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Sand – ein selten gewordener Rohstoff, eine Buchbesprechung

Sand – ein selten gewordener Rohstoff

Buchbesprechung: Vince Beiser, Sand, wie uns eine wertvolle Ressource durch die Finger rinnt, München oekom Verlag 2021

 

   Wer momentan baut oder Leute kennt, die ein neues Eigenheim planen, der weiß, dass Holz und Bausand knapp und damit sehr teuer geworden sind. Das Phänomen der verbrauchten Erde – es beginnt sichtbar zu werden. Vince Beiser geht auf die Spurensuche des Rohstoffs Sand und amüsiert und schockiert mit seinem Buch gleichermaßen. Amüsiert, weil die verschiedenen Kapitel sehr einladend geschrieben sind, wobei wohltuend die jeweiligen Quellenangaben genau angegeben werden, schockierend, weil hier sehr deutlich wird, in welche Sackgasse sich die Menschheit manövriert hat.

   Wozu benötigt der Mensch Sand, und wieviel Sand gibt es überhaupt? Beginnen wir mit Letzterem und wiegen uns scheinbar in Sicherheit: Die Anzahl der geschätzten Sandkörner auf dem Globus wird mit folgender Zahl angegeben:

7.500.000.000.000.000.000

   Diejenigen, die im Mathematikunterricht aufgepasst hatten, wissen sofort, dass es sich um 7500 Billiarden, also 7,5 Milliarden Milliarden handelt. Doch Sand ist nicht gleich Sand! 70 % aller Sandkörner der Erde bestehen aus Quarz. Quarzsande, die zu 95% aus Siliziumdioxid bestehen, sind seltener als Bau- und mariner Sand und werden für die Herstellung von Glas benötigt. Wüstensand enthält zu runde Körner und kann nicht für Bauzwecke verwendet werden. So importiert Saudi – Arabien Sand aus Australien! Beiser konzentriert seine Ausführungen auf folgende Verwendungszwecke für Sand: Glas – Beton – Fracking – Strände.

   Das erste wirklich farblose und durchsichtige Glas wurde im 15. Jahrhundert aus einer Auswahl der reinsten Sande entwickelt. Teleskope und Mikroskope konnten hergestellt werden. Schon im 14. Jahrhundert beschleunigten Brillen den Anstieg von Wissen in Europa, da Brillen das geistige Arbeitsleben der Schriftgelehrten um 15 Jahre verlängerten! 1903 war die erste Flaschenmaschine von Owens einsatzbereit. Sie gilt als der bedeutendste Fortschritt in der Glasproduktion seit mehr als 2000 Jahren. Der Markt für Getränke begann zu florieren. Coca Cola setzte 1903 300 Mio. Dollar um, 1910 bereits zwei Milliarden Dollar. Glas besteht aus Sand und wird für Flaschen, Fenster, Geschirr, Smartphones usw. gebraucht.

   1908 führte Henry Ford das Model T ein, ein relativ billiges Auto für die Massenproduktion. Es fehlte jedoch ein sicheres, Städte verbindendes Straßennetz. Der Ausbau erster Fernstraßen begann 1916, die Interstate Highways begann 1956 und wurde 1991 fertiggestellt. Heute durchziehen 4,4 Millionen Kilometer befestigte Straßen die USA, befahren von 256 Millionen Motorfahrzeugen. Jeder Fahrstreifenkilometer benötigt 38 Tonnen Material. für die Beton – und Asphaltdecke. Aber es ist nicht allein der Verbrauch an Rohstoff, der belastet. Sehr schön beschreibt der Autor die Zusammenhänge und Folgewirkungen:

   „Auf diese Weise trugen die Fernstraßen dazu bei, viele Orte ihrer Charakteristik zu berauben und regionale Besonderheiten unter einer Decke aus Sand und Kies zu begraben. Die Interstate Highways sind auf Monotonie getrimmt, konstruiert nach denselben Standards, sie unterliegen derselben Geschwindigkeitsbegrenzung und sind mit Verkehrsschildern in identischen Farben und Schrifttypen ausgestattet, die die Entfernung zur nächsten Stadt anzeigen. Als Folge davon bewirken sie eine Highwayhypnose und vermitteln eine Erfahrung, die weniger aus dem motorisierten Fahren besteht als aus dem Gefühl, auf einem riesigen Förderband aus Beton zu sitzen, Tempomatgesteuert gleichmäßig dahinzurollen und nicht mehr tun zu müssen, als das eine Auge auf die Straße und das andere Auge auf die Tankanzeige zu richten, Kilometer für Kilometer für Kilometer. Dieses betäubende Immergleiche reduziert die Landschaft auf ein verschwommen vorbeiziehendes Bild, in regelmäßigen Abständen unterbrochen von grell beleuchteten Tankstellen und Fast – Food – Ketten, die sich in leicht unterschiedlicher Ausgestaltung im ganzen Land finden, sodass man morgens in Nashville in einem Denny’s frühstücken kann und abends in dem scheinbar exakt gleichen Denny’s in Minneapolis zu Abend ist.“

   Die großen Sandverbraucher sind also Städte und Straßen, aber dies ist nur die oberflächliche Wahrheit. Der Haupttreiber genereller Rohstoffnutzung liegt in der Wachstums – und Nachahmungsideologie. Wachstum gehört zum Axiom der Volkswirtschaftslehre, Wachstum gilt als Wohlstandsmehrer, Arbeitsplatzbeschaffer und Garant gesellschaftlicher Stabilität. Wachstum durchläuft alle Wohlstandsbereiche, wie das Beispiel der Anzahl von Swimming-Pools in den USA belegt. So gab es 1957 nur etwa 4000 private Pools, heute sind es über acht Millionen.[1] Der Nachahmungseffekt zeigt sich in den sogenannten emerging markets, speziell in China und Ostasien. Der westliche Lebensstandard dient als Vorbild, nur höher, weiter und größer. 70 Prozent der Weltbevölkerung leben in Gebäuden, die zumindest teilweise aus Beton bestehen. Auf jeden Erdenbewohner entfallen 40 Tonnen dieses Materials, jedes Jahr kommt pro Kopf eine weitere Tonne hinzu. 2016 verbrauchte China 7,8 Milliarden Tonnen Bausand.1975 baute Singapur einen neuen Flughafen auf 40 Millionen Kubikmeter Sand aus dem Meeresboden.

   Der Wachstumswahn benötigt Energie, und die wird in der Regel aus der Erde geschöpft. 2008 begann der Fracking – Boom in den USA. 2016 belief sich die Schiefergasproduktion dort auf 447,4 Milliarden Kubikmeter. Jedes einzelne Bohrloch benötigt bis zu 25.000 Tonnen Sand. Versiegen Öl – und Erdgasquellen, so bietet der Tourismus für die ganz Reichen der Erde eine neue Einnahmequelle. Dubai begann Mitte der 1990er Jahre mit der Inselbildung, 2005 war Palm Jumeirah auf 120 Millionen Kubikmetern Sand fertiggestellt. Weitere Inseln folgten in Planung und Fertigstellung. Der Luxus benötigt Energie, Wasser und Müll. Die Bewohner der VAE verbrauchen pro Kopf 660 Liter Wasser am Tag- ein Weltrekord.[2] Strände müssen alle fünf Jahre neu mit Sand aufgefüllt werden. China erweitert das Territorium auf den Spratly – Inseln und den Paracel – Inseln mit Inselgruppen, die mit Sand aufgeschüttet werden. Innerhalb von 18 Monaten erzeugten Schiffe so rund 1200 Hektar Neuland. Die Folge war „…der schnellste dauerhafte Verlust von Korallenriffen in der Menschheitsgeschichte.“[3]  China verbrauchte zwischen 2011 und 2013 mehr Zement als die Vereinigten Staaten im gesamten 20. Jahrhundert. [4] Die inzwischen eingetretene Knappheit von Sand animiert Clans und Verbrecherbanden zum Diebstahl, sogar vor Morden wird nicht zurückgeschreckt.

   Das Buch berichtet detailhaft über die Auswüchse des Rohstoffverbrauchs. Wie oben bereits erwähnt, lohnt sich die Lektüre, allein um an einem Beispiel eines Rohstoffs die Verschwendung von Ressourcen demonstriert zu bekommen. Am Ende hinterfragt der Autor Lösungsansätze. Einmal gäbe es alternative Materialien wie Flugasche, Schlacke, Gesteinspartikel, auch geschredderter Plastikabfall, was freilich die schiere Masse des benötigten Rohstoffs nicht annähernd kompensieren kann. Vielleicht gibt es bald Verfahren, die Wüstensand für die Herstellung von Beton verwenden kann, eine dänische Firma forscht bereits. Felsgestein könnte zermahlen werden oder Beton zu kleinen Körnern pulverisiert werden. Die Herstellung künstlichen Sands verteuert diesen Rohstoff. Angesichts der Tatsache, dass die Menschheit seit 40 Jahren die natürlichen Ressourcen schneller ausbeutet als die Natur sie erneuern kann, gibt es nach Meinung des Autors nur eine Lösung: Verzicht!

 

  D.Baer

[1] siehe S.80

[2] siehe S.208

[3] siehe S.213

[4] siehe S.14

Rohstoff, Rohstoffknappheit, Sand