Philipp Blom „Die Unterwerfung, Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur“ (München 2022)
Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik. Das erste Buch, das mir von ihm mehr zufällig in die Hände fiel und das ich dann mit Begeisterung las, handelt von dem Europa der Vorkriegszeit des ersten Weltkriegs. Blom erfasst in seinen Ausführungen stets den Zeitgeist, aus dessen Verständnis heraus politische und gesellschaftliche Geschehnisse verständlich werden. Weitere Bücher sind empfehlenswert, so die Beschäftigung mit der Philosophie der Aufklärung oder die Abhandlung über die Kleine Eiszeit. Mit seinem neuesten Werk mutet der Autor dem Leser eine sehr anspruchsvolle, harte Kost zu, deren Verzehr sich jedoch ungemein lohnt! Blom geht – das Werk durchziehend – der Anweisung Gottes laut der Bibel Genesis 1:28 nach:
„Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“
Macht euch die Erde untertan! Herrscht über die Natur! Der Mensch ist der Benutzer der Erde! – So die Botschaft der Bibel. Blom zeigt in einem historischen Abriss auf, dass diese Ansicht ihren Ursprung in der babylonischen Gefangenschaft hatte und eigentlich diametral entgegengesetzt zu traditionellen religiösen Vorstellung stand. Wer in den Wald ging, um von den Bäumen zu ernten, der opferte den Geistern des Waldes, der Mensch trat als Bittsteller für notwendige Bedürfnisse auf und dankte den Göttern dafür. Nur im Christentum dominierte die Vorstellung von der Herrschaft des Menschen über die Natur, zementiert durch Augustinus:
„…alle Tiere wurden unter seine [des Menschen] Herrschaft gestellt, nicht wegen der Würde des menschlichen Körpers, sondern wegen der Intelligenz, die wir haben und die sie nicht haben…Wie schon die aufrechte Form des menschlichen Körpers bezeugt, ist der Mensch durch seine Seele nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen worden.“(1)
Blom geht dem Unterwerfungsgedanken historisch nach, sehr anschaulich, aber zunehmend anspruchsvoll. Textpassagen müssen manchmal zweimal gelesen werden, um die Tiefe der Aussagen zu verstehen. Der Autor zeigt sehr eindringlich die Intention der theologischen Argumentation auf, die auf reiner Macht beruht. Mit der Aufklärung stellt sich neben der theologischen Seite die säkulare Seite, quasi die praktikabel effektive Beschleunigung der Naturunterwerfung. Kultur beherrscht jetzt auch rational die Natur! Auf kritische Gedanken, die eher eine Symbiose von Mensch und Natur sahen wie bei Holbach und Diderot, vor allem bei Montaigne geht Blom ebenfalls ein. Doch bleiben sie die Ausnahme, im Gegenteil: der Siegeszug der Industrialisierung, des Wachstumsgedankens und letztlich der neoliberalen Ansicht der Ökonomie führt zu der inzwischen objektiv sichtbar gewordenen elementaren Überlebenskrise der Menschheit. Die Natur kann nie losgelöst betrachtet werden, sie ist verwoben, sensibel, veränderbar, ja sogar solidarisch wie Blom am Beispiel der Bäume und Funktion der der Myzel-Pilze aufzeigt. Er widerlegt die These von der Vorstellung einer Natur, die unterworfen werden kann, indem er verschiedene biologische, sogar quantentheoretische Argumente aufführt. Die Argumentation Bloms ist methodisch aufbauend, in der Konsequenz durchdringend und zutiefst antitheologisch.
Welche Quintessenz ergibt sich für Blom? Zitieren wir den letzten Abschnitt und verbleiben wir nachdenklich:
„Lassen wir uns von der Parallele mit Adam und Eva nicht irreführen. Dies ist keine moralische Geschichte, kein Gott steht dahinter, kein Sinn und kein Bund und keine historische Mission, nicht einmal die banale Idee des Fortschritts. Die Vertreibung aus dem Paradies ganz ohne Engel und ohne Heilsgeschichte ist eine schmerzliche Erfahrung, denn es stellt sich heraus, dass die Menschen ein überwältigendes Verlangen nach Engeln und Erlösung haben. In der neuen, fremden Natur frösteln sie, denn sie haben noch keine Begriffe, sie zu beschreiben, und sie haben noch nicht verstanden, dass ihre Vertreibung auch ihre Befreiung ist.Wollen sie diese Befreiung wirklich?“(2)
[1] Philpp Blom, Die Unterwerfung…S.94 [2] ebenda S.346Philipp Blom im Interview: