung:
„Wenn die Arbeiter und Angestellten eines Unternehmens sich nur noch ausschließlich für ihren Betrieb interessieren, so würde die Entfremdung zwischen dem Menschen und seinen sozialen Kräften unverändert bestehen bleiben. Die egoistische, entfremdete Einstellung würde dann nur vom einzelnen auf das ‚Team‘ ausgedehnt. […] Die Entwicklung einer Art Lokalpatriotismus für die Firma […] würde nur die egoistische und unsoziale Einstellung verstärken, die das Wesen der Entfremdung ausmacht. Alle derartigen Vorschläge, die für eine Begeisterung für das eigene ‚Team‘ eintreten, übersehen, daß es nur eine einzige echte soziale Orientierung gibt, nämlich die der Solidarität mit der ganzen Menschheit. Sozialer Zusammenhalt innerhalb der Gruppe, der mit einer feindseligen Einstellung gegen Außenstehende verbunden ist, bedeutet nicht soziales Empfinden, sondern ist nur ein ausgeweiteter Egoismus.“
Diese Tendenz wird bei den sogenannten Ethics-of-Place-Ansätzen ebenso aufgeworfen. In der „Ethik regionaler Umweltkontexte“ besteht diesen Ansätzen zufolge eine Vorliebe für das Regionale und für Heimatliebe. Sie werden für gewöhnlich „als sentimentaler Rückzug aus der globalisierten Welt in die relative Sicherheit der eigenen kulturellen Hintergründe interpretiert“ .
Für eine moralische Verbundenheit sei ein vertrautes Verständnis des Ortes notwendig, das auf eigenen Erfahrungen beruht. Die Naturvölker hatten ein solches Verständnis offenbar verinnerlicht, da sich ihre Kultur über einen langen Zeitraum an einem gewissen Ort behauptet habe. Wenn Wissen aber zum privilegierten Wissen über einen Ort gemacht wird, dann könnte es zu Fremdenfeindlichkeit und zu einer fundamentalistischen Einstellung gegen andere kommen.
Angeschnitten wird hier eindeutig der Konflikt zwischen bioregionaler Zentrierung und globaler Reichweite. Mollison ermahnt zum globalen und lokalen Handeln und Denken. Zwar fordert die bioregionale Bewegung aus sich selbst heraus einen kosmopolitischen Bioregionalismus , doch werden der theoretische Anspruch und die Praxis unter den oben gezeichneten Umständen möglicherweise verfehlt. Um dies zu vermeiden, bräuchte es echte Solidarität, die über die lokale Gruppensolidarität hinausgeht. Die „echte soziale Orientierung“ sieht Fromm in der Solidarität mit der ganzen Menschheit. Nur die humanistische Auffassung kann den Gruppennarzissmus und die inzestuöse Bindung an Blut und Boden vermeiden. Der Lokalismus ist in dieser Argumentation also ein charakterologisches Phänomen.
Damit der Bioregionalismus seine nachhaltigen Ansprüche wirklich umsetzen kann, braucht es also den menschlichen Menschen, der das universell Menschliche achtet und alles Lebendige unterstützt, um seine Potenziale zu entfalten. Der menschliche Mensch und der naturzentrierte Gedanke des Bioregionalismus können sich entlang der biozentrischen Ethik realisieren. Die theoretischen Ansprüche der humanistischen Ethik und der Ethik der Permakultur können sich nun auch praktisch in der gesellschaftstheoretischen Idee des „biophilen Regionalismus“ niederschlagen.

7 Alternativen zur sozioökonomischen Wirklichkeit

Die grundlegende Untersuchung der Vereinbarkeit der zwei ethischen Prinzipien der Menschlichkeit und der Nachhaltigkeit ist nunmehr beendet. Komplementarität und Widersprüchliches wurden aufgedeckt. Trotzdem soll diese Untersuchung nicht als isolierte theoretische Betrachtung zurückbleiben. Denn die Frage ist doch schließlich, warum der Anspruch auf diese zwei ethischen Prinzipien überhaupt erhoben werden muss. Entspricht das derzeitige Gesellschafts- und Wirtschaftssystem dem Anspruch dieser ethischen Anforderungen nicht? Was ist die konkrete Kritik der humanistischen Ethik und der Ethik der Permakultur an der modernen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung? In Kapitel 7.1 sollen eben jene Fragen behandelt werden. Auch wenn Fromms wissenschaftliche Beiträge bis in die 1960er und 1970er Jahre hineinreichen und sich die Idee der Permakultur zu Beginn der 1980er Jahre entwickelt hat, bleiben ihre Kritik und ihr Anliegen bis heute aktuell. In Kapitel 7.2 wird zuallerletzt die Einordnung der zwei ethischen Prinzipien im wirtschaftsethischen Debattenraum geleistet; auch hier drängt sich die Frage auf, warum die bisherigen Argumente in der Wirtschaftsethik nicht ausreichen, um den beiden ethischen Prinzipen gerecht zu werden.

7.1 Kritik der Menschlichkeit

Erich Fromm kritisiert die Entfremdung des Menschen in der modernen Industriegesellschaft. Diese Beobachtung begründet er mit dem Gesellschaftscharakter, dem „Kern der Charakterstruktur, den die meisten Mitglieder einer Kultur gemeinsam haben“ . Der Gesellschaftscharakter ist der „Vermittler zwischen der sozioökonomischen Struktur und den Ideen und Idealen [..], die in einer Gesellschaft dominieren.“
Die Marketingorientierung als Gesellschaftscharakter entwickelt sich demnach erst heute vor dem Hintergrund der ökonomischen Funktionsweise von Angebot und Nachfrage zur dominanten Orientierung. Das Tauschgeschehen präge das moderne Leben des industriellen Zeitalters. Das Verhalten sei nicht vom Gebrauchswert geleitet, sondern vom Tauschwert, der aus dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage resultiere.
In Beziehung zur Welt tritt Fromm zufolge der marketingorientierte Mensch, indem er ständig prüft, wie er sich am besten verkauft. Er evaluiert stets, ob und wie er von anderen akzeptiert wird, und handelt danach, was der Markt ihm vorschreibt. In dieser Charakterorientierung erlebt sich der Mensch „zugleich als Verkäufer und als Ware“ . Seine Selbstachtung, so Fromm, sei von Bedingungen abhängig, die außerhalb seines Einflussbereiches liegen. Der Mensch stehe seinen eigenen Kräften als einer ihm fremden Ware gegenüber. Er werde auf den Marktwert reduziert. Seine einmalige Individualität sei damit wertlos. Diese Gleichgültigkeit charakterisiere das Verhältnis vom Menschen zu sich und anderen. Das Selbst werde vernachlässigt oder missachtet und daher sei die Folge eine oberflächliche Beziehung der Menschen untereinander. Die Marketingorientierung zeichnet sich nach Fromm dadurch aus, dass keine dauerhafte Form der Bezogenheit entwickelt wird. Das Beständige ist lediglich die „Auswechselbarkeit der Haltungen“ . Es werden die Eigenschaften entwickelt, die sich am besten verkaufen lassen.
Mit der Marketingorientierung hängt die Existenzweise des Habens , die Fromm entwirft, eng zusammen. Die Existenzweise des Habens leitet sich von der des Privateigentums ab, bei der lediglich gilt, dass man sich Dinge aneignet und das Recht auf Besitz hat. Das Selbst des Menschen werde über diesen Besitz definiert. Eine solche Beziehung könne daher nicht lebendig sein, da der Mensch von diesem Identitätsgefühl abhängig sei: Die Dinge würden eigentlich den am Haben orientierten Menschen besitzen. In der Konsumentenhaltung liege die Motivation, die Gegenstände besitzen zu wollen: „Ich bin das, was ich habe und was ich konsumiere.“ Aus der Angst heraus, Dinge zu verlieren, entstehe der Drang, immer wieder zu konsumieren. Letztlich führe erneuter Konsum Fromm zufolge jedoch nicht zu einer endgültigen Befriedigung der Bedürfnisse und der Kreislauf setzt sich fort.

7.2 Kritik der Nachhaltigkeit

Die Wirtschaftswissenschaften sind radikal anthropozentrisch. Sie instrumentalisieren die Natur, denn die Natur wird lediglich als Ressource für das Wirtschaftswachstum verstanden. In den Wirtschaftstheorien des 20. Jahrhunderts spielte der Faktor Natur keine Rolle. Diese Prämisse bildet sich nunmehr in der Wirklichkeit ab als weltweite Umweltverschmutzung und Naturzerstörung.
Ethische Normen, so Holmgren, werden für das langfristige kulturelle und biologische Überleben einer Bevölkerung immer wichtiger, je größer der Energieaufwand und die Bevölkerung sind. Diese ökologisch-funktionale Sicht, die auf ethischen Prinzipien basiert, müsse den Weg für die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft ebnen.
Den landwirtschaftlichen Prinzipien der Permakultur zufolge gilt der Gedanke, dass Energie unendlich zur Verfügung stehe, als ein Irrglaube der modernen Gesellschaft. Mollison meint, dass die Menschheit ihr eigenes Leben, das Leben vieler anderer Organismen und zukünftiger Wesen aus dem „Mangel an persönlicher Verantwortung für das Leben“ heraus durch ihre aktuelle Lebensweise gefährden würde. Auch die Entwicklung der modernen Wissenschaft und Technologie führe zu einem immer höheren Spezialisierungsgrad, „woraus die Unfähigkeit resultiert, Ergebnisse vorherzusehen und ganzheitliche Systeme zu gestalten.“ Zudem kritisieren Vertreter der Permakultur auch den menschlichen Aspekt der modernen Arbeit als Aushöhlung der Lebenszeit der Menschen durch die Lohnarbeit und die Botschaften des Konsums.
Damit steht die Permakultur als tiefenökologischer Ansatz und kooperatives System im krassen Kontrast zur radikal anthropozentrischen, konkurrenzbetriebenen Marktwirtschaft, die die Natur lediglich als instrumentelle Ressource für ihre Zwecke sieht. Eine solche Gesellschaft sei abhängig von fossilen Rohstoffen und neige zur Rohstoffknappheit. Für die Permakultur zeige dagegen eine wachsende natürliche Ressourcenbasis den Gesundheitszustand einer Gemeinschaft an. Demnach würde eine verantwortungsvolle menschliche Gesellschaft die Verwendung von Materialien verbieten, die langfristig den Ertrag zukunftsfähiger Ressourcen vermindern.

7.3 Einordnung der Kritik in den Gesamtkontext

Der Rückbezug auf die Kritik an der aktuellen sozioökonomischen Realität wirft noch einmal Licht auf den Gesamtkontext dieser Arbeit. Die Kritik richtet sich gegen die Praxis des kapitalistischen Wirtschaftssystems, welches Mensch und Natur bloß als Ressourcen betrachtet. Sowohl die Kritik der Menschlichkeit als auch die Kritik der Nachhaltigkeit haben ferner gezeigt, dass ihre Einwände hochaktuell sind. Da die rasanten klimatischen Veränderungen im 21. Jahrhundert eine Anpassung der Menschheit an sich verändernde Gegebenheiten erfordern, reicht es nicht aus, einzig technologische Lösungen zu präsentieren und Nachhaltigkeit lediglich im Zuge des Wirtschaftswachstums zu erfüllen, wie es in den Sustainable Development Goals der UN verankert ist. Die Funktionsweise des derzeitigen Wirtschaftssystems und seine Reaktion auf Krisen liegt in seiner veralteten Struktur. Da der Mensch und die Natur im Kapitalismus schlichtweg Ressourcen sind, bleibt der Mensch entfremdet und die Natur wird gewissenlos ausgebeutet. Solange sich die Geisteshaltung nicht ändert, werden die Handlungen und Maßnahmen nicht den gemeinsamen ethischen Ansprüchen der Menschlichkeit und Nachhaltigkeit genügen. Der Kern dieser beiden Prinzipien ist die moralische Entscheidung, das Leben zu erhalten und seine Entfaltung zu fördern; orientiert sich der Mensch am unmoralischen Weg, so hemmt und zerstört er das Leben um ihn herum und sein eigenes.

7.4 Einbettung in den wirtschaftsethischen Diskurs

Mit diesem letzten Kapitel wird sich der Kreis dieser Arbeit schließen. Die Einleitung in Kapitel 1 ging von der Ausgangshypothese aus, dass in der klassischen Wirtschaftsethik das Prinzip der Menschlichkeit und das Prinzip der Nachhaltigkeit nicht berücksichtigt werden. Zwar bestimmtder Prinzipienkonflikt das Hauptanliegen dieser Arbeit, doch erfolgt nun auch die Einbettung in den Argumentationsraum der Wirtschaftsethik.
Vom einschlägigen Werk zur Wirtschaftsethik von Aßländer (2011a) ausgehend, wird Wirtschaftsethik im deutschen Debattenraum als Brückendisziplin verstanden. Sie soll als angewandte Ethik zwischen ökonomischen und ethischen Anforderungen vermitteln. In der klassischen Wirtschaftsethik verhandelte Themen sind bspw. die Folgenverantwortung ökonomischen Handelns und die Adressaten moralischer Normen in Wirtschaft und Unternehmen. Aus der gesamtwirtschaftlichen Perspektive der politischen Ökonomie werden sogar die Normen innerhalb der ökonomischen Theoriebildung kritisiert (z. B. die Rationalitätsannahme, das Menschenbild des homo oeconomicus usw.). Diese sind wiederum die Basis für ein anderes Ökonomieverständnis und andere Konzeptionen.
Dieses Verständnis von Wirtschaftsethik als Bereichsethik trennt sie scharf von den Ansprüchen einer allgemeinen Ethik. Das bedeutet im Klartext, dass innerhalb der Wirtschaftsethik fundamentalethische Probleme kaum berührt werden. Die allgemeine Ethik bestimmt den Begriff des moralisch Guten und begründet ethische Prinzipien. Erst auf einer nächsten Stufe werden die moralischen Kriterien in ausgewählten Lebensbereichen betrachtet. Das Verhältnis von allgemeiner zu angewandter Ethik ist sicherlich diffizil, doch die Kritik an der Positionierung der Wirtschaftsethik als Bereichsethik ist, dass sie nicht vollständig sein kann, denn „[e]ine umfassende philosophische Ethik befaßt sich jedenfalls mit beiden, zunächst mit den Grundlagen, sodann mit exemplarischen Anwendungen.“
An dieser Stelle wird es notwendig, zu bestimmen, ob die humanistische Ethik und die Ethik der Permakultur umfassende philosophische Ethiken sind. Beide Ethiken entwickeln ihre fundamentalen Prinzipien solcherart, dass sie eine grundlegende ethische Haltung abbilden: Eine Ethik der Menschlichkeit und eine Ethik der Nachhaltigkeit, die, weil sie um die gemeinsame biozentrische Achse kreisen, auch Ethik der Lebendigkeit heißen könnten. Erst von dieser gefestigten Individualethik aus entwickeln sie schließlich ihre institutionsethischen Ansätze als sozioökonomische Konsequenzen. Sie sind also eindeutig umfassende philosophische Ethiken, weil sie sich zunächst mit den ethischen Grundlagen und erst dann mit einzelnen Lebensbereichen auseinandersetzen. Allgemeine Ethik und angewandte Ethik sind in ihnen aber nicht mehr zu unterscheiden: Wenn die Idee des kommunitären Sozialismus der humanistischen Ethik und die Idee des Bioregionalismus der Ethik der Permakultur als Wirtschaftsethiken aufgefasst werden, dann sind sie nichts anderes als gelebte Ethiken der Lebendigkeit, die ihre Wurzeln stets in moralischen Grundprinzipien haben. Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt sind in dieser Hinsicht keine voneinander abgesonderten Bereiche, sondern gehen vom gemeinsamen ethischen Wert der Entfaltung des Potenzials allen Lebens aus.
Mit Sicherheit werden in den einzelnen Lebensbereichen die für diese Bereiche jeweils spezifischen moralischen Probleme zu klären sein, aber sie sind nicht abgeschieden vom Rest der ethischen Welt, sondern beziehen sich auf eine zugrunde liegende Ethik. Auf diesem Nährboden haben die sozioökonomischen Konsequenzen, die daraus erwachsen, eine feste Grundlage.
Im Unterschied zur gängigen Wirtschaftsethik vermitteln die Ethiken nicht zwischen ökonomischen und ethischen Anforderungen, sondern die ethischen Anforderungen bedingen die ökonomische Gestaltung. Somit sollte – und das klingt nach einem Paradigmenwechsel – vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts die Wirtschaftsethik radikal werden, d. h. als kritische Sozialwissenschaft fundamentalethische Fragen stellen und einen allgemeineren Charakter bekommen. Die Vorschläge der ethischen Menschlichkeit und der ethischen Nachhaltigkeit als biophile Ethik wurden hiermit dargestellt und erheben Anspruch auf Berücksichtigung, und zwar sowohl in der Praxis – denn Ethik zielt auf das Handeln –, als auch in der wirtschaftsethischen Debatte.

8 Fazit

Diese Arbeit hat sich mit der Frage befasst, ob das ethische Prinzip der Menschlichkeit und das ethische Prinzip der Nachhaltigkeit miteinander vereinbar sind. Zur Beantwortung dieser Frage mussten zunächst die Prinzipien hergeleitet werden. Die ethische Menschlichkeit wurzelt allgemein in der Philosophie des Humanismus und im Besonderen in der humanistischen Ethik nach Erich Fromm; ihre Kriterien sind universale Menschlichkeit, Humanität, Entfaltung des menschlichen Potenzials, seelische Gesundheit und epistemischer Wertanthropozentrismus. Die ethische Nachhaltigkeit speist sich dagegen aus dem Holismus und der Ethik der Permakultur; ihre Kriterien sind der moralische Eigenwert der Natur, egalitäre Behandlung aller natürlicher Entitäten, Erhalt und Entfaltung natürlicher Ökosysteme und die Verantwortung und Sorge für die Erde.
Aus dem Dialog zwischen der ethischen Menschlichkeit und der ethischen Nachhaltigkeit geht eine begründete Auslegung dieses Prinzipienkonfliktes hervor. Wenn der Mensch menschlich handelt, also seine produktiven Kräfte entwickelt, alles Lebendige um ihn herum zur Entfaltung zu bringen versucht und dabei die systemische Betrachtung der Erhaltung natürlicher Ökosysteme miteinbezieht, dann sind sowohl das ethische Prinzip der Menschlichkeit als auch das ethische Prinzip der Nachhaltigkeit realisiert. Der Ruf nach ethischer Nachhaltigkeit ist das Echo des Rufes nach ethischer Menschlichkeit. Wenn der Mensch seine schöpferische Kraft nicht umsetzt, dann handelt der Mensch auch nicht nachhaltig. Der primäre Wesenszug des produktiv orientierten Mensch ist es, sich liebend und vernünftig mit den Mitmenschen und der Natur in Beziehung zu setzen; dadurch erfüllt er den Anspruch der ethischen Menschlichkeit. Allein durch die gelebte Menschlichkeit gestaltet er seine Handlungen nachhaltig. Der Mensch akzeptiert ethische Nachhaltigkeit aber nicht, wenn die Prämisse besteht, dass absolute moralische Werte außerhalb des Menschen existieren. Die Natur wird deshalb gewürdigt, weil der produktiv orientierte Mensch zur Fürsorge und Verantwortung und zum Respekt gegenüber sich selbst, der Mitmenschen und der Natur fähig ist. Der menschliche Mensch wird die Forderungen der ethischen Nachhaltigkeit nach Erhalt und Entfaltung natürlicher Ökosysteme umsetzen, da das Verhalten in seiner produktiven Bezogenheit zur Welt selbst wurzelt und nicht als von ihm außerhalb existierender absoluter Wert, dem er sich unterwirft und damit die Entfaltung seiner ureigenen Kräfte einbüßt: Handelt der Mensch menschlich, dann handelt er nachhaltig. Trotz aller ethischen Menschlichkeit wird diese sich selbst zum Hindernis, wenn sie sich als teleologische Verwirklichung betrachtet; bleibt der Humanismus das Medium und wird nicht zum alleinigen Selbstzweck, dann kann die Menschlichkeit etwaigen Fundamentalismen (z. B. dem Speziesismus) entgehen.
Weiter wurde durch die Analyse sichtbar, dass sich sowohl die humanistische Ethik als auch die Ethik der Permakultur um eine biozentrische Achse drehen. Das Leben zu schützen und dessen Potenzial zu entfalten, ist die biozentrische Botschaft, die anhand Albert Schweitzers Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben veranschaulicht wurde. Die humanistische Ethik argumentiert für die Entfaltung des menschlichen Potenzials, weil es die Bestimmung des Lebens selbst ist, sich zu entfalten. Die Ethik der Permakultur weitet die Sorge für das eigene Leben auf die Sorge für alles Lebendige aus. Mit dem engen Umkreisen der biozentrischen Achse werden die kritischen Positionen des Speziesismus in der humanistischen Ethik und des Ökozentrismus im Holismus gewissermaßen aus der Bahn geworfen.
Nach der theoretischen Besprechung der zwei ethischen Prinzipien wurden deren praktische Konsequenzen auf sozioökonomischer Ebene betrachtet und ihre Vereinbarkeit hin untersucht. Das Ergebnis der Analyse zeigt, dass der kommunitäre Sozialismus als sozioökonomische Verwirklichung der humanistischen Ethik mit der Idee des Bioregionalismus, ausgehend von der Ethik der Permakultur, grundsätzlich vereinbar ist. Der Mensch soll in der Arbeit seine Schaffenskraft maximal entwickeln. Darüber hinaus beruht der Bioregionalismus auf der Prämisse einer minimalen Nutzung der Ressourcen, da die Natur an sich moralisch schützenswert ist; dieses nachhaltige Element betont die humanistische Ethik zunächst nicht explizit. Aber ebenso wie für die Theorie, gilt auch für die praktischen Konsequenzen, dass sich der menschliche Mensch im kommunitären Sozialismus zu den natürlichen Ressourcen des Ökosystems Erde in Beziehung setzt. So wird er auch dem Anspruch auf Nachhaltigkeit des Bioregionalismus im kommunitären Sozialismus gerecht. Beide tendieren allerdings zu einer Form des Lokalismus, d. h. zu einer Fokussierung auf die eigene Gruppe oder die jeweilige Bioregion. Der Ausweg aus dieser fundamentalistischen Einbahnstraße ist stets, dass der Mensch das Leben als universale Lebendigkeit voraussetzt, sich also stets die universale Menschlichkeit vor Augen hält. Eine Gesellschaftsform, die das ethische Prinzip der Menschlichkeit und das ethische Prinzip der Nachhaltigkeit in sich vereint und den Fundamentalismen mit der universalen Geisteshaltung der Lebendigkeit begegnet, heißt dann „biophiler Regionalismus“.
Die analytische Betrachtung der Vereinbarkeit der ethischen Menschlichkeit mit der ethischen Nachhaltigkeit auf theoretischer sowie auf praktischer Ebene ist damit beendet. Der letzte Beitrag dieser Arbeit hat schließlich die Brücke von der zunächst isolierten theoretischen Betrachtung zur Gegenwart geschlagen, indem die beiden Ethiken zugrunde gelegt wurden, um im Namen der humanistischen Ethik und der Ethik der Permakultur am gegenwärtigen sozioökonomischen System Kritik zu üben. Deutlich wurde, dass die Kritik – obwohl aus den 1970 bis 1980er Jahren stammend – auch heute aktuell ist und nicht an Kraft verloren hat. Die kapitalistische Wirtschaftsweise und Theorie, basierend auf Eigentum und Konkurrenz, betrachtet den Menschen und die Natur bloß als Ressource. Dies widerspricht den Prinzipien der Menschlichkeit und Nachhaltigkeit.
Zudem wurde postuliert, dass die allgemeine Auffassung der Wirtschaftethik keine umfassende philosophische Ethik sein kann, da sie sich ausschließlich als Bereichsethik entwirft. Fundamentalethische Begründungen, wie in der humanistischen Ethik sowie in der Ethik der Permakultur erhoben, werden kaum berührt. Gemessen an den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wäre ein Umdenken in diesem Fachbereich durchaus plausibel.
Mit dieser wissenschaftlichen Untersuchung möchte der Verfasser dieser Schrift zum Verständnis von Menschlichkeit und Nachhaltigkeit beitragen. Radikale Menschlichkeit und radikale Nachhaltigkeit widersprechen sich nicht, im Gegenteil: Sie können ausschließlich zusammen gedacht werden und sind dem Leben dienlich. Wenn heutzutage allerdings Nachhaltigkeit gefordert wird, dann wird eigentlich – entsprechend den Ergebnissen dieser Arbeit – Menschlichkeit gefordert. Statt einer „Green Economy“ müsste die Forderung nach einer „Human Economy“ laut werden. Die Menschen in einer menschlichen Ökonomie werden ökologisch nachhaltig wirtschaften, weil der menschliche Mensch im produktiven Tätigsein kraft seiner Liebe und Vernunft mit der Welt biophil in Beziehung steht.

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