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Der Klimaschutz und das Bundesverfassungsgericht

Mit dem jüngsten Beschluss der Karlsruher Richter zum deutschen Klimaschutzgesetz gerät die Bundesregierung massiv unter Druck den Klimaschutz ernster zu nehmen und eine deutlich wirksamere und zeitlich weitreichendere Klimapolitik umzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat das bestehende Klimaschutzgesetz  in Teilen für verfassungswidrig erklärt und damit der Bundesregierung, deren Mitglieder sich gerne als die großen internationalen Klimaschutzpioniere präsentieren, peinlich abgewatscht. Diese gerichtliche Entscheidung sucht vielleicht sogar ihresgleichen in der Geschichte der Bundesrepublik und verschafft dem Engagement vieler zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich seit Jahren für mehr Klimaschutz einsetzen, heftigen Aufwind.

Nun müssen sich endlich auch jene Minister und Ministerinnen bewegen, die seit Jahren den Klima- und Umweltschutz sowohl auf der bundesdeutschen als auch auf EU-Ebene ausbremsen und torpedieren. Die bundesdeutsche Klimaschutzpolitik hinkt dabei den im Europäischen Green Deal verankerten Klimaschutzzielen massiv hinterher und unterhöhlt diese sogar in Teilen. Und entgegen zahlreicher Verlautbarungen – auch aus den Reihen der Bundesregierung –  die Corona-bedingte Wirtschaftskrise solle genutzt werden, um eine nachhaltige Wirtschaft aufzubauen, lenkte Wirtschaftsminister Altmaier unbeirrt enorme Summen der Corona-Staatshilfen in wenig nachhaltig aufgestellte Konzerne, wie beispielsweise die Lufthansa, was ihm unter anderem heftigen Ärger mit EU-Kommissarin Verstager einbrachte, die Deutschland sogar mit einem Vertragsverletzungsverfahren drohte.

Die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöcker, wird nach diesem Urteil nicht mehr umhinkönnen, die bestehenden landwirtschaftlichen Strukturen in der Bundesrepublik, die für mehr als 13 % der allein in Deutschland ausgestoßenen Treibhausgase verantwortlich sind, massiv im Sinne von mehr Klima- und Umweltschutz umzugestalten. Viel zu lange stand das Ministerium unter dem Einfluss der großen deutschen Bauernverbände, die Klima- und Umweltschutz eben nicht als Voraussetzung für den Fortbestand der Landwirtschaft begriffen haben, sondern entsprechende Auflagen als Voraussetzung für die weitere Subbventionierung alleine der deutschen Landwirtschaft mit jährlich 6 Milliarden Euro (EU-weit knapp 60 Milliaden, ettwa 1/3 des gesamten EU-Haushaltes) bekämpft haben.

Doch der Druck auf die Politik, endlich mehr für den Klimaschutz zu tun, wächst nicht nur in der Bundesrepublik. Am Europäischen Gerichtshof liegt eine Klage von portugiesischen Kindern auf dem Tisch, die gegen 33 europäische Staaten läuft. Laut Süddeutscher Zeitung laufen zudem in Belgien und Frankreich, sowie in Italien und auch den USA Verfahren zum Thema Klimaschutz vor den jeweiligen obersten Gerichten. (vgl: https://www.sueddeutsche.de/politik/bundesverfassungsgericht-klimaklage-signal-gerichte-1.5280551?print=true).

Möglicherweise schließen sich, wie die Süddeutsche Zeitung den Juraprofessor Felix Ekardt zitiert, diesem Karlsruher Beschluss nun auch andere Verfahren an, die über die klimaschutzrechtlichen Aspekte hinaus mehr Umweltschutz von den Parlamenten einfordern. Mit Blick auf der in den SDGs (Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen) verankerten Gemerationengerechtigkeit wäre beim Umwelt-, Ressourcen- und Biodiversitätsschutz die gleiche Argumentation anzuwenden, wonach die Grundrechte nachfolgender Generationen durch eine unzureichende Umweltpolitik eingeschränkt werden (vgl. ebd.)

Karlsruher Beschluß und StädteRegion:

Doch was bedeutet diese Gerichtsentscheidung konkret für das zivilgesellschafliche Engagement beispielsweise auf der kommunalen Ebene – auch in der StädteRegion Aachen? Obwohl in erster Linie die Bundesregierung durch dieses Urteil unter Beschuss geraten ist, wird sich der Transformationsdruck, hin zu mehr Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz, unmittelbar auch auf die Gemeinde- und Stadträte bzw. die Kommunalpolitik massiv verstärken. Um die Pariser Klimavereinbarungen erreichen zu können, werden wir auf allen politischen Ebenen und in allen Regionen alle gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Hebel in Bewegung setzen müssen, um das 1,5°-ziel (bzw. 2,0°-Ziel) noch einhalten zu können. Es werden politische Entscheidungen anstehen, für die vielleicht wenig gesellschaftliche und wirtschaftliche Akzeptanz besteht, was letzten Endes auch gravierenden bildungspolitischen Versäumnissen in diesen Themenbereichen geschuldet ist. Gerade an diesem Punkt könnte das bottom-up Konzept nun zum politischen Erfolg einer breit angelegten und umgesetzten Klimastrategie beitragen. Dem bottom-up Prinzip zufolge, werden aus der Gesellschaft heraus politische Ziele und Konzepte mitgestaltet und von unten durch die Entscheidungshierarchien hindurch bis in die nationalen Parlamente und das EU-Parlament übertragen. Meist geschieht dies über das zivilgesellschaftliche Engagement, das sich in Vereinen und Bürgerinitiativen organisiert.

 In Aachen selber engagieren sich, wie unsere mit dem Eine Welt Forum durchgeführte Studie „We@AC – gemeinsam nachhaltig Zukunft gestalten“ (https://we-at-aachen.de/) ergab, etwa 20.000 Bürger und Bürgerinnen in über 220 Organisationen im Klima- und Umweltschutz. Diese Organisationen und Initiativen haben in der Vergangenheit bereits viele Weichen für einen kommunalen Klima- und Umweltschutz gestellt, in dem sie auf Schwachstellen in Klimaschutzstrategien hingewiesen, Gegenkonzepte entworfen und die Transformationsthemen mit Kampagnen in die Öffentlichkeit getragen haben. Die Regionale Resilienz Aachen engagiert sich in diesem Bildungskontext ebenfalls und plant, gemeinsam mit der Stadtverwaltung, dem Eine Welt Forum Aachen, dem Runden Tisch Aachen sowie dem NABU Aachen und der Bischöflichen Akademie  für diesen Sommer eine Kampagne zur Transformation unserer regionalen Landwirtschaft und Ernährungskultur, die im Oktober mit einer Fachtagung abschließen wird und vielleicht den Startschuss für mehr Nachhaltigkeit in unserer regionalen Landwirtschaft gibt. Auch die ökologische Nutzung unserer kommunalen Wälder wollen wir in den Blick nehmen, um ihren ökologischen Wert, ihre Klimaresistenz und ihre Bindungswirkung für Treibausgase (THG) zu stärken.

Der Runde Tisch Klimanotstand Aachen (https://www.runder-tisch-klimanotstand-ac.de/hat 2019 im direkten Anschluss an den vom Aachener Stadtrat deklarierten Klimanotstand einen fundierten und umfassenden Kriterienkatalog entworfen und an die Stadt überreicht, der schnell umsetzbare Möglichkeiten zur Erreichung einer besseren kommunalen Klimabilanz aufzeigte und hat im Wahljahr 2020 entsprechende Wahlprüfsteine formuliert, um die sich zur Wahl stellenden Parteien an die Fortsetzung der angesagten kommunalen Klimaschutzpolitik zu erinnern und ihre Parteiprogramme daraufhin abzutasten.

Mit Bildungsprojekten und –materialien bringt beispielsweise auch das Eine Welt Forum Aachen mit dem Projekt „Globales Klassenzimmer“ (https://globalesklassenzimmer-aachen.de/) die Themen des globalen Klima- und Umweltschutzes in die Schulen hinein, und stellt diese Materialen für die kommunale Bildungsarbeit zur Verfügung.

Der NABU-Stadtverband (https://www.nabu-aachen.de/) hat mit Hilfe der NRW-Stiftung Ende 2019 einen eigenen Wald (60 Hektar) gekauft mit dem Ziel, diesen ohne forstlichen Einfluss zum Naturwald zu entwickeln, als Vorbild für die Herausnahme kommunaler Wälder aus der gewinnorientierten, intensiven forstwirtschaftlichen Nutzung ( https://www.nabu-aachen.de/freyenter-wald/).

Die Bürgerstiftung Lebensraum Aachen (https://www.buergerstiftung-aachen.de/) engagiert sich ebenfalls seit vielen Jahren im Bereich nachhaltige Stadtentwicklung und hat mit zahlreichen Projekten und Vortragsveranstaltungen eine breite Öffentlichkeit für die Themen der Nachhaltigkeit erreicht.

Etliche Vereine und Initiativen sind mit ihrem Wissen, mit ihrer Expertise an Schulen, Verbände und Unternehmen wie auch an die Verwaltung und Parteien herangetreten, um in einen konstruktiven Dialog zu treten, aufzuklären und Menschen und Institutionen für mehr Klimaschutz zu mobilisieren – insbesondere auch mit der Intention den Unzulänglichkeiten der Bundesregierung in der Klimapolitik auf der kommunalen Ebene entgegenzuwirken.

In Aachen sind wir möglicherweise bereits auf einem guten Weg, denn auch viele Mitarbeiter:innen in der Stadtverwaltung, wie auch die einzelnen Fraktionen signalisieren gegenwärtig eine hohe Kooperationsbereitschaft, um gemeinsam mit den Bürger:innen und NGOs die Region nicht nur in puncto Klima- und Umweltschutz voranzubringen sondern einen co-kreativen Prozess einzuleiten, in dem auch die Wirtschaft und die Hochschulen in den Transformationprozess eingebunden werden sollen.

Dennoch dürfen wir uns als Zivilgesellschaft angesichts des unverhofften Gerichtsentscheids nicht zurücklehnen im Vertrauen darauf, dass die Politik sich nun im Sinne der SDG bewegen wird. Der hierzu erforderliche Transformationsprozess unserer Wirtschaft und Gesellschaft ist ein sehr dickes Brett, das wir durch Karlsruhe aber auch mit Hilfe des Europäischen Green Deals gerade erst einmal angebohrt haben.

Auch wenn wir hier in Aachen gegenwärtig durchaus Anlass zur Hoffnung haben können, dass die relevanten Umwelt- und Klimathemen über parteipolitische Machtinteressen hinaus, unerwartet interfraktionell vorangebracht werden, müssen wir jetzt am Ball bleiben, uns noch konstruktiver, weitsichtiger und vor allem visionärer in den zeitlich drängenden Transformationsprozess einzubringen. Zudem müssen wir ein aufmerksames Auge auf etwaige Fehlentwicklungen in diesem Transformationsprozess haben, die sich beispielsweise unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit in Überlegungen zur Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken in einigen EU-Ländern (z.B. Frankreich, Belgien, Niederlande https://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/interview/interview-kernenergie/) oder gar in der Förderung nach der Subventionierung des Neubaus von AKW münden (aktuelles Stichwort EU Taxonomie). Auch die Umstellung hochineffizienter Kohlekraftwerke auf Holzpellets, wie dies bereits in Frankreich umgesetzt wird, hat fatale Folgen für die südfranzösischen Wälder (vgl. https://www.deutschlandfunk.de/proteste-gegen-holzkraftwerk-angst-um-frankreichs-waelder.724.de.html?dram:article_id=379347 ). In britischen Holzkraftwerken in Nähe der großen Häfen weden Schiffsladungen an Tropenholz für billigen Strom verheizt.

In der Landwirtschaft müssen wir mehr denn je überprüfen, ob angedachte Agrarreformen sich nicht wieder als rückwärtsgewandte Mogelpackung erweisen zugunsten einer klima- und umweltfeindlichen Agrarindustrie und Massentierhaltung. Hier können wir auf der kommunalen Ebene in Kooperation mit den Städten und Gemeinden daran mitwirken, den Absatz regional erzeugter Bio-Nahrungsmittel zu gewährleisten und zu erweitern und Bildungsarbeit im Sinne einer nachhaltigen Ernährungskultur leisten.

Ähnliche Mogelpackungen müssen mit Blick auf die Aufforstungsprogramme identifiziert werden, wenn diese über subventionierte Klimaschutzpakete an jeglichem Umwelt- und Biodiversitätsschutz in unseren Wäldern vorbeilaufen.

Angesichts zunehmender Flächenknappheiten müssen wir verhindern, dass in der StädteRegion internationale Investoren die kommunalen Einflussmöglichkeiten zugunsten einer nachhaltigen Flächennutzung immer mehr einschränken können. Dieses Problem, das man gemeinhin als „landgrabbing“ bezeichnet ist kein ausschließliches Phänomen in Ländern des globalen Südens sondern steht unmittelbar vor der eigenen Haustür.

Darüber hinaus müssen wir genau hinsehen, ob ein mögliches Gelingen des Europäischen Green Deal auf EU-Ebene nicht desaströse Folgen im sogenannten globalen Süden nach sich zieht und wir unsere Klima- und Umweltprobleme sowie unseren Ressourcenbedarf nicht einfach outsourcen, wie sich dies beispielweise momentan im Hinblick auf die Lithiumbeschaffung für den Umbau unsere Mobilität abzeichnet. Die Liste der anstehenden Arbeitsinhalte für die NGOs in unserer Region ließe sich problemlos weiter fortsetzen. Bleiben wir also weiterhin aufmerksam, kritisch und zugleich konstruktiv-kreativ, wenn es darum geht den Transformationsprozess in allen Bereichen und auf allen Ebenen politisch und gesellschaftlich umzusetzen. Dafür werden sich hoffentlich weiterhin in unserer Stadt und darüber hinaus in der Region über 220 Gruppierungen und Vereine und über 20.000 Bürger*innen engagieren.

Dieser Artikel der Regionalen Resilienz Aachen wurde in Kooperation mit dem Eine Welt Forum Aachen, dem Runden Tisch Klimanotstand Aachen und dem NABU-Stadtverband verfasst.

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