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Detlef Baer: Einführende Gedanken zur Kreislaufwirtschaft

„Die Kreislaufwirtschaft ist ein Modell der Produktion und des Verbrauchs, bei dem bestehende Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt, geleast, wieder-verwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt werden. Auf diese Weise wird der Lebenszyklus der Produkte verlängert“ ([1]https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/economy/20151201STO05603/kreislaufwirtschaft-definition-und-vorteile).  Damit bildet das Modell der Kreislaufwirtschaft einen Gegensatz zur Wegwerfgesellschaft. Es erkennt zumindest indirekt an, dass die bisherige Wachstumsgesellschaft an Grenzen stößt. Konkret belasten vier große Bedrohungen den Bestand unseres bisherigen Systems:

  • 1.  die begrenzte Verfügbarkeit unserer Rohstoffeund natürlichen Ressourcen
  • 2.  der Bevölkerungsanstieg
  • 3.  der dramatische Rückgang der Biodiversität
  • 4.  der Klimawandel.

Wir können das Bedrohungspotential erweitern, z.B. mit der weltweit ansteigenden Verteilungsungleichheiten von Besitz und Reichtum. Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab, wie sie mit den knappen Ressourcen umgeht und wie sie diese verteilt. Das Modell der Kreislaufwirtschaft gilt als ein wichtiger Lösungsschritt, wirft jedoch selber technische, organisatorische und grundsätzliche Probleme auf. Stellen wir zunächst das Modell anhand der EU-Graphik (ebenda) vor:

In einem Kreislauf werden die für die Herstellung eines Produktes benötigten Rohstoffe, umweltschonend gewonnen, verarbeitet, wiederverwendet bis nur ein möglichst kleiner Restabfall übrigbleibt, der dann thermisch genutzt oder entsorgt wird. Die Problematik beginnt schon zu Beginn der Produktion, was aus der EU-Graphik jedoch nicht hervorgeht. Welche Produkte benötigen wir als Gesellschaft wirklich? Müssen tatsächlich alle Produkte hergestellt werden für einen Markt, auf dem dann der Verbraucher über Kauf und Nichtkauf entscheidet? Überlassen wir diese Entscheidungen allein dem sogenannten Markt oder zwingt uns die sich zuspitzende Ressourcenfrage letztlich dazu für diese Entscheidungen für die Zukunft tragbahre politische Rahmen zu setzen? Letztendlich geht es hierbei um die prinzipielle Frage nach der Wirtschaftsform, denn eine freie Marktwirtschaft unterbindet kein Produktangebot.

Die meisten Industrienationen sind rohstoffarm und müssen daher Rohstoffe importieren. Ähnlich wie es bereits im Lieferkettengesetz geregelt ist, erfordert auch der Umgang mit Rohstofflieferanten eine sorgfältige Kontrolle. Dies gilt gleichermaßen für den Vertrieb und die Versorgungskette. Zwar erschweren organisatorische und politische Gegebenheiten die Implementierung eines umfassenden Kontrollsystems, doch trägt das Modell der Kreislaufwirtschaft dennoch dazu bei, das Bewusstsein für diese Problematiken zu schärfen und möglicherweise alternative Strategien zu entwickeln. Eine dieser Strategien beruht auf dem Prinzip der Produktionsreduktion, was bisher nur schwer mit marktwirtschaftlichen Prinzipien vereinbar ist. Die in der Kreislaufwirtschaft vorgesehene Wiederverwendung und Reparatur von Produkten verlängert deren Lebensdauer erheblich. Dadurch werden weniger neue Produkte hergestellt und verkauft, was tief in die Substanz der bisherigen Wirtschaftskonzeption eingreift. Weniger Produktion bedeutet weniger Bedarf an Arbeitskräften (ohne Berücksichtigung der zunehmenden Automatisierung). Gleichzeitig erfordert mehr Reparatur und Recycling einen höheren Einsatz von Arbeitskräften. Wie sieht es hier mit der Balance zwischen Arbeitskräfteabbau in der linearen Produktion und Arbeitskräfte-Neubedarf in der Kreislaufwirtschaft aus? Entsteht eine Asymmetrie bei den Qualifikationsanforderungen, die mit einem Einkommensgefälle einhergeht? Ist eine Kompensation durch Arbeitszeitverkürzung möglich? Wie entwickeln sich Preise und Löhne angesichts internationaler Konkurrenz?

Die EU prognostiziert eine optimistische Version für die gesamtgesellschaftliche und ökonomischen Veränderungen durch Etablierung der Kreislaufwirtschaft:
„Das Recycling von Rohstoffen mindert Versorgungsrisiken wie Preisschwankungen, Verfügbarkeit und Importabhängigkeit. Dies gilt insbesondere für kritische Rohstoffe, die für die Herstellung von Technologien benötigt werden, die für die Verwirklichung der Klimaziele entscheidend sind, wie Batterien und Elektromotoren. Mehr Arbeitsplätze und weniger Kosten für Verbraucher. Der Übergang zu einer stärker kreislauf-orientierten Wirtschaft könnte die Wettbewerbsfähigkeit steigern, Innovationen anre-gen, das Wirtschaftswachstum ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen (700.000 Arbeitsplätze allein in der EU bis 2030)“ (ebd.)

Bis 2050 soll eine vollständig CO2-neutrale, ökologisch nachhaltige, giftfreie kreislauforientierte Wirtschaft bestehen. Im März 2022 wurde das erste Maßnahmenpaket in der EU beschlossen. Seit November 2022 bestehen besipielsweise EU-weite Vorschriften für kreislauffähige Verpackungen. Weitere konkretisierende Ergänzungen sind in der Planung.
Das Modell der Kreislaufwirtschaft weist trotz der oben aufgeführten kritischen Bemerkungen drei positive Aspekte auf:

  • 1) Es sensibilisiert Industrie und Verbraucher für die Problematik der Ressourcenknappheit und erzieht – ähnlich wie bei der Mülltrennung – die Wirtschaftsakteure.
  • 2) Es bietet eine klare Handlungsorientierung. Durch die Kreislaufwirtschaft ändern sich Produktionsabläufe und Konsumverhalten in der Praxis, beispielsweise durch verstärkte Reparaturmöglichkeiten.
  • 3) Es fördert die lokale Umsetzbarkeit. Städte gewinnen an Attraktivität durch Fortschritte bei der Umsetzung kommunaler Kreislaufmodelle. Kommunale Wettbewerbe ermutigen dazu, Konzepte zu entwickeln, die den spezifischen Bedürfnissen des jeweiligen kommunalen Umfelds gerecht werden.

Letztlich muss das Konzept der Kreislaufwirtschaft an seinen Ergebnissen messbar sein! Hier könnte es zu einem Paradigmenwechsel im volkswirtschaftlichen Denken kommen, denn bisher wird die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft am BIP / BNP gemessen. Doch aufgrund der Kreislaufwirtschaft könnte dieser Wert, trotz positiver EU-Prognosen, kleiner ausfallen – bei gleichzeitig steigendem Wohlfahrtsgewinn. Die aktuelle EU-Strategie (siehe letztes Zitat) folgt jedoch weiterhin den traditionellen Kategorien: ‚Macht die Wirtschaft grüner, investiert in Nachhaltigkeit und wachst weiter wie bisher, nur eben umweltschonender‘. Dies beschreibt eine wohlstandsorientierte Marktwirtschaft, in der Produzenten und Konsumenten mit gutem Gewissen agieren – genau die Art von Marktwirtschaft, die uns durch ihr Wachstumsmodell in das bekannte Dilemma geführt hat! Kann die Kreislaufwirtschaft uns aus diesem Dilemma befreien? Ohne tiefgreifende Veränderungen in grundlegenden Fragestellungen sicherlich nicht allein.

Stellen wir zunächst die beiden Wirtschaftsmodelle gegenüber: Das herkömmliche lineare Wirtschaftsmodell basiert auf dem Ansatz „Take-Make-Dispose“ (Ina Lindenbüren, Kreislaufwirtschaft verstehen und umsetzen, Bad Griesbach 2023, S.10f) – der Ressourcenentnahme, Produktion, dem Verbrauch und der Entsorgung, um schnellen Gewinn durch kurzlebigen Konsum zu erzielen. Die Konfliktfelder dieses Modells sind offensichtlich (s.o.) und eigentlich nicht mehr tragbar.

Das zirkuläre Wirtschaftsmodell hingegen zielt darauf ab, Ressourcen zu schonen und den ökologischen Fußabdruck zu minimieren, idealerweise im Sinne eines cradle-to-cradle-Ansatzes (von der Wiege bis zur Wiege, also ohne Abfallverlust). Die folgende Grafik verdeutlicht die grundlegende Wachstumsproblematik:

Dennoch muss auch bei der Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft ein Problem gelöst werden, das in der Euphorie über die Potenziale der Kreislaufwirtschaft häufig ausgeblendet wird: Angenommen, alle hergestellten Produkte könnten idealerweise im Sinne der Zirkularität wiederverwendet werden bleibt Folgedes zu bedenken:  Wie ließen sich weitere Milliarden Menschen versorgen, die aktuell noch nicht am westlich geprägten Konsummodell teilhaben? Schätzungsweise nur 2 von aktuell 8 Milliarden Menschen (erwartet werden in Zukunft ca. 10 Milliarden) profitieren derzeit von diesem Modell. Für die aktuell noch nicht an unserem Konsummodell teilhabenden etwa 6 Milliarden Menschen (und weitere 2 Milliarden, wen die Bevölkerungsrate bei 10 Milliarden angelangt ist) sind noch keine Produkte und Materialien für eine Anhebung ihres Lebensstandards hergestellt worden. Eine zirkuläre Wirtschaft erfordert daher – bei einer Beibehaltung des gegenwärtigen Konsumparadigmas –  zunächst eine Erweiterung der Produktion bzw. des Materialaufkommens, um auch den Menschen in den „aufstrebenden Volkswirtschaften“ des globalen Südens sowie den bisher nicht am marktliberalen Konsumsystem beteiligten sozialen Schichten die Güter zukommen zu lassen, die nach dem gegenwärtigen Konsumparadigma erforderlich wären (siehe untere Kästchen).

Wir brauchen also ein innovatives Konsumparadigma. Nicht nur die Herstellung und der Besitz von Produkten können wie bisher beibehalten werden, es muss eine neue Teilungs- und Nutzungsform angewandt werden. Der Rasenmäher, die Heckenschere und der Bohrer werden beispielsweise von vielen genutzt, auf Leihbasis, durch Nachbarschaftshilfe usw.

Das nächste Problem: die Innovation. Wir werden nicht in 20 Jahren mit den gleichen Heckenscheren, Bohrmaschinen und Rasenmähern arbeiten, die Technik geht weiter und verbessert die Arbeitsvorgänge, d.h. es werden wieder neue, innovativere Geräte hergestellt werden. Die Überlegung zur Lebensdauer beginnt bereits in der Designphase, was auch Innovationsmöglichkeiten beinhaltet. Ein wesentlicher Aspekt ist hierbei zum Beispiel das Prinzipt der Modularität. Module können erneuern, repariert und verbessert werden. Wichtig ist die Verwendung recycelbarer Materialien. Die zirkuläre Wirtschaft beinhaltet verschiedene Arten von Rücknahmesystemen wie Pfandsysteme, Sammelstellen für Elektroschrott, Rücknahme von Medikamenten usw. Sind die Materialien wiederverwertbar, so können daraus neue innovative Produkte erstellt werden. Ina Lindenbüren verweist auf den kontinuierlichen Verbesserungszwang , eine neue Art von Wettbewerb (Lindenbüren S.44). Das zirkuläre Wirtschaftsmodell benötigt technologische Investitionen, Schulungen, eine angepasste Ausbildung in Produktdesign, kurz: einen kulturellen Wandel im Unternehmen. Grüne Lieferketten sind ein Bestandteil der Kreislaufwirtschaft ebenso wie die Verwendung von recycelbaren oder kompostierbaren Verpackungsmaterialien. Auf Verbraucherseite wären Siegel und Zertifikate auf Produkten und Dienstleistungen ein wichtiger Hinweis. Lokale Tauschbörsen,Tauschmärkte und spezialisierte Plattformen führen zu verminderter Produktion. Grüne Technologien, intelligente Gebäudesysteme,  hochwertige biobasierte Dämmstoffe, , moderne Heiz – und Kühlsysteme, all dies gehört zur konzeptionellen Umsetzung eines zirkulären Wirtschaftsmodells.

Auch im Lebensmittelbereich benötigen wir dringend zirkuläre Konzepte. „Jedes Jahr gehen schätzungsweise ein Drittel der weltweit produzierten Lebensmittel für den menschlichen Verzehr verloren oder werden verschwendet. Dies entspricht rund 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmitteln“ (ebd. 83) Ein Großteil unserer fossilen Ressourcen wird für die Produktion von Düngemitteln verwendet und die Ressource „Boden“ wird durch die Lebensmittelverschwendung ebenfalls drastisch beansprucht.

Verbraucher und Betriebe können dieser Verschwendung entgegenwirken. Lindenbüren gibt hierzu folgende Tipps:

„• effektive Lagerung und Verarbeitung von Lebensmitteln
• kontrollierte Temperatur
• trockene Lagerung
• richtige Etikettierung
• regelmäßige Überprüfung von Lagerbeständen
• Verarbeitung von überschüssigen Lebensmitteln
• Bildung und Schulung des Personals
• Food-sharing-Initiativen“ (ebd. Lindenbüren, S. 84)

Lokale Produkte haben einen kürzeren Transportweg, saisonale Produkte wachsen unter optimalen Bedingungen und benötigen weniger (und überprüfbarer!) künstlicher Eingriffe wie Bewässerung und Düngung. Nachhaltige Textilien aus Hanf, Bio-Baumwolle oder recycelter Wolle bieten Vorteile gegenüber der Fast-Fashion-Industrie mit ständig wechselnden Kollektionen und Materialien. Upcycling bezeichnet den Prozess, bei dem alte oder unerwünschte Materialien in etwas Neues und Wert-volles umgewandelt werden. Kleidertausch – auch swapping genannt- kann Spaß machen, speziell auf Tauschpartys. Ein Problem beinhaltet der Zyklus und die Lebensdauer elektronischer Produkte. Wir benötigen langlebige Elektronik, Kundenservice, Garantien, vor allem Modularität elektronischer Produkte. Wir benötigen einen langsamen Technologiekonsum mit regelmäßiger Wartung. Recyclingprogramme für Elektronik muss zertifiziert werden, das Refurbishing , also das Aufarbeiten und Wiederverkaufen von gebrauchten Elektronikgeräten führt zu einer Verringerung des Materialverbrauchs. Die Nutzung erneuerbarer Energien und die Ersparnis von Energie insgesamt beginnt nicht zuletzt auch beim Verbraucher. Neben Photovoltaikanlagen auf dem Dach schaffen energieeffiziente Maßnahmen eine Entlastung, dazu gehören das Abdichten von Türen und Fenstern, Bewegungssensoren, Ausschalten des standby-Modus, effektive Dämmung und ein sparsamerer Umgang mit Energie. Zum Bewußtseinswandel gehört auch die Überprüfung des eigenen CO2-Fußabdrucks, u.a. überprüfbar unter:

https://co2-rechner.climatehero.org