Buchbesprechung zu Ina Lindenbüren: Technologie im Dienste der Natur
Vertragen sich Technik und Natur? Diese Frage spiegelt eine Grundsatzdiskussion der Nachhaltigkeit wider. Ein Standpunkt wird vertreten durch Anhänger einer technologischen Evolution, der besagt, dass disruptive Eingriffe des Menschen in die Natur durch technische Errungenschaften ausgeglichen werden können. Ausgestoßenes CO2 kann eingefangen und unterirdisch gespeichert werden, Wetter kann beeinflusst werden, Wetterunbillen wie Überschwemmungen oder Dürre können durch diverse Maßnahmen entschärft werden. Dagegen steht die Meinung, dass die Natur mächtiger sei als die vom Menschen erfundene Technik, diese allenfalls lindern, aber nie den Klimawandel verhindern kann. Technikaffinität lenke ab von der eigentlichen Problematik und wecke falsche Erwartungen.
Ina Lindenbüren unternahm in ihrem zweiten Buch „Technologie im Dienste der Natur“ den Versuch eines versöhnenden Ansatzes. Sie engagiert sich in ihren Büchern sehr stark für Umweltschutz und Kreislaufwirtschaft und sieht viele technische Anwendungen hinterfragenswert und ideologiekritisch. Doch ihr Buch überzeugt, gerade deshalb, weil es die Vielzahl technischer Möglichkeiten zur Unterstützung einer nachhaltigen Wirtschaft hinterfragt und – das erscheint mir als Hauptargument – weil das Buch einen didaktischen Hinweis ermöglicht, Technik begeisterte Jugendliche in das Blickfeld zur Nachhaltigkeit zu lenken.
Das Buch ist in drei Bereiche aufgeteilt, erstens in Technogaianismus-Technologie im Dienste der Erde, zweitens in Bioremediation – natürliche Lösungen für Umweltverschmutzung und schließlich in Grüne KI: künstliche Intelligenz für Umweltschutz. Die Autorin bemüht sich stets Beispiele aufzuführen, wo Technik von der Natur lernen kann, wie beispielsweise der Lotuseffekt, also den von der Natur abgeschauten Selbstreinigungseffekt.
Die Bereiche des Technogaianismus umfassen folgende Gebiete:
- Klimatechnologie (Entfernung CO2 aus der Atmosphäre)
- Stadtentwicklung
- Landwirtschaft
- Energiegewinnung
- Umweltüberwachung
- Kreislaufwirtschaft
- Elektronik
Diese Oberbegriffe werden in den folgenden Kapiteln mit konkreten Beispielen dargestellt. Für die Bioremediation ergeben sich diese konkrete Themen:
- Bioremediation (Umweltsanierung durch Nutzung biologischer Prozesse)
- naturbasierte Sanierungsmethode wie abbaubare Bakterien (Haverie des Öltankers Exxon)
- Algen zur Entfernung von Schwermetallen
- Bioakkumulation (Fähigkeit von Pflanzen, Schadstoffe aus der Umgebung aufzunehmen und in ihrem Gewebe anzureichern)
- Biotransformation ( Umwandlung toxischer Schadstoffe in weniger toxische oder leichter abbaubare Formen)
- CO-Metabolisierung (Nebenbei- Verdauung von Giftstoffen)
- Bioaugmentation (speziell ausgewählte oder gezüchtete Mikroorganismen zur Beschleunigung von Abbauprozessen)
- Biostimulation (Zugabe von Nährstoffen fördern Veränderungen von Umweltbedingungen)
Bioverfügbarkeit (Steigerung der Bioverfügbarkeit durch Einsatz von Tensiden oder mechanische Bodenbearbeitung) - Nutzung von Biofilmen (Gemeinschaften von Mikroorganismen)
- Phytoremediation (Nutzung von Pflanzen zur Umweltsanierung)
- Phytoextraktion (Pflanzen nehmen Schadstoffe aus dem Boden auf)
- Rhizoremediation (Wechselwirkungen zwischen Pflanzenwurzeln und Bodenmikroorganismen)
- Phytomining (Nutzung von Pflanzen zum Abbau wertvoller Metalle aus belasteten Böden)
- KI-Einsatz digitaler Zwillinge (Erstellen eines virtuellen Modells zwecks verschiedener Sanierungsstrategien)
- Quorum Sensing (Erforschung der Fähigkeit von Bakterien, miteinander zu kommunizieren)
Biosensoren ( Umweltüberwachung) - Mykoremediation ( Nutzung von Pilzen für die Umweltsanierung)
- Elektro-Bioremediation ( Methode zur Sanierung von Grundwasserverschmutzungen)
mikrobielle Brennstoffzellen (Stromerzeugung beim Abbau organischer Schadstoffe) - Synthetische Stoffwechselwege (Kombination von Genen aus verschiedenen Organismen zum Abbau von Schadstoffen)
Die Länge der Liste veranschaulicht die Mühe,die sich die Autorin gemacht hat, um auf vielfältigste Weise Technik und Natur zu versöhnen. Wer das Buch liest, wird immer wieder auf ethische und – wie sie es nennt – philosophische Hinterfragungen stoßen. Sie wiederspricht dem Eindruck mit naturverbundener Technik einem Weiterso ein Alibi zu präsentieren. Sie benennt auch Internetlinks und gibt Literaturangaben, die weitere konkrete Belege bieten.
Der dritte Abschnitt, die grüne KI, beschäftigt sich häufig mit digitalen Anwendungen zur Erfassung und Verbesserung von Klimamodellen und Anwendungen (z.B. im Stadtverkehr). Auch hierzu eine Übersicht dieses Kapitels:
Überwachung und Schutz von Ökosystemen
Optimierung von Ressourcennutzung und Energiesuffizienz
Entwicklung neuer umweltfreundlicher Materialien
hochpräzise Klimamodelle
Visualisierung komplexer Umweltdaten
Simulation von Szenarien
Mustererkennung
Datengetriebene Entscheidungsfindung
Zeitreihenanalyse
Strategien für den Ressourcenschutz
Kombination von Wettervorhersagen mit Verbrauchsmustern
Vorhersage und Bewältigung von Naturkatastrophen
KI-Anwendung in der Landwirtschaft (Bodenbedingungen, Wetterdaten, Pflanzengesundheit)
Unterstützung der Kreislaufwirtschaft (Analyse von komplexen Lieferketten)
Entwicklung von Systemen zur Förderung nachhaltigen Konsumverhaltens (CO2 –Fußabdruck, Ressourcenverbrauch)
Meeresforschung und Meeresschutz
Renaturierung von Ökosystemen
Entwicklung interaktiver Lernumgebungen
Optimierung des städtischen Umweltmanagements
Umweltforensik (Aufdecken von Umweltverbrechen)
Unterstützung einer nachhaltigen Wasserwirtschaft
Fazit : ein sehr lesenswertes Buch, das den Horizont erweitert, die Technikskepsis in Bezug auf nachhaltigem Handeln relativiert und einen pädagogischen Ansatz für ein Naturverständnis bieten könnte, ohne Technikbegeisterung zu negieren.