
Palantir und die stille Umprogrammierung der Demokratien
Ein morgen in naher Zukunft:
Sie wachen auf, wie immer, Ihr Handy liegt neben Ihnen – doch Ihr Fingerabdruck wird nicht mehr akzeptiert. Ihre Banking-App meldet „Zugriff verweigert“. Sie möchten zur Arbeit, aber Ihr ÖPNV-Ticket wurde deaktiviert. Eine E-Mail von Ihrem Arbeitgeber: „Ihr Zugang wurde aus Sicherheitsgründen vorrübergehend gesperrt!“. Sie verstehen nicht, was passiert ist – Sie haben nichts getan. War es vielleicht Ihr sarkastischer Leserbrief über die Regierung? Oder das Treffen letzte Woche mit einem Freund, der auf einer Demo war? Sind Sie vielleicht in einem E-Mailverteiler, in dem sich kritische Bürger*innen befinden, die sich gegen Lobbyismus, Machtpolitiker oder Korruption engagieren? Oder ist es Ihre Freundschaft und Ihr E-Mailkontakt zu einer palästinensischen Asylbewerberfamilie? Oder ist es Ihr häufiger Aufenthalt in Ihrem Lieblingsrestaurant, das sich leider in einem bestimmten Stadtviertel befindet und in dem Sie dummerweise immer mit Karte bezahlt haben? Sie werden nicht verhaftet. Sie werden nicht verhört. Aber Sie werden von irgendetwas, von irgendjemand verwaltet, klassifiziert und ausgeschlossen. Ihre digitale Spur wurde von einem Algorithmus gescannt, bewertet – und für potenziell abweichend (von welcher normal-bürgerlichen Norm auch immer) befunden.
Willkommen in der Welt von Palantir
Unbestritten erleichtern viele digitale Technologien unser Leben im Alltag. Doch zunehmend sind wir auch mit Technologien konfrontiert, die das Denken umlenken, das Beobachtete in Verdächtiges verwandeln und aus Daten Gewissheiten generieren, bevor überhaupt jemand gefragt wurde. Palantir gehört zu letzterer Kategorie – und dennoch bleibt das Bewusstsein über die Tragweite dieser, auf unsere Demokratien zurasenden Technologie, die in den sicherheitskritischen Infrastrukturen Europas zunehmend Einzug hält, erstaunlich schwach ausgeprägt. Als handle es sich um eine gewöhnliche Software, eine neutrale Plattform zur Datenanalyse, die nur bei der Terrorbekämpfung helfen solle, so die befürwortenden Stimmen aus der Politik. Doch Palantir ist mehr – oder besser: gefährlich viel mehr. Und wir müssen als Bürgerinnen und Bürger jetzt sehr genau hinschauen, ob unsere Politiker tatsächlich mit Palantir unsere Demokratie auszuhöhlen beginnen.
Entstanden aus dem Umfeld der CIA und initiiert durch den PayPal-Mitgründer und Silicon-Valley-Investor Peter Thiel, trägt Palantir nicht nur den Namen eines allsehenden, boshaft eingesetzten Zauberkristalls aus Tolkiens Welt, sondern auch die Vision einer Zukunft in sich, die zutiefst autoritäre Züge trägt. Peter Thiel, Unterstützer Donald Trumps und erklärter Gegner demokratischer Entscheidungsprozesse, stellte bereits 2009 provokant fest: „Ich glaube nicht mehr, dass Freiheit und Demokratie vereinbar sind.“ Die technische Umsetzung dieses Kontrollparadigmas verantwortet CEO Alex Karp, ein ehemaliger Philosoph und Jurist, der sich zwar öffentlich von Thiels politischen Positionen distanziert, dem jedoch der Aufbau einer der mächtigsten Datenanalyse-Plattformen der Welt gelungen ist – im Dienste von Sicherheitsbehörden, Geheimdiensten und zunehmend auch von Unternehmen und Regierungen weltweit. Palantir ist in der Lage, riesige Mengen an Daten aus unterschiedlichsten Quellen in Echtzeit zu analysieren – von Bewegungsmustern über Finanztransaktionen bis hin zu Kommunikationsflüssen. Ein Traum für jede Regierung, die Kontrolle anstrebt. Und ein Albtraum für jede Gesellschaft, die auf Privatheit, Dissens und demokratische Pluralität angewiesen ist.
Dass diese Technologie nun auch in Deutschland für Polizei, Verfassungsschutz und andere Behörden verfügbar ist, wird – wenn überhaupt – als Fortschritt in Sachen „Effizienz“ verkauft. Dabei bedeutet Palantir nichts anderes als die algorithmische Durchleuchtung ganzer Bevölkerungen. Nicht das, was jemand tut, sondern was er in einem bestimmten Szenario tun könnte, gerät ins Visier. Das Denken wird nicht mehr entlang von Beweisen und Tatsachen gelenkt, sondern entlang von Wahrscheinlichkeiten und Korrelationen – erzeugt durch eine Blackbox, die kaum jemand versteht, kontrolliert oder demokratisch legitimiert hat.
Es ist geradezu erschütternd, wie still es in unserer Gesellschaft bleibt angesichts einer Entwicklung, die den Kern unserer Freiheitsrechte bedroht. Während auf europäischer Ebene Politiker*innen mit dem „Digital Services Act“ versuchen, einen digitalen Schutzraum für Bürgerrechte zu schaffen, treiben dieselben Kräfte auf Bundesebene in Deutschland die Einführung von Systemen wie Palantir voran – Werkzeuge, die wie gemacht sind für eine Zukunft der permanenten Überwachung. Der Widerspruch ist nicht nur frappierend, sondern gefährlich: Wer vorgibt, unsere Rechte zu schützen, darf nicht zugleich an ihrer Aushöhlung mitarbeiten.
Und doch bleibt die Frage, warum ausgerechnet ein Unternehmen wie Palantir – mit seiner offen elitären, autoritären Ideologie im Hintergrund – in Europa zunehmend Vertrauen und Aufträge erhält. Was geschieht, wenn in einem Land wie Frankreich, Deutschland oder Österreich rechtsextreme Kräfte die Macht übernehmen – ausgestattet mit einem datenanalytischen Werkzeug, das potenziell jede kritische Stimme erfassen, bewerten und in Bedrohungskategorien einordnen kann? Was bedeutet es für Journalistinnen, Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen, wenn ausgerechnet ein Unternehmen, das von einem Mann gelenkt wurde, der Diversität, Gleichheit und die Demokratie verachtet, zum stillen Beobachter ganzer Gesellschaften wird?
Hier liegt die stille Gefahr. Nicht im Lärm der Verschwörung, sondern in der Trägheit der demokratischen Öffentlichkeit. Palantir funktioniert nicht wie ein Panzer oder ein Schlagstock. Es funktioniert wie ein Schatten und arbeitet im Verborgenen. Es spioniert die Bürger*innen aus, speichert, verknüpft, projiziert, erstellt Verhaltensprognosen auf der Grundlage von intransparenten Kriterien. Es bewertet Menschen, bevor diese überhaupt auffällig wurden. Und es verändert damit das Verhältnis zwischen Bürger und Staat auf eine Weise, die nicht mehr reversibel sein wird, wenn wir nicht jetzt die grundlegenden Fragen stellen: Wer programmiert unsere Gesellschaft? Wer kontrolliert die Algorithmen, die über das Leben Einzelner urteilen? Wer schützt die Demokratie vor einer Technologie, die in ihrer strukturellen Logik selbst antidemokratisch ist?
Es geht nicht nur um Technik. Es geht um Macht und Machteliten, die für unsere Demokratien durch ihre Profitgier zunehmend eine diabolische, d.h. spaltende Wirkung haben. Es geht um die Frage, ob wir rechtzeitig erkennen, in welche Hände wir unsere Zukunft legen und ob wir uns wirklich als Bürger*innen vor den ideologischen Karren fragwürdiger Eliten spannen lassen wollen.
Die Regionale Resilienz Aachen möchte in den kommenden Monaten diese Debatte stärker in die Öffentlichkeit tragen. In Netzwerkstrukturen mit anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen, mit Wissenschaftlerinnen, Datenschützerinnen und politischen Akteur*innen. Mit offenen Briefen, Petitionen, Veranstaltungen und einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne soll nicht nur über Palantir aufgeklärt werden – sondern auch über die ideologischen Grundlagen einer digitalen Welt, die sich immer weniger an Freiheit und immer mehr an Kontrolle orientiert.
Empfehlenswerte Podcasts, Artikel, Videos:
https://youtu.be/WdzaVgYRcbM?feature=shared
https://youtu.be/mt96-Mrmtac?feature=shared
https://youtu.be/b6wA1SjBUjI?feature=shared