
Raphaela Kell: Nach dem UN-Plastikgipfel: Scheitern als Startschuss für eine neue Strategie
Bild: H.Hach/Pixaby
Am 15. August 2025 sind die UN-Verhandlungen in Genf, die auf ein globales Abkommen zur Reduzierung der weltweiten Plastikverschmutzung abzielten, ohne Ergebnis geblieben. Zentrale Streitpunkte betrafen die Begrenzung der Kunststoffproduktion sowie die Regulierung schädlicher chemischer Zusatzstoffe. Eine verbindliche internationale Vereinbarung zur Drosselung der weltweiten Produktion erdölbasierter Kunststoffe konnte nicht erzielt werden. Hauptursache des Scheiterns waren – erwartungsgemäß – die ablehnenden Positionen jener Staaten, deren wirtschaftliche Interessen in hohem Maße mit der Förderung fossiler Rohstoffe und der petrochemischen Industrie verflochten sind. Hierzu zählen Saudi-Arabien, Russland, die Vereinigten Staaten und Kuwait.
Die heutige Entscheidung hat bei zahlreichen Umwelt-NGOs wie auch bei vielen Regierungsvertreterinnen und -vertretern, die sich konsequent für den Schutz natürlicher Ökosysteme einsetzen, erhebliche Frustration ausgelöst, denn Kunststoff ist längst zu einem Umweltproblem von globaler Tragweite geworden. Weltweit türmen sich Müllberge auf Deponien und in der Natur, während Meere und Flüsse durch Kunststoffabfälle massiv belastet werden. Mikro- und Nanoplastikpartikel dringen in Nahrungs- und Wasserkreisläufe ein, werden von Tieren, Pflanzen und Menschen aufgenommen und reichern sich in biologischen Systemen an. Die gesundheitlichen Folgen sind noch nicht vollständig erforscht, doch mehren sich Hinweise auf schwerwiegende Risiken für Stoffwechselprozesse, Immunsystem und Reproduktionsfähigkeit. Vor diesem Hintergrund erscheint das Scheitern eines verbindlichen globalen Abkommens besonders gravierend, da sich die ökologischen und gesundheitlichen Schäden mit jedem Jahr ohne Gegenmaßnahmen verschärfen.
Gleichzeitig wirft diese Situation eine strategische und vielleicht zukunftsweisende Frage auf: Müssen Fortschritte zwingend vom Konsens aller Staaten abhängen – auch jener, deren wirtschaftliche Interessen fest mit der Förderung fossiler Rohstoffe und der petrochemischen Industrie verknüpft sind? Warum übergehen die anderen Regierungsverterinnen und -vertreter, die ein Plastikabkommen angestrebt haben, nicht konsequenter die Blockadepolitik einiger weniger und setzen den politischen Hebel nicht an anderer Stelle an?
Denn möglicherweise liegt der wirksamere Hebel nicht auf der Produktionsseite, die nur schwer davon zu überzeugen ist, ihre Gewinnaussichten im Interesse aller hinten an zu stellen, sondern in der gezielten Regulierung der Nachfrage nach fossilen Kunststoffen. Würde eine ausreichend große Koalition – etwa die anderen ökonomisch relevanten UN-Mitgliedstaaten – verbindliche nationale Maßnahmen zur drastischen Einschränkung der Nachfrage nach erdölbasierten Kunststoffen umsetzen, ließe sich die weltweite Produktionsmenge selbst ohne formelles globales Produktionslimit substanziell reduzieren. Brauchen die Weltgemeinschaft wirklich die Zustimmung der wenigen Profiteure weiterer Umweltzerstörungen, die erfahrungsgemäß selten das Wohl des Planeten, der Tierwelt und ihrer Mitmenschen im Blick haben?
Eine solche bei der Nachfrage ansetzende Plastik-Vermeidungs Strategie könnte folgende Elemente umfassen:
- Importverbote für erdölbasierte Kunststoffe in Primärform sowie für Endprodukte mit hohem Anteil fossiler Polymere.
- Nationale Produktionsverbote oder -kontingente für erdölbasierte Kunststoffe innerhalb der eigenen Grenzen.
- Massive Förderung biobasierter und kreislauffähiger Materialalternativen durch steuerliche Anreize und regulatorische Privilegien.
Ökonomisch betrachtet entzieht eine solche koordinierte Nachfragepolitik der fossilen Kunststoffproduktion einen erheblichen Teil ihrer Absatzbasis. Selbst wenn petrochemische Erzeugnisse in einzelnen exportorientierten Staaten weiterhin in großem Umfang hergestellt würden, fehlte ihnen der Zugang zu den bedeutendsten Absatzmärkten. Aufgrund der hohen Investitionskosten petrochemischer Anlagen und der Notwendigkeit langfristiger Absatzsicherheit würden Produzenten ihre Produktionskapazitäten unter diesen Bedingungen nicht mehr in bisherigem Umfang ausweiten und mittelfristig sogar stilllegen.
Dieser Mechanismus ähnelt der Funktionsweise von Importbeschränkungen in anderen umweltpolitischen Kontexten, etwa im Handel mit ozonschädigenden Substanzen nach dem Montrealer Protokoll. Entscheidend ist, dass die Nachfragebeschränkung nicht auf einzelne Länder beschränkt bleibt, sondern von einer möglichst großen und ökonomisch relevanten Staatenmehrheit getragen wird, die zu den globalen Hauptimporteuren von fossilen Kunstoffen zählen. Je größer der Anteil am Weltmarkt dieser Koalition ist, desto stärker sinkt der Anreiz, außerhalb dieses Bündnisses weiter die problematischen erdölbasierten Kunststoffe zu produzieren.
Eine große Unterstützung beim Verzicht auf fossile Kunststoffe wäre die schnelle und ausreichende Verfügbarkeit biobasierter Alternativen, die zudem den Aufbau einer regenerativen und umweltfreundlicheren Wirtschaftsform fördern könnten – ein Ziel, das derzeit in immer mehr Städten verfolgt wird.
Das heutige Scheitern eines globalen Produktionsabkommens ist daher nicht gleichbedeutend mit politischer Handlungsunfähigkeit. Vielmehr könnte es den Anstoß geben, eine alternative, nachfrageseitige Strategie zu entwickeln, die unabhängig vom Konsens aller UN-Mitglieder wirksam ist. In dieser Perspektive wird deutlich: Auch ohne Zustimmung der fossilen Exportstaaten bleibt die Möglichkeit bestehen, durch gezielte Marktgestaltung einen substanziellen Beitrag zur Eindämmung der Plastikflut zu leisten.