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Adelina Zariqi: Die Entwicklung einer solidarischen Bekleidungsindustrie: Eine Abkehr von der imperialen Produktions- und Lebensweise

orgelegt als Hausarbeit am Institut für Politische Wissenschaft der RWTH Aachen / August 2023

Die Bekleidungsindustrie ist geprägt von namenhaften Online- und Ladengeschäften, die zu günstigen Preisen tagesaktuelle Designs anbieten. Der Begriff Fast Fashion hat sich zur Beschreibung des Phänomens der schnell verfügbaren sowie preisgünstigen Kleidung etabliert (vgl. Bick et al. 2018: 1). Dabei lassen weder die Preise noch die Vermarktung erkennen, zu welchen sozialen und ökologischen Bedingungen die Kleidungsstücke hergestellt worden sind. Ein wachsendes Problembewusstsein in Teilen der Gesellschaft gegenüber umweltschädlichen Industrien steht im Widerspruch zu der Lebensweise, die in Ländern des globalen Nordens verbreitet ist. Bisher ist es nicht gelungen, von den festgefahrenen Strukturen Abstand zu nehmen, die den Klimawandel beschleunigen und für prekäre Arbeitsbedingungen sorgen.

Die Sozialwissenschaftler Ulrich Brand und Markus Wissen (2017) haben sich umfassend mit den Ursachen und Konsequenzen der „imperialen Lebensweise“ beschäftigt. Der von ihnen eingeführte Begriff weist auf den Zusammenhang zwischen der im globalen Norden vorherrschenden Lebensart und den sozialen sowie ökologischen Konsequenzen im globalen Süden hin. Die Kernthese ihrer Argumentation besagt, dass es notwendig sei sich von dem derzeitigen kapitalistischen Lebensmodell zu distanzieren und stattdessen eine „solidarische Lebensweise“ anzustreben (vgl. Brand/Wissen 2017: 181f.).

Die beiden Begriffe wurden bereits auf unterschiedliche Lebensbereiche und Industrien angewendet.[1] Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der vorliegenden Arbeit fehlt eine Übertragung der imperialen Lebensweise auf die Bekleidungsindustrie, die zu den umweltschädlichsten Industrien zählt (vgl. Dzhengiz et al. 2023: 1). Es stellt sich die Frage, inwiefern die Bekleidungsindustrie nach der Perspektive von Brand und Wissen (2017) von einer imperialen in eine solidarische Produktion umgestaltet werden kann. Das Ziel der Arbeit ist es, die Strukturen der imperialen Lebensweise in der Bekleidungsindustrie aufzuzeigen und hiervon ausgehend Bedingungen zu identifizieren, die zu einer solidarischen Produktion führen können.

Vorliegend wird auf den Begriffen der imperialen sowie solidarischen Lebensweise nach dem Verständnis von Brand und Wissen (2017) aufgebaut, die im ersten Schritt definiert werden. Im zweiten Schritt gilt es die aktuellen Krisen aufzuzeigen, die sich aus der Bekleidungsindustrie ergeben. Hierfür wird zunächst die geschichtliche Entwicklung dargestellt, die zu der Entwicklung von Fast Fashion geführt hat. Die zunehmende Verbreitung von Ultra Fast Fashion stellt außerdem einen aktuellen Entwicklungsschritt der Branche dar. Es werden anknüpfend die Krisen identifiziert, die auf der sozialen und ökologischen Ebene von der Industrie verursacht werden. Abschließend gilt es die Bekleidungsindustrie in das Konzept der imperialen Lebensweise einzuordnen und ausgehend von den ersten beiden Arbeitsschritten die Rahmenbedingungen einer solidarischen Produktion aufzuzeigen.

Der aktuelle Forschungsstand deckt verschiedene Bereiche ab und soll exemplarisch abgebildet werden. Als Grundlage für die Begriffsdefinitionen dient die Monografie „Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus“ von Ulrich Brand und Markus Wissen (2017). Die Begriffe wurden von dem I.L.A. Kollektiv[2] aufgegriffen und in den Werken „Auf Kosten anderer? Wie die imperiale Lebensweise ein gutes Leben für alle verhindert“ und „Das gute Leben für Alle. Wege in die solidarische Lebensweise“ systematisch aufgearbeitet.[3] Im Hinblick auf die Bekleidungsindustrie ermöglicht der Artikel „Fast fashion: response to changes in the fashion industry“ von Vertica Bhardwaj und Ann Fairhurst (2010) einen Überblick über den historischen Entstehungskontext von Fast Fashion. Hierbei ist zu beachten, dass die Entwicklung der Bekleidungsindustrie keinen abgeschlossenen Prozess darstellt. Kirsi Niinimäki et al. (2020) ermöglichen in „The environmental price of fast fashion“ einen Einblick in die Umweltfolgen des Industriezweiges. Außerdem werden die sozialen Folgen von Sudeshna Mukherjee (2015) in dem Artikel „Environmental and Social Impact of Fast Fashion: Towards an Eco-friendly, Ethical Fashion“ dargestellt.

  1. Begriffserklärungen nach Ulrich Brand und Markus Wissen

Die Bezeichnung imperiale Lebensweise geht auf das gleichnamige Werk von Ulrich Brand und Markus Wissen (2017) zurück. Angesichts zahlreicher neuer Wortschöpfungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel stellt sich die Frage, inwiefern ein weiterer Begriff einen Mehrwert für den wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs bieten kann. Brand (vgl. 2020: 36f.) distanziert sich in einem Aufsatz von bisherigen Konzepten wie dem Postwachstumsbegriff, da ausschließlich in lokalen Sphären gedacht wird. Hingegen eröffne der von ihm und Wissen (2017: 43) geprägte Begriff das „Problem der globalen Voraussetzungshaftigkeit des Lokalen genauer zu verstehen“. Im Hinblick auf die derzeitigen multiplen Krisen[4] sei die imperiale Lebensweise eine zentrale Ursache für fehlende strukturelle Veränderungen (vgl. Brand/Wissen 2017: 43). Den Begriff einzuordnen, eröffnet einen Ausgangspunkt, um das aktuelle Wohlstandsmodell des globalen Nordens zu hinterfragen und in den weltweiten Kontext einzuordnen. Die Autoren beschränken sich nicht auf die Problemanalyse, sondern benennen in der solidarischen Lebensweise einen alternativen Lebensentwurf.

  • Definition imperiale Lebensweise

Der Begriff imperiale Lebensweise wurde von Brand und Wissen (2017: 43) eingeführt und folgendermaßen definiert:

„Der Kerngedanke des Begriffes ist, dass das alltägliche Leben in den kapitalistischen Zentren wesentlich über die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Naturverhältnisse andernorts ermöglicht wird: über den im Prinzip unbegrenzten Zugriff auf das Arbeitsvermögen, die natürlichen Ressourcen und die Senken – also jene Ökosysteme, die mehr von einem bestimmten Stoff aufnehmen, als sie selbst an ihre Umwelt abgeben […] – im globalen Maßstab“.

Dem Zitat ist zu entnehmen, dass die imperiale Lebensweise von einer Ungleichheit profitiert, die auf einer Auslagerung der negativen Konsequenzen des kapitalistischen Lebensmodells beruht. Von der Ausbeutung profitiere der globale Norden, während die sozialen und ökologischen Auswirkungen im globalen Süden zu verorten seien (vgl. ebd.: 44). Dabei sei zu beobachten, dass sich der massive Verbrauch von natürlichen Ressourcen zunehmend auch in Ländern des globalen Südens verbreite (vgl. I.L.A. 2017: 6f.). Dennoch bestehe ein Gefälle zwischen dem globalen Norden und Süden, da der Zugriff auf natürliche Ressourcen sowie Arbeitskräften nicht allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung stehe (vgl. Brand/Wissen 2017: 50).

Das beschriebene Machtgefälle habe seinen Ursprung in einer kolonialistisch geprägten Denkweise, die bis in die Gegenwart hinein die Sichtweise auf die Welt präge (vgl. I.L.A. 2017: 12). Die Kolonialgeschichte werde im Westen als Zeichen der eigenen Überlegenheit verstanden und als Rechtfertigung für die imperiale Lebensweise genutzt (vgl. ebd.). Die scheinbare Attraktivität der imperialen Lebensweise führt im globalen Kontext zunehmend zu dem Wunsch, ein Teil des kapitalistischen Systems zu werden (vgl. Ludwig 2017: 3). Aufgrund von Konkurrenz sei das Lebensmodell nur für einen begrenzten Teil der Weltbevölkerung realisierbar (vgl. ebd. 2017: 3).

Es stellt sich die Frage, weshalb die Mehrheitsgesellschaft des globalen Nordens sich mit der weltweiten Ungerechtigkeit zufrieden stellt. Brand und Wissen (2017: 44) argumentieren, dass die „Unsichtbarkeit der sozialen und ökologischen Voraussetzungen“ es ermöglichen, die Augen vor den Konsequenzen der eigenen Lebensweise zu verschließen. Die fehlende sichtbare Verbindung zwischen den eigenen Handlungen und den Folgen unterstützt demnach ein auf Ausbeutung bestehendes Lebensmodell. Außerdem sei die imperiale Lebensweise fest in Alltagsgewohnheiten integriert, weshalb eine fehlende Nachhaltigkeit zur Norm werde (vgl. ebd.: 48). In der Gesellschaft dominiere die Ansicht, dass es in der Verantwortung des Individuums läge, den eigenen Konsum bestmöglich zu ändern (vgl. ebd.: 178f.). Brand und Wissen (vgl. ebd.: 65) distanzieren sich explizit von einer Anwendung des Begriffes auf individueller Ebene und lehnen es ab, Menschen für ihr Konsumverhalten zu verurteilen. Die Bezeichnung imperiale Lebensweise sei in einem analytischen und politischen Kontext zu verstehen, um auf „gesellschaftliche Strukturen und Ungleichheitsmuster“ (ebd.: 65) hinzuweisen.

Verstärkend komme hinzu, dass die bisher auf dem Markt zur Verfügung gestellten Alternativen überwiegend Scheinlösungen oder Greenwashing seien und einem tatsächlichen Wandel im Weg stehen (vgl. I.L.A. 2017: 9). Brand und Wissen (2017: 148) merken hierzu an, dass aktuell diskutierte Lösungen nicht zum Kern des Problems vordringen, um „die ökonomischen und politischen Eliten nicht zu verschrecken und ihnen den sozio-ökologischen Umbau möglichst schmackhaft zu machen“. Die imperiale Lebensweise zu ändern kann folglich als eine zentrale Herausforderung der Gegenwart bewertet werden.

Die hier beschriebene Definition wird zur Veranschaulichung anhand der folgenden Abbildung dargestellt:

Abb. 1: Die imperiale Lebensweise

Quelle: I.L.A. Kollektiv 2017: 9

Die Darstellung verdeutlicht, dass die imperiale Lebensweise auf festgefahrenen Strukturen beruht, die für das Individuum kaum nachzuvollziehen sind. Dabei werden kapitalistische Werte in die Gesellschaft integriert und die negativen Auswirkungen außerhalb der eigenen Wahrnehmung verlagert.

  • Solidarische Lebensweise als Alternative zur imperialen Lebensweise

Angesichts der festen Verankerung der imperialen Lebensweise stellt sich an dieser Stelle die Frage, inwiefern ein Gegenkonzept umgesetzt werden kann. Brand und Wissen (vgl. 2017: 177) distanzieren sich von der derzeit vorherrschenden Hoffnung auf verbesserte Technologien und der Wirksamkeit politischer Aussagen. Stattdessen verweisen die Autoren auf die solidarische Lebensweise als Alternative zu der gegenwärtig dominierenden imperialen Lebensweise.

Die solidarische Lebensweise beruhe auf einer „Neuorganisierung der Gesellschaft durch ganz andere Formen des Zusammenlebens“ (ebd.) und gehe einher mit der Notwendigkeit eine solidarische Produktion zu schaffen (vgl. ebd.: 182). Bisher sei die Produktion ein fester Bestandteil der imperialen Lebensweise, da in der Externalisierungsgesellschaft[5] durch komplexe Lieferketten die negativen Folgen ausgelagert werden (vgl. ebd.). Die größte Herausforderung der solidarischen Lebensweise sei folglich die Abkehr von der Externalisierung (vgl. ebd.: 181).

Anhand des Begriffsverständnisses von Brand und Wissen (2017) hat das I.L.A. Kollektiv (vgl. 2017: 92ff.) fünf Aspekte einer solidarischen Produktions- und Lebensweise ausgearbeitet: (1) Entstehung einer Globalen Sozialen Rechten, (2) Aufbau einer sozialen Infrastruktur für alle, (3) Umverteilung von Geld, Arbeit und Umweltlasten, (4) eine Wiederbelebung und Ausweitung der Demokratie sowie (5) ein bedürfnisorientiertes, solidarisches und ökologisches Wirtschaften.

Durch den ersten Aspekt soll der aktuell zunehmenden Abschottungsrhetorik rechter Parteien entgegengewirkt werden, die durch die Priorisierung nationaler Interessen den eigenen Wohlstand sichern wollen (vgl. ebd.: 92). Eine Globale Soziale Rechte könne die solidarische Globalisierung als Gegenentwurf zur nationalistischen Rhetorik verwenden, um ein „gutes Leben für alle [Herv. i. O.]“ (ebd.) zu ermöglichen. Hieran schließt sich die Forderung nach einer sozialen Infrastruktur für alle Menschen an, welche folgende Bereiche umfasse: Der Zugang zu Energie, Wasser, öffentlichen Verkehrsmitteln, Internet sowie digitalen Plattformen, die Versorgung im Bereich Gesundheit und Pflege, eine kritische und emanzipatorische Bildung sowie einem Recht auf Wohnraum (vgl. ebd.: 93). Auf diese Weise können weltweit Strukturen geschaffen werden, die einer absoluten Armut entgegenstehen. Der dritte Aspekt lässt sich durch bereits bestehende Entwürfe wie dem bedingungslosen Grundeinkommen bewerkstelligen (vgl. Brand/Wissen 2017: 179). Durch geringe Arbeitszeiten könnte die verbliebene Zeit für soziale Aufgaben und einem politischen Einsatz genutzt werden (vgl. I.L.A. 2017: 93).

Der politische Einsatz stellt ebenfalls einen zentralen Aspekt im Punkt der Demokratisierung dar. Angesichts des zu beobachtenden Aufschwungs rechter Parteien sei es zentral Demokratie als Macht vom Volk zu verstehen (vgl. ebd.). Es sei wichtig, alle Menschen an einer Entscheidung zu beteiligen, wenn diese von den Folgen betroffen sind (vgl. Brand/Wissen 2017: 184). Mehr Mitbestimmung könnte demnach einer Politikverdrossenheit entgegenwirken und Bürger vor Ort an politischen Prozessen beteiligen.

Schließlich gilt es eine Loslösung von dem Profitgedanken zu vollziehen, womit gleichzeitig das Wachstumsparadigma[6] hinterfragt werden muss (vgl. I.L.A. 2017: 94). Derzeit werde produziert, was zu einem Gewinn führt, statt Produkte nach tatsächlichem Bedarf herzustellen (vgl. I.L.A. 2019: 16).

Die beschriebenen Aspekte haben gemeinsam, dass sie bestehende Strukturen hinterfragen und auflösen wollen. Es wird Abstand von der konstruierten Einteilung der Welt in einen globalen Norden und Süden genommen. Stattdessen baut die soziale Lebens- und Produktionsweise auf einem lebenswerten Leben für alle Menschen und hinterfragt festgefahrene Strukturen. Damit können Alternativen geschaffen werden, die nicht an der Oberfläche kratzen, sondern ein allumfassendes Umdenken fördern. Einschränkend ist festzuhalten, dass die Umsetzbarkeit aufgrund der beschriebenen Strukturen der imperialen Lebensweise eine Herausforderung darstellt.

  1. Krisenidentifikation

Die Bekleidungsindustrie hat sich in wenigen Jahrzehnten tiefgreifend verändert und nimmt stetig an Schnelligkeit in der Produktion neuer Kollektionen zu. Seit 1975 habe sich die Produktion verdreifacht und ist damit schneller gewachsen als die Weltbevölkerung (vgl. Burcu/Wilts 2022: 7). Dabei lassen sich in der geschichtlichen Entstehung der Fast Fashion Industrie zentrale Ursachen für die heutigen sozialen und ökologischen Krisen der Branche identifizieren. Hinzu kommt, dass sich durch Onlineanbieter wie Shein die Herstellung von Kleidung weiter beschleunigt hat und sich das Phänomen von Ultra Fast Fashion in der Modeindustrie ausbreitet. Die öffentliche Inszenierung der Branche durch Werbung in den sozialen Medien steht im starken Kontrast zu negativen Schlagzeilen über die Arbeitsbedingungen und den Umweltfolgen der „Wegwerfmode“.

  • Die historische Entwicklung der heutigen Bekleidungsindustrie

Bis in die Mitte der 1980er-Jahre prägten standardisierte Kleidungsstücke die Bekleidungsindustrie, die sich selten in ihren Designs veränderten (vgl. Bhardwaj/Fairhurst 2010: 166). Die Branche orientierte sich bei dem Entwurf von neuen Kollektionen an den Jahreszeiten, die zwei Saisons hervorbrachten: Frühling/Sommer und Herbst/Winter (vgl. Tyler et al. 2006: 320). Das Tempo der Produktion nahm mit dem Beginn der 1990er-Jahre zu und der Fokus verlagerte sich von der Senkung der Produktionskosten auf die Herstellung der neuesten Trends (vgl. Bhardwaj/Fairhurst 2010: 167). Die Anzahl an Kollektionen wurde angepasst und es gab folglich drei bis fünf Zwischensaisons (vgl. Tyler et al. 2006: 320). Zurückzuführen sei die Veränderung auf einen neuen Lebensstil der Konsumenten und der wachsenden Nachfrage nach Kleidung für spezielle Anlässe (vgl. Bhardwaj/Fairhurst 2010: 167).

Durch den zusätzlichen Bedarf gerieten die Lieferanten unter Druck, da die Ware schneller und in kleineren Auflagen als bisher produziert werden musste (vgl. Tyler et al. 2006: 320f.). Es entstand ein Konkurrenzdruck, um die neuesten Trends innerhalb kürzester Zeit vor den anderen Anbietern präsentieren zu können (vgl. Barnes/Lea-Grennwood 2006: 262). Die Fast Fashion Industrie hatte begonnen sich zu entwickeln und sollte ausgehend von den ersten Etappen die ganze Branche prägen.

Die Herstellung von einem Kleidungsstück besteht aus verschiedenen Teilschritten, die unterschiedlich viel Zeit und Planung in Anspruch nehmen. Am zeitaufwendigsten und riskantesten sei die Entwicklung neuer Designs, da eine Fehleinschätzung der Nachfrage zu einem enormen finanziellen Schaden führen könne (vgl. ebd.). Neu entwickelte Modetrends wurden zunächst auf Messen sowie Laufstiegen vorgestellt und auf ihre Markttauglichkeit getestet (vgl. Tyler et al. 2006: 321). Ein zunehmendes öffentliche Interesse an den Shows führte zu einer medialen Berichterstattung, die mit der Verbreitung von Fotos einherging (vgl. Bhardwaj/Fairhurst 2010: 168). Aufwendig entwickelte Designs standen bald in kurzer Zeit der Öffentlichkeit zur Verfügung und waren durch die Digitalisierung auf der ganzen Welt abrufbar (vgl. ebd.). Namenhafte Marken der Fast Fashion Industrie wie beispielsweise H&M, Zara und Mango nutzen den Zugriff auf die vorgestellten Designs, um die eigene zeitaufwendige sowie riskante Entwicklung neuer Designidee zu überspringen (vgl. ebd.: 169). Stattdessen seien die vorgestellten Entwürfe kopiert worden und waren innerhalb weniger Wochen verkaufsreif (vgl. ebd.). Das Risiko auf Waren sitzen zu bleiben, die auf dem Markt keine Nachfrage besitzen, wurde damit auf Seiten der Fast Fashion Industrie minimiert (vgl. ebd.). Der Erfolg von Fast Fashion beruht damit unter anderem auf den Ideen von Designern, die nicht für die preisgünstigen Modehäuser arbeiten.

Die Branche findet sich weiterhin im Entwicklungsprozess und die aktuelle Fachliteratur verweist auf die Auswirkungen der Ultra Fast Fashion Industrie hin. Während die Fast Fashion Industrie wenige Wochen für die endgültige Herstellung braucht, schafft es die Ultra Fast Fashion Industrie neue Trends in wenigen Tagen verkaufsfertig anzubieten (vgl. Dzhengiz et al. 2023: 13). Zu den größten Anbietern von Ultra Fast Fashion zählen Boohoo und Shein, die durch digitale Technologien Verhaltensweisen von Konsumenten analysieren und neue Produkte durch Influencer vermarkten (vgl. ebd.). In der Fachliteratur fehlt zurzeit eine umfassende Betrachtung der Ultra Fast Fashion Industrie, die zwar noch nicht den Markt dominiert, aber das Potential hierzu hat.

  • Soziale Folgen

In der Bekleidungsindustrie werden weltweit eine Vielzahl an Arbeitsstellen geschaffen, wovon vor allem Frauen profitieren, die hier eine Anstellung finden (vgl. Mukherjee 2015: 29). Dennoch fördern die aktuellen Strukturen des Industriezweiges eine Reihe von negativen sozialen Folgen, die an dieser Stelle überblicksartig dargestellt werden. Mukherjee (ebd.) identifiziert folgende acht soziale Auswirkungen der Bekleidungsindustrie: (1) Im Zuge der Globalisierung geschaffene unsichere Jobmöglichkeiten, (2) Beschäftigung von Frauen in Positionen mit geringer Bezahlung, (3) Beschäftigungsverhältnisse abhängig von der Auftragslage, (4) Arbeitslohn abhängig von der Anzahl produzierter Kleidungsstücke, (5) prekäre Arbeitsbedingungen mit langen Arbeitsstunden, (6) unzureichende Gesundheits- und Sicherheitsstandards, (7) sexuelle Belästigung und (8) der Einsatz von Kinderarbeit.

Die ersten vier Punkte zeigen, dass das Gehalt und das Beschäftigungsverhältnis der Arbeiter eine unsichere Variable darstellen. Der Lohn hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, die außerhalb der Einflussnahme der Angestellten liegt. Die Punkte vier bis sieben weisen auf die prekären Arbeitsbedingungen vor Ort hin. Mit der Arbeit seien Risiken verbunden, die vor allem die Auseinandersetzung mit gesundheitlich gefährlichen Chemikalien, Faserstaub, Lärm und Verletzungsgefahr durch einen monotonen und sich wiederholenden Arbeitsablauf umfassen (vgl. Allwood et al. 2006: 14). Dabei seien nicht ausschließlich Personen in den Fabriken Gesundheitsgefahren ausgesetzt, da schätzungsweise 6 Prozent der weltweiten Pestizide auf die Herstellung von Baumwolle anfallen (vgl. Niinimäkit et al. 2020: 193). Die Vergiftung durch Pestizide sei täglich für bis zu 1000 Todesopfern und der Entstehung gesundheitlicher Erkrankungen verantwortlich (vgl. ebd.).

Neben den Gefahren, die sich direkt aus der ausgeführten Tätigkeit ergeben, stellt die sexuelle Belästigung eine weitere Gefahr dar. Die überwiegende Beschäftigung von Frauen mit problematischem sozioökonomischem Hintergrund in niedrigen Jobpositionen erhöhe die Chance von sexuellen Übergriffen (vgl. Mukherjee 2015: 31). Schließlich seien von den beschriebenen Arbeitsbedingungen auch Kinder betroffen, die illegal in dem Sektor arbeiten (vgl. Allwood et al. 2006: 14).

  • Ökologische Folgen

Die Bekleidungsindustrie ist aufgrund langer Lieferketten und einer energieintensiven Produktion für schätzungsweise 10 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich (vgl. United Nations Climate Change 2018). Im Hinblick auf die globale Erderwärmung stellt die Branche damit eine klimaschädliche Industrie dar. Dabei sind die weltweit vernetzten Lieferketten und die Aufteilung der Produktionsschritte am Endprodukt nicht mehr nachzuvollziehen. Die folgende Abbildung veranschaulicht überblicksartig die komplexen Schritte der globalen Lieferkette und weist gleichzeitig auf, wo Umweltauswirkungen auftreten:

Abb. 2: Lieferkette für die Bekleidungsherstellung

Quelle: Niinimäkit et al. 2020. 191

Die Abbildung zeigt, dass ausgehend von der Gewinnung der benötigten Rohstoffe bis hin zur Entsorgung der Kleidung für jeden Schritt Energie verbraucht wird. Beispielsweise wird in China Strom aus Kohle verwendet, um die Kleidung zu produzieren (vgl. Niinimäkit et al. 2020: 192). Hinzu kommt, dass aufgrund der komplexen Lieferkette und Zeitdruck die Kleidungsstücke mehrmals auf dem Flugweg transportiert werden müssen (vgl. ebd.: 191). In der Abbildung wird ersichtlich, dass sich die einzelnen Schritte der Lieferkette über mehrere Kontinente erstrecken.

Ein weiterer Faktor ist der immense Wasserverbrauch, der im Jahr 2015 schätzungsweise 79 Milliarden Kubikmeter betragen haben soll (vgl. ebd.). Demnach seien 200 Tonnen Wasser notwendig, um eine Tonne Textilien herzustellen (vgl. ebd.). Die bei der Herstellung genutzten Chemikalien gelangen durch das entstehende Abwasser in das lokale Grundwasser und können das ganze Ökosystem beeinträchtigen (vgl. ebd.: 192). Die ökologischen Folgen sind damit in spürbarem Ausmaß in den Ländern zu verorten, die in den Fabriken die Kleidung produzieren. Hingegen wirkt sich der Ausstoß von Kohlenstoffdioxid auf die globalen klimatischen Verhältnisse aus.

Ein weiterer zentraler Aspekt ist die der Abbildung zu entnehmende Ungleichheit bei der Herstellung und Nutzung der Kleidung. Die Produktion findet vor allem in Ländern des globalen Südens statt und der Verkauf fokussiert sich ausschließlich auf die Europäische Union (EU), den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und dem Vereinigten Königreich. Durch die Verschiebung der Produktion in Niedriglohnländern sei die Produktion im globalen Norden fast vollständig verschwunden (vgl. Niinimäkit et al. 2020: 190). Die Mehrzahl der Kleidung werde in China und Bangladesch hergestellt, während die USA weltweit zu den größten Verbrauchern zählt (vgl. Bick et al. 2018: 1).

Am Ende des kurzen Lebenszyklus der Kleidungsstücke werden diese erneut in Länder des globalen Südens verschifft (vgl. Niinimäkit et al. 2020: 191). Hierdurch müssen die Waren einen erneuten Transportweg zurückgelegen und schaden gleichzeitig dem lokalen Textilmarkt (vgl. ebd.). Die Krise der Bekleidungsindustrie folgt damit einer systematischen Ausbeutung von Natur und Menschen, die vorliegend im Herstellungsprozesses nachvollzogen werden konnten.

  1. Entwicklung einer solidarischen Bekleidungsindustrie

An dieser Stelle ist bereits deutlich geworden, dass die heutige Bekleidungsindustrie von einem umfassenden Wettbewerbsdruck geprägt ist. Hierdurch wurde die Entstehung der Fast Fashion Industrie begünstigt, die kostengünstige Kleidung anbietet. Für die Modekonzerne werden große Gewinne generiert und Konsumenten im globalen Norden werden dauerhaft mit neuen Designs versorgt. Die Kehrseite konnte in Kapitel 3 im Hinblick auf die multiplen Krisen identifiziert werden, die sich aus der Bekleidungsindustrie ergeben. Vor diesem Hintergrund wurden in der Fachliteratur bereits eine Vielzahl an Lösungsstrategien diskutiert, um die Herausforderungen der Branche anzugehen.[7] Es wird vorliegend kritisiert, dass in der Forschung überwiegend eine getrennte Erarbeitung von Lösungen erfolgt. Der isolierte Fokus auf die sozialen oder ökologischen Krisen lenkt von der Tatsache ab, dass beide Problemfelder zusammenhängen. Es gilt daher im nächsten Arbeitsschritt die multiplen Krisen der Bekleidungsindustrie als Ganzes zu betrachten, da der Fokus auf Teilgebiete bisher zu keinem Paradigmenwechsel geführt hat.

  • Einordnung der Bekleidungsindustrie in die imperiale Lebensweise

Vorliegend werden die bisherigen Arbeitsergebnisse zusammengeführt, um die Bekleidungsindustrie in die Strukturen der imperialen Lebensweise einzuordnen. Hierfür soll auf den in Kapitel 2 herausgearbeiteten Ergebnissen aufgebaut werden, indem die Bekleidungsindustrie auf folgende Aspekte überprüft wird: (1) Die Auslagerung der ökologischen und sozialen Konsequenzen, (2) die hiermit zusammenhängende Ausbeutung und (3) die Exklusivität der Bekleidungsindustrie. Es ist zu beachten, dass die Punkte sich gegenseitig bedingen und nicht isoliert voneinander zu verstehen sind.

Im Hinblick auf die Auslagerungen konnte aufgezeigt werden, dass die Herstellung und Nutzung von Bekleidung ungleich im globalen Norden und Süden verteilt sind. Die Arbeitslast und der Verbrauch von Ressourcen werden in den globalen Süden externalisiert. Es zeichnet sich ein Gefälle ab, da die Bekleidungsindustrie von einer systematischen Auslagerung der negativen Konsequenzen in allen Schritten der Lieferkette profitiert. Die Bekleidungsindustrie könnte im heutigen Umfang nicht existieren, wenn verbindliche Standards wie gerechte Mindestlöhne existieren würden. Durch die Verlagerung der Konsequenzen wurde eine Unsichtbarkeit der sozialen und ökologischen Folgen ermöglicht. Die komplexe Lieferkette macht es für den Endverbraucher schwer nachvollziehbar, welche tatsächlichen Kosten für die Herstellung eines Kleidungsstückes notwendig sind. Stattdessen regen günstige Preise dazu an Produkte schnell zu kaufen und wegzuwerfen, wenn diese keinen ästhetischen Wert mehr besitzen (vgl. Niinimäkit et al. 2020: 189).

Mit der Auslagerung geht eine Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und Menschen einher. Die geschaffenen Arbeitsplätze in den Herstellungsfabriken können als unsicher eingestuft werden, da weder das Beschäftigungsverhältnis noch die Arbeitsbedingungen als sicher gelten. Allwood et al. (vgl. 2006: 14) weist darauf hin, dass es schwer sei die Arbeitsbedingungen vor Ort und eingeführte Standards zu kontrollieren. Hierzu soll einschränkend angemerkt werden, dass die komplexe und intransparente Lieferkette keine Pflicht darstellt. Stattdessen nehmen Konzerne aus Gründen der Effizienz und niedrigen Kosten die Ausbeutung in Kauf.

Schließlich beruht die Bekleidungsindustrie auf Exklusivität, da die Voraussetzungen Kleidung zu erwerben nicht allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung stehen. Es ergeben sich für den globalen Norden und Süden unterschiedliche Grundvoraussetzungen, die sich an dem System der Wohlstaatlichkeit veranschaulichen lassen. Durch die „gewaltsame Absenkung der sozialen Reproduktionskosten der Arbeitskraft“ (Lessenich 2020: 123) können die Preise im globalen Norden niedrig gehalten werden. Solidarität funktioniere im demokratisch-kapitalistischen Wohlfahrtsstaat demnach ausschließlich in begrenzter Art und Weise, da dieser exklusiv sei und auf Ausbeutung des globalen Südens beruhe (vgl. ebd.: 124). Die hieraus resultierenden günstigen Preise ermöglichen es Menschen mit niedrigem Einkommen im globalen Norden „am gesellschaftlichen Wohlstand nur in dem Maße partizipieren, wie er oder sie – etwa beim Kauf eines T-Shirts […] – von den schlechten Arbeitsbedingungen und der Ausbeutung von Natur andernorts profitiert“ (Brand/Wissen 2017: 55). Der Erwerb der Kleidung wird damit durch Ausbeutung ein Gut, das für alle Menschen im Wohlfahrtsstaat zu erwerben ist.

Die Bekleidungsindustrie wird folglich als imperial nach dem Verständnis von Brand und Wissen (2017) gewertet, da der exklusive Zugriff auf neue Modetrends auf Kosten von Menschen und der Natur im globalen Süden entsteht.

  • Loslösung von dem Profitgedanken – Entwicklung einer solidarischen Bekleidungsindustrie

Der historische Einblick in die Entwicklung der Bekleidungsindustrie hat gezeigt, dass die Branche auf einem allumfassenden Konkurrenzdruck aufgebaut ist. Schnelligkeit wird belohnt und damit besteht ein Anreiz das Produktionstempo stetig hochzufahren. Der Profitgedanke steht an erster Stelle und lässt ökologische sowie soziale Folgen als nebensächlich erscheinen. Ein Bruch mit den festgefahrenen Strukturen erfordert die Entwicklung einer neuen Lebensweise:

„Die Lebensweise muss verallgemeinerbar sein, ohne ihre Voraussetzungen und negativen Folgen zu externalisieren, ohne andere Menschen auszubeuten und ohne ihre eigenen Grundlagen zu zerstören“ (Brand/Wissen 2017: 176).

Dem Zitat ist die Notwendigkeit zu entnehmen, eine lebenswerte Lebensweise für alle Menschen zu entwickeln. Die imperialen Strukturen der Externalisierungsgesellschaft müssen hierfür neu gedacht werden.

Im zweiten Kapitel sind fünf Aspekte einer solidarischen Lebens- und Produktionsweise vorgestellt worden. Hiervon ausgehend wird exemplarisch am dritten und fünften Punkt ein Grundriss für die Entwicklung neuer Strukturen aufgezeigt. Zur Erinnerung: (3) Die Umverteilung von Geld, Arbeit und Umweltlasten sowie (5) bedürfnisorientiertes, solidarisches und ökologisches Wirtschaften (vgl. I.L.A. 2017: 92ff.)

Gegenwärtig ist die Bekleidungsindustrie von geringen Preisen geprägt, die Konsumenten dazu verleitet mehr Kleidungsstücke zu kaufen und diese seltener zu tragen (vgl. Niinimäkit et al. 2020: 189). Hier gilt es im Sinne der solidarischen Lebensweise anzusetzen, damit das System der „Wegwerfmode“ durchbrochen wird. Der Wert von Kleidung kann hierbei auf zwei Ebenen gesteigert werden.

Zum einen soll durch die materielle Aufwertung, die Bekleidung langlebiger werden und damit nachhaltiger. Unerlässlich ist hierfür eine Anhebung der Preise, damit für den Verbraucher der wahre Wert des Produktes ersichtlich wird. Zum anderen gilt es den Wert von Kleidung auf eine Art und Weise zu steigern, die nicht auf dem Level eines Statussymbols verbleibt. Der Wert von Kleidung sollte nicht von dem Design und dem Markenlogo abhängen. Die Umverteilung von Geld sollte dies deutlich machen und die Gewinne müssen in allen Schritten der Lieferkette gerecht verteilt werden. Hierbei gilt es verkürzte Arbeitszeiten zu implementieren, die gleichzeitig mit einem höheren Einkommen einhergehen. Es gilt ein gutes Leben für alle Menschen zu etablieren, statt den Profitgedanken an erster Stelle zu setzen. Eine überschaubare und transparente Lieferkette sorgt außerdem für eine Abnahme der Umweltlasten auf allen Ebenen.

Die beschriebenen Strategien knüpfen an das bedürfnisorientierte, solidarische und ökologische Wirtschaften an. Durch die Abkehr vom Profitgedanken wird die Selbstbestimmung der Menschen in den Mittelpunkt gerückt, die derzeit ausschließlich für die Produktion oder den Konsum leben. Hierbei ist es wesentlich darauf hinzuweisen, dass von der solidarischen Lebensweise alle Menschen im gleichen Umfang profitieren. Die aktuelle Konkurrenz von Fast Fashion und Ultra Fast Fashion sorgt für einen immensen Druck, der sich auch im globalen Norden negativ auswirkt. Der in Kapitel drei beschriebene Diebstahl von Designideen ist hierfür ein Beispiel. Durch eine Abnahme der Seasons sinkt die Notwendigkeit tagesaktuell neue Trends auf den Markt zu bringen. Für die Bekleidungsindustrie eröffnet sich damit die Möglichkeit ohne Zeitdruck neue und kreative Ideen zu entwickeln, die nicht nach wenigen Wochen schon wieder überholt sind.

Das Ziel der vorgestellten Strukturänderungen ist es nicht, die Bekleidungsindustrie vollständig aus dem globalen Süden zu entfernt. Stattdessen gilt es eine solidarische Lebensweise und Produktion anzustreben, die mit weniger Produkten zu mehr gutem Leben führt. Auf diese Weise können Probleme auf der ökologischen und sozialen Seite behoben werden.

  1. Fazit

Anhand des Begriffsverständnisses von Brand und Wissen (2017) konnte diese Arbeit aufzeigen, dass die imperiale Lebensweise fest in den Strukturen der Bekleidungsindustrie verankert ist. Aufgrund der historischen Entwicklung hat sich ein enormer Konkurrenzdruck in der Branche entwickelt, der zu einer Ausbeutung von Menschen und der Natur geführt hat. Auf der einen Seite stehen die Konsumenten, die durch das ständig neue Angebot unter Druck geraten, etwas zu verpassen. Die gekaufte Kleidung verliert schnell an Wert und wird zügig durch eine neue Kollektion ersetzt. Der aktuelle Zweck von Kleidung erweist es nicht als nötig, dass diese langlebig ist. Auf der anderen Seite führt die wachsende Konkurrenz auf dem Markt zu Druck bei den großen Marken zügig neue Designs anzubieten. Hierfür wird auf imperiale Methoden wie der Ideendiebstahl und Ausbeutung zurückgegriffen, um marktfähig zu bleiben. Die Lieferketten sind hierbei intransparent geworden und ermöglichen es eine Verantwortung von sich zu weisen.

Eine Abkehr vom imperialen Denken und ein Übergang zur solidarischen Lebens- und Produktionsweise stellt vor diesem Hintergrund eine enorme Herausforderung dar. Die solidarische Betrachtungsweise nimmt Abstand von der Hoffnung auf neue Technologien, da diese keine Abkehr von dem imperialen Denken ermöglichen. Stattdessen gilt es ein gutes Leben für alle Menschen zu kreieren, das losgelöst ist von dem kapitalistischen Konsumgedanken. Im letzten Arbeitsschritt konnte hierzu eindrucksvoll gezeigt werden, dass hiervon die Menschen im globalen Norden ebenfalls profitieren.

Die hier vorgestellten Ansätze haben nicht den Anspruch, eine endgültige Lösung für die derzeitigen multiplen Krisen der Branche zu bieten. Stattdessen sollen die Arbeitsergebnisse eine Anregung schaffen, um den bisherigen Diskurs zu hinterfragen. Vorliegend wird argumentiert, dass eine solidarische Lebensweise abhängig ist von der öffentlichen Akzeptanz eines solchen Vorhabens. Die Wissenschaft hat daher die Aufgabe anhand unterschiedlicher Lebensbereiche, wie es hier mit der Bekleidungsindustrie erfolgt ist, die Möglichkeiten des solidarischen Denkens aufzuzeigen. Angesichts der multiplen Krisen in der sich die Gesellschaft derzeit befindet können von einem Paradigmenwechsel Menschen in allen Lebensbereichen profitieren.


Literaturverzeichnis

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Brokow-Loga, Anton/Eckardt, Frank (Hrsg.): Postwachstumsstadt als Projekt gegen die imperiale Lebensweise, München, oekom.

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[1] Siehe dazu beispielhaft Brand/Wissen (2017), Brokow-Loga/Eckardt (Hrsg.) (2020) und I.L.A. (2017).

[2] Bei dem I.L.A. Kollektiv handelt es sich um eine im Jahr 2016 entstandene Schreibwerkstatt von wissenschaftlich und politisch Aktiven. Der Name I.L.A steht als Abkürzung für „Die imperiale Lebensweise: Ausbeutungsstrukturen im 21. Jahrhundert“.

[3] Ulrich Brand und Markus Wissen haben sich an dem Vorwort der beiden Publikationen beteiligt.

[4] Unter multiplen Krisen wird vorliegend „eine historisch-spezifische Konstellation verschiedener sich wechselseitig beeinflussender und zusammenhängender Krisenprozesse im neoliberalen Finanzkapitalismus“ (Bader et al. 2011: 13) verstanden.

[5] Vorliegend wird der Definition von Stephan Lessenich (2016: 25) gefolgt: „Externalisierung heißt in diesem Sinne: Ausbeutung fremder Ressourcen, Abwälzung von Kosten auf Außenstehende, Aneignung der Gewinne im Inneren, Beförderung des eigenen Aufstiegs bei Hinderung (bis hin zur Verhinderung) des Fortschreitens anderer“.

[6] Siehe beispielhaft Nico Peach (2012) für Kritik an dem Wachstumsparadigma.

[7] Siehe beispielhaft Burcu/Wilts (2022) und Allwood et al. (2006).

Fair Trade, solidarische Textilindustrie, Solidarische Wirtschaft, Textilindustrie